Das Thema des Historikertags, Kommunikation und Raum, war in dieser Sektion in mehrfacher Weise präsent: in den Themen, die von der Kommunikation im Raum handelten; in einer eifrigen Schar von Technikern, die dafür sorgten, daß eine Bild- und Ton-Übertragung der Sektion in den virtuellen Raum des Internet hinausgestrahlt wurde (und dazu beitrugen, die etwa 80 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, auf die eine der Kameras gerichtet war, über ihre eigene kommunikative Wirkung nach außen nachdenken zu lassen); und in der Erkenntnis, daß Raum ein Kommunikationshindernis bleibt. Aus persönlichen Gründen konnten drei der fünf Referenten nicht in Kiel anwesend sein, so daß von ihren Beiträgen nur eine von Ralf Roth in seine Einleitung integrierte Thesenzusammenfassung blieb.
Ziel der Sektion war es, dem Bild der Organisation von Nationalstaaten des 19. und 20. Jahrhunderts als Flächenstaaten, die auf Karten durch einheitlich eingefärbte Gebiete wiedergegeben sind, das Bild einer vernetzten Kommunikation zwischen Städten gegenüberzustellen, die sich gegenseitig - zumal dann, wenn es sich um Metropolen von europäischem oder Weltrang handelte - oft viel ähnlicher waren als den ländlichen oder kleinstädtischen Regionen "ihrer" Länder.
Die Frage nach Charakter, Ausmaß und Grenzen dieser Vernetzung wurde sowohl mit Blick auf reale Kommunikation - in Ralf Roths Beitrag über die Eisenbahn sowie in Dirk Schuberts (entfallenem) Beitrag über Verkehr in London und Hamburg - als auch mit Blick auf intellektuelle Netzwerke gestellt - in Dieter Schotts Beitrag über das internationale Netzwerk der Stadtreformer, in Rainer Liedtkes (entfallenem) Beitrag über "Bankiers als Träger europäischer Kommunikation" und in Dieter Heins (ebenfalls entfallenem) abschließendem Gesamtüberblick über "Europäische Metropolen? Zu den Knotenpunkten im Netz europäischer Kommunikation".
So bedauerlich das Fehlen der Beiträge auch war - das methodische Potential der Verbindung von Forschungsansätzen zu realen Verkehrsmöglichkeiten zwischen Knotenpunkten und der Diskussion über die Wirkung personeller Netzwerke, die sich in diesen Knotenpunkten konzentrierten und mit ihnen beschäftigen wurde bei Schott und Roth hinreichend deutlich. Zudem war die größere chronologische Konzentration durch den Fokus auf die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts insofern spannend, als sie durch ihren Bezug zur Vorgeschichte des 1. Weltkriegs nicht nur die Folgen der Netzwerke, sondern auch die Stärke oder Schwäche derselben im Vergleich zu den Flächenstaaten thematisierte.
Dieter Schott ging in seinem Beitrag "Die Stadt als Thema und Medium europäischer Kommunikation" vom Hausmann'schen Paris als Modellstadt des 19. Jahrhunderts aus. Paris setzte durch die radikale Umgestaltung der bestehenden Stadtlandschaft nicht nur international gültige Standards von Urbanität, sondern zeigte auch das Potential einer Stadtplanung, die - sozusagen zweidimensional - auf dem Durchbruch von Straßen und der Neuordnung von Verkehrswegen beruhte. Stadtplanung dieses Typs wurde von internationalen Experten seit den 1830er Jahren gefordert, die, von englischen Erfahrungen ausgehend, übervölkerte, allzu enge Stadtviertel als einen Grund für die gesundheitlichen Risiken des Stadtlebens, vor allem der Cholera, identifiziert hatten. Seit den 1880er Jahren verschob sich der Schwerpunkt der medizinischen Erwägungen durch die Fortschritte der bakteriellen Medizin von der Stadt als Ganzes auf die sanitäre Gestaltung individueller Wohnungen. Eine gewisse Führungsrolle bei der ingenieurtechnischen Stadtentwicklung kam der deutschen Stadtplanung zu, die sich allerdings weiterhin auf die Planung neuer Vorstädte und Erweiterungsviertel einerseits, sowie die Planung durch Anlage von Straßenzügen und der darunter liegenden Stadttechnik (Kanalisation, Gas- und Wasserversorgung) andererseits konzentrierte. Nach 1890 erfolgte eine Erweiterung in die dritte Dimension, welche Höhe und Anordnung von Gebäuden und ästhetische Aspekte stärker in die Planung mit einbezog. Im Kern von Schotts Betrachtung stand weniger der Inhalt der Stadtplanung als das internationale Netzwerk von Stadtplanungsexperten, welches sich besonders nach 1900 auf Kongressen traf, in Verbänden organisierte und durch Informationsreisen auf dem neuesten internationalen Stand hielt.
Die Ausbildung dieses Netzwerks war in gewisser Weise paradox. Seine politische Notwendigkeit beruhte auf der Bedeutung der Stadtplanung für den Degenerationsdiskurs - Stadtplanung auch als Mittel der langfristigen Bevölkerungsverbesserung, nicht zuletzt zu militärischen Zwecken in einem Klima eskalierender internationaler Konkurrenz. Die Stadtplaner selbst waren aber von einem tendenziell internationalen technokratischen Fortschrittsglauben erfüllt und reagierten dementsprechend auf den abrupten Abbruch der internationalen Beziehungen 1914 mit Erstaunen und Bestürzung. Die an die Präsentation anschließende Diskussion konzentrierte sich denn auch auf die Beziehung zwischen internationalem technischem Fortschritt und nationalen politischen Zielen - den Einfluß der Stadtplaner auf die "große Politik", Unterschiede zu anderen internationalen Technokratennetzwerken und die sozialen Konzepte der Stadtplaner.
Während es Dieter Schott um die Planung des urbanen Fortschritts ging, konzentrierte sich Ralf Roth auf die Effekte des verkehrstechnischen Fortschritts. In einer Reihe plastischer Abbildungen führte er die Entwicklung des Phänomens, daß Reisezeiten zwischen großen Städten wesentlich geringer sind als zwischen gleich weit entfernten Punkten in der Peripherie, anhand von Eisenbahnreisezeiten vor. Eisenbahnen führten insofern zur Erfahrung einer selektiven Verkürzung von Räumen, vor allem zwischen den großen Städten, die zeitlich näher aneinander rückten. Ausgehend von den Postkutschennetzwerken des 18. Jahrhunderts, die eine ganze Reihe von Techniken, welche auch die Eisenbahn prägen sollten (fixe Fahrpläne auf festgelegten Routen, Berechnung der Reisekosten nach der zurückgelegten Entfernung usw.) vorwegnahmen, schilderte Roth eindrücklich die Folgen: Vernetzung von Metropolen, planmäßige Erschließung touristischer Regionen, die nahe an Bevölkerungszentren lagen, Neugliederung des städtischen Raumes vor allem durch periphere Villenviertel an Stadtbahnen. Der Widerspruch zwischen dem stadtplanerischen Ziel von Arbeiterstädten im Grünen und der Realität klein- bis großbürgerlicher Villenviertel stellte einen Fokus der Diskussion dar. In wie weit war die von Roth geschilderte Mobilisierung ein Klassenphänomen? Roth verwies vor allem auf die Institution der "4. Klasse" bei deutschen Eisenbahnen, die bis zu 50% der Reisenden in Waggons ohne Möblierung zu erschwinglichen Preisen beförderte und Migration, die vorher zu Fuß erfolgte, ablöste.
Wie bei jeder guten Sektion stand am Ende eine Mischung aus Forschungsergebnissen und Forschungsdesideraten. Während die von Schott und Roth beschriebenen Phänomene durch beide Vorträge und zu erwartende Publikationen umfassend erforscht scheinen, bleibt die Frage bedenkenswert, wie beide Geschichten sich in die in den letzten Jahren erneut in Fluß geratene Debatte über den Grad der Nationalisierung europäischer Gesellschaften vor 1914 einordnen lassen. Das in beiden Beiträgen geschilderte Phänomen der Metropolen, welche mit anderen Metropolen und intern durch Stadt- und U-Bahnen vernetzt und als internationale Erscheinung untersucht wurden, steht - wie vor allem Roth betonte - der Realität unserer globalisierten Welt sehr nahe und legt es auch nahe, von einer ersten Ära der Globalisierung zu sprechen. Dem steht jedoch erstens gegenüber, daß die Realität ländlicher Lebensräume, die zwar auch in rasantem Wandel begriffen waren, aber eben doch die Peripherie der Globalisierung darstellten, noch wesentlich bedeutsamer war; zweitens, daß die immer schärfer formulierte Konkurrenz zwischen Staats- und Gesellschaftssystemen, welche ähnliche Techniken (etwa Stadtplanung oder auch Sozialversicherung oder Wirtschaftsstatistiken) in ganz anderer gesellschaftspolitischer Absicht zu nutzen zumindest vorgaben, eine wesentlich prominentere Rolle spielte als in der heutigen, oft von internationalen Sachzwängen dominierten politischen Diskussion. Insofern stellte sich auch die Frage nach der lebensweltlichen Rolle der neuen Raumerfahrung und ihrer politischen Implikationen. Diese Frage am konkreten Fall aufgeworfen zu haben, ist gewiß nicht der geringste Erfolg der Sektion gewesen.