Bei der vorliegenden Untersuchung handelt es sich um eine am Institut für Vor- und Frühgeschichte der Universität Frankfurt am Main abgeschlossene Dissertation, deren Betrachtung hier aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive erfolgt.
Gegenstand der Arbeit ist die im Umfeld des Magdeburger Domes zu beobachtende Siedlungsentwicklung vom 8. bis ins 14. Jahrhundert, also in dem Zeitraum, in dem sich Magdeburg aus einem Kontrollposten an der Ostgrenze des fränkischen Reichs zum Sitz eines Erzbischofs und einer weit ausstrahlenden Handelsmetropole entwickelte. Die Grundlage der Studie bilden die Altgrabungsfunde und -befunde von Ernst Nickel, die nach der Zerstörung Magdeburgs im 2. Weltkrieg in der Zeit von 1948 bis in die 1970er-Jahre getätigt wurden, deren Auswertung bis dato noch nicht erfolgt war. Ergänzend wurden die Resultate archäologischer Rettungsgrabungen am Friedensplatz und in der Großen Klosterstraße hinzugezogen.
Einleitend werden Fragestellung und Vorgehensweise erläutert und eingeführt in die Topographie sowie in den historischen, archäologischen und onomastisch-siedlungshistorischen Forschungsstand. Im zweiten Kapitel werden die „natürlichen Besiedlungsgrundlagen“ detailliert erläutert; im dritten „Anlass und Ablauf der archäologischen Untersuchungen“ geschildert. Die Kapitel vier bis acht bilden den Kern der Arbeit. Kunz nimmt eine „Periodisierung der Befunde“ vor und unterscheidet für den Untersuchungszeitraum vier Siedlungsperioden. In der ersten (vor 800 bis ca. 1000) kam es auf der Westseite des Domplatzes zur Anlage eines Befestigungsgrabens und der Entstehung einer vorgelagerten Siedlung, bestehend aus eher fundarmen Grubenhäusern. Etwa ab der Mitte des 10. Jahrhunderts, also in jenem Zeitraum, in dem Magdeburg unter Otto I. (936–973) zum bevorzugten königlichen Aufenthaltsort wurde, erfolgte die Aufgabe und allmähliche Verfüllung des Grabens. Dieser Vorgang intensivierte sich in Siedlungsperiode 2 (1000–1100). Nun wurde der Grabenbereich großflächig durch Grubenhäuser überlagert. Diese wiesen teilweise bereits eingetiefte Keller aus Trockenmauern auf, in denen spätslawische Keramik aufgefunden wurde. In Siedlungsperiode 3 (1100–1200) setzte einerseits in den Außenbereichen des Domplatzes eine Parzellierung auf dem heutigen Friedensplatz, verbunden mit einer intensiven Siedlungstätigkeit ein und es sind Brunnen und ein Kapellengebäude nachweisbar und unterhalb des Klosters Unser Lieben Frauen ein Gewerbebetrieb (Gerber) zu identifizieren. Andererseits entstand auf dem Domplatz ein großes Hofareal und die Hausbauten verschwanden. Dieses Hofareal ist auch für Siedlungsperiode 4 (1200–1300) nachweisbar. Damals wurde in Fläche 2 (Domplatz Westseite) zudem ein großer steinerner Stadthof nachgewiesen, Indiz für eine entwickelte städtische Bebauung, der beim Bau der Nikolaikirche im 14. Jahrhundert als Steinbruch verwendet wurde.
Diese vom Rezensenten hier mit der Periodisierung verknüpfte „Einordnung und Deutung der Befunde“ erfolgt durch Kunz im fünften Kapitel. Darin werden Grabenwerke, Bauten, Versorgungseinrichtungen sowie die Baustoffe näher beschrieben und klassifiziert. Der „Absolute[n] und relative[n] Datierung der Befunde“ widmet sich Abschnitt sechs auf der Grundlage von Keramikbefunden, der 14C-Datierung, der Dendrochronologie sowie von Münzen. „Das Fundmaterial“ wird im 7. Kapitel ausgewertet. Für die Keramik unterscheidet Kunz elf Gruppen, die einander zeitlich zum Teil überlagern, auf eine zunächst regionale Produktion der sich überschneidenden slawisch-sächsischen Kultur verweisen, dann aber (etwa seit der Mitte des 11. Jahrhunderts) zunehmend auch Waren enthalten, die durch den Fernhandel nach Magdeburg gelangt sind. Die Kleinfunde (Glas, Stein, Eisen, Buntmetall, Münzen, Knochen und Geweih, Spinnwirtel und Webgewichte) dokumentieren in ihrer relativen Variationsbreite eine sich zunehmend diversifizierende innerstädtische Entwicklung. „Naturwissenschaftliche Untersuchungen zur Herkunft der Magdeburger Keramik“ beschließen in Kapitel 8 den Auswertungsteil und zeigen, dass für die (slawische und sächsische gleichermaßen!) Produktion für die Zeit zwischen dem 9. und dem Ende des 11. Jahrhunderts Auelehme des Elbtals rund um Magdeburg verwendet wurden.
Die „Siedlungsgeschichtliche Bewertung“ (9. Kapitel) bündelt die Einzelergebnisse zu einer Gesamtschau. Hier setzt sich Kunz zunächst kritisch mit dem Versuch der älteren Forschung einer ethnischen Deutung der Magdeburger Keramikfunde auseinander. Insbesondere die übereinstimmende Materialgrundlage jener Stücke spricht klar gegen die Zuweisung bestimmter Formen und Muster an entweder slawische oder sächsische Gruppen. Vielmehr lässt sich in den unterschiedlichen Typen eine zeitliche Abfolge erkennen, die einhergeht mit allmählichen technischen Innovationen, speziell dem Einsatz der langsam drehenden Töpferscheibe. Diese Erkenntnisse für Magdeburg bettet Kunz überzeugend ein in eine seit längerer Zeit von Historikern und Archäologen gleichermaßen geführte Diskussion um die Bewertung der Elbe-Saale-Linie, die früher als scharfe Grenze zwischen slawischer und fränkisch-sächsischer Welt verstanden wurde. Auch die Magdeburger Funde sprechen dafür, jenen von der Nordsee bis nach Oberfranken reichenden breiten Streifen als Kontaktraum bzw. Übergangszone zwischen Sachsen und Slawen zu beschreiben und nicht als Trennlinie anzusehen. Ich persönlich bevorzuge dafür die Bezeichnung ‚Kommunikationsraum‘. Auch in Bezug auf die Siedlungsentwicklung zeitigt die Studie eine Vielzahl neuer bzw. präzisierter Erkenntnisse, die es gestatten, die innere Entwicklung hin zu frühstädtischen Formen folgendermaßen nachzuzeichnen: Wurden im 8. Jahrhundert auf dem heutigen Domplatz, im Umfeld des späteren Kirchenbaus zunächst größere Befestigungsgräben angelegt, so verloren diese im 10. Jahrhundert, vielleicht zur Zeit der Erhebung Magdeburgs zum Sitz eines Erzbischofs, ihre Funktion, wurden verfüllt und mehrphasig, oftmals einander überlagernd, überbaut. Es begann eine Besiedlung und Erweiterung des Areals vornehmlich in Richtung Westen, aber auch nach Norden, sodass sich allmählich präurbane, aber polyzentrische Strukturen ausbildeten. Diese bestanden zunächst vorwiegend aus Grubenhäusern mit teilweise gewerblicher Nutzung (Tuchherstellung, Glashandwerk, Bearbeitung von Horn und Geweih). Vereinzelt wurden auch Zeugnisse (Balkenwaage) für einen bereits früh entwickelten Fernhandel gefunden, was den Aussagen der schriftlichen Überlieferung entspricht. Der Nachweis eines Flussufermarktes, wie er im Vergleich zu anderen Städten immer vermutet wurde, gelang hingegen nicht, vermutlich weil das Elbufer in jener Zeit Überschwemmungsland war und der Hauptstrom zudem weiter östlich lag. Neben einer kleinteiligen Bebauung wie sie für die Zeit zwischen 800 bis ins 11. Jahrhundert hinein charakteristisch war und auch für die Folgezeit als Ausdruck einer zunehmenden städtischen Verdichtung zu interpretieren ist, konnten im Bereich des Domplatzes zugleich größere Parzellen ausgemacht werden. Derartige Großgrundstücke – datiert ans Ende des 11. und in den Beginn des 12. Jahrhunderts – finden sich besonders im Bereich der überbauten Befestigungsgräben. Damit ist vermutlich der Besitz geistlicher Institutionen zu greifen. Vor allem das Moritzkloster (ab 937) und das Kloster Unserer Lieben Frauen (vermutlich frühes 11. Jahrhundert) wären hier zu nennen. Im Westen folgte um 1100 zudem die Gründung des Nikolaistifts.
Ein umfangreicher Befund- und Fundkatalog, 55 Tafeln, 10 Pläne sowie ein Quellen- und Literaturverzeichnis beschließen den in Anlage und Ausstattung ausgesprochen gediegenen, den hohen Standards der Veröffentlichungen des LDA Sachsen-Anhalt entsprechenden Band.
Die Konturen der Magdeburger „Siedlungsentwicklung im Umfeld des Domes“ – so der Titel der Arbeit – sind mit Erscheinen dieser Studie in der Tat sehr viel schärfer gezeichnet. Bestimmte Vorstellungen wie die, dass der Breite Weg die Burg im Westen im 10. Jahrhundert begrenzte, sind zu hinterfragen, andere, wie die Entstehung einer Sakraltopographie seit dem frühen 11. Jahrhundert, die bislang vornehmlich aus der schriftlichen Überlieferung zu erschließen waren, lassen sich nunmehr konkret belegen. Das Bild des mittelalterlichen Magdeburgs ist um zahlreiche Facetten reicher.