P. Wörster: Universitäten im östlichen Mitteleuropa

Cover
Titel
Universitäten im östlichen Mitteleuropa. Zwischen Kirche, Staat und Nation - Sozialgeschichtliche und politische Entwicklungen


Herausgeber
Wörster, Peter
Reihe
Völker, Staaten und Kulturen in Ostmitteleuropa 3
Erschienen
München 2008: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
309 S.
Preis
€ 44,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Wolfgang E. J. Weber, Institut für Europäische Kulturgeschichte, Universität Augsburg

Der aus einer 1999 durchgeführten Tagung hervorgegangene Band vereinigt 14 Studien, die nach der Einschätzung der Herausgeber „den Beginn einer neuen Beschäftigung mit der Universitätsgeschichte im östlichen Europa“ markieren und „einen bedeutenden Erkenntnisfortschritt zum Thema (…) gebracht (haben)“, „wobei der Gesichtspunkt des Vergleichs verschiedener Epochen und Länder den Vorteil dieses Bandes ausmachen (sic!)“ (Vorwort S. 9).

Die Einführung verdeutlicht freilich, dass vergleichende Studien adäquaten Zuschnitts nicht intendiert sind, sondern „die Beiträge (…) epochen- bzw. länderübergreifende systematische Vergleiche“ erst „ermöglichen sollen“ (S. 16). Der anschließende Katalog leitender Fragestellungen bietet denn auch recht gemischte Perspektiven, deren Spannweite von bekannten Schwerpunkten der älteren institutionen- und personenorientierten über die jüngere sozialgeschichtliche bis zur jüngsten kulturhistorisch ausgerichteten, das heißt an Wissenstransfer und Wissensentwicklung interessierten Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte reicht.

Der Einleitungsaufsatz des 2003 verstorbenen Mediävisten Ferdinand Seibt, dem die gesamte Publikation gewidmet ist, verknüpft ein Plädoyer für die stärkere Berücksichtigung der mitteleuropäischen Universitäten in der aus Sicht des Autors zu west-lastigen allgemeinen Universitätsgeschichte mit einer Warnung vor der Übernahme des US-amerikanischen Universitätsmodells durch Europa, die freilich – heute sind wir klüger – nicht zu erwarten sei (S. 35). Die drei anschließenden Beiträge befassen sich aus je unterschiedlicher Perspektive mit der Geschichte der Universität Dorpat bis um 1945, der letzte von ihnen unter dem Aspekt, Bildungszentrum eines ‚neuen Staatsvolkes’, nämlich der Esten, geworden zu sein. Mit der Funktionsbeschreibung der Universität Greifswald im Rahmen des schwedischen Reichsinteresses 1630-1720 aus der bewährten Feder von Herbert Langer weitet sich der Horizont der Kollektion nach Westen, von Pommern zu den brandenburg-preußischen Universitätsgründungen Frankfurt an der Oder, Königsberg, Duisburg und Halle einerseits sowie Berlin, Breslau und Bonn andererseits, dann zur Akademie Posen, schließlich wieder zurück zur dritten Hochschule des frühneuzeitlichen Polen, der auf beeindruckender Quellenbasis vorgestellten Akademie von Zamość (H. Gmiterek). Die darauf folgende Erörterung zum Verhältnis der miteinander verknüpften Universitäten Prag und Erfurt zur Kirche im Spätmittelalter eröffnet eine insgesamt vier Beiträge umfassende Gruppe von Studien zu den bömisch-tschechischen und österreichischen Universitäten. Die Vorstellung der Universität Czernowitz ist dabei recht affirmativ geraten. Die Befassung mit den Juden der Prager Universität beschränkt sich auf die nicht sonderlich beeindruckende Statistik der entsprechenden Dozenten und Studenten. Die letzte Vortrags- bzw. Aufsatzgruppe bezieht sich auf Ungarn; behandelt werden dessen Universitätsgründungswellen und das ungarische Auslandsstudium in Wittenberg im 16. Jahrhundert in einer etwas holzschnittartigen historisch-soziologischen, das heißt theoretisch-methodisch reflektierten und systematisierten Untersuchungsperspektive.

Was vor 10 Jahren noch innovativ war – die Überwindung des Schattens der Sowjetwissenschaft bzw. der Anschluss an die westliche Forschung –, muss es heute nicht mehr unbedingt sein. So beschränken sich die Vorzüge des Bandes eher auf die mehr oder weniger breite Erschließung sonst schwer zugänglicher fremdsprachiger Quellen und Literatur sowie auf dieser Ebene die Vermittlung mancher unbekannter Daten und Vorgänge. Im übrigen stellt die auch sprachlich und stilistisch gelegentlich noch verbesserungsfähige Sammlung eher bereits ein eigenes universitäts- und wissenschaftshistorisches Quellenzeugnis dar: für die Herausforderungen nachholender Geschichtswissenschaft im Allgemeinen und einer Universitätsgeschichte im Besonderen, die über ihre Erkenntnisziele und Arbeitsprogramme eigentlich bis heute erst ansatzweise Einvernehmen erzielen konnte.