Pax optima rerum? Wirkungen und Folgen des Westfälischen Friedens aus landesgeschichtlicher Perspektive

Organizer(s)
Historische Kommission für Niedersachsen und Bremen e.V., Forschungszentrum Institut für Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit (IKFN) der Universität Osnabrück
ZIP
49074
Location
Osnabrück
Country
Germany
Took place
In Attendance
From - Until
23.06.2023 - 24.06.2023
By
Torben Tschiedel, Historisches Seminar, Universität Osnabrück

Das 375. Jubiläum des Westfälischen Friedens hat die Historische Kommission für Niedersachsen und Bremen zum Anlass genommen, die Auswirkungen und Folgen des Friedensvertrages aus landes-, regional- und stadtgeschichtlicher Perspektive zu betrachten und das Potenzial des Friedensschlusses für die Landesgeschichte zu erörtern. Mit dem Abschluss des Westfälischen Friedens gingen nach 1648 im Rahmen der Restitution und Satisfaktion eine Reihe von territorialen Verschiebungen einher, die insbesondere den norddeutschen Raum betrafen. Zugleich führte der erneuerte Religionsfrieden mit seiner innovativen Normaljahresregelung zu einem Ausgleich des konfessionellen Streites, der aber innerhalb der Territorien erst umgesetzt und ausgehandelt werden musste. Außerdem waren mit dem Westfälischen Frieden, insbesondere im Nachgang des Nürnberger Exekutionstages 1649/50, die Demobilisierung und der Abzug großer Truppenzahlen verbunden. Zu den Nachwirkungen des Krieges gehörten aber auch sichtbare und unsichtbare Spuren an Land und Leuten, die bisweilen lang andauerten. Diese Problemfelder bieten vielfältige Chancen für landes- und regionalgeschichtliche Ansätze – besonders mikropolitischer und alltagsgeschichtlicher Dimensionen –, die bei der Erforschung frühneuzeitlicher Friedensstiftungsprozesse bislang eher am Rande behandelt wurden.

Im Rahmen einer Podiumsdiskussion zu den Folgen und Auswirkungen des Westfälischen Friedens zwischen CHRISTOPH KAMPMANN (Marburg), MICHAEL ROHRSCHNEIDER (Bonn) und GEORG SCHMIDT (Jena) stellte sich heraus, dass trotz der unterschiedlichen Zugänge gerade die Vernetzungen zwischen den Ebenen Europa, Reich und Territorium spannend sein können. Oft spiegelten sich die konkreten Folgen des Westfälischen Friedens erst in den Territorien wider, sodass der Landesgeschichte hier eine wichtige Rolle zukäme. BEATE-CHRISTINE FIEDLER (Stade) untersuchte mit dem säkularisierten Bistum Bremen-Verden als deutsche Provinz der schwedischen Krone ein solches Territorium. Nach 1648 habe die Elbe-Weser-Region mit Stade als Zentrum eine eigene Identität ausgebildet, die sich durch eine intensivere Bekanntschaft zwischen den regionalen Akteuren – auch im lokalen Adel – bemerkbar machte und sogar in kulturellen Phänomenen wie Dankfesten für schwedische Siege während des Großen Nordischen Krieges ihren Ausdruck fand. Zugleich habe Frankreich laut INDRAVATI FÉLICITÉ (Paris/Greifswald) in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts ein tiefergehendes Interesse am Norden des Reiches entwickelt. Die Region hätte einerseits Chancen für eine weitere antihabsburgische Allianz geboten, andererseits aber auch durch das dortige Konfliktpotenzial Gefahren für die Friedenssicherung dargestellt. Besonders regionale Akteure hätten in dieser Gemengelage eigene Handlungsspielräume entfalten können, sodass Frankreich nicht von Dänemark oder Schweden abhängig blieb. Profiteur der territorialen Machtverschiebungen im Nordosten des Reiches war nach MATTHIAS ASCHE (Potsdam) zweifellos Brandenburg-Preußen. Deutlich wurde, dass der politische Aufstieg Preußens aber noch keine Konsequenz des Dreißigjährigen Krieges und des Westfälischen Friedens gewesen sei. Die Preußische Vormachtstellung im Norden habe sich erst mit dem Großen Nordischen Krieg zu Beginn des 18. Jahrhunderts abgezeichnet.

SIEGRID WESTPHAL (Osnabrück) verdeutlichte in ihrem Abendvortrag im historischen Friedenssaal des Osnabrücker Rathauses, in dem auch Kongressverhandlungen stattgefunden haben, die Wirkungen des Westfälischen Friedens auf regionaler, reichischer und europäischer Ebene. Demnach sei es eine zentrale Leistung des Vertrages gewesen, dass bis zum Ende des Alten Reiches 1806 kein Religionskrieg stattgefunden habe. Weiterhin sei der Streit um die Reichsverfassung so entschärft worden, dass er als Konfliktfaktor an Bedeutung verlor. Beides habe eine stabilisierende Wirkung auf Europa gehabt. Seither erlaube der Westfälische Frieden der Nachwelt, trotz seiner vornehmlich auf das Reich begrenzten Regelungen, Europa als Friedensbund zu imaginieren.

Konfessionelle Konflikte blieben auf territorialer Ebene aber dennoch ein relevanter Faktor. HANS-GEORG ASCHOFF (Hannover) verdeutlichte am Beispiel des Hochstiftes Hildesheim, dass sich hier in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts die welfischen Herzöge als protestantische Schutzmacht etabliert hätten, was die landesherrliche Autorität der Fürstbischöfe und eine katholische Kirchenpolitik entschieden eingeschränkt habe. Dabei sei der Westfälische Frieden mit seiner Normaljahresregelung für die Protestanten im Fürstbistum ein wichtiges Instrument gewesen, um eine größere Rekatholisierung zu verhindern. Die Normaljahresregelung stellte die Territorien in der Umsetzung aber auch vor Herausforderungen. GERD STEINWASCHER (Oldenburg) betonte, dass die Festlegung der konfessionellen Verhältnisse innerhalb des Fürstbistums Osnabrück ein komplizierter und ganz eigener Aushandlungsprozess gewesen sei. Gerade die Mikroebene mit den Räumen Ehe, Haus, Nachbarschaft und Kirchspiel habe höhere Flexibilität im alltäglichen Umgang mit konfessionellen Fragen geboten. Der Religionsfrieden sei erst relevant geworden, sobald etwaige Konflikte höhere Ebenen erreichten. Letztendlich stelle die alltagsgeschichtliche Dimension ein Forschungsdesiderat dar. In Anknüpfung daran konnte FRANK KLEINEHAGENBROCK (Würzburg) zeigen, dass die konfessionelle Festlegung der Territorien auf den Stand des Jahres 1624 zu einem Konfessionalisierungsschub auf der lokalen Ebene führte, da die konfessionelle Ausdifferenzierung vor 1648 keineswegs abgeschlossen gewesen sei. Neben diesen Alltagskonflikten hätten lokale Konflikte oft reichspolitische Relevanz bekommen und wären dann teilweise sehr emotional auf Reichsebene ausgetragen worden. Grundsätzlich sei die Frage, wer die Mittel hatte, sich durchzusetzen, aber nicht unerheblich geblieben.

Die Rekonstruktion der städtischen Oberschicht in Wolfenbüttel für das 17. und 18. Jahrhundert und damit die detailliertere Untersuchung der Nachkriegsgenerationen gelang SILKE WAGENER-FIMPEL (Wolfenbüttel) und BETTINA JUNGKLAUS (Berlin). Dies war möglich, indem die archäologischen Befunde von zahlreichen Skeletten eines äußerst gut erhaltenen Friedhofs mit archivalischen Quellen kombiniert werden konnten. Das Ergebnis waren teils detaillierte Erkenntnisse zu persönlichen Biografien, dem Thema Schwangerschaft und Kindheit sowie Tod, Frömmigkeit oder Geschlecht. Durch diesen neuen methodischen Zugriff würden Menschen in den Fokus gerückt, die zwar in den schriftlichen Quellen auftauchten, denen aber von der Geschichtswissenschaft bisher keine besondere Bedeutung beigemessen worden sei. Die Erinnerungen an den Dreißigjährigen Krieg seien für viele Menschen erst wieder mit den Konflikten im 18. Jahrhundert in das allgemeine Bewusstsein gerufen worden, wie JAN PHILIPP BOTHE (Göttingen) anhand von Hausväterliteratur und agrarökonomischen Schriften nachwies. Dabei hätten die Zeitgenossen den Krieg nicht nur als Unglück, sondern auch als ökonomische Chance gesehen. Besonders wichtig war, dass es den Menschen zunehmend darum gegangen sei, ihre Handlungsfähigkeit vor Ort zu bewahren und den Konflikt zu verwalten, statt den Verlust des eigenen Besitzes durch Flucht zu riskieren. Ökonomische Fragen beschäftigten auch viele Fürsten im Reich schon unmittelbar nach dem Ende des Krieges. EVA ORTLIEB (Wien) konstatierte, dass die fürstliche Schuldenlast ein gravierendes Problem gewesen sei. Um dies zu bewältigen, habe der kaiserliche Reichshofrat durch Schuldkommissionen gute infrastrukturelle Voraussetzungen geboten. Allerdings sei es nicht um die juristische Entscheidung von Streitfällen, sondern um gütliche Einigung der streitenden Parteien gegangen. Ständische Gremien zur Umsetzung des Friedens hätten sich aber nicht etabliert.

In der Schlussdiskussion wurde betont, dass die Landesgeschichte besonders die Komplexität und Ambivalenz des Westfälischen Friedens sowohl in den Bestimmungen als auch in den Folgen deutlich machen könne. Insbesondere mit der Reichsgeschichte wurden Chancen für Verknüpfungen gesehen. Wichtig war auch, dass der Westfälische Frieden durch das Normaljahr konfessionelle Indifferenz in den Territorien unmöglich gemacht hätte. Hier bestünde für mikrogeschichtliche Studien noch erhebliches Potenzial. Allgemein böten die umfangreichen Quellenbestände zum Westfälischen Frieden und der Zeit danach – besonders im Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien oder im Rahmen der Acta Pacis Westphalicae (umfangreiche Edition der Quellen zum Westfälischen Friedenskongress)1 – eine gute Grundlage für landesgeschichtliche Fragestellungen. Zudem bleibe die Frage nach dem Wiederaufbau von zerstörter Infrastruktur, brachliegender Landwirtschaft und gesellschaftlichen Beziehungen im Reich sowohl während der Verhandlungen als auch nach dem Friedensschluss weiterhin ein Forschungsdesiderat. Die Erforschung des Westfälischen Friedens und seiner Auswirkungen auf landesgeschichtlicher Ebene müsse also intensiviert werden. Gerade in Verbindung mit Reichsgeschichte und auch europäischen Kontexten bestünden hier gute Möglichkeiten, die verschiedenen Dimensionen innovativ miteinander zu verknüpfen.

Konferenzübersicht:

Sektion I Territoriale Machtverschiebungen
Moderation: Gerd Steinwascher (Oldenburg)

Podiumsdiskussion – Impulse zur europäischen, reichspolitischen und landesgeschichtlichen Dimension: Christoph Kampmann (Marburg) / Michael Rohrschneider (Bonn) / Georg Schmidt (Jena)
Moderation der Podiumsdiskussion: Ulrich Niggemann (Augsburg)

Beate-Christine Fiedler (Stade): Bremen-Verden als deutsche Provinz der schwedischen Krone. Die territorialen Machtverschiebungen in der Elbe-Weser-Region nach dem Westfälischen Frieden und ihre Folgen

Indravati Félicité (Paris/Greifswald): Die Ruhe des Nordens wahren – doch für wen? Die französische Sicht auf die territorialen Machtverschiebungen in Schleswig-Holstein und Hamburg nach dem Westfälischen Frieden

Matthias Asche (Potsdam): Brandenburg-Preußen und seine Nachbarn. Die territorialen Machtverschiebungen im Nordosten des Reiches zwischen dem Westfälischen Frieden und dem Großen Nordischen Krieg

Abendvortrag im historischen Friedenssaal

Siegrid Westphal (Osnabrück): Die Wirkungen des Westfälischen Friedens auf regionaler, reichischer und europäischer Ebene

Sektion II Konfessionelle Veränderungen
Moderation: Marian Füssel (Göttingen)

Hans-Georg Aschoff (Hannover): Konfessionskonflikte im Hochstift Hildesheim nach dem Westfälischen Frieden

Gerd Steinwascher (Oldenburg): Capitulatio perpetua Osnabrugensis – reichsrechtliches Management für einen konfessionspolitischen Konflikt

Frank Kleinehagenbrock (Würzburg): Konflikte im Frieden. Das Normaljahr des Westfälischen Friedens und die Konfessionslandschaften im Alten Reich

Sektion III Wiederaufbau und Kontinuitäten
Moderation: Heike Düselder (Lüneburg)

Silke Wagener-Fimpel (Wolfenbüttel) / Bettina Jungklaus (Berlin): Who was who in Wolfenbüttel? - Rekonstruktion einer städtischen Oberschicht im 17./18. Jahrhundert

Jan-Philip Bothe (Göttingen): Plage und Gewinn. Empfehlungen zum Umgang mit Kriegszerstörungen von der Hausväterliteratur bis zu agrarökonomischen Schriften

Eva Ortlieb (Wien): Kriegsbedingte Verschuldung vor dem Kaiser: Die Kommissionen des Reichshofrats

Anmerkung:
1 Das Editionsprojekt ist in großen Teilen auch digital unter https://apw.digitale-sammlungen.de/ (15.11.2023) zugänglich.

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