Cover
Titel
Digital Art Natives. Praktiken, Artefakte und Strukturen der Computer-Demoszene


Autor(en)
Hartmann, Doreen
Erschienen
Anzahl Seiten
347 S.
Preis
€ 34,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Julia Gül Erdogan, Zentrum für Zeithistorische Forschung, Potsdam

Subkulturen fallen nur dann auf, wenn sie Ärger machen, so konstatierte der Soziologe Dick Hebdige.1 Im Gegensatz zu kriminalisierten Subkulturen der Computergeschichte wie Softwarepiraten oder Hackern findet aber allmählich auch die in dieser Hinsicht recht unauffällige Demoszene mehr Beachtung in der Forschung. Allen voran hat Daniel Botz 2011 mit einer kunstwissenschaftlichen Arbeit diese Aufmerksamkeitsökonomie unterlaufen.2 Nun liegt eine neue Untersuchung vor.

Unter „Demos“ versteht man in diesem Zusammenhang audiovisuelle Computerprogramme, die in Echtzeit generiert werden. Das bedeutet, dass alle Teile wie die Musik oder die Grafiken erst durch die Ausführung des Programms berechnet werden. Hervorgegangen ist diese Computersubkultur aus den „Crackern“, die ab Mitte der 1980er-Jahre damit begannen, den Kopierschutz von Programmen – allen voran von Computerspielen – zu entfernen und diese mit einem audiovisuellen Vorspann, dem sogenannten „Intro“, zu signieren. Cracker bedienten sich dafür des ungenutzten Disketten-Speicherplatzes der Programme, um diesen mit bewegten Bildern zu füllen.3 Im Gegensatz zu den Intros der Cracker handelt es sich bei den Demos jedoch um eigenständige Programme. Nicht das Knacken des Codes und die Distribution von kommerzieller Software ist die Motivation von Demoszenern, sondern alleine die künstlerische und technische Herausforderung der komprimierten Programmierung.

Wie der Untertitel von Doreen Hartmanns Buch andeutet, geht es in der Forschungsarbeit weniger um die künstlerische Ästhetik der Demoszene, sondern um die Prozesse und Akteure, die diese audiovisuellen Programme hervorbringen. So folgt bereits der Versuch, eine eingrenzende Definition von „Demos“ zu liefern, diesem Anspruch, die Akteure und ihre Artefakte gleichsam einzubeziehen und hieran Aushandlungsprozesse, Abgrenzungen und Entwicklungen aufzuzeigen. Die Autorin vollzieht in ihrer medienwissenschaftlichen Arbeit den ein oder anderen historischen Rückgriff und verweist auf ältere Praktiken und Ästhetiken, die sich in der Demoszene wiederfinden lassen. So stellt sie beispielsweise Parallelen zu abstrakten Filmemachern der 1920er-Jahre her, die ebenfalls mit den Relationen zwischen Raum, Fläche, Formen und der Interaktion zwischen bildlicher und akustischer Ebene experimentierten. Dieses Experimentelle wiederum, das Möglichkeiten der Computertechnologie „demonstriert“, geht zurück auf den Ursprung der Hackerkultur, deren Tradition sie ebenfalls für die Demoszene herausstellt.

Die Gewichtung des zweiten Kapitels liegt auf den Artefakten, wodurch die Autorin dem Leser zunächst einmal Demos näher bringt. Hier zeigt sie unter anderem auf, dass der IBM-PC der 1980er-Jahre durch fehlende Standardisierung von Grafik- und Soundhardware für die Demoszene zunächst eine ungeeignete Plattform darstellte, da für diese kompetitive Art des Demonstrierens von Programmierkönnen eine Vergleichbarkeit und damit kompatible Systeme wichtig waren. Deswegen vollzog sich die Umstellung der Demoszene von Heimcomputern (wie dem C64 oder dem Amiga) auf den PC langsam (S. 42), was ein Gegennarrativ zur auf „Fortschrittlichkeit“ beruhenden Nutzung von Computertechnologie stärkt. Das nächste Kapitel nimmt dann die Gegenwart der Subkultur, die sich selbst stets als „Szene“ bezeichnet hat, und ihre Mitglieder in den Fokus. Hier stellt die Autorin unter anderem heraus, wie die Mitglieder der Szene sich bemühen, ihre Artefakte zu archivieren und neben der Distribution von Demos über Videoplattformen oder szeneinternen Websites auch Emulatoren zur Simulation der Originalhardware programmieren (S. 120f). Weil ihre Artefakte durch die Bindung an spezifische Computermodelle in der stetig fortschreitenden Computerentwicklung nicht mehr wiederzugeben wären, werden die Szene-Mitglieder nicht nur zu Produzenten von Demos, sondern zu Programmierern der passenden Archivierungssoftware. Hand in Hand mit solchen Fragen nach Archivierung und Distribution geht dabei stets die Auseinandersetzung mit Authentizität, was wiederum Fragen nach Charakteristika der Demos aufwirft und auch für die Geschichtswissenschaft ein Beschäftigungsfeld darstellt.

Anhand der „Demo-Partys“, bei denen die Produktionen seit den späten 1980er-Jahren in Wettbewerben vorgeführt werden, lässt sich unter anderem der Wandel der Szene nachvollziehen (S. 112ff.). Mit dem Anwachsen der Veranstaltungsgröße ging die Gründung von Vereinen einher, um rechtliche und finanzielle Aufgaben zu bewältigen. Neben diesen organisatorischen Aspekten trug auch das Älterwerden der Szene-Mitglieder dazu bei, dass einige Veranstaltungen verschwanden, da die Zahl ehrenamtlicher Helfer durch die Einbindung in Berufs- und Familienleben geringer wurde.

Leider verweist Hartmann in diesem Kapitel lediglich auf das Fehlen weiblicher Akteure in der Demoszene. Die Gründe seien „vielgestaltig und zu komplex“ (S. 99), um sie in der Dissertationsschrift näher zu verfolgen, weswegen die Autorin diesem Problem lediglich einen Absatz und eine Fußnote widmet. Wenn das Ziel der Arbeit jedoch ist, „die Interdependenz von kulturellen, sozialen, technologischen und ökonomischen Entwicklungen, die sozialen Praktiken der Szene sowie ihre künstlerische Artefakte im Verbund zu sehen“ (S. 20), stellt eine Erwähnung des Genderaspekts ohne weitere Analyse leider ein Manko dar. Gewiss ist ihre Forschungsarbeit sehr komplex und, wie die detaillierten Beschreibungen aufzeigen, mit erheblichem Aufwand verbunden. Ungeachtet dessen hätte der Frage nach den inneren und äußeren Strukturen, die zu einer männlich dominierten Szene führten, mehr Beachtung geschenkt werden sollen. Ebenso fehlt die Einbindung der Demoszene in größere historische Kontexte. So geht die Arbeit zwar auf technologische und ökonomische Faktoren ein, die die Demoszene und ihre Artefakte veränderten, doch kulturelle und soziale Einflüsse werden lediglich erwähnt. So bleibt beispielsweise die Fragen ungeklärt, warum gerade Mittel- und Nordeuropa erste große Zentren der Demoszene bildeten. Es wird lediglich darauf verwiesen, dass nationale Wirtschaftssituationen Einfluss auf die Verfügbarkeit und den Umgang mit Freizeit nahmen (S. 104).

Damit wäre jedoch der größte Kritikpunkt schon benannt. Denn ansonsten geht Hartmann den Entwicklungen und Inhalten der Demos und der Szene sehr akribisch nach – auch wenn dies bedeutet, dass der Leser sich mit sehr detaillierten Beschreibungen auseinandersetzen muss und mit einer Fülle von Informationen konfrontiert wird, die die Lektüre streckenweise erschwert. Wer sich darauf einlässt, bekommt allerdings einen umfassenden Einblick in diese Computersubkultur. Das vierte Kapitel etwa widmet sich den Limitierungen von Demos und veranschaulicht sehr plastisch die Interdependenz der Demoszene mit technischen Entwicklungen auf der Ebene der Hard- und Software. Die Beschränkungen vollziehen sich dabei auf zwei Ebenen: Einerseits durch die Technik, da Demos mit nur wenig Speicherplatz auskommen müssen. Andererseits legt sich die Szene eigene Grenzen auf, unter anderem um sich von professionellem CGI (Computer Generated Imagery) und Werbevideos abzugrenzen. Im „Nachdenken über die gestiegene Komplexität […] machte die Demoszene sich den Unterschied ihrer aktuellen Produktionsbedingungen im Vergleich zu den 1980er- und frühen 1990er-Jahren bewusst und erkannte offenbar, welche Vorteile die damaligen, limitierten technologischen Ressourcen für die Herausbildung ihrer Praktiken und Motivationen hatte.“ (S. 156).

Im letzten Hauptkapitel ordnet die Autorin die Demos in einen breiteren Kontext der zeitgenössischen (Medien-)Kunst ein und zeigt hier sowohl Muster der Abgrenzungen als auch der Akzeptanz in der Beziehung zwischen Demoszene und Kunstbetrieb auf. Sie kommt zu dem Befund, dass „Demos Teil der zeitgenössischen Kunst und Kultur sind“ (S. 253), deren Einordnung die Akteure selbst jedoch ambivalent gegenüberstehen. So stellte ein Mitglied der Demoszene heraus, dass es ihnen „primär [um] die algorithmische Originalität“ ginge, was innerhalb des Kunstbetriebs wegen mangelnder Fachkenntnisse über Programme nicht angemessen bewertet werden könne (S. 284).

Digital Art Natives ist zweifelsohne ein sehr fundiertes und umfassendes Werk zur Demoszene, das sich kritisch und analytisch mit dieser Subkultur befasst. Doreen Hartmann zeigt in ihrer Arbeit Verschiebungen, Rückgriffe und Herausforderungen auf, die sich auf die Praktiken und das Selbstverständnis der Szene-Mitglieder und somit auf die Demos selbst auswirkten. Sowohl technische Entwicklungen auf der Ebene der Soft- und Hardware als auch die Professionalisierung des Graphikdesigns und der Diskurs über den Kunstbegriff – insbesondere der Nutzung von Computern in der Kunstszene – führten in der Szene stets zur Auseinandersetzung mit dem eigenen Selbstbild. Damit liefert die Autorin auch einen Beitrag zur Geschichte der Computertechnologie und ihrer Nutzung seit den 1980er-Jahren, mit einer besonderen Berücksichtigung der Verbindungen bzw. Abgrenzungen zwischen dem Amateurbereich und dem professionellen Sektor. Die Arbeit überzeugt durch eine sorgfältige und präzise Arbeitsweise. Eine begleitende Homepage ergänzt das nicht bebilderte Buch.4 Abgesehen von den sozialen Bezügen, die nur angedeutet werden, denen aber nicht detaillierter nachgegangen wird, gelingt es der Autorin, künstlerische, technische und innersubkulturelle Ebenen produktiv zu verknüpfen.

Anmerkungen:
1 Dick Hebdige, Hiding in the Light. On Images and Things, London 1988, S. 18.
2 Daniel Botz, Kunst, Code und Maschine. Die Ästhetik der Computer-Demoszene, Bielefeld 2011. Daneben sei zum Beispiel auf die Arbeit von Markku Reunanen, Times of Change in the Demoscene. A Creative Community and Its Relationship with Technology, Turku 2017 verwiesen sowie auf Canan Hastik, Demo Age. New Views, in: WiderScreen, 1–2 (2014), http://widerscreen.fi/numerot/2014-1-2/demo-age-new-views/ (21.05.2018).
3 Patryk Wasiak, „Illegal Guys“. A History of Digital Subcultures in Europe during the 1980s, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 9/2 (2012), S. 257–276, https://zeithistorische-forschungen.de/2-2012/id=4746 (21.05.2018); Gleb J. Albert, Computerkids als mimetische Unternehmer. Die „Cracker-Szene“ der 1980er Jahre zwischen Subkultur und Ökonomie, in: WerkstattGeschichte 25/3 (2017), S. 49–68.
4http://digitalartnatives.de/ (21.05.2018).