Cover
Titel
Cold War Freud. Psychoanalysis in an Age of Catastrophes


Autor(en)
Herzog, Dagmar
Erschienen
Anzahl Seiten
311 S.
Preis
£ 24,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Patrick Bühler, Pädagogische Hochschule, Fachhochschule Nordwestschweiz

Als Sigmund Freud sich 1909 zusammen mit Sándor Ferenczi und Carl Gustav Jung nach Amerika einschiffte – die Clark University feierte ihren 20. Geburtstag und hatte eine Reihe namhafter Forscher eingeladen –, soll er zu seinen beiden Mitstreitern gesagt haben: „Sie wissen nicht, dass wir ihnen die Pest bringen.“ Die hübsche Anekdote hat leider einen kleinen Schönheitsfehler: Jacques Lacan hat sie in den 1950er-Jahren frei erfunden.1 Immerhin liefert das ausgedachte Aperçu eine gute Illustration der Abscheu, welche die äußerst erfolgreiche „amerikanische“ ego psychology – deren Vertreter allerdings vielfach Emigranten waren und deren Verbreitung sich keineswegs auf die USA beschränkte – hervorrufen konnte. Lacan sah sich selbst nämlich als den einzigen legitimen Erben Freuds an, sein Ausschluss 1963 aus der International Psychoanalytical Association war eine große Kränkung. Dass es sich dabei um eine Art Wiederholungszwang handelte, der Vorgang alles andere als einzigartig war, muss Lacan zusätzlich geschmerzt haben. Schließlich war die Geschichte der Psychoanalyse von Beginn an reich an Disputen, Spaltungen und „Exkommunikationen“, wie etwa schon die frühen, bekannten Auseinandersetzungen um Alfred Adler, Jung oder Wilhelm Steckel zeigen.

„Cold War Freud“, die nicht nur elegant geschriebene, sondern auch sonst überzeugende Monographie der amerikanischen Historikerin Dagmar Herzog, ist den „abtrünnigen“ Psychoanalytikern und Psychoanalytikerinnen des Kalten Krieges gewidmet. Es ist Herzogs erklärtes Ziel, „to redirect the conversation about the history of psychoanalysis and the political Left within the West“ und „to recover those singular individuals that have either been forgotten or whose contributions have been generally misunderstood“ (S. 216f.). Einer der Gründe, weshalb unter anderem Gilles Deleuze und Félix Guattari, Karen Horney, Alexander und Margarete Mitscherlich oder Paul Parin, Goldy Parin-Matthèy und Fritz Morgenthaler in Vergessenheit geraten oder missverstanden worden seien, liegt Herzog zufolge just daran, dass die Wahrnehmung ihrer Arbeit durch die äußert erfolgreiche „American Story“ der Psychoanalyse behindert worden sei.

Herzogs Analyse mag für die amerikanische Psychoanalyserezeption stimmen, für die europäische oder südamerikanische Beschäftigung mit Psychoanalyse sowie deren Historiographie trifft der Schluss wohl kaum zu. Aus einer „europäischen“, „südamerikanischen“ Sicht müsste sich Herzog vermutlich eher die Frage gefallen lassen, warum sie gerade diese „Dissidenten“ ausgewählt habe, sich vor allem mit den USA und Deutschland beschäftige und einen Abstecher nach Frankreich und einen in die Schweiz unternehme? Man könnte nun Herzogs Auswahl von „Abweichlern“ und Ländern kritisieren und dem Thema geschuldet sogar selbst psychoanalytisch als eine Art Symptom deuten wollen. Die Schwierigkeiten solcher Versuche sind zum Glück sattsam bekannt und rühren nicht nur daher, dass immer eine Auswahl getroffen werden muss.2 Eine vielversprechendere Möglichkeit besteht hingegen darin zu sehen, dass Herzog die „Unart der Psychoanalyse“ teilt, „Kleinigkeiten als Beweismaterial heranzuziehen“.3 Denn Herzog geht es gerade nicht so sehr darum, eine Geschichte oder Rehabilitation der politisch linken, „ketzerischen“ Psychoanalyse nach 1945 zu verfassen, sondern vielmehr mit Fallstudien zu einzelnen Psychoanalytikern und Psychoanalytikerinnen gut analytisch Verdrängtes der Psychoanalyse selbst aufzudecken, wie zum Beispiel Homosexualität, Religion, die Shoah oder den kolonialen Anderen. Während Psychoanalyse nicht erst in den 1960er-Jahren als apolitische, ahistorische Polizei- und Überwachungstechnik gebrandmarkt wurde, stellt Herzog dieses bekannte Vorurteil also gewissermaßen auf den Kopf und untersucht Psychoanalyse selbst als Teil der Geschichte: „Psychoanalysis, in all its unruly complexity, became an integral part of twentieth-century social und intellectual history.“ (S. 1)

Das erste Kapitel „Libido Wars“ beginnt mit dem anfänglichen Erfolg Karen Horneys. Das Kapitel zeigt, dass der Garant für den Erfolg der Psychoanalyse in den USA gerade darin bestand, „to flee from sex’s centrality in the original Freudian mission“, wobei Psychoanalyse in eine konservative, christliche Therapie verwandelt wurde (S. 21f.). Das zweite Kapitel „Homophobia’s Durability“ – in den USA konnten Homosexuelle erst ab 1993 Lehranalytikerinnen und Lehranalytiker werden – untersucht, wie eine rigide, temperierte heterosexuelle „Love Doctrine“ als ein Bollwerk gegen die Freudsche Einsicht errichtet wurde, „that homosexual impulses, however well hidden, existed in every individual, including the analysts themselves“. So hing der Erfolg der Psychoanalyse in den USA von einer grundlegenden Ambivalenz ab: „Sex was both the topic analysts thought they were the experts on and they were deeply anxious about being too strongly associated with it.“ (S. 64f.) Im dritten Kapitel „Post-Holocaust Antisemitism and the Ascent of PTSD“ zeigt Herzog, wie bei der Entstehung der nosologischen Einheit „Post-Traumatic Stress Disorder“ (PTSD), die meistens in Zusammenhang mit dem Vietnam-Krieg gebracht werde, „the crucial role of the aftermath of the Holocaust of European Jewery“ übergangen worden sei. Denn der Katalysator für PTSD sei „a grotesque debacle fought out through the 1950s and 1960s over financial compensation for mental health damages among Jewish survivors“ (S. 89f.). Das vierte Kapitel „The Struggle between Eros and Death“ beschäftigt sich mit dem Stellenwert der Aggression in den westdeutschen Nachkriegsdebatten und den ambivalenten Rollen, die das damalige psychoanalytische Traumpaar Margarete und Alexander Mitscherlich und der Verhaltensforscher Konrad Lorenz dabei spielten. Im fünften Kapitel „Exploding Oedipus“ geht es um Gilles Deleuzes und Felix Guattaris „L’Anti-Œdipe“ (1972). Während die Studie häufig als ein anti-psychoanalytisches Pamphlet aufgefasst wurde, liest Herzog sie gerade als ein genuin psychoanalytisches Werk, dem sie eine bemerkenswerte „revitalization of psychoanalysis“ attestiert (S. 178). Das sechste, abschießende Kapitel untersucht die Bedeutung des kolonialen Anderen, indem den Werken, deren verschlungener und verspäteter Rezeption sowie überhaupt der Bedeutung des Trios Paul Parin, Goldy Parin-Matthèy und Fritz Morgenthaler nachgespürt wird, die 1952 in Zürich eine gemeinsame Praxis eröffneten und in den sechziger Jahren begannen, in Afrika „Ethnopsychoanalyse“ zu betreiben.

Dieses kurze Resümee vermag in keiner Weise, den akribischen Lektüren, den überraschenden Querverbindungen und den gewandten Volten sowie all den Vertretern und Vertreterinnen der Psychoanalyse, die Herzog in ihre Analyse einbezieht, gerecht zu werden. Die äußerst lesenswerte Studie interessiert sich dabei vor allem für den politischen Kontext psychoanalytischer Debatten und Abspaltungen. Herzog verbleibt dadurch sozusagen immer innerhalb der großen, wie auch immer zerstrittenen psychoanalytischen Familie.4 Größeren kulturellen Entwicklungen wie zum Beispiel dem seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs einsetzenden „Psychoboom“ und dem Siegeszug einer ganzen Reihe anderer Psychotherapien kann die erhellende Untersuchung daher notgedrungen nur wenig Beachtung schenken.5 Gerade jedoch durch ihre Beschränkung auf Politik und Psychoanalyse gelingt es Herzog, einzelne psychoanalytische „Häresien“ sowohl als bedeutsames „Symptom“ der Geschichte der Psychoanalyse als auch des zeithistorischen politischen Kontextes zu deuten.

Anmerkungen:
1 Elisabeth Roudinesco, Jacques Lacan. Esquisse d’une vie, histoire d’un système de pensée, Paris 1993, S. 349–350. Zu dieser Anekdote und überhaupt zu Sigmund Freuds ambivalenter Einstellung den USA gegenüber siehe Ernst Falzeder, „A Fat Wad of Dirty Pieces of Paper“: Freud on America, Freud in America, Freud and America, in: John Burnham (Hrsg.), After Freud Left. A Century of Psychoanalysis in America, Chicago 2012, S. 85–109.
2 Da der Versuch, Literatur (wissenschaftliche wie andere) wie Analysanden zu behandeln, unauflösbare methodische Schwierigkeiten mit sich bringt, scheint der umgekehrte Weg zwar ebenfalls steinig, aber immerhin vielversprechender zu sein, vgl. Pierre Bayard, Peut-on appliquer la littérature à la psychanalyse?, Paris 2004.
3 Sigmund Freud, Ein religiöses Erlebnis [1928], in: Sigmund Freud, Gesammelte Werke, XIV. Band, Frankfurt am Main 1963, S. 393–396, hier 395.
4 Für eine Übersicht über die Geschichte der Psychotherapien und deren Lücken siehe Sarah Marks, Psychotherapy in historical perspective, in: History of the Human Sciences 30 (2017), S. 3–16.
5 Für die BRD vgl. Maik Tändler, Das therapeutische Jahrzehnt. Der Psychoboom in den siebziger Jahren, Göttingen 2016. Vgl. auch Sven Reichardts Rezension der Studie in: H-Soz-Kult, 15.03.2017, URL: http://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-25367 (14.11.2017).