A. Ribi Forclaz: Humanitarian Imperialism

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Titel
Humanitarian Imperialism. The Politics of Anti-Slavery Activism, 1880–1940


Autor(en)
Ribi Forclaz, Amalia
Reihe
Oxford Historical Monographs
Erschienen
Anzahl Seiten
256 S.
Preis
£ 60.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Maria Framke, Historisches Institut, Universität Rostock

Die enge Verbindung von Politik und Humanitarismus für dessen Konstituierung, Motivation und Praktiken ist in den letzten Jahren wiederholt in historischen Arbeiten festgestellt worden1. Dabei haben verschiedene Forschungsarbeiten humanitäre Diskurse und Programme im imperialen Kontext untersucht; bisher mit dem Schwerpunkt auf das britische Empire im langen 19. Jahrhundert2. Die Geschichte des Humanitarismus, so forderten 2012 Alan Lester und Robert Skinner, sollte als ein wesentlicher Aspekt imperialer Beziehungen und als ein Ansatz trans-imperiale, internationale und transnationale Methoden zu verbinden, begriffen werden.3

Amalia Ribi Forclaz ist dieser Aufforderung in ihrer innovativen Studie zur Geschichte des Anti-Sklaverei-Aktivismus von 1880 bis 1940 nachgekommen. In sechs Hauptkapiteln untersucht Ribi Forclaz die Beziehungen und humanitäre Zusammenarbeit von Nichtregierungsorganisationen (NGOs), europäischen Regierungen und internationalen Organisationen am Beispiel der Anti-Sklaverei-Thematik. Auf Grundlage einer beeindruckenden Anzahl von Quellen aus schweizerischen, britischen und italienischen Archiven zeichnet die Autorin die enge, oftmals verwobene Verbindung von humanitären Internationalismen und Imperialismus nach. Dabei gelingt es ihr, nicht nur zu zeigen, dass internationalistische Ideen oftmals nationalen Zielen dienten (S. 4), sondern auch, dass der humanitäre Imperialismus ein paneuropäisches Phänomen war, das in den untersuchten sechs Dekaden auf einem neuen Typus des glaubensbasierten Humanitarismus beruhte (S. 7 und S. 9). Ribi Forclaz erweitert mit ihrem Buch nicht nur den zeitlichen Untersuchungsrahmen der Geschichte imperialer humanitärer Initiativen auf die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts, sondern auch den Kreis der Akteure, da hier neben britischen, auch französische, schweizerische und vor allem italienische Organisationen und Aktivisten in den Blick genommen werden.

Dementsprechend wird im ersten Hauptkapitel das Wiederaufleben der Anti-Sklavereibewegung in West- und Mitteleuropa von 1888 bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs nachgezeichnet. Dieses war einerseits durch einen regelmäßigen Informations- und Ideenaustausch der verschiedenen nationalen Organisationen gekennzeichnet, andererseits durch gemeinsame Diskurse, wie die Betonung des Christentums, die Ablehnung des Islams, die Idee der kulturellen Überlegenheit des ‚Westens‘ etc. Praktische Kooperationen über Ländergrenzen hinweg kamen jedoch kaum zustande und anstelle einer international institutionalisierten humanitären Bewegung verstärkten sich im Zuge der Anti-Sklaverei-Arbeit oftmals nationale und religiöse Identitäten (S. 15). Die internationale Ebene gewann jedoch mit der Gründung des Völkerbundes und seiner angeschlossenen Organisationen in den 1920er-Jahren an Bedeutung. Der Bund bot auch den Anti-Sklaverei-Aktivisten, insbesondere der British Anti-Slavery and Aborigines Protection Society und ihrem Vorsitzender John Harris ein globales Forum für multilaterale Zusammenarbeit, die aber keineswegs immer erfolgreich verlief (S. 49 und S. 55–59). Die Lobbyarbeit der Humanitaristen vor Ort trug dazu bei, dass sich der Völkerbund selbst verschiedener humanitärer Thematiken, unter anderem der Frage nach der Existenz und Abschaffung von Sklaverei annahm. Obgleich der Bund mit der Temporary Slavery Commission ein Expertenkomitee schuf und ein erstes Abkommen zur Abschaffung der Sklaverei aufsetzte, zeigten sich britische Aktivisten mit dem Fortschritt der Arbeit enttäuscht. Dementsprechend entwickelten sie, wie Ribi Forclaz argumentiert, ab den späten 1920er-Jahren eine neue Strategie: Sie versuchten, durch die Popularisierung ihres Themas in der Öffentlichkeit politischen Druck aufzubauen. Die initiierten Anti-Sklaverei-Kampagnen, geprägt von Paternalismus und dem Glauben an die Überlegenheit des britischen Humanitarismus, schlossen dabei, im Gegensatz zur Abolitionistenbewegung des 18. und frühen 19. Jahrhunderts, Stimmen von Sklaven und ehemaligen Sklaven aus. Die umfangreiche Kampagnenarbeit zeigte letztendlich in Großbritannien nur wenig Erfolg, zumindest führte sie kaum zu einer größeren Beteiligung der britischen Zivilgesellschaft an der Anti-Sklavereibewegung (S. 105f.).

Im Gegensatz zu den international ausgerichteten britischen und schweizerischen Humanitaristen blieb die humanitäre Arbeit der italienischen Akteure, insbesondere der Società Antischiavista DʼItalia, nach dem Ende des Ersten Weltkrieges vorerst dem nationalen Kontext verhaftet. Sie zielte, wie Ribi Forclaz im vierten Kapitel zeigt, auf eine Zusammenarbeit mit dem faschistischen Staat, die Ende der 1920er-Jahre in eine „fascistisation“ der italienischen Anti-Sklavereibemühungen mündete (S. 127). Im Mittelpunkt der italienischen Anti-Sklaverei-Initiativen, denen durchaus koloniale Ambitionen innenwohnten, stand dabei Äthiopien; ein Land, das auch die internationale Debatte um Sklaverei bis zum Italo-Äthiopischen Krieg prägen sollte. Vor dem Hintergrund der italienischen Expansionsbestrebungen, dargestellt als Zivilisierungs- und Anti-Sklavereimission in Äthiopien, ebenso wie durch die erneute Lobbyarbeit britischer Aktivisten wurde Genf abermals zum Mittelpunkt humanitärer Debatten. Diese brachten nicht nur die italienischen Akteure in die internationale Arena zurück, sondern mündeten auch in der Schaffung von Expertenkomitees im Völkerbund, die sich mit Fragen der Sklaverei beschäftigten. Die internationale Debatte um Sklaverei in Äthiopien ging in der Mitte der 1930er-Jahre, so argumentiert Ribi Forclaz überzeugend, mit einem Wandel der Konzeption und des Verständnisses des humanitären Imperialismus „from liberal paternalism to aggressive militarism“ (S. 139) einher. Dieser Wandel wurde besonders in der populistischen Propaganda des faschistischen Regimes nach dem Ausbruch des Italo-Äthiopischen Krieges deutlich, den Rom als humanitäre Maßnahme zur Abschaffung von Sklaverei präsentierte. Diese Darstellung von italienischer Seite führte, wie im sechsten und letzten Hauptkapitel gezeigt wird, zu einer Krise des Anti-Sklaverei-Aktivismus. Die italienische Invasion in Äthiopien, der Einsatz von Giftgas vonseiten der italienischen Armee und das Versagen des Völkerbundes, den Konflikt zu lösen, führten weltweit nicht nur zu Protesten, sondern waren teilweise auch für einen „anti-imperialist turn“ verantwortlich, der neue zivilgesellschaftliche Akteure mit sich brachte, die der Idee des „imperial trusteeship“ kritisch gegenüberstanden (S. 190–201). Während die Sklavereithematik in Italien nach dem Ende des Krieges keine Rolle mehr spielte und die Società Antischiavista verschwand, bestand die britische Anti-Slavery Society weiter und führte ihre Lobbyarbeit für die Abschaffung von Sklaverei nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, wie im Ausblick des Buches skizziert, nun im Umfeld der Vereinten Nationen fort.

Obgleich die Lektüre des Buches nur ausdrücklich empfohlen werden kann, soll abschließend eine kritische Anmerkung nicht verschwiegen werden, die keineswegs ausschließlich auf dieses Werk zutrifft. Es wäre wünschenswert gewesen, mehr über die Reaktionen, Antworten und Diskurse am anderen Ende der Hilfe, also seitens der Empfänger oder in diesem Fall der zu befreienden Sklaven zu hören. Das Schweigen dazu schmälert keineswegs die Bedeutung des zu besprechenden Buches, die Anmerkung ist eher im Sinne einer künftigen Forschungsagenda für die Geschichte des Humanitarismus zu verstehen. Amalia Ribi Forclaz hat mit ihrer Studie zum humanitären Imperialismus am Beispiel des Anti-Sklaverei-Aktivismus ein wichtiges Buch vorgelegt, das einerseits die inzwischen schon gut erforschte britische Abolitionisten-Bewegung des 18. und 19. Jahrhunderts um eine spätere Perspektive ergänzt, andererseits einen innovativen Beitrag zu unserem Verständnis humanitärer Initiativen im imperialen Zeitalter liefert

Anmerkungen:
1 Themenheft: Ideas, Practices and Histories of Humanitarianism, in: Journal of Modern European History, 12 (2014), Nr. 2; Michael Barnett, Empire of Humanity. A History of Humanitarianism, Ithaca 2011.
2 Themenheft: Empire and Humanitarianism, in: Journal of Imperial and Commonwealth History, 40 (2012) Nr. 5; Themenheft: Empire, Humanitarianism and Violence in the Colonies, in: Journal of Colonialism and Colonial History, 17 (2016), Nr. 1; Alan Lester / Fae Dussart, Colonization and the Origins of Humanitarian Governance. Protecting Aborigines across the Nineteenth-Century British Empire, Cambridge 2014.
3 Rob Skinner / Alan Lester, Humanitarianism and Empire. New Research Agendas, in: The Journal of Imperial and Commonwealth History, 40 (2012), Nr. 5, S. 729–747, hier 731.