G. Schwedler: Herrschertreffen des Spätmittelalters

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Titel
Herrschertreffen des Spätmittelalters. Formen - Rituale - Wirkungen


Autor(en)
Schwedler, Gerald
Reihe
Mittelalter-Forschungen 21
Erschienen
Ostfildern 2008: Jan Thorbecke Verlag
Anzahl Seiten
568 S.
Preis
€ 79,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Martin Bauch, Potsdam

Die persönliche Begegnung von Herrschern im späten Mittelalter behandelt Gerald Schwedler in seiner Heidelberger Dissertation von 2007. Mit seinem umfangreichen Werk stößt er in eine echte Forschungslücke, denn bisher interessierten an den Herrschertreffen meist die dort getroffenen Vereinbarungen. Schwedler fragt aber nach den politischen Handlungsmöglichkeiten, die sich ausschließlich aus der persönlichen Begegnung der Herrscher ergeben haben; neben das intentionale Vorgehen der Beteiligten tritt ihr formalisiertes, rituell-zeremonielles Verhalten.

Geographisch wie zeitlich greift die Dissertation weit aus: Das angefügte „Repertorium der Herrschertreffen im Spätmittelalter“ (S. 415–466) verzeichnet 204 Einträge zwischen 1270 und 1440. Den zeitlichen Rahmen bildet einerseits das erstarkende Königtum unter Rudolf von Habsburg, andererseits die Herrschaft des letzten Luxemburgers Sigismund. Nach dessen Tod ging die Zahl der Herrschertreffen europaweit deutlich zurück. Räumlich nimmt Schwedler beinahe das ganze lateinische Europa in den Blick, von Skandinavien bis Sizilien, von Schottland bis zur iberischen Halbinsel, im Osten bis Polen und Ungarn. Das orthodoxe Osteuropa bleibt außen vor, mit der beachtenswerten Ausnahme der Reisen byzantinischer Kaiser nach (West-)Europa auf der Suche nach Unterstützung. In die gleiche Kategorie fallen die europäischen Reisen des Königs von Zypern. Bedeutsam und folgenreich ist die Beschränkung der Untersuchung auf gekrönte Könige und Kaiser – Thronfolger scheiden ebenso aus wie alle anderen Kategorien europäischer Herrscher, selbst die so bedeutsamen Herzöge von Burgund und Mailand. Das höchst umfangreiche Quellen- und Literaturverzeichnis wie die konsultierten Archivalien spiegeln diesen internationalen Forschungshorizont, und dass der Autor nicht nur west- und südeuropäische Literatur erfasst, sondern auch polnische und tschechische Arbeiten rezipiert hat, ist (leider) keineswegs selbstverständlich.

Die Arbeit ist zweigeteilt. In einem ersten Teil stehen acht signifikante und gut belegte Einzelfälle für jeweils einen bestimmten Aspekt der Rituale und Zeremonien bei Herrschertreffen. Das Koblenzer Treffen Ludwigs IV. mit Eduard III. von England 1338 erläutert das Verhältnis von „Text und Ritual“; die Begegnung Albrechts I. und Philipps IV. von Frankreich 1299 an der Grenze beider Reiche illustriert „Verhandlungen und Formen der Konsensbildung“. Anhand der Englandreise Kaiser Sigismunds von 1416 thematisiert Schwedler „Vertragsschlüsse und Eide unter Königen“. „Belehnungsakte zwischen Königen“ werden anhand des Lehnseides Otakars II. Přemysl gegenüber Rudolf von Habsburg diskutiert. Als Beispiel für „Treffen mit gefangenen Königen“ steht der einschlägige Fall der Gefangenschaft Johanns II. von Frankreich in England; für “Zwei Könige desselben Reiches“ bietet sich natürlich das Doppelkönigtum Ludwigs IV. und Friedrichs des Schönen an. Den Aspekt „Waffenstillstand und Friedensschluss“ erläutert Schwedler am Vertrag von Troyes 1420, „Zeremoniell und Inszenierung“ wird für die Parisreise Kaiser Karls IV. und König Wenzels von 1378 untersucht. An jede Detailstudie schließt sich eine Längsschnittanalyse an, die für den gesamten Untersuchungszeitraum dem jeweiligen Aspekt in den überlieferten Herrschertreffen nachgeht. Der zweite, deutlich kürzere Teil der Arbeit arbeitet idealtypisch vier Phasen des Herrschertreffens heraus (Vorbereitung, Begegnung, Zusammensein, Trennung). Ein letzter Untersuchungsschritt fasst immer wieder greifbare Einzelelemente von Herrscherbegegnungen auf: zeremonieller Gebrauch von Objekten (Insignien, Kleidung), Festakte und Staatsbankette, materielle Aufwendungen und Geschenke, der Kuss als Geste.

Das bereits erwähnte Repertorium beschreibt keineswegs nur gesichert überlieferte Herrscherbegegnungen, sondern auch Treffen, die geplant waren, aber nicht zustande kamen, oder die nur indirekt erschlossen werden konnten. Eine Kategorisierung erfolgt allenfalls grob in Bezug auf die Qualität der Überlieferung. Angesichts der Fülle des Materials ist die vom Autor deutlich gemachte Einschränkung (S. 415) hinsichtlich Vollständigkeit der Liste an sich, aber auch der Quellen- und Literaturangaben völlig nachvollziehbar.

Im Ergebnis stellt Schwedler fest, dass Herrscherbegegnungen viel genutzte Instrumente der politischen Praxis waren, die aber im Gegensatz zu anderen königlichen Ritualen in ergebnisoffenen Situationen zur Entscheidungsfindung beitragen sollten. In ihrer Vielfalt machen sie eine Typologisierung fast unmöglich. Herrschertreffen wirkten als Kommunikationsereignisse nach innen und außen. Durch die zeremonielle Ausgestaltung des Treffens sollte Einfluss ausgeübt werden, wobei einerseits eine hohe Sensibilität der Beteiligten für symbolisches Handeln festzustellen ist, andererseits den einzelnen symbolischen Formen je nach Tradition ein unterschiedlicher Wert zugemessen werden konnte. Solche symbolischen „Manifestationen von Herrschaft“ (S. 410) traten gleichrangig neben andere Instrumente der Machtausübung. Einerseits konnten Herrschertreffen die Ranggleichheit der gekrönten Häupter Europas demonstrieren, gegebenenfalls verstärkt durch verwandtschaftliche Bande. Andererseits waren Hierarchien unter den Monarchen Europas immer ein Thema, gerade wenn es um Belehnungen oder den Anspruch des römisch-deutschen Kaisertums ging. Den langsamen Rückgang der Treffen im Untersuchungszeitraum deutet Gerald Schwedler als Auswirkung der zunehmenden Bürokratisierung und Verrechtlichung, die persönliche Herrschertreffen langfristig durch Reisen geschulter Diplomaten ersetzten. Dazu passt die Beobachtung, dass hochsymbolische Einzelaspekte wie der Einsatz der königlichen Insignien oder die rituellen Küsse bei Herrschertreffen mehr und mehr ihre Bedeutung verloren.

Ein Nachteil der Arbeit liegt in ihrer Beschränkung der Untersuchung auf gekrönte Herrscher, Könige und Kaiser. Die Bedeutung des Status ‚gekrönter Herrscher’ für die Begegnung erschlösse sich doch erst aus der Untersuchung und dem Vergleich von Treffen zwischen gekrönten und ungekrönten Oberhäuptern – man denke nur an das gut dokumentierte Zusammentreffen zwischen dem Dauphin von Frankreich, dem späteren Charles V., und Kaiser Karl IV. auf dem Hoftag von Metz 1356. Diese Begegnung bleibt außen vor, obwohl das Treffen der beiden im Januar 1363 aufgenommen wurde, bei der Charles V. immer noch ungekrönt war (S. 445). Weitere Beispiele ließen sich leicht aufzählen, und Schwedler zweifelt selbst an der von ihm beschlossenen Trennlinie zwischen gekrönten und nichtgekrönten Herrschern, wenn es um multilaterale Herrschertreffen geht (S. 117).

Kaum Beachtung findet die Rolle der Königinnen. Auf den ersten Blick bleiben sie ganz außen vor, aber im Repertorium wird doch das Treffen von 1385 zwischen Wenzel IV. und der regierenden Königinwitwe Elisabeth von Ungarn aufgenommen (S. 453). Dann fehlt aber beispielsweise die gemeinsame Reise Kaiser Karls IV. und der ebenfalls Elisabeth genannten Mutter Ludwigs I. von Ungarn 1357 über Marburg nach Aachen. Die Rolle der Herrscherinnen wäre zumindest diskussionswürdig gewesen.

Nicht als substantieller Einwand, wohl aber als Anmerkung soll auf ein Missverständnis einer Quelle hingewiesen werden: Nach der Schlacht von Mühldorf entgeht dem Verfasser die Ironie in der Begrüßung Ludwigs des Bayern gegenüber seinem habsburgischen Verwandten (S. 230), was die Argumentation in diesem Unterpunkt auf eine falsche Grundlage stellt. Widersprüchliche Aussagen finden sich auch zu einer besonders eindrucksvollen Herrscherbegegnung, der symbolischen Degradierung des schottischen Königs John Balliol 1296 in Anwesenheit des englischen Königs Eduards I.: Berichtet Gerald Schwedler an einer Stelle von der schrittweisen Entfernung aller königlichen Insignien und Kleidungsstücke, beginnend mit der Krone (S. 319), wird derselbe schottische König an anderer Stelle (S. 360) bei eben dieser erniedrigenden Zeremonie als ungekrönt bezeichnet. Ebenfalls in den Bereich der Detailkritik gehört der Verweis auf merkbare Flüchtigkeitsfehler und vor allem ausufernde, sicherlich ungewollte Kursivsetzungen im Text, die dem Lektorat entgangen sind.

Vielfach zeigt sich die Anschlussfähigkeit für die weitere Forschung, gerade wenn es um kulturübergreifende Herrscherbegegnungen geht (S. 413): War dem verzweifelt Hilfe gegen die Osmanen suchenden Johannes V. Palaiologos bewusst, dass er 1366 beim Treffen mit Ludwig I. von Ungarn ebenfalls hätte die Kopfbedeckung lüften müssen, um seinen Gastgeber nicht zu brüskieren? Oder war die rasch festgestellte, byzantinische ‚superbia’ nur ein willkommener Vorwand für den ungarischen König, sich nicht mit dem Hilfsersuchen des ‚Kaisers von Konstantinopel’ auseinandersetzen zu müssen? (S. 349f., 409)

Alles in allem hat Gerald Schwedler ein großes Thema vielschichtig bearbeitet, so dass der eigene Anspruch, „ein königliches Handlungsinstrument auf europäischer Ebene“ (S. 413) darzustellen, eingelöst wurde. Die einzelnen Fallstudien – die in ihrer Detailfülle auch für sich selbst stehen können – zeigen deutlich, wie heterogen die Herrscherbegegnungen sind. Dies macht sie deutlich sperriger zu analysieren als den auf den ersten Blick vergleichbaren Adventus des Herrschers1 oder Papst-Kaiser-Begegnungen.2 Das hier entwickelte, idealtypische Schema der Herrscherbegegnung kann so nur eine eingeschränkte Gültigkeit beanspruchen – kein Wunder, gibt es doch keine einschlägigen normativen Quellen. Mit Gerald Schwedlers Buch steht es nun jedem Interessierten offen, sich selbst ins historische Unterholz der einzelnen Herrscherbegegnungen zu begeben. Eine Fundgrube für symbolisches Herrscherhandeln des Spätmittelalters ist das Buch in jedem Fall.

Anmerkungen:
1 Gerrit Jasper Schenk, Zeremoniell und Politik. Herrschereinzüge im spätmittelalterlichen Reich, Köln 2003.
2 Achim Thomas Hack, Das Empfangszeremoniell bei mittelalterlichen Papst-Kaiser-Treffen, Köln 1999.

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