Computer als Medien der Schrift und des Schreibens

: Track Changes. A Literary History of Word Processing. Cambridge MA 2016 : Harvard University Press, ISBN 978-0-674-41707-6 368 S. € 25,00

: Computing as Writing. . Minneapolis 2015 : University of Minnesota Press, ISBN 978-0-816-69702-1 232 S. € 22,48

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Till A. Heilmann, Abteilung für Medienwissenschaft, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

Der Zusammenhang von Computern und Schrift stellt für die Geistes- und Kulturwissenschaften und näherhin für die Medienwissenschaft einen eigentümlichen Forschungsgegenstand dar. Einerseits wird das Verhältnis von programmierbaren Rechenmaschinen zu den alten und neuen Systemen, Werkzeugen und Praktiken des Schreibens in allgemeiner historischer und theoretischer Absicht schon relativ lange untersucht, so u.a. von Vilém Flusser, Jay D. Bolter, Friedrich Kittler und Katherine Hayles.1 Andererseits gab es aus geistes- und kulturwissenschaftlicher Perspektive bislang keine ausführlichen technik- und literaturgeschichtlichen Analysen des computerbasierten Schreibens, das doch seit wenigstens einem Vierteljahrhundert statistisch gesehen die Textproduktion in den sogenannt hochentwickelten Gesellschaften bestimmt. Die beiden hier besprochenen Bücher stehen beispielhaft für diesen Gegensatz: Daniel Pundays „Computing as Writing“ reiht sich in die reiche Forschungstradition breit angelegter Untersuchungen ein, wie etwa die Arbeiten von Bolter oder Hayles. Dagegen wird in „Track Changes“ von Matthew G. Kirschenbaum wohl erstmals der Versuch unternommen, ausführlich und eingehend die Frühgeschichte der Textverarbeitung an Personal Computern, also einen im Vergleich schmalen Ausschnitt des Gesamtfeldes, zu rekonstruieren. Pundays und Kirschenbaums Darstellungen bieten damit einen reizvollen Vergleich zweier unterschiedlicher Zugänge zum selben Thema.

Punday, Professor für Anglistik an der Mississippi State University, der vor allem zur Narratologie moderner (digitaler wie nicht-digitaler) Literatur publiziert, setzt in „Computing as Writing“ mit der Prämisse an, dass Schrift und Schreiben – der englische Ausdruck writing lässt sich, was diesen Unterschied betrifft, nur kontextuell bestimmen –, und nicht etwa Zahlen oder Rechnen, bevorzugte Metaphern im Umgang mit Computern seien, „a fundamental part of our experience of computing“ (S. xi). Wie, so Pundays Frage, helfen uns diese Metaphern, die kulturelle Wirksamkeit von Computern zu verstehen, und wie verändern Computer umgekehrt unser Verständnis vom Schreiben und der Rolle von Schriftstellerinnen und Schriftstellern? Das Buch, das Antworten auf diese Fragen liefern soll, ist weder systematisch noch chronologisch aufgebaut. Vielmehr versucht Punday, seine Darstellung und seine Argumente an sechs ausgewählten Kreuzungspunkten von Schrift und Computern zu entfalten, die er nacheinander in ebenso vielen Kapiteln behandelt: der wissenschaftlichen Forschung nach dem Zweiten Weltkrieg (Kap. 1), dem Schreiben als Beruf (Kap. 2), der Rolle der Programmiererin bzw. des Programmierers (Kap. 3), der Idee der Bibliothek (Kap. 4), Erfindungen und Patente (Kap. 5) und dem Verhältnis von Schriftstellern und Schriftstellerinnen zu ihren Lesern und Leserinnen (Kap. 6).

Die Auswahl gerade dieser sechs Aspekte scheint willkürlich. Sie wird von Punday nicht näher begründet und ihr innerer Zusammenhang ist auch im Verlaufe des Textes nicht zu erkennen. Der Band scheint eher eine Zusammenstellung thematisch verwandter Aufsätze zu sein als eine inhaltlich durchdachte Monografie. Immerhin zieht sich als roter Faden durch alle Kapitel Pundays Lektüre von und die wiederholte Bezugnahme auf Vannevar Bushs berühmten Essay „As We May Think“.2 Darin hatte Bush 1945 bekanntlich ein hypothetisches Informationsgerät namens Memex beschrieben: einen mit Medientechnik aufgerüsteten Schreibtisch, der u.a. die maschinelle Verknüpfung ausgewählter Stellen der archivierten Dokumente erlaubt. Gegen einflussreiche, jedoch „mythologisierende“ Lesarten des Essays wie etwa die von Joseph C. R. Licklider, Ted Nelson oder Alan Kay (S. 1–5) will Punday den Kontext stark machen, in den Bush den Memex stellt: die Forschungstätigkeit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in der scientific community. Bush sei es, so Punday, weniger um den von ihm geschilderten Apparat als einer Zukunftstechnologie persönlicher Informationsverarbeitung gegangen. Vielmehr habe er die Spannung zwischen individueller Forschungsarbeit und kollektivem Wissen, zwischen privaten Lektüren und der Publikation von Forschungsergebnissen, zwischen dem Herstellen von Textverknüpfungen und dem Erstellen neuer Texte betont (S. 6–11). Damit sei schon vor der Zeit die durch die spätere Technikentwicklung im Computerbereich hervorgerufene Verunsicherung darüber, was ‚Schreiben‘ (im Spektrum vom handschriftlichen Verfassen von Texten bis zum Programmieren) heiße, thematisiert worden. Und die argumentative Leitlinie durch Pundays Text knüpft an diese Interpretation des Essays von Bush an: Eben weil der Begriff des Schreibens unter den Bedingungen von Digitaltechnik derart unbestimmt geworden sei, eigne er sich als dehnbare Metapher in besonderer Weise, um Computer, welche eine vergleichbare Unbestimmtheit ihrer Verwendung auszeichne, besser zu verstehen (S. xif., S. 17f.).

Dies zu belegen und zu illustrieren nimmt sich Punday in den sechs Kapiteln des Buches vor. Darin durchstreift er die oben genannten Themengebiete, um den Zusammenhang von Schreiben und Computertechnik an verschiedenen Ausschnitten darzustellen. In diesem Vorgehen liegt die Plausibilität wie auch die entscheidende Schwäche des Textes begründet. So kann Punday zum einen an immer neuen Beispielen einsichtig aufzeigen, dass Vorstellungen von Schriftlichkeit und Schreiben bei der populärkulturellen Charakterisierung und bei der Gestaltung der Hardware und Software von Computern und im Umgang mit ihnen in unscharfer Weise von Beginn der technischen Entwicklung an allgegenwärtig waren. Zum anderen leiden seine Ausführungen selbst unter einer ähnlichen Unschärfe und Unbestimmtheit. Punday bekommt seinen Gegenstand nicht zu fassen. Unablässig springt er von einem Punkt der Darstellung, von einem Autor, einem Beispiel zum nächsten, meist ohne erkennbaren Fortgang eines Arguments. So kommt er etwa im ersten Kapitel von Bushs Idee des Memex über Joseph C. R. Lickliders und Alan Kays Visionen des Personal Computing zu George Steiners Unterscheidung von Schöpfung und Erfindung, zu Vilém Flussers und Michael Heims Auffassungen des Schreibens, weiter zu den Magnetbandlaufwerken des frühen Großrechners UNIVAC und zu Matthew Kirschenbaums ‚Grammatologie der Festplatte‘, von dort zur graphischen Benutzeroberfläche (GUI) des Proto-PC Xerox Star, zur Figur des Roboters bei Isaac Asimov, Murray Leinster und in Stanley Kubricks „2001: A Space Odyssey“, zur Einführung des IBM PC und des Apple Macintosh in den 1980er-Jahren und zu William Gibsons Neuromancer, dann zurück zu Alan Kays Dynabook-Konzept und schließlich zu Apples iPad (S. 1–25). Die folgenden fünf Kapitel halten eher noch mehr thematische Sprünge und Wendungen bereit, weshalb eine inhaltliche Zusammenfassung des Buches so gut wie unmöglich ist.

Problematisch ist Pundays sprunghaftes Vorgehen insbesondere, weil aus den einzelnen Darstellungen in der Regel kaum etwas folgt. Über weite Strecken des Bandes bleibt nicht nur unklar, worauf Punday mit diesem und jenem Dargestellten hinauswill. Vor allem wird das eingangs abgegebene Versprechen, darzulegen, wie Metaphern der Schrift helfen, Computer zu verstehen, und wie jene wiederum unsere Vorstellungen vom Schreiben beeinflussen, nicht eingelöst. Nachzuweisen, dass bei der Auseinandersetzung mit Computern eine vielgestaltige Metaphorik von Schriftlichkeit und Schreiben am Werk ist, ist eines – etwas anderes wäre es, aufzuzeigen, weshalb und wie dies genau geschieht und welche kulturellen wie technischen Folgen es hat. Stattdessen behauptet Punday bloß immer wieder, etwas Entscheidendes deutlich gemacht zu haben. Mehrfach finden sich im Text Formulierungen wie die folgenden: „As we have seen, writing is uniquely able to articulate these tensions because of its own multiple identity[.]“ (S. 25) – „It is easy to see, I think, how these complex and even contradictory definitions of writing help to make it central to computing culture.“ (S. 42) – „Ultimately I argue that writing plays a key role in the ambiguities of software as a tool.“ (S. 99) Diese Behauptungen werden im Text jedoch nicht substanziell untermauert. So entsteht der Eindruck einer primär dem additiven Prinzip des ‚Mehr ist mehr‘ verpflichteten Aneinanderreihung vignettenhafter Beschreibungen und Kommentare. Da passt es ins Bild, dass Punday am Ende des Buches in einem sehr kurzen Fazit mit dem universitären Schreibunterricht noch einmal ein neues Thema aufbringt, auf welches er retrospektiv den gesamten Text bezogen wissen will.

Neben dem beschriebenen grundsätzlichen Defizit sind wenigstens drei weitere schwerwiegende Mängel des Buches zu nennen. Erstens ist Pundays Interpretation von Bushs Essay „As We May Think“, die den historischen Ausgangs- und argumentativen Bezugspunkt seiner Darstellung bildet, äußerst fragwürdig. Pundays zentrale Feststellung, Bush gehe es darin um Computer und deren zukünftige Funktion (S. 6, S. 11, S. 69 et passim), ist durch den fraglichen Text nicht gedeckt und stellt gerade eine solche mythologisierende Lesart dar, wie sie Punday selbst kritisieren will. Zweitens betreffen beträchtliche Teile seiner Ausführungen (z.B. zur Rolle des Schriftstellers, zu Computerspielen, zur Geschichte des Patentwesens in den USA und zur Fan-Fiction) den Zusammenhang von Schreiben und Computern gar nicht, zumindest nicht in expliziter Weise oder im engeren Sinne. Und drittens sind seine Schilderungen, wo es um Computertechnik geht, mit vielen leicht vermeidbaren Fehlern behaftet: von einfachen sprachlichen Versehen wie der wiederholten Falschschreibung des Facebook-Vorgängers FaceMash als „Face smash“ (S. 53 et passim) über irrige Charakterisierungen wie die, Programmierer/innen würden in der Mehrheit mit schlichten Texteditoren arbeiten (S. 59), bis hin zu kapitalen Fehldarstellungen von Software wie der Behauptung, Computerspiele seien ‚singuläre‘ Objekte, die keiner Ordnung in Programm-Bibliotheken gehorchen würden (S. 90; man denke dagegen nur an die Online-Plattformen Steam, Xbox Games Store, Playstation Store oder Nintendo eShop).

Genauigkeit in der Auseinandersetzung mit Computertechnik ist nun gerade eine Spezialität des zweiten hier besprochenen Autors, Matthew G. Kirschenbaum, Professor für Englisch an der University of Maryland. Eindrücklich unter Beweis gestellt hatte Kirschenbaum diese Fähigkeit in seinem ersten Buch, „Mechanisms“3, in welchem er durch präzise Analyse der Funktionsweise von Computern eine überzeugende Kritik an gängigen medientheoretischen Vorstellungen einer Immaterialität digitaler Information formulieren und neue, apparativ informierte Wege zur Erforschung elektronischer Texte aufzeigen konnte. In seinem zweiten Buch „Track Changes. A Literary History of Word Processing“ (der Titel ist der gleichnamigen Funktion zum Verfolgen von Änderungen in Microsoft Word abgelauscht) wendet er sich nun speziell der Hardware und Software zu, mit denen die meisten elektronischen Texte seit langem geschrieben werden: Textverarbeitungsgeräten und -programmen, d.h. Personal Computern und den damals gängigen Programmen seines Untersuchungszeitraums wie WordStar oder WordPerfect. Kirschenbaums möchte, wie der Untertitel seines Buches sagt, eine Literaturgeschichte der Textverarbeitung schreiben. Erzählt werden soll, wie der Computer als Werkzeug des Schreibens eingeführt und von Schriftstellerinnen und Schriftstellern angenommen und erfahren wurde (S. xii). Entsprechend umfasst der behandelte Zeitraum grob die Jahre von 1964 bis 1984 (wobei die Markteinführung des Magnetband-Schreibmaschine MT/ST von IBM und des Apple Macintosh Anfang und Ende markieren), und der Gegenstandsbereich ist auf literarisches Schreiben eingeschränkt. Besonderes Augenmerk gilt dabei der Frage, welcher Roman als der erste gelten darf, der mit Textverarbeitung verfasst wurde (S. ixf.). Gegliedert ist Kirschenbaums Buch in zehn Kapitel, die dieser Leitfrage in tendenziell umgekehrter chronologischer Reihenfolge der Entwicklungen und Ereignisse nachgehen.

Die große Stärke von Kirschenbaums Buch liegt in der schieren Menge an Material zum Thema, das hier zusammengetragen und erstmals systematisch dargestellt und diskutiert wird. Insbesondere zur ‚Sattelzeit‘ der Textverarbeitung, den Jahren 1977 bis 1984, in denen Personal Computer mit geeigneter Software der Öffentlichkeit elektronisches Schreiben ermöglichten, findet sich bei Kirschenbaum eine Fülle von Informationen zu (mehrheitlich US-amerikanischen) Schriftstellerinnen und Schriftstellern, die als early adopters Computer in ihre tägliche Arbeit integrierten. Man erfährt viel über populäre Autoren wie Stephen King, Isaac Asimov oder Anne Rice und deren Umgang mit den neuartigen Geräten und Vorgängen des Schreibens. Zudem wird die Frage nach dem ersten textverarbeiteten Buch der Geschichte mit Verweis auf Len Deightons „Bomber“ von 1970 beantwortet, einem historischen Roman über einen Luftangriff der RAF auf Krefeld im Zweiten Weltkrieg. Das Typoskript dieses Buches erstellte Deightons persönliche Assistentin, Ellenor Handley, Ende der 1960er-Jahre auf der damals neuen Magnetband-Schreibmaschine MT/ST, die für das automatische Erstellen von Serienbriefen im Büro entwickelt worden war (S. 180f.). Kirschenbaum kann den Ursprung des Schreibens am Computer so auf geschickte Weise mit dem tayloristischen Büro-Organisationskonzept, aus dem die Bezeichnung ‚Textverarbeitung‘ stammt, und mit der Person Ulrich Steinhilpers verknüpfen, eines wenig bekannten deutschen IBM-Managers und energischen Verfechters dieses Konzepts, der dafür die Ausdrücke word processing und Textverarbeitung ersann und im Zweiten Weltkrieg selbst Kampfpilot der Luftwaffe war (S. 173–175 u. 183).

Ein entscheidendes Problem an Kirschenbaums Buch liegt, ganz ähnlich wie bei Pundays Text, in seiner mangelnden Kohärenz und Konsequenz: Eine Menge einzelner (mikro-)historischer Darstellungen ergibt noch keine geschichtliche Erzählung. Stattdessen zerfällt der Text in eine Vielzahl szenisch-anekdotischer Beschreibungen, die wenig mehr als die zeitliche Nähe des Beschriebenen zueinander verbindet. Die Mehrheit der geschilderten Erfahrungen von Autorinnen und Autoren mit dem Schreiben am Computer stammen aus dem Zeitraum von Ende der 1970er- bis zur Mitte der 1980er-Jahre und lassen für diese doch recht kurze Spanne kaum historische Entwicklungen erkennen. Dass der von Kirschenbaum angegebene Ursprung der literarischen Textverarbeitung in Deightons und Handleys „Bomber“ aus diesem engeren Rahmen der Untersuchung nicht allein zeitlich, sondern auch sachlich klar herausfällt (weil die MT/ST eben kein Computer im Sinn einer universell programmierbaren Maschine war), ist bezeichnend. Denn tatsächlich ist ausgerechnet damit der stärkste, leider bloß wenige Seiten zählende Teil angeschnitten, der überhaupt nicht mit dem eigentlichen Thema des Buches befasst ist: eine alternativen Genealogie der Textverarbeitung als des gleichnamigen, kurzlebigen Managementstils und der damit verbundenen Geschlechtergeschichte von Schreib- und Büroarbeit (S. 145–155). Nur gibt es – Einzelfälle wie den von Deighton und Handley ausgenommen – keine direkten Linien, die von dieser Geschichte zu jener des literarischen Schreibens am PC führen.

Mindestens so bedeutsam wie das genannte Problem erscheint, dass sich Kirschenbaum geradezu programmatisch dem verweigert, was er im Titel seines Buches in Aussicht stellt: d.h. die Veränderungen nachzuverfolgen, die Schrift und Schreiben durch Computer erfahren haben (S. 30). So sieht Kirschenbaum sein Unterfangen zwar ausdrücklich in der Tradition von Friedrich Kittlers Diskursanalyse und Medienarchäologie der Literatur, will gleichzeitig aber allen etwaigen „pitfalls of determinism“ aus dem Wege gehen (S. 243). Weil er sich damit jedoch jede generelle Aussage über kausale Zusammenhänge von Computern und Schreiben von vornherein verbietet, kann er im letzten Kapitel zu gar keinem anderen Fazit kommen, als dass sich eben keinerlei Veränderungen in literarischen Texten zuverlässig auf das veränderte Schreibwerkzeug beziehen ließen (S. 245). Auch wenn dieser Schluss richtig sein sollte, fragt man sich als Leser/in am Ende doch, zu welchem Zweck man über mehr als zweihundert Seiten an Dutzenden von Beispielen literarischen Schreibens an Computern vorbeigeführt worden ist. Kirschenbaums methodisches Ansinnen, ganz den je eigenen Geschichten von Individuen zu vertrauen, untergräbt hier jeden größeren Anspruch.

Wo sich Kirschenbaum zu allgemeinen Feststellungen über die Auswirkungen von Computertechnik auf das Schreiben von Texten hinreißen lässt, beschränkt er sich auf die Wiedergabe ziemlich offenkundiger und bereits vielfach benannter und diskutierter Effekte der Computerisierung von Schrift: dass Textverarbeitung am Bildschirm zu leichterem, schnellerem Schreiben führt (S. 20–25 et passim); dass das Geschriebene stets korrigiert und umgeschrieben werden kann und so die Idee einer ‚Perfektionierung‘ des Textes verspricht (S. 33–37); dass damit zugleich eine Zeitersparnis beim Verfassen von Typoskripten wie auch eine zusätzliche Arbeit am Text und mit dem Computer gegeben ist (S. 244); oder dass die einzelnen Versionen bzw. Bearbeitungsschritte eines Textes vom digitalen Dokument in der Regel nicht ‚erinnert‘ werden (S. 188–190). Ähnlich enttäuschend sind die eher seltenen medientheoretischen Aussagen Kirschenbaums, etwa zum Bildschirm als „intermediary element“ zwischen Finger und Textseite (S. 79) oder zum elektronischen Schreiben als eines „abstract realm of algorithmic symbol manipulation“ (S. 82), die in ihrer Pauschalität hinter das zurückfallen, was Kirschenbaum in „Mechanisms“ an begrifflicher und analytischer Arbeit geleistet hatte.

Mit ihrer Materialfülle und ihren weit reichenden Bezügen belegen Kirschenbaums und Pundays Studien eindrücklich die kulturelle Wirksamkeit und Bedeutung von Computern für das Schreiben und, allgemeiner gesprochen, ein enges begriffliches wie sachliches Verhältnis zwischen gegenwärtiger Computertechnik und Schrift. Bedauerlicherweise scheitern beide Autoren letztlich darin, die vielschichtigen und vielgestaltigen Phänomene geschichtlich zu ordnen und zu entwickeln. Weder im großen Rahmen (bei Punday) noch im kleinen (bei Kirschenbaum) ist es überzeugend gelungen, die Menge des Dargestellten in die Form der von den Autoren versprochenen erklärenden geschichtlichen Erzählung zu bringen. Das soll nicht die Leistung schmälern, eine enorme Menge an historischem Material präsentiert und zur Diskussion gestellt zu haben, von dem andere Untersuchungen zehren können. Möglicherweise sind aus den besprochenen Studien aber auch zwei recht naheliegende, negative Befunde zu ziehen: Dass nämlich erstens Metaphern von Schrift und Schriftlichkeit sich heute zwar zur Beschreibung von Computern anbieten, weil wir diese inzwischen auch routinemäßig als Schreibwerkzeuge verwenden, sie zur historischen Erhellung der Technik aber nicht wesentlich beitragen (und stattdessen eher zu fragen wäre, wie Computer erst als Schreibwerkzeuge dienstbar gemacht wurden); und dass zweitens Computer als Schreibwerkzeuge nicht so sehr bestehende Textgattungen (wie die gängigen literarischen Genres, die von den bei Kirschenbaum beschriebenen Autorinnen und Autoren bedient werden) verändert, sondern neue Textformen wie E-Mail, Blogs, Instant Messages usw. mit hervorgebracht haben, die überkommene Vorstellungen von Schrift und Schriftlichkeit herausfordern.

Anmerkungen:
1 Vilém Flusser, Die Schrift. Hat Schreiben Zukunft?, 5. Aufl. Göttingen 2002; Jay D. Bolter, Writing Space. Computers, Hypertext, and the Remediation of Print, 2. Aufl. Mahwah, N.J. 2001; Friedrich A. Kittler, Grammophon, Film, Typewriter, Berlin 1986; N. Katherine Hayles, Writing Machines, Cambridge, Mass. 2002.
2 Vannevar Bush, As We May Think, in: Atlantic Monthly 176 (1945), S. 101–108, http://www.theatlantic.com/doc/194507/bush (25.01.2018).
3 Matthew G. Kirschenbaum, Mechanisms. New Media and the Forensic Imagination, Cambridge, Mass. 2008.

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