S. Hillerich: Deutsche Auslandskorrespondenten

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Titel
Deutsche Auslandskorrespondenten im 19. Jahrhundert. Die Entstehung einer transnationalen journalistischen Berufskultur


Autor(en)
Hillerich, Sonja
Reihe
Pariser Historische Studien 110
Erschienen
Anzahl Seiten
410 S.
Preis
€ 49,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Norman Domeier, Historisches Institut, Universität Stuttgart

Der Beruf des Auslandskorrespondenten folgt keiner linear-teleologischen Linie hin zu einer abgeschlossenen Professionalisierung. Wie andere moderne Berufe unterliegt er vielmehr Konjunkturen, Trends und auch Rückentwicklungen. Und das, obwohl gute und objektive Interpreten von Auslandsnachrichten in unserer unübersichtlichen, nur halbherzig globalisierten Welt wichtiger sind denn je. Im 19. Jahrhundert entwickelte sich der Auslandskorrespondent vom gelegenheitsschreibenden und nebenberuflich tätigen Exilanten, Studenten oder Schriftsteller hin zu den Vollprofis der 1920er- bis 1990er-Jahre, die über große Namen, große Mitarbeiterstäbe und große Budgets verfügten. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, der Konzentration und Rationalisierung im internationalen Medienbereich und vor allem mit dem Aufkommen des Online-Journalismus fungieren heute wieder Studierende vor Ort und Gelegenheitsjournalisten mit flotter Schreibe als Auslandskorrespondenten: Die Schere zwischen der Funktion des Korrespondierens von Auslandsnachrichten und dem (Haupt-)Beruf des Auslandskorrespondenten ist vielfach wieder größer als im 20. Jahrhundert.

Sonja Hillerich hat sich in der überarbeiteten Form ihrer Dissertation (Duisburg-Essen 2016) der Professionalisierungsphase des – deutschen – Auslandskorrespondenten von 1848 bis 1914 gewidmet. Das anspruchsvolle Unterfangen mit Blick auf die Arbeit der deutschen Auslandspresse an gleich drei Orten – London, Paris und Wien – und entsprechend weit verstreutem Quellenmaterial, kann als auslandsjournalistisches Komplementärstück zu Jörg Requates vielzitierter Studie „Journalismus als Beruf“ von 1995 gewertet werden.1

„Das Kernthema“, erklärt die Autorin auf Seite 16, „ist die Herausbildung einer spezifischen beruflichen Kultur deutscher Auslandskorrespondenten“. Sie ist in erster Linie Netzwerken, Karrierewegen, Gruppenidentitäten und Gruppenorganisationen auf der Spur. Entgegen dem ursprünglichen Erkenntnisinteresse, möglichst nah an den Auslandskorrespondenten zu bleiben, rekonstruiert die Studie allerdings über weite Teile staatliche Pressepolitik, da für den Untersuchungszeitraum beinahe keine persönlichen Nachlässe und Memoiren von Auslandskorrespondenten vorliegen und die meisten deutschen Verlags- und Zeitungsarchive zerstört wurden.

Das Buch ist in drei Teile gegliedert. Im ersten Teil geht es um Selbst- und Fremdwahrnehmungen und die Begriffsgeschichte des „Auslandskorrespondenten“. Welche Funktion, welche Stellung und welchen Status besaß der Auslandskorrespondent innerhalb der sich immer stärker ausdifferenzierenden journalistischen Tätigkeiten? Ein wichtiges Augenmerk liegt auf den Berufsvereinigungen von Auslandskorrespondenten in Wien, London und Paris. Hier ist Sonja Hillerich ein bedeutender Archiv-Fund gelungen, den sie selbst etwas unter den Scheffel stellt: Sie hat das lange als verloren geglaubte Archiv des bis heute bestehenden „Vereins der ausländischen Presse in Deutschland“ (VAP) im Reichsarchiv Stockholm wiederentdeckt, wohin es vermutlich Anfang der 1940er-Jahre in Sicherheit gebracht worden war (S. 35f. und S. 58f.). Auch wenn es für ihre eigene Arbeit nicht sehr relevant ist, da es um die in Berlin organisierten Auslandskorrespondenten ab den 1920er-Jahren geht, ist dies journalismusgeschichtliches Material höchsten Wertes.

Im zweiten Teil des Buches stehen das Verhältnis der Auslandskorrespondenten zu Politikern und Diplomaten sowie Arbeitsroutinen und Strategien der Informationsbeschaffung im Fokus. Dominierend ist jedoch die Pressepolitik von Außenministerien und Parlamenten.

Im dritten Teil werden berufliche Praxis, typische Biografien und Karrieremuster deutscher Auslandskorrespondenten in den Blick genommen. Laut Hillerich ist es aufgrund der Quellenlage – bis auf die Allgemeine Zeitung (AZ) wurden fast alle Zeitungs- und Verlagsarchive zerstört – jedoch schwierig, die Entstehung einzelner Artikel und Meldungen und die Kommunikation zwischen Auslandskorrespondenten und Heimatredaktionen zu rekonstruieren. Erst für das letzte Drittel des 19. Jahrhunderts sei es überhaupt möglich, deutsche Auslandskorrespondenten namentlich zu identifizieren, und auch dies zumeist nur aus staatlichen Akten. Es ist daher sehr hilfreich für weitere Forschungen, dass die Autorin ein Namensregister deutscher Auslandskorrespondenten mit Kurzinfos zusammengestellt hat.

Überzeugend kann Hillerich zeigen, welch wichtige Rolle die in den Hauptstädten gegründeten Vereine der Auslandspresse dabei spielten, den Typus des Auslandskorrespondenten zu formen und ihn gegen staatliche Abwehrversuche zu behaupten (S. 57–99). Ohne die diversen foreign press associations hätte sich zudem kaum ein esprit du corps entwickeln können, der schließlich einen akkreditierten Auslandskorrespondenten fast auf dieselbe Stufe wie einen ausländischen Diplomaten hob. Allerdings entsprach der Herausbildung eines Gruppen- und Standesbewusstseins lange Zeit nicht die Wertschätzung von außen. Den wesentlichen Grund sieht Hillerich in der Anonymität der Berichte von Auslandskorrespondenten, die meist nur mit Kürzel und fast nie mit vollem Namen gekennzeichnet wurden. Vor dem Ersten Weltkrieg besaß der Auslandsjournalismus noch keineswegs das Prestige einer „Königsdiziplin“ des Journalismus (S. 99).

Einige Erkenntnisse sind überraschend, etwa die sehr frühe und sehr agile Pressepolitik Österreichs noch zu Zeiten, als es um die Vorherrschaft im Deutschen Bund ging. Die „Preßleitung“ in Wien war viele Jahre lang unerreichtes Vorbild für das „Literarische Bureau“ in Preußen. Über weite Strecken ist das Buch weniger eine Geschichte der Auslandskorrespondenten als der deutschen auswärtigen Pressepolitik (S. 156–190). Aber dadurch können auch ältere Befunde verifiziert und noch stärker differenziert werden, etwa dass viele Auslandskorrespondenten, so wie ganze Zeitungen, in jener Zeit käuflich waren. Hillerich hat zahlreiche enge Kontakte des Auswärtigen Dienstes zu deutschen Auslandsjournalisten nachgewiesen, von denen einige regelrecht im Sold des Auswärtigen Amtes standen, den Botschaften Zuträgerdienste leisteten und die Landespresse beeinflussen sollten; eine Funktion, die später von Presseattachés übernommen wurde.

Einerseits zeigt sich der Vorteil des internationalen Vergleiches. Der Blick nur auf Wien wäre zu sehr auf den deutschsprachigen Raum fixiert, der Blick nur auf Paris oder nur auf London vielleicht zu stark durch den Antagonismus hin zum Ersten Weltkrieg geprägt gewesen und ist durch Dominik Gepperts vorzügliche Pionierstudie zu den „Pressekriegen“ bereits untersucht worden.2 Anderseits zeigt sich auch die Kehrseite des internationalen Vergleichs. Bei drei „abzuarbeitenden“ Parlamenten in London, Paris und Wien bleibt kaum mehr Raum als für eine vergleichende Übersicht über formale Aktivitäten seitens der Parlamentsverwaltungen, insbesondere über die Vergabe von Pressekarten für die Zuschauertribünen. Die Zusammenarbeit von Auslandskorrespondenten und Parlamentariern kann durch den Vergleich nicht in der Tiefe rekonstruiert werden, die eine Fokussierung auf einen Ort erlauben würde.

Auf den Seiten 220–233 ist man näher an den deutschen Auslandskorrespondenten als Individuen und politischen Akteuren 3, da sie hier einmal nicht nur aus Sicht staatlichen Quellenmaterials gefasst werden. Ereignisse, in denen Auslandskorrespondenten wichtige politische Rollen spielten, etwa politische Skandale, werden aber nur angerissen. Leider führt diese struktur- und sozialgeschichtliche Individuen- und Ereignisarmut im Fazit zu Plattitüden auf der Grundlage nationaler Stereotype: „Arthur Levysohn verschmolz französischen Stil mit österreichischem Reportertum zu deutschen Leitartikeln.“ Was diese drei Dinge sein sollen, wird nirgendwo expliziert. Auch eine Einschätzung wie „Theodor Wolff gründete sein wohlformuliertes Urteil am liebsten auf eigene Anschauung“ (beide Zitate S. 353) ist ein nettes Kompliment, aber was soll es bedeuten? Dass Wolff nicht nur die französische Presse las, wie viele seiner deutschen Kollegen in Paris, um daraus Artikel für Berlin zu verfassen, sondern dass er auch persönlich recherchierte (Augenzeugenschaft)? Nur wie sah die Recherche eines Theodor Wolff, nach dem bis heute der bedeutendste deutsche Journalistenpreis benannt ist, in seiner Pariser Auslandskorrespondentenzeit konkret aus? Wenigstens anhand von Fallbeispielen, die dann auch eine stichprobenartige Analyse seiner Berichterstattung einbeziehen müssten, würden wir dies gerne wissen. Die Berichterstattung von Auslandskorrespondenten bleibt in der Studie leider komplett ausgeblendet.

Nicht ganz überzeugend erscheint die Ausgangsdefinition des Auslandskorrespondenten, dessen Arbeit (durch Auftrag seines Heimatmediums) an den Ort seines Sitzes gebunden sein soll (S. 21). Dies ist aus mehreren Gründen problematisch und wird der tatsächlichen Arbeit von Auslandsjournalisten vor dem Ersten Weltkrieg nicht gerecht. Auch ein klassischer akkreditierter Auslandskorrespondent berichtete nicht allein aus der Hauptstadt, in der er seinen Sitz hatte (bzw. in teuren Städten wie London in deren Peripherie), sondern aus dem gesamten „Gastland“. Viele Auslandskorrespondenten, gerade in Wien, waren für größere Regionen wie „Südosteuropa“ zuständig und mussten dementsprechend häufig reisen. Spezialkorrespondenten, „Helikopterkorrespondenten“, wie man heute sagen würde, waren überhaupt nur vor Ort, wenn sich bedeutende Ereignisse, Skandale oder sensationelle Berichterstattungen abzeichneten. Von ihnen kamen jedoch oft die einflussreichsten Zeitungsberichte in politischen, sozialen und kulturellen Krisenphasen.

Trotz dieser Detailkritik hat Sonja Hillerich eine wichtige Studie für das Verständnis der bis heute schlecht erforschten Figur des Auslandskorrespondenten vorgelegt. Desiderate für weitere Forschungen werden aufgezeigt. Ob der höhere Status der amerikanischen und britischen foreign correspondents gegenüber ihren deutschen Kollegen der Vorstellung von Deutschland als einer verspäteten Nation und der Annahme einer verzögerten deutschen Journalismuskultur entsprach (S. 44–47), werden wir erst nach Studien zu europäischen Ländern jenseits der „großen Drei“ Frankreich, Deutschland und Großbritannien sehen können.

Anders als mit Verweis auf Dominik Geppert behauptet (S. 47, 215, 275), brach das „goldene Zeitalter“ der Auslandskorrespondenten erst mit dem Ersten Weltkrieg an: Jetzt bildete sich eine Elite der Auslandskorrespondenten. Einige wurden zu weltweit bekannten Namen und selbst zu Medienstars, die auf Augenhöhe mit Staats- und Regierungschefs und Berühmtheiten aus Wirtschaft, Kultur und Sport verkehrten. Einher ging der Aufstieg der Auslandskorrespondenten mit der sich von Großbritannien aus global durchsetzenden „Königsdiziplin“ der journalistischen Darstellungsformen: dem Interview. Im kurzen 20. Jahrhundert waren Auslandskorrespondenten und Interviewer wie Karl Henry von Wiegand (Hearst-Presse) so prominent wie die Interviewten. Heute ist ein solches journalistisches Prestige nicht mehr selbstverständlich. Allerdings gilt dies auch für die Bekanntheit vieler Politiker. Von Diplomaten zu schweigen, deren Namen heute niemand mehr kennt.

Anmerkungen:
1 Jörg Requate, Journalismus als Beruf. Entstehung und Entwicklung des Journalistenberufs im 19. Jahrhundert. Deutschland im internationalen Vergleich, Göttingen 1995.
2 Dominik Geppert, Pressekriege. Öffentlichkeit und Diplomatie in den deutsch-britischen Beziehungen 1896–1912, München 2007; siehe auch Thomas Birkner, Rezension zu: ebd., in: H-Soz-Kult, 17.12.2007, https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-9978 (18.06.2018).
3 Zur Vorstellung von Journalisten als politische Akteure: Frank Bösch / Dominik Geppert (Hrsg.), Journalists as Political Actors. Transfers and Interactions between Britain and Germany since the late 19th Century, Augsburg 2008. Siehe auch Nathan N. Orgill, Rezension zu: ebd., in: H-German, April 2010, https://www.h-net.org/reviews/showrev.php?id=29805 (18.06.2018).