W. Behringer u.a. (Hgg): Das Bild der Stadt in der Neuzeit

Titel
Das Bild der Stadt in der Neuzeit. 1400-1800


Herausgeber
Behringer, Wolfgang; Roeck, Bernd
Erschienen
München 1999: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
509 S.
Preis
€ 29,90
Stephan Laux, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Historisches Seminar

Dieses Buch versammelt 46 geschichtliche Städteporträts vom Spätmittelalter bis zum Ende des Alten Reiches. Beschrieben werden soll nicht jeweils das Erscheinungsbild einer Stadt als solcher, sondern "das Bild von der Stadt", also die ikonographische Tradition in ganz unterschiedlichen Medien (Malerei, Holzschnitt und Druckgraphik, Modelle, Federzeichnungen, Medaillen und Münzen, Gemälde etc.) und in diversen Aufnahmeperspektiven (Vogelschau, Grund- und Planansicht, Profildarstellung u.a.m.). Aufgenommen wurden ausnahmslos Städte, die dem heutigen Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland angehören. Die "Städtebilder" sind unabhängig von der Bedeutung der einzelnen Orte jeweils auf etwa sieben Seiten bemessen und enthalten in der Regel drei bis fünf Schwarz-Weiß-Abbildungen. Die Verfasser sind ausgewiesene Historiker und Kunsthistoriker, die meist zu 'ihren' Städten maßgebliche Forschungsarbeiten vorgelegt haben. Jeder Artikel steht für sich und kann ohne weiteres nach Maßgabe punktuellen Interesses gelesen werden (drei der Aufsätze haben keinen wissenschaftlichen Apparat: Lüneburg, Mainz und Potsdam).

Die Auswahl der Städte unterlag (so das Herausgebervorwort) drei Kriterien: erstens dem Kriterium der Repräsentativität, so dass auch solche Städte berücksichtigt werden, die nicht unbedingt zu den namhaftesten zählten oder heute noch zählen, die aber in ihrem spezifischen urbanen Charakter als Beispiele für andere stehen mögen: die 'Burgstadt' Burghausen, die Exulanten- und ausgesprochenen Planstädte Freudenstadt, Glückstadt und (Neu-)Hanau, die Seehafenstadt Emden, die 'Inselstadt' Lindau, die Festungsstadt Saarlouis oder der Kurort Wildbad; zweitens wurde das Kriterium des stadtrechtlichen Status gewählt, drittens das Größenkriterium. Unübersehbar haben sich die Herausgeber auch bemüht, mit Gerechtigkeit zu verfahren und eine einigermaßen gleichmäßige regionale Streuung zu erreichen. Mit der Aufnahme von Aachen und Zwickau wollte man wohl auch dem formalen Anspruch eines Lexikons gerecht werden. Der Zuschnitt des Betrachtungszeitraums erklärt sich aus dem Interesse an der eben erst im 15. Jh. aufkommenden Städte-Ikonographie, weniger aus der Sicht der Städteforschung, denn diese vier Jahrhunderte bilden bekanntlich keine kohärente Epoche des deutschen Städtewesens.

Eröffnet wird der Band durch einen zehn Einzelbeiträge umfassenden Teil (ca. 90 S. u. 21 Farbansichten), der sich übergreifenden Aspekten sowohl der Stadtbild- als auch der Städteforschung widmet. B. Roeck skizziert die strukturellen Bedingungen der frühneuzeitlichen Städteentwicklung und verweist eingangs zu Recht auf den in der Städteforschung noch immer nicht ausreichend gewürdigten Umstand, dass die Mehrzahl der Menschen im Alten Reich in Mittel- oder nur in Kleinstädten von weniger als 5.000 Einwohnern lebte. P. Johanek liefert mit seinem Artikel "Stadtvorstellungen im Mittelalter" ein Prolegomenon zur Bilddarstellung der anbrechenden Moderne, denn bis dato hatte man Städte (wenn überhaupt) in christlich-allegorische Sinnzusammenhänge gerückt, bevorzugt nach dem Motiv Jerusalems und Roms. Am vermeintlichen Glanz der Reichsstadt in der Frühen Neuzeit kratzt H. Duchhardt: Er sieht das politische Verhalten der Reichsstädte durch konservative, stets auf die Wahrung von Autonomie erpichte und somit gewissermaßen kleingeistige Motive geprägt, was im gegebenen Zusammenhang insofern relevant ist, als auch die städtische Kunstförderung dieser politischen Logik unterlag. Weitere Aufsätze befassen sich mit "Symbolik und Darstellungsformen" von Städten im Profilbild (S. Michalski), ihrer Einbettung in Landschaftsszenarien (J. Simane), ihrer dreidimensionalen Abbildung in Form von Holzmodellen und ihrer Wahrnehmung in der literarischen Beschreibung (E. Kleinschmidt). W. Behringer informiert über die "Städtebücher", Th. Besing verweist auf die Bedeutung ökonomischer Gesichtspunkte für die Bildproduktion. Den Abschluss dieses einleitenden Abschnitts bildet ein Beitrag von F.-D. Jacob über den Erkenntniswert von Bildquellen für die städtische Sozialgeschichte.

Dass im Folgenden keine Inhaltsangabe von 46 Stadtdarstellungen gegeben werden kann, versteht sich von selbst. Stattdessen sei das Augenmerk auf zwei übergreifende Felder gerichtet, nämlich den Stellenwert der großen Städtebücher sowie funktionale Aspekte der Entstehung und Gestaltung von Stadtdarstellungen. Auf eine Gruppierung der Städte nach typologischen Gesichtspunkten soll verzichtet werden, denn die wenigsten Städte lassen sich eindeutig klassifizieren. Die Städtebücher seit der Mitte des 16. Jhs. sind deshalb an vorderster Stelle ins Auge zu fassen, weil durch sie örtliche Traditionen aufgegriffen, systematisiert, vielfach erst angestoßen wurden, und das Genre des Stadtbilds durch sie eine eindrucksvolle Popularisierung erlangte. Als Begründer des Städtebuchs in Deutschland ist der Basler Humanist Sebastian Münster (1488-1552) anzusehen. Die zweite Ausgabe seiner 60 Kupferstiche umfassenden "Cosmographia" erreichte insgesamt über 40 Auflagen und eine beträchtliche, keineswegs auf elitäre "patriotisch-humanistische Kreise" (Th. Besing) beschränkte Verbreitung, denn sie gelangte "bis weit in die Kreise einfacher Gewerbetreibender und Handwerksleute", wie etwa für Lindau belegt (K. H. Burmeister). Wie anspruchsvoll freilich das Publikum war, musste Münster schmerzlich erfahren: Die Erstausgabe seiner "Cosmographia", die sich noch stark an den mittelalterlichen Schematismus gehalten hatte, wurde von der Kritik verrissen, und Münster sah sich genötigt, zügig ein Sammelwerk mit möglichst naturalistischen Abbildungen auf den Markt zu bringen. Für eine ganze Reihe von Städten markierte diese neue "Cosmographia" den Wendepunkt zu einem inhaltlichen und perspektivischen Realismus (etwa: Erfurt, Frankfurt a. M., Freiberg, Lüneburg, Mainz, Marburg, Nördlingen, Speyer, Trier). Doch bemerkenswerterweise fallen unabhängig von Münster auch andernorts erste naturalistische Darstellungen genau in die Jahrhundertmitte (Bremen, Magdeburg, Rostock). Einen qualitativen wie quantitativen Sprung bedeuteten die in Köln publizierten "Civitates orbis terrarum", ein Gemeinschaftsprojekt des Kölner Kanonikers Georg Braun († 1622) und des aus Mechelen stammenden Kupferstechers Frans Hogenberg († um 1590). Die Zahl der darin gebotenen großformatigen Radierungen stieg von 139 im ersten Band 1572 bis auf 546 im letzten 1617). Radierungstechnik und Großformatierung erlaubten gegenüber den kleinen Holzschnitten bei Münster einen Zugewinn an Detailtreue.

Die Krönung der deutschen wie europäischen Stadtikonographie bildeten die Topographien Matthäus Merians d. Ä. Seit 1626 eigenständiger Verleger in Frankfurt, publizierte Merian ab 1642 Stadtansichten aus dem Alten Reich, mit seinem Heimatland Schweiz beginnend, dann von Reichskreis zu Reichskreis fortschreitend. Bei seinem Tod 1650 hatte er gut 1000 Stadtansichten zusammengestellt, sein Sohn Matthäus d. J. beendete die "Topographia Germaniae" 1656 mit dem Band Burgund/Niederlande. Wegen der unkritischen Übernahme und inhaltlichen Reduzierung ihrer Vorlagen (Augsburg, Bonn, Frankfurt/Oder, Freiburg, Hamburg, Nördlingen) und schieren Plagiats (Dresden, Soest, Trier, Wittenberg, Zwickau) finden Merian und Nachfolger vor den sehr kritischen Augen der Bearbeiter dieses Bandes allerdings nur in Einzelfällen Gnade (Frankfurt a. M., Bremen, Göttingen, Regensburg, Mainz). Neben diesen berühmtesten Standardwerken sind andere, insbesondere regionaler Provenienz nicht zu vernachlässigen: beispielsweise die in hessischem und sächsischem Auftrag entstandenen Stadtaufnahmen des Merian-Zeitgenossen Wilhelm Dilich († 1650), die durchweg als herausragend bezeichnet werden (Hanau und Marburg bzw. Dresden, Leipzig, Freiberg, Zwickau). Im 18. Jh. war die Hochzeit der Städtebücher verstrichen, doch lebten die Abbildungen Hogenbergs und Merians als Massenware in Form von Einzelblättern, Reiseandenken, Druckersignets etc. fort. In Leipzig wurden Bilder der Stadt Messehandelsgut. Nachdem im 16. und 17. Jh. umliegende Landschaften und Vorstädte (wenn auch nicht durchgängig) noch reduziert worden waren, insbesondere dann, wenn die Darstellung historischer Ereignisse im Vordergrund stand (charakteristisch u. a. für Bonn, Magdeburg, Leipzig, Speyer, Trier), stellt sich in der aufkommenden Romantik eine gegenläufige Tendenz ein: Die Städte erscheinen nun bevorzugt perspektivisch distanziert inmitten landschaftlicher Szenarien (z. B. Bonn, Magdeburg, Göttingen).

Neben den Sammelwerken sind selbstverständlich jene ungezählten Stadtdarstellungen nicht zu vernachlässigen, die außerhalb serieller Bildwerke entstanden: Hier seien nur exzeptionelle Großprojekte wie der berühmte Köln-Prospekt Anton Woensams von 1531, der wohl nach dessen Vorbild angefertigte, 3 m lange Holzschnitt Lübecks von Elias Diebel (1552/1574) oder Vicke Schorlers monumentale, beinahe 19 m lange Bildrolle von Rostock (1578-1586) erwähnt. Ferner ist nicht zu übersehen, dass es auch solche Städte gab, die eine quantitativ bescheidene (Saarlouis, Potsdam) oder auch, im Verhältnis zu ihrer Bedeutung, auffällig verspätete Bildtradition aufweisen (Soest, Wittenberg, Regensburg, Würzburg). Da die Stadtbuchdarstellungen in aller Regel von lokalen Vorlagen Provenienz abhingen, um ihrerseits wieder für mitunter zwei Jahrhunderte prägend zu werden, ist die historische Bildforschung jeweils auf aufwendige Vergleichsverfahren angewiesen: So erfüllen im Falle Würzburgs von etwa 60 bekannten, vor 1800 entstandenen Gesamtansichten nur acht die Kriterien Authentizität und Originalität bzw. Selbständigkeit (R. Feurer). Vor überzogenen Ansprüchen in puncto Detailtreue warnt die Tatsache, dass die ikonographische wie die literarische Stadtdarstellung immer von einer "affektiven Intention" getragen wurde (E. Kleinschmidt). Diese fand ihren Niederschlag im Kompositionsgrundsatz der Städtebücher, "urbane Harmonie" vermitteln zu wollen (B. Roeck) wie im Ethos des einzelnen Künstlers, insbesondere des ortsansässigen, seine Stadt von ihrer besten Seite zu ästhetisieren. Es verwundert deshalb nicht, dass gerade die Ikonographie der im Laufe der Frühneuzeit wirtschaftlich herabsinkenden Städte zur Konservierung mittelalterlicher Stadtbilder neigt (Speyer [seit Seb. Münster 1550], Soest [Braun-Hogenberg 1581/1588], Nürnberg [J. A. Boener Anfang 18. Jh.]).

Funktionale Aspekte sind insbesondere im Zusammenhang mit der propagandistischen Instrumentalisierung von Stadtbildern zu erkennen. Die monumentale Überhöhung des Mainzer Doms bei gleichzeitiger Vernachlässigung der städtischen Bauten in Franz Behems Holzschnitt von 1565 etwa sollte den geistlichen Charakter und somit das kurfürstliche Recht bekräftigen. Erzbischöfliche Wappen trugen nicht ohne Grund auch Stadtdarstellungen Bremens (zwischen 1550 und 1564 durch Hans Weigel) und Triers (1548 durch Sebastian Münster). 1661 konterte der Fürstbischof von Münster eine von der Stadt in Auftrag gegebene Radierung mit einer Goldmedaille, in der die endgültige Unterwerfung Münsters proklamiert wurde ("ad obedientiam reductum"). Fürstliche Anstöße zu Bildproduktionen sind darüber hinaus besonders in Planstädten festzustellen, die man mit Ansiedlern zu peuplieren gedachte: etwa für die Hanauer Neustadt, das dänische Glückstadt, die verhinderte württembergische Festungsstadt Freudenstadt oder den ebenfalls württembergischen Kurort Wildbad, über dessen Vorzüge seit 1667 eine Art Werbeblatt zirkulierte. Funktionalisierung und Ästhetisierung lagen nahe beieinander: So dienten die zahlreichen von Albrecht V. von Bayern in Auftrag gegebenen Stadtdarstellungen ('Landtafeln', Holzmodelle, Gemälde) als Gebrauchsware zur Stadtplanung, -besteuerung und -befestigung, sicher aber auch zur Selbstvergewisserung der eigenen Herrschaftsfülle (z. B. gegenüber der Stadt München).

Es gibt nicht viel, was man an diesem Buch verbesserungswürdig nennen könnte. Nicht wirklich Zielpunkt von Kritik darf die Auswahl der Städte sein: Der Zwang zur Reduktion begründet sich hinlänglich aus der schieren Zahl der in Frage kommenden Orte. Vollständigkeit kann daher eben nicht Maßstab des Bandes sein, dessen Herausgeber kaum leichten Herzens auf die Porträtierung einer ganzen Reihe historisch wie ikonographiegeschichtlich wichtiger Städte verzichtet haben dürften (etwa: Darmstadt, Dortmund, Duisburg, Düsseldorf, Görlitz, Greifswald, Halberstadt, Halle, Hannover, Heidelberg, Hildesheim, Karlsruhe, Kassel, Koblenz, Lippstadt, Osnabrück, Paderborn, Passau, Stuttgart, Worms). Irritierend aber ist die Beschränkung auf das Gebiet der heutigen Bundesrepublik: Nach Stettin und Breslau oder Straßburg sucht man also vergebens. Zwar sind laut Vorwort entsprechende Sammelbände für andere europäische Staaten vorgesehen, aber dennoch: Welche wissenschaftlichen Beweggründe dafür sprechen, ein modernes Staatsgebiet auf ein vormodernes zu projizieren, hätte mit ein paar Worten erläutert werden können.

Ferner sind nicht alle Erscheinungsformen frühneuzeitlicher Urbanität berücksichtigt worden (etwa Ackerbürgerstädte). Dass das zweite erwähnte Auswahlkriterium, die "jeweilige Rechtsstellung", überhaupt ein sinnvolles Auswahlkriterium ist, ist an keiner Stelle begründet und wohl auch unbegründbar. Zwei wesentlichere Kritikpunkte allerdings beziehen sich auf eine noch immer bestehende Tendenz der Stadtbildforschung, wenngleich sich der gewonnene Eindruck zugegebenermaßen subjektiv durch die vollständige Lektüre des Buchs verstärkt, die sicher kaum zweckmäßig ist: Die meisten Bearbeiter lassen eine gewisse Geringschätzigkeit gegenüber der mittelalterlichen Bildtradition (sofern jeweils vorhanden) durchblicken. Dem gegenüber ist die bautopographische und perspektivische Korrektheit der abgebildeten 'Wirklichkeit' mehr oder minder durchgängig der absolute Gradmesser für die Einschätzung der künstlerischen Qualität. Zum anderen finden sich nur sehr zaghafte Ansätze, die Stadtbildquellen in dem von F.-D. Jacob im Einleitungsbeitrag zu Recht angemahnten Sinne zumindest subsidiär auf ihren Erkenntniswert für die Sozialgeschichte hin zu befragen. Dies mindert aber den Wert dieses informativen und nützlichen, im übrigen auch sehr ansprechend gestalteten Buchs nur unwesentlich.

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