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Titel
Matthias Walden. Ein Leben für die Freiheit


Autor(en)
Lange, Nils
Reihe
Biographische Studien zum 20. Jahrhundert (9)
Erschienen
Berlin 2021: be.bra Verlag
Anzahl Seiten
620 S.
Preis
€ 56,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Peter Hoeres, Institut für Geschichte, Julius-Maximilians-Universität Würzburg

Die Geschichte der Tageszeitung DIE WELT und ihrer Journalisten und Journalistinnen steht im Schatten der Geschichte der anderen großen Zeitungen und ihres Personals im deutschsprachigen Raum. Dabei hatte sie bis Mitte der 1960er-Jahre die höchste Verkaufsauflage der überregionalen Tageszeitungen jenseits des Boulevards und fand auch international sehr viel Beachtung. So wurde sie 1967 von der Universität Missouri, wo der älteste universitäre Journalistik-Studiengang beheimatet ist, zur „Zeitung des Jahres“ gekürt. Die Autorenschar reichte damals von Heinrich Böll über Siegfried Lenz bis Alphons Silbermann. WELT-Journalisten wie Ernst Cramer, Herbert Kremp oder Günter Zehm („Pankraz“) waren weithin gelesene Edelfedern. Dass die Zeitung heute weniger beachtet wird, liegt natürlich am antikommunistischen Kampfkurs Axel Springers, durch den das Blatt seit Ende der 1960er-Jahre nicht nur den 68ern, sondern auch allen sich irgendwie progressiv einordnenden Zeitgenossen verhasst wurde. Daran änderten auch die Ereignisse von 1989/90 nichts, die Springers unbeirrbarem Glauben an den Fall des Kommunismus und die deutsche Wiedervereinigung Recht gaben, ebenso wenig wie verschiedene Kurskorrekturen.

Auf den ersten Blick war Matthias Walden nur kurz, nämlich vier Jahre, hauptamtlich für den Springer-Verlag tätig, freilich in den herausgehobenen Funktionen eines „Chefkommentators“ und dann eines Mitherausgebers der WELT und des designierten publizistischen Erben Springers. Aber auch in den 1960er- und 1970er-Jahren hatte er bereits als Gastautor und dann als Leitartikler die Blattlinie der WELT und der WELT AM SONNTAG mitgeprägt. Er war damit und mit vielen Stellungnahmen zugunsten Springers zu einem Gesicht des Verlages geworden.

Otto von Saß, wie Walden eigentlich hieß, hatte in Dresden bei der Tageszeitung Die Union, die der Christlich Demokratischen Union Deutschlands (CDU) nahe stand, volontiert. Früh wurde er zum Kritiker der Zustände in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ). Nachdem sich das Klima immer weiter verschärft hatte, ging er 1950 in den Westen und nannte sich zum Schutz der zurückgebliebenen Eltern fortan Matthias Walden. In West-Berlin fing er beim Rundfunk im amerikanischen Sektor (RIAS) an. 1956 wechselte er zum frisch aus dem Nordwestdeutschen Rundfunk (NWDR) abgespaltenen Sender Freies Berlin (SFB). Parallel dazu schrieb er zunächst für Christ und Welt, dann ab 1967 als Leitartikler für die WELT AM SONNTAG und WELT. Dort gewann er sowohl als Repräsentant der Blattlinie nach außen und innen wie auch als Vertrauter Axel Springers zunehmend an Gewicht. Später vertauschte er seine beruflichen Funktionen. Während er zunächst „Chefkommentator“ beim SFB und freier Mitarbeiter für die WELT-Gruppe war, verhielt es sich ab 1980 umgekehrt.

Walden war ein Haltungsjournalist, wie man heute sagen würde. Das schloss für ihn durchaus auch Emotionalität mit ein. Seine Stücke waren aber immer als Leitartikel oder Kommentar erkennbar, darauf legte er größten Wert. Seinem Credo nach könne man die Hauptthemen seiner Publizistik, die nationalsozialistische Vergangenheit und die kommunistische Gegenwart, nur mit Subjektivität bearbeiten. Anders als es sein späteres Image als „Kalter Krieger“ nahelegt, war Walden sehr skeptisch gegenüber der deutschen Vergangenheitspolitik. Er kritisierte in Fernseh-Dokumentationen Traditionsverbände und die Nachsicht gegenüber nationalsozialistischen (NS) Biografien. Häufig zog er Parallelen zwischen Nationalsozialismus und Kommunismus, wollte beide Ideologien dabei aber nicht gleichsetzen; einen Rabatt gab es für den Kommunismus allerdings bei ihm nicht. So war er auch kritisch gegenüber Versuchen Hans Zehrers und anderer rechter Publizisten, den Schlüssel zur Einheit in Moskau mit weitreichenden Zugeständnissen abzuholen.

Wurde Walden zunächst eher von konservativer Seite wegen seines Enttarnens von NS-Tätern kritisiert, so wendete sich das Blatt mit der Studentenbewegung. Walden machte diese für Gewalt und Terror verantwortlich. Während der Osterunruhen 1968, die zwei Todesopfer forderten, wurde Walden selbst samt seiner Familie unter Polizeischutz gestellt. Den selbigen Vorwurf, ein „Klima der Gewalt“ in Berlin geschaffen zu haben, machten ihm Günter Grass, Daniel Cohn-Bendit und der Historiker Hans Dieter Müller. Als Beleg musste freilich, ähnlich wie im verkürzten Bildzeitungs-Zitat über die „Drecksarbeit der Polizei“, ein sinnentstellend beschnittenes Zitat von Walden herhalten. Grass und Cohn-Bendit bemühten erst gar keine Belege. Grass versuchte wenig später noch Alexander Solschenizyn, der mit Springer eine Zeitschrift konzipiert hatte, zu belehren, dass der Springer-Verlag mit den gleichen Methoden wie die totalitäre Presse der Sowjetunion arbeite. Walden wiederum hielt Heinrich Böll und andere linke Intellektuelle für Vordenker des Terrorismus der Roten Armee Fraktion (RAF).

Walden wurde und wird in der Rückschau als dezidiert konservativer Journalist wahrgenommen. Sein Biograf legt aber großen Wert darauf, ihn als demokratisch gesinnten Liberal-Konservativen von illiberalen rechten Publizisten wie Armin Mohler und Hans Zehrer abzugrenzen. Er kann auch zeigen, dass Walden bei der kurzzeitigen Machtübernahme dieser Gruppe bei Springer keine Rolle in den Planungen spielte. Wie Springer war auch er zu einem vehementen Verfechter Israels, des Westens und der Demokratie geworden. Gleichwohl erscheint diese deutliche, normativ motivierte Dichotomisierung von Rechts- und Liberalkonservativen gerade für die 1960er-Jahre als sehr holzschnittartig und zu grob.

Hans-Peter Schwarz hat in seiner Biografie Axel Springer einen außenpolitischen Dissenter genannt.1 Den Begriff kann man für Walden übernehmen. Der Preis der Neuen Ostpolitik, ein weitgehendes Beschweigen des Unrechtscharakters, der Zwangsherrschaft und der eklatanten Verletzung der Menschenrechte, war ihm zu hoch. Er hielt sie auch nicht für zielführend und glich beharrlich Anspruch und Wirklichkeit ab. Tatsächlich führte die Neue Ostpolitik, anders als revisionistisch beabsichtigt, zur konservativen Legitimierung des Status quo, daher verkannten deren Protagonisten die Bedeutung der Bürgerrechtsbewegungen von der Solidarność bis zu den Demonstrationen in Dresden und Leipzig.2 Walden war es ebenso wenig wie Axel Springer vergönnt, die Revolutionen im Ostblock noch zu erleben, er starb bereits 1984.

Nils Lange hat eine politisch-intellektuelle Biografie vorgelegt. Persönliche, materielle und soziale Lebensumstände Waldens spielen kaum eine Rolle. Bisweilen wären weniger Inhaltsreferate – zum Schrecken aller Deutschlehrer verwechselt der Autor dabei beharrlich „scheinbar“ mit „anscheinend“ – der unzähligen Sendemanuskripte und Artikel anzuraten gewesen, stattdessen mehr Konstellationsanalysen und medienhistorische Vertiefungen über die Institutionen, bei denen Walden arbeitete. Lange beherrscht allerdings nicht nur das Schrifttum seines Protagonisten, sondern auch die politik- und medienhistorische Forschung exzellent.

Methodisch wäre für die Mediengeschichtsschreibung anzuregen, ob nicht gerade im Falle der Publizistik Redaktions-, Ressort- oder Zeitungsgeschichten besonders profiliertere Erkenntnisse zu Tage fördern könnten. Journalisten und Journalistinnen sind im Tagesgeschäft fundamental von der Wertschätzung ihrer Umgebung abhängig, sie sind soziale interaktive Wesen par excellence. Kollektivbiografien, Netzwerkforschung sowie mentalitäts- und organisationsgeschichtliche Zugriffe bieten sich also an. Dieses Postulat schmälert aber nicht das Verdienst dieser lesenswerten Biografie.

Anmerkungen:
1 Hans-Peter Schwarz, Axel Springer. Die Biografie, Berlin 2008, S. 656.
2 Vgl. differenziert dazu Peter Brandt, Mit anderen Augen. Versuch über den Politiker und Privatmann Willy Brandt, Bonn 2018, S. 207, S. 226–228.

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