Unfreie Arbeit: ökonomische, rechtliche und geistesgeschichtliche Perspektiven

Unfreie Arbeit: ökonomische, rechtliche und geistesgeschichtliche Perspektiven

Organizer(s)
Graduiertenkolleg 846 "Sklaverei - Knechtschaft und Frondienst - Zwangsarbeit. Unfreie Arbeits- und Lebensformen von der Antike bis zum zwanzigsten Jahrhundert"
Location
Trier
Country
Germany
From - Until
20.10.2005 - 22.10.2005
Conf. Website
By
Elisabeth Herrmann-Otto; Mustafa Erdem Kabadayi; Tobias Reichardt

Vom 20. bis 22. Oktober 2005 hat in Trier die Tagung "Unfreie Arbeit: ökonomische, rechtliche und geistesgeschichtliche Perspektiven" stattgefunden. Veranstalter war das Graduiertenkolleg 846 "Sklaverei - Knechtschaft und Frondienst - Zwangsarbeit. Unfreie Arbeits- und Lebensformen von der Antike bis zum zwanzigsten Jahrhundert" an der Universität Trier. Die Tagung fand gegen Ende der ersten (dreijährigen) Förderphase des Graduiertenkollegs in den Räumen des Ramada-Hotels statt und sollte prinzipiell die gesamte Vielfalt des interdisziplinären Kollegs repräsentieren. Referenten waren teilweise Stipendiaten und ehemalige Stipendiaten aus dem Kolleg, aber auch Gelehrte anderer Universitäten aus dem In- und Ausland, zu denen entweder bereits Kontakte des Kollegs bestanden oder auf diese Weise neue Kontakte geknüpft wurden.

Die Sprecherin des Graduiertenkollegs, Elisabeth Herrmann-Otto, begrüßte die Konferenzteilnehmer und informierte über das Kolleg, seine Zusammensetzung, seine Arbeitsweise und seine Zielsetzung, sowie über die Bedeutung der Konferenz für dasselbe. Sie hob besonders die epochenübergreifende Bedeutung sozialer Unfreiheit hervor, die es immer wieder zulasse, Verbindungslinien von der Antike bis in die Neuzeit zu ziehen. Als während der Konferenz zu diskutierende Fragen nannte sie etwa, ob es Arbeiten gebe, die ausschließlich Unfreie verrichten können, ob Frondienst und Zwangsarbeit immer mit persönlicher Unfreiheit verbunden sei und wie sich verschiedene Formen unfreier Arbeit unterscheiden ließen. Ferner wies Herrmann-Otto darauf hin, dass gerade die Übergänge verschiedener Formen unfreier Arbeit von besonderem Erkenntnisinteresse seien. Mit der Feststellung, dass auch in der Gegenwart, im Prozess der sogenannten Globalisierung, Sklaverei und andere Formen von Unfreiheit und unfreier Arbeit keineswegs an Bedeutung verloren hätten, leitete sie zur Rede Nikhil Roys über.

Der Eröffnungsredner Nikhil Roy sprach als Vetreter der Menschenrechts-Organisation Anti-Slavery (London) über "Slavery in the 21st Century. What Is It and How Do We Combat It?" Dabei legte er vor allem die völkerrechtlichen Rahmenbedingungen des Kampfes gegen die Sklaverei, gegen Schuldknechtschaft und gegen Zwangsarbeit dar, wobei besonders die verschiedenen in den internationalen Abkommen festgehaltenen Definitionen der genannten Arbeitsverhältnisse beleuchtet wurden. Außerdem schilderte er die besondere Gefährdung von Arbeitsmigranten in der globalisierten Welt, in unfreie Arbeitsverhältnisse zu geraten. Insgesamt überwogen in seinem Beitrag die rechtlichen Aspekte des Gegenstandes.

Lothar Willms (Klassische Philologie, Heidelberg) stellte in seinem Beitrag "Die Sklaven des Großkönigs - Griechen und Altertumswissenschaftler (miss)deuten das altiranische Gefolgschaftswesen" bekannte terminologische Schwierigkeiten im Bereich der Freiheit und Unfreiheit an einem neuen Fallbeispiel heraus: Anknüpfend an die bereits in der Antike bestehende Antithese von freien Griechen und unfreien Persern und Barbaren hätten auch moderne Altertumswissenschaftler in hoch problematischer Weise auf das Vokabular von Unfreiheit zurückgegriffen, um das Verhältnis zwischen Perserkönig und seinen sozial durchaus hochrangigen Gefolgsleuten (Satrapen) zu bezeichnen. Dies sei Folge antiker und moderner Vorurteile gewesen.

Tobias Reichardt (Philosophie, Trier) sprach über die "Unterscheidung von politischer und despotischer Herrschaft bei Aristoteles". Er rekonstruierte aus den disparaten Stellen der "Politik" die aristotelischen Gedanken über diese beiden Herrschaftsformen und kam zu dem Ergebnis, dass diese vermeintlich moderne und unmittelbar anschlussfähige Unterscheidung auf der prämodernen Vorstellung verschiedener "Naturen" von Menschengruppen beruhe. Man solle von Versuchen absehen, Aristoteles zwanghaft zu "modernisieren" und die Vormodernität seines gesamten Menschenbildes - und nicht nur im Falle der Lehre des "Sklaven von Natur" - akzeptieren.

Silke Diederich (Klassische Philologie, Trier) untersuchte "Sklavenarbeit in den römischen Agrarhandbüchern" von Cato, Varro und Columella. Die wachsende und später wieder abnehmende Anzahl der Sklaven in Italien führte zu wechselnden Erfordernissen an ihre Qualifikation und damit verbunden zu verschiedener Behandlung der Sklaven durch die Gutsbesitzer. Die hierbei angewandten Begünstigungen und Privilegien seien nicht als Humanisierung anzusehen, sondern als zunehmend perfektionierte Kontroll- und Manipulationsmechanismen.

Der Vortrag von Sally McKee (Mediävistik, Davis) "New Directions in the Study of Late Medieval Slavery in the Christian Mediterranean" hob zwei Aspekte der Sklaverei
im spätmittelalterlichen christlichen Mittelmeerraum hervor: Die Signifikanz der sexuellen Beziehungen zwischen weiblichen Sklaven und ihren Herren und die Rolle der Ethnizität der Sklaven. McKee berichtete aus ihren Archiv-Recherchen von einer großen Diskrepanz zwischen Venedig und seinen Kolonien bezüglich der Anzahl der Fälle sexueller Beziehungen zwischen Sklavinnen und ihren Herren. Sie vertrat die These, dass es diesen Unterschied in Wirklichkeit nicht gegeben habe, die Fälle in Venedig vielmehr nur schlechter dokumentiert wurden. In ihrer zweiten These stellte McKee die weit verbreitete Meinung in Frage, dass Ethnizität für den Sklavenstatus im Spätmittelalter keine Rolle spielte.

Linda Northrup (Orientalistik, Toronto) bot in ihrem Beitrag "Military Slavery in the Islamic and Mamluk Context" zuerst einen einführenden epochenübergreifenden Überblick über die Sklaverei im islamischen Raum. Sie schilderte dabei die Aussagen des Koran über die Sklaverei und behandelte somit die religiös-rechtlichen Grundlagen der Sklaverei im Islam. Nach dieser allgemeinen Einführung berichtete sie in einem zweiten Teil ihres Vortrags über die Besonderheiten der Sklaverei im ägyptisch-syrischen Mamelukenreich, das den wohl einzigartigen Fall einer Sklavenherrschaft darstellte und somit die mögliche Diskrepanz zwischen rechtlichem Status und faktischer sozialer Stellung zugespitzt zum Ausdruck bringt.

Günther Mensching (Philosophie, Hannover) demonstrierte in seinem Vortrag "Arbeit zwischen Sklaverei und Autonomie bei Thomas von Aquin", dass dieser Scholastiker einen historischen Wendepunkt in der philosophischen und theologischen Beurteilung der Sklaverei markiert. Im Gegensatz zur rein negativen Beurteilung der körperlichen Arbeit bei Aristoteles, wird sie im Christentum als eine göttliche Strafe für den Sündenfall betrachtet. Der vermeintliche Aristoteliker Thomas gehe darüber noch hinaus, indem er ihr eine positive Funktion für den Zusammenhalt einer solidarischen Gesellschaft zuerkenne und sie somit zu einer Bedingung menschlicher Autonomie erkläre.

Johannes M. Rainer (Römisches Recht, Salzburg) gab einen Überblick über "Rechtsprobleme der Sklaven im Römischen Recht". Nach einer kurzen Einführung zur Entstehung der Sklaverei nach ius gentium (Völkergemeinrecht) und ius civile (Zivilrecht), stand die Problematik im Mittelpunkt seiner Ausführungen, dass der Sklave im römischen Recht sowohl als Person wie als Sache galt. Zur Demonstration dieses doppelten Charakters, der dem Sklaven in der römischen Rechtsordnung zugewiesen wurde, stellte Rainer ihn als Sache im Rahmen des Schadensersatzrechtes und als Person in seinen Funktionen als juristischer Vertreter seines Herrn dar. Der Vortragende hob deutlich den Wert der Rechtstexte als historische Quelle hervor, die voll von Realien stecke, nicht zuletzt deswegen, weil das Römische Recht ein Fallrecht sei. Als Ergebnis aus der Arbeit an den Rechtsquellen ergab sich ein Sklavenbild, das sich grundlegend von dem landläufig Gängigen unterschied, indem es den Sklaven als aktiv Beteiligten und Gestaltenden am römischen Wirtschaftsleben herausstellte.

Hartmut Elsenhans behandelte die "politische Ökonomie der Sklaverei vom 16. bis 18. Jahrhundert". In der Tradition der Weltsystem-Theorie stand bei ihm die Frage im Vordergrund, ob die Sklaverei dieser Epoche als ein notwendiges Durchgangsmoment bei der Entstehung des Kapitalismus aufzufassen sei. Elsenhans verneinte diese Frage. Die Profite aus der Sklaverei, die vor allem auf einer mit der Sklaverei verbundenen Reduktion der Repressionskosten sowie aus einem ungleichen Tausch zwischen den entwickelten europäischen Ländern und den vergleichsweise unentwickelten afrikanischen Ländern beruhten, hätten nicht in wesentlichem Maße zur Kapitalakkumulation beigetragen. Die Sklaverei sei humanitär eine Katastrophe, gesamthistorisch jedoch ein fruchtloses Nebenphänomen gewesen.

Eine Androhung von Versklavung war der zentrale Gegenstand von Suraiya Faroqhis (Osmanistik, München) Beitrag "Ein iranischer Sklave im Anatolien des 18. Jahrhunderts oder Was sich aus einer Beschwerde erschließen lässt." In ihrer Mikrostudie untersuchte Faroqhi die legalen und faktischen Grenzen der Versklavung von Muslimen oder Untertanen eines muslimischen Herrschers im Osmanischen Reich im 18. Jahrhundert. Der Ausgangspunkt ihrer Analyse war die Korrespondenz zwischen der osmanischen Zentralverwaltung und dem Kadi von Kastamonu, einer Provinzstadt in Nordanatolien, aus dem Jahre 1760/61, die einer Bittschrift eines iranischen Muslims nachging. Da der Status des Bittschreibers keine Versklavung zuließ, blieb die Drohung folgenlos. Doch ist die Korrespondenz darüber aufschlussreich für das Verständnis von Versklavung auf Seiten des osmanischen Staates.

Nicole Longen (Geschichte der frühen Neuzeit, Trier) sprach über den "Wandel der Wegebaufronen. Die Transformation der Dienstverpflichtungen in Stadt und Land im Trierer Raum 1750-1850." Sie zeigte am Beispiel der Region Trier, dass entgegen einem verbreiteten Vorurteil der Frondienst nicht nach dem Fall des Ancien Régime endete. Im Gegenteil war die Institution Frondienst noch im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert etwa zum Zwecke des Wegebaus in verbreitetem Gebrauch. Die Rednerin verglich die Rolle des Frondienstes unter dem Ancien Régime, unter französischer und unter preußischer Herrschaft und kam zu dem Ergebnis, dass er nicht im Laufe der Zeit verschwand, sondern allein neue Funktionen und neue soziale Rollen annahm.

Renate Blickle (Geschichte der frühen Neuzeit, Saarbrücken) referierte zum Thema "Zwangsarbeit in der frühen Neuzeit. Dienst und Strafe als Formen unfreier Arbeit in Bayern". Zunächst gab sie einen Überblick über die Formen unfreier Arbeit im Bayern des 16. bis frühen 19. Jahrhunderts. Unfreie Arbeit erscheine hier in zwei Formen: in einem Dienstverhältnis vornehmlich innerhalb eines Haushalts sowie als gerichtlich verhängte Strafe, vornehmlich als Galeerensträfling, beim Festungsbau, in Zuchthäusern und in der Armee. Schließlich behandelte Blickle die Frage, auf welche Weise unfreie Arbeit im zeitgenössischen Bewusstsein legitimiert wurde.

M. Erdem Kabadayi (Osmanistik/Neuere Geschichte, Trier) setzte sich in seinem Vortrag mit "unfreien Arbeitern an den staatlichen Fabriken im Istanbul des 19. Jahrhunderts" auseinander. Er erstellte ein dynamisches Modell, in dem unfreie Arbeit als eine Schnittstelle im Verhältnis zwischen Untertanen und Staat im osmanischen Reich konzipiert wird. Dadurch wurde am Beispiel der unfreien Arbeit das wechselnde Zusammenspiel der drei Faktoren Geschlecht, Religion und Ethnizität in Bezug auf die Stellung der Untertanen in der osmanischen gesellschaftlichen Ordnung sichtbar.

Mark Spoerer (Wirtschaftsgeschichte, Hohenheim) widmete sich den Typen der "Zwangsarbeit für Deutschland im Ersten und Zweiten Weltkrieg". Anders als in anderen historischen Epochen sei die Zwangsarbeit für das totalitäre Deutschland nur unscharf als rechtliche Kategorie zu fassen. Es sei notwendig, die subjektive Zufriedenheit der Arbeiter mit ihrer Situation zu berücksichtigen, da andernfalls die Unterscheidung von der in ihrer Freiheit ebenfalls beschränkten Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung in Deutschland nicht gelinge.
Marcel van der Linden (Amsterdam) kommentierte die "einfache und dennoch schwer zu beantwortende Frage: Warum gab (und gibt) es im Kapitalismus Sklaverei?" Dabei diskutierte er die Faktoren, die sowohl für den einzelnen Unternehmer als auch für eine Gesellschaft als ganze die Sklaverei im Vergleich zur Lohnarbeit als attraktive oder weniger attraktive Alternative erscheinen lassen. Weit mehr als bekannte allgemeine Aussagen von Ökonomen es berücksichtigten, seien Umweltfaktoren schließlich ausschlaggebend dafür, ob Sklaverei in einer kapitalistischen Gesellschaft rentabel sein und somit eine signifikante Rolle spielen kann.

Auf der Tagung, die von einem gemeinsamen Besuch im neu eröffneten Trierer Karl-Marx-Haus flankiert wurde, haben sich die mit der Interdisziplinarität naturgemäß verbundenen Schwierigkeiten letztlich nicht als ein Kommunikationshindernis erwiesen. Die Referate sind von den Teilnehmern mit großem Interesse aufgenommen und fast immer sehr rege diskutiert worden. Das Graduiertenkolleg hat auf jeden Fall von der Tagung profitiert: Nicht nur konnten die Nachwuchswissenschaftler wichtige Erfahrungen bei der Organisation der Tagung gewinnen und hatten Gelegenheit, Kontakt mit renommierten Gelehrten ihrer Fachgebiete herzustellen, sie profitierten auch wissenschaftlich-inhaltlich: Besonders zu begrüßen ist, dass auch Themen, Gesichtspunkte und Methoden vertreten waren, die bisher in den Veranstaltungen des Kollegs noch nicht präsentiert wurden. Man darf davon ausgehen oder zumindest hoffen, dass viele der in den Referaten und Diskussionen gegebenen Anregungen Eingang in die Arbeiten der Stipendiaten finden werden. Umgekehrt hat sich gezeigt, dass auch für die geladenen auswärtigen Teilnehmer mancher Gegenstand oder Aspekt einer Sache neu war und der Blick über den Tellerrand des jeweiligen Faches zu neuen, vielleicht sogar unerwarteten wissenschaftlichen Erkenntnissen führen wird.


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