Die besetzte res publica (Halle, 20.-21.9.2001)

Die besetzte res publica (Halle, 20.-21.9.2001)

Organisatoren
Arbeitskreis Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit e.V.
Ort
Halle, Interdisziplinäres Zentrum für die Erforschung der Europäischen Aufklärung (I.Z.E.A.) der Martin-Luther-Universität
Land
Deutschland
Vom - Bis
20.09.2001 - 21.09.2001
Url der Konferenzwebsite
Von
Geffarth, Renko

Die besetzte res publica. Zum Verhaeltnis von ziviler Obrigkeit und militaerischer Herrschaft in besetzten Gebieten vom Spaetmittelalter bis zum 18. Jahrhundert

Vierte Tagung des Arbeitskreises Militaer und Gesellschaft in der Fruehen Neuzeit e.V. 20./21. September 2001 in Halle, Interdisziplinaeres Zentrum fuer die Erforschung der Europaeischen Aufklaerung (I.Z.E.A.) der Martin-Luther-Universitaet

Im Mittelpunkt der gemeinsamen Arbeit waehrend der zwei Tage stand die naehere konzeptionelle und inhaltliche Bestimmung des Phaenomens ,militaerische Besetzung' in der Vormoderne. Dabei wurde erstmals die chronologische Perspektive der Tagung ueber die Epochengrenzen des seit 1995 bestehenden Arbeitskreises hinaus bis ins hohe Mittelalter ausgedehnt und auch aussereuropaeische Raeume in den Blick genommen. Diese Erweiterung, zu der auch der oeffentliche Abendvortrag zur voelkerrechtlichen Dimension von Besetzung beitrug, entsprach der Absicht der Veranstalter Markus Meumann (Halle) und Joerg Rogge (Mainz), mit der Tagung systematische Ueberlegungen anzustossen und eine Phaenomenologie von Besetzung und ihren determinierenden Faktoren im Mittelalter und in der Fruehen Neuzeit zu entwerfen. Dies wurde von den Referenten wie auch von den uebrigen Teilnehmern durchweg als bereichernd empfunden.

Dem chronologischen Aufbau der Tagung entsprechend machte den Anfang eine Sektion unter dem Titel "Militaerische Besetzung im Politischen Denken des Mittelalters". Ernst-Dieter Hehl (Mainz) fragte nach "Eroberung und Herrschaft im Denken des hohen Mittelalters" und stellte fest, es sei grundsaetzlich zwischen zeitlich begrenzter Herrschaft durch Besetzung und dauerhafter Herrschaft durch Eroberung zu differenzieren. Ersteres habe allerdings im hohen Mittelalter kaum eine Rolle gespielt; vielmehr sei die Idee der Herrschaftskontinuitaet bestimmend gewesen, die zu einem Austausch eines als unrechtmaessig oder ins Unrecht gefallen betrachteten Herrschers durch Eroberung seines Herrschaftsgebietes legitimiert habe. Die militaerische Aneignung eines Gebietes sei somit als Wiederherstellung eines zwischenzeitlich gestoerten Zustandes begriffen worden, wie Hehl am Beispiel des ersten Kreuzzuges und der spanischen Reconquista erlaeuterte.

Juergen Paul (Halle) weitete in seinem Referat die Perspektive geographisch und kulturell auf den "Iran unter den Mongolen". Anhand der mongolischen Eroberung der iranischen Stadt Buchara im 13. Jahrhundert schilderte er das von vornherein auf Expansion abzielende Vorgehen der Mongolen unter Dschinghis Khan. Im Unterschied zum christlichen Europa habe es im islamischen Kontext keine Verrechtlichung solcher Eroberungen gegeben, gleichwohl bedienten sich die Eroberer zur Sicherung ihrer Herrschaft der etablierten lokalen Eliten und konnten somit eine gewisse Akzeptanz ihrer Herrschaft erlangen. Auch hier lag weniger ein Fall voruebergehender Besetzung vor; die eroberten Gebiete wurden vielmehr unmittelbar in das Mongolenreich integriert. Diese bereits von Ernst-Dieter Hehl getroffene Unterscheidung sollte im weiteren Verlauf der Tagung eine zentrale Kategorie zur Charakterisierung von Herrschaftswechseln darstellen.

In der zweiten Sektion mit dem Obertitel "Militaerische Besetzung im Spaetmittelalter" referierte zunaechst Stephan Selzer (Halle) ueber "Die Festung in der Stadt. Stadtherrliche Zwingburgen in Deutschland und Italien" und nahm mit der Untersuchung der symbolischen Bedeutung von innerstaedtischen Festungsbauten eine staerker kulturgeschichtliche Perspektive ein. Schon in der zeitgenoessischen Wahrnehmung galten Zwingburgen als Symbol der Despotie, Stadtmauern hingegen als Symbol der Freiheit, und folgerichtig stellte sich das Spaetmittelalter als Abfolge von landesherrlichen Stadtunterwerfungen und stadtbuergerlichen Erhebungen dar, die immer auch in Errichtung und Niederreissung von Festungsbauten ihren Ausdruck fanden. Selzer unterschied hierbei zwischen der in Italien vorherrschenden Praxis von Stadtnotabeln, ihre beherrschende Stellung durch die Errichtung von Befestigungen innerhalb der Stadt zu unterstreichen, und den von aussen in die Stadt gesetzten Zwingburgen der Landesherrn im Reich, wie sie etwa nach den Unterwerfungen von Berlin 1442 oder Mainz 1462 erbaut wurden.

Die Rolle und das Schicksal der Bevoelkerung in besetzten Gebieten nahm Martin Kintzinger (Muenchen) in den Blick und wies in seinem Vortrag "Der Auftrag der Jungfrau. Das besetzte Frankreich im Hundertjaehrigen Krieg" auf die unterschiedliche Wahrnehmung von Besetzung durch Eliten und Unterschichten hin. Waehrend erstere den Krieg als rein dynastische Angelegenheit betrachteten und die Leiden der Bevoelkerung lediglich moraltheologisch verurteilten, sei fuer letztere die sich aus wechselnder Herrschaft ergebende Unsicherheit entscheidend gewesen. Widerstand gegen Besetzung habe oftmals rein wirtschaftliche Gruende gehabt und sich im Falle des besetzten Frankreich nicht unbedingt gegen die englischen Besetzer gerichtet, sondern in erster Linie gegen eine drueckendere Herrschaft, die eher von franzoesischer Seite ausgeuebt wurde. Dennoch sei der Befreiungskrieg der Jeanne d'Arc allgemein begeistert aufgenommen worden, wenngleich er sich auf einen goettlichen Auftrag, nicht auf ein politisches Programm bezog.

Joerg Rogge (Mainz) fragte in seinem Kommentar zu den beiden ersten Sektionen nach uebergreifenden Handlungsmustern der vorgestellten Beispiele und hob die utilitaristische Haltung der staedtischen Oberschichten sowie die Beobachtung hervor, dass die Verwaltungsstrukturen der eroberten oder besetzten Gebiete zumeist unangetastet blieben. Neben der normativen Ebene sei aber die symbolische Ebene unumgaenglich fuer ein genaueres Verstaendnis des Phaenomens Besetzung. Ab dem 14. Jahrhundert erscheine Besetzung als Variante militaerischer Politik in Europa, es seien aber unterschiedliche Rahmenbedingungen zu beachten. So seien bei der Unterwerfung von Staedten im Reich im 15. Jahrhundert im Grunde alte Rechte reaktiviert worden, waehrend in Frankreich ganze Landstriche eher im modernen Sinne besetzt wurden. Rogge wies auch auf die Problematik des Quellenbegriffs ,Okkupation' hin, der sich etwa in Heeresordnungen des Spaetmittelalters so nicht finden lasse. Fuer das Hochmittelalter sei das Eroberungsrecht wichtiger gewesen, da faktisch keine nur voruebergehende Herrschaft angestrebt worden sei. Nichtsdestoweniger sei Besetzung aber weder ein neuzeitliches noch ein originaer europaeisches Phaenomen.

In seinem oeffentlichen Abendvortrag "Besatzungsrecht im Voelkerrecht" beleuchtete Heinhard Steiger (Giessen) die Entwicklung der juristischen Vorstellungen von Besetzung vom spaeten Mittelalter bis ins 18. Jahrhundert und stellte dabei heraus, dass dieser gesamte Zeitraum eine einzige Epoche des Voelkerrechts bilde, in der trotz Veraenderungen der voelkerrechtlichen Lehre von einer theologischen hin zu einer juristischen das Christentum die Grundlage gebildet habe. Das moderne Verstaendnis von Besetzung als Pfand zur Bewaeltigung eines Krieges mit klar geregelten Rechten und Pflichten der Besetzer wie der Besetzten unterscheide sich fundamental von der spaetmittelalterlichen und fruehneuzeitlichen Handhabung dieses Kriegsinstruments. Neben der Frage nach der Legitimitaet des Krieges als gerechtem Krieg, der der Wiederherstellung des als verletzt betrachteten Rechts diente und somit auch Straf- und Angriffskriege erlaubte, sei fuer den betrachteten Zeitraum besonders zu beachten, dass ein besetztes Gebiet unabhaengig von eventuellen spaeteren vertraglichen Regelungen einschliesslich der Rueckgabe an den vorhergehenden Herrschaftstraeger faktisch ebenso unter der Herrschaft des Besetzers stand wie dessen eigenes Herrschaftsgebiet. Der Besetzer hatte somit die volle Verfuegungsgewalt, obwohl es sich juristisch um einen Uebergangszustand handelte. Veraenderungen vom 14. zum 18. Jahrhundert betrafen dagegen laut Steiger vor allem den Umgang der Besetzer mit der Kriegsbeute, also den materiellen Guetern des besetzten Gebietes, sowie die Behandlung der Bevoelkerung einschliesslich feindlicher Militaerangehoeriger. Die Pluenderung des besetzten Gebiets zur Unterhaltung der Truppen wurde zunehmend durch Kontributionen an die Besetzer abgeloest, und neben naturrechtliche Erwaegungen traten die Grundsaetze der Notwendigkeit und Billigkeit.

Der zweite Tag der Tagung war dann ganz auf die Fruehe Neuzeit konzentriert und folgte auch hier der Chronologie. Den Anfang machte Paul Baks (Groningen) mit einem Vortrag ueber "Friesland unter wettinischer Herrschaft 1498-1515": Die Herrschaft Friesland genoss im Reich des spaeten 15. Jahrhunderts das Privileg, regelmaessig einen Regenten aus ihren eigenen Reihen waehlen zu koennen. Die daraus resultierende relative Schwaeche nutzte der saechsische Herzog Albrecht 1498, als er zur Vermeidung von dynastischen Teilungen Sachsens mit Erlaubnis Kaiser Maximilians einen Vertrag mit den Friesen ueber die wettinische Regentschaft als Potestat in Friesland schloss. Aus kulturellen und geographischen Gruenden war die nachfolgende Besetzung Frieslands jedoch instabil und abhaengig vom Wohlwollen der lokalen Eliten. Die neugeschaffene Zentralverwaltung und das Auftreten von Albrechts Sohn Heinrich als Verweser fuehrten 1500 zum Aufstand der Friesen, in dessen Folge die Sachsen die vertraglichen Beschraenkungen von 1498 hinter sich lassen konnten. Auch die autoritaere Herrschaft von Heinrichs Bruder Georg blieb freilich fragil, und friesische Erhebungen veranlassten ihn 1514 zum Verkauf des Herrschaftsgebiets an die Habsburger. Obwohl sich laut Baks die Besetzung Frieslands in mehrere Phasen unterteilen laesst, handelte es sich hier zumindest nach den Intentionen der Wettiner wiederum nicht um einen Uebergangszustand, wenngleich der urspruenglich zugrundeliegende Vertrag einen besonderen Charakter von Fremdherrschaft ausweist.

Komplementaer zu dieser eher politik- und diplomatiegeschichtlichen Sichtweise legte Denis Crouzet (Paris) verstaerktes Augenmerk auf die Bedeutung symbolischen Handelns unter den Bedingungen von Besetzung. In seinem Vortrag "Les strategies symboliques d'occupation de l'espace urbain au temps des premières guerres de religion" beschrieb er das unterschiedliche Vorgehen der Katholiken und Protestanten im Frankreich der Religionskriege in den Jahren 1562-1572. Die jeweils ueberlegene Religionspartei bemuehte sich, den Stadtraum symbolisch und auch praktisch in teilweise grausamen Handlungen von der unterlegenen Konfession zu ,reinigen', damit er wieder den Anspruechen Gottes entspreche; dabei verfolgten die Protestanten vorrangig das Ziel, die Symbole der Katholiken zu vernichten und die Erinnerung auszuloeschen, waehrend die Katholiken ihrerseits versuchten, ,lieux de memoire' zu schaffen, die an die Ausrottung der Haeresie und der Haeretiker erinnern sollten und deren Funktion von Prozessionen unterstuetzt wurde.

Ludolf Pelizaeus (Mainz) betonte in seinem Kommentar wiederum den Charakter der Besetzungen in Frankreich und Friesland als dauerhafte Herrschaftsform, besonders im Falle der franzoesischen Religionskriege, da eine religioes ,gereinigte' Stadt unmoeglich den ,Haeretikern' zurueckgegeben werden konnte. Die Besonderheiten der beiden vorgestellten Fallbeispiele lagen nach Pelizaeus in der Besetzung eines vorher nicht zentral verwalteten Gebiets (Friesland) und in der normalerweise nicht zur Praxis der Besetzung gehoerenden Ausrottung der Bevoelkerung (Frankreich). Daran anschliessend stellte er die Frage, ob die symbolische Inszenierung von Gewalt ein singulaeres Phaenomen oder etwa auch im Reich anzutreffen sei.

Dieses bildete dann wieder fuer die Beispiele von Besetzung im 17. Jahrhundert den Hintergrund. Markus Meumann (Halle) befasste sich in seinem Referat ueber "Die schwedische Herrschaft in Mitteldeutschland waehrend des Dreissigjaehrigen Krieges (1631-1635)" insbesondere mit der Person des von den Schweden als Statthalter von Magdeburg und Halberstadt eingesetzten Fuersten Ludwig von Anhalt. Als dessen zentrale Regierungsleistung kann die Wiedereinfuehrung des evangelischen Kirchen- und Schulwesens in den teilweise rekatholisierten Stiftern Magdeburg und Halberstadt und Halle gelten; allerdings geriet die Statthalterregierung wegen der zunehmenden Lasten der schwedischen Besetzung bald in Bedraengnis, und 1635 erwirkte Ludwig von Anhalt nach mehreren Anlaeufen seine Entlassung. Sieben Faktoren charakterisierten die schwedische Besetzung Mitteldeutschlands: Sie war mittelfristig angelegt, beruhte auf einer Statthalterregierung und der Mitarbeit der einheimischen Eliten, legte Wert auf die Religionspolitik und die Absicherung der schwedischen Position und endete letztlich wegen des Loyalitaetskonflikts des Gouverneurs zwischen Bevoelkerung und Besetzern sowie wegen des Schwindens ihrer religionspolitischen Legitimation.

Einen Sonderfall von Besetzung stellte Michael Kaiser (Koeln) in seinem Vortrag mit dem Titel "Die vereinbarte Okkupation. Die generalstaatischen Besatzungen in brandenburgischen Festungen am Niederrhein im 17. Jahrhundert" vor, in dem er zwischen der aggressiv herbeigefuehrten kriegerischen und der vertraglich zu beiderseitigem Nutzen vereinbarten Besetzung unterschied, deren Gemeinsamkeit jedoch die Trennung von nomineller und faktischer Herrschaft blieb. Im Falle der brandenburgischen Festungen am Niederrhein profitierte zwar der eigentliche Landesherr, der brandenburgische Kurfuerst, von der Schutzfunktion der generalstaatischen Besetzer, diese hatten aber zugleich das Ziel, strategische Vorteile besonders gegenueber Spanien zu erhalten. Es war also eine langfristige Besetzung vorgesehen, die sich insgesamt relativ entspannt entwickelte. Dennoch bemuehte sich der Kurfuerst um eine Verstaerkung seiner Praesenz, und nach der episodisch gebliebenen franzoesischen Besetzung durch Ludwig XIV. stieg er schliesslich zum alleinigen Herrscher auf.

Norbert Winnige (Goettingen) nahm in seinem Kommentar die Unterscheidung zwischen dem ,ueblichen' Besetzungsfall in Mitteldeutschland und dem Sonderfall der Vereinbarung fuer die niederrheinischen Festungen auf und charakterisierte erstere als indirekte, letztere als direkte Besatzungsherrschaft, wobei sich dieser Unterschied auch in der Neigung der Besetzten zu Erhebungen niederschlagen koenne. Neben Fragen der Dauerhaftigkeit und einer eventuell daraus resultierenden Herrschaftsbindung seien aber auch konfessionelle und oekonomische Aspekte zu beruecksichtigen.

Schliesslich stand am chronologischen Ende das 18. Jahrhundert, anhand dessen in drei Vortraegen der internationale Zuschnitt der Tagung nochmals deutlich wurde. Catherine Denys (Lille) legte in ihrem Vortrag "L'occupation hollandaise à Lille 1708-1713" den Schwerpunkt auf die strukturellen Auswirkungen der niederlaendischen Besetzung der Stadt Lille, die vor allem von der zwischen Widerstand und Zusammenarbeit schwankenden Haltung der Buerger gepraegt war. Dies sei auf deren im wesentlichen auf die eigene Stadt gerichteten ,Nationalismus' zurueckzufuehren, der die Voraussetzung fuer den vergleichsweise leichten Uebergang der Herrschaft vom franzoesischen Intendanten auf die Besetzer und die geringen Schwierigkeiten waehrend der Besatzungsherrschaft bildete. Fuer die Besetzer bildete die Behandlung Lilles als eine von mehreren niederlaendischen Grenzstaedten in Anknuepfung an die Zeit vor der franzoesischen Herrschaft seit 1667 den Mittelweg zwischen einer vertraglichen Vereinbarung und der militaerischen Durchsetzung des Besatzungsrechts.

Die geographisch umgekehrte Perspektive nahm Lucien Bely (Paris) in seinem Referat "Les Francis dans les Pays-Bas pendant la guerre de la Succession d'Autriche" (1744-1748) ein und konzentrierte sich dabei auf das Verwaltungshandeln der franzoesischen Besetzer. Anhand verschiedener Fallbeispiele zeigte er, wie die neuinstallierte Administration mit dem Handeln ihrer Vorgaenger konfrontiert wurde und dabei zwischen Kontinuitaet und Implementierung eigener Praxis schwankte, und zugleich die Besetzten im Konflikt zwischen der faktischen Anerkennung der neuen Administration und Konsequenzen einer moeglichen Rueckkehr der oesterreichischen Herrschaft standen. Die franzoesische Besetzung sei, so Bely, trotz der relativ milden Besatzungsherrschaft in der Folge besonders wegen der oftmals mit militaerischem Druck eingeforderten hohen materiellen Lasten negativ bewertet worden; der Transfer franzoesischer Administration habe aber zugleich innovativen Charakter fuer dieselbe gehabt.

Die Rolle deutscher Soldaten in der britischen Besetzung des franzoesischen Kanada nach 1763 beschrieb Stephan Huck (Potsdam) und bot damit einen weiteren Ausblick ueber den innereuropaeischen Kontext hinaus. Die Braunschweiger Garnison kam in den Jahren 1776-1783 zum Einsatz und damit zu einem Zeitpunkt, als die britische Herrschaft ueber Quebec zwar bereits voelkerrechtlich sanktioniert, faktisch aber noch nicht stabil war. Zur Kontrolle der zumeist uebernommenen lokalen Behoerden und zur Durchsetzung ihrer Herrschaftsansprueche in der seit dem Quebec-Act von 1774 mit weitreichenden Freiheiten ausgestatteten Provinz setzte die britische Regierung auf die Unterstuetzung durch die Braunschweiger Truppen, was allerdings zu Konflikten mit der Bevoelkerung, verursacht insbesondere von Einquartierungen, fuehrte.

Der Kommentar von Horst Carl (Giessen) hob den in allen drei Referaten deutlich gewordenen Schwerpunkt auf dem administrativen Handeln hervor und bezeichnete das 18. Jahrhundert als eine Epoche der voelkerrechtlichen Normierung von Krieg und Besetzung. Zwar sei die Rolle der Braunschweiger Truppen in Kanada nicht so unmittelbar unter ,Besetzung' zu fassen wie der idealtypische Fall der Besetzung von Lille, doch sei jeweils der Versuch der Besetzer erkennbar, ihre zivile Verwaltung den oertlichen Gegebenheiten anzupassen. Die von der modernen Historiographie behaupteten Loyalitaetskonflikte der Besetzten seien zeitgenoessisch so nicht wahrgenommen worden, da regionale und konfessionelle ueber ,nationalen' Interessen rangiert haetten.

Mit dem Vortrag von Helmut Stubbe-da Luz (Hamburg), "Ueberlegungen zu einer vergleichenden Okkupationsgeschichte am Beispiel der Napoleonischen Besetzung in Norddeutschland", wurde die ereignisgeschichtliche Ebene dann ganz zugunsten theoretischer Reflexion verlassen. Stubbe-da Luz stellte neben dem Versuch genauerer Charakterisierung der Begriffe ,Militaerische Besetzung' und ,Okkupation' ein sieben Phasen umfassendes Modell und elf nach der Intention der Besetzer unterschiedene Arten von Besetzung vor. Die praktische Anwendbarkeit des Modells fuehrte er mit seinem am chronologischen Ende der betrachteten Epoche angesiedelten Beispiel vor, konzedierte jedoch von vornherein die Berechtigung der grundsaetzlichen Frage, inwieweit ein Modell als Erklaerungsmuster fuer beliebige Fallbeispiele betrachtet werden koenne.

Ralf Proeve (Berlin) kritisierte in seinem Kommentar denn auch, das Modell sei im wesentlichen auf die Napoleonischen Kriege zugeschnitten, damit aber nicht in gleichem Masse fuer die gesamte Fruehe Neuzeit zutreffend; das Ziel der allgemeinen Anwendbarkeit koenne nur zu Lasten einer eigentlich wuenschenswerten Genauigkeit erreicht werden; daher seien epochen- oder fallspezifische Entwuerfe dem uebergreifenden Modell vorzuziehen. Proeve stellte ausserdem fest, in der Erforschung des Phaenomens Besetzung seien stets wenigstens die wirtschafts- und sozialgeschichtliche, die kulturgeschichtliche, die politikgeschichtliche, die militaer- und die rechtsgeschichtliche Ebene zu beachten, und erst die Gesamtschau verhelfe zu einem methodischen Einstieg in das Verstaendnis von fruehneuzeitlicher Herrschaft insgesamt.

In der Abschlussdiskussion zeigten sich die fuer die weitere Forschung zu beachtenden Problemfelder des Tagungsthemas: Zum einen ist die Charakterisierung der Begriffe ,Besetzung', ,Besatzung' und ,Okkupation' noch zu unscharf - so bezeichnet ,Besetzung' einen Prozess, ,Besatzung' eher einen Zustand -, zum anderen scheint die Modellbildung weniger Erkenntniswert zu besitzen als der Versuch kategorialer und phaenomenologischer Beschreibung von Besetzung. Fuer den Vergleich von Mittelalter und Frueher Neuzeit muss darueber hinaus die unterschiedliche Quellenlage und das unterschiedliche zeitgenoessische Verstaendnis vom Begriff der schon im Tagungstitel anklingenden ,res publica' beachtet werden, was eine zunaechst nur relationale Verwendung der Begriffe nahelegt.

Inhaltlich haben sowohl die epochenuebergreifende und internationale Konzeption als auch die Konfrontation von Fallbeispielen und theoretischen Ueberlegungen unter verschiedenen geschichtswissenschaftlichen Aspekten bei aller Vorlaeufigkeit der Begriffsbildung dazu beigetragen, dass am Ende der Tagung ein erster Ueberblick ueber das Thema vorlag. Inhaltliche Kohaerenz der Beitraege und durchweg engagiert gefuehrte Diskussionen praegten das Arbeitsklima. Die Ergebnisse werden voraussichtlich als vierter Band der Reihe "Herrschaft und soziale Systeme in der Fruehen Neuzeit" im LIT-Verlag publiziert werden.


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