"Vom "Wilden Streik" bei Ford (1973) zur gleichberechtigten Teilhabe im Betrieb? Zur Geschichte der Ford-Arbeiter aus der Türkei (1961 bis 2001) - Film - Vorträge - Zeitzeugen"
Im Rahmen der Veranstaltungsreihe, die diesen Herbst zum Thema "40 Jahre Migration aus der Türkei" vom Landeszentrum für Zuwanderung in Nordrhein- Westfalen, der Stadt Köln und anderen Institutionen in und um Köln durchgeführt wurde, organisierte das "Netzwerk Migration in Europa" (Jan Motte) in Zusammenarbeit mit der IG-Metall Köln eine Veranstaltung zum legendären "Ford-Streik" Ende August 1973. Ziel war zum einen, sich dieser wohl aufsehenerregendsten Arbeitsniederlegung von "Gastarbeitern" in der Geschichte der Bundesrepublik historisch anzunähern. Zum anderen sollte danach gefragt werden, wie sich die betriebliche Integration der einst massenhaft angeworbenen ausländischen Arbeitnehmer im Laufe der Jahre entwickelt hat. Besonderer Zündstoff entstand dadurch, dass es sich nicht um eine rein wissenschaftliche Veranstaltung, sondern auch um eine Diskussion mit damaligen Streikenden bzw. Mitgliedern des Betriebsrates und IG-Metall-Mitgliedern handelte.
Um den Hintergründen und Ursachen des "Ford-Streiks" auf die Spur zu kommen, präsentierten die Veranstalter zunächst Filmausschnitte aus zeitgenössischen Nachrichtensendungen (WDR, "Tagesmagazin") und einen Dokumentarfilm, der 1982, also neun Jahre nach dem Streik, gedreht wurde ("Diese Arbeitsniederlegung war nicht geplant", WDR-Fernsehfilm von Thomas Giefer und Karl Baumgarten (1982)). Diese Filmdokumente vermittelten einen Eindruck dessen, was sich vom 24. bis 30. August 1973 auf dem Werksgelände des Automobilherstellers in Köln-Niehl abspielte. Worum ging es bei dem Streik? Bei Ford waren damals ungefähr 12.000 türkische Arbeiter beschäftigt, die gut ein Drittel der Belegschaft ausmachten. Sie arbeiteten zu 90 % an den Fließbändern, die meisten von ihnen wurden für die extrem belastende Endmontage eingesetzt. Ihre seit längerem existierenden Forderungen nach verbesserten Arbeits- und Lohnbedingungen konnten sie aber nicht durchsetzen, weil sie im Betriebsrat kaum vertreten waren und die Kommunikation zwischen Betriebsrat und ausländischen Arbeitern sehr zu wünschen übrig ließ. Als es schließlich im August 1973 zu zahlreichen Entlassungen türkischer Arbeiter kam, weil viele von ihnen - wie schon in den Jahren zuvor - nicht pünktlich aus dem Urlaub zurückgekehrt waren, wuchs die Spannung. Nachdem sich die anwesenden Türken bereiterklärt hatten, die Arbeit der verspäteten Kollegen zu übernehmen, falls die Kündigungen zurückgenommen würden, der Betrieb diese Zusage letztendlich aber nicht einhielt, kam es zur spontanen Arbeitsniederlegung. Die Streikforderungen machten allerdings deutlich, dass die Entlassungswelle nur der letzte Tropfen war, der das Fass zum Überlaufen gebracht hatte: Die Türken forderten neben der Rücknahme der Entlassungen vor allem eine Mark mehr Stundenlohn, sechs Wochen bezahlten Urlaub, eine Reduzierung der Bandgeschwindigkeit sowie den Wegfall der Billiglohngruppen, denen sie fast ausnahmslos angehörten. Was sie bekamen, war lediglich das Versprechen einer Überprüfung der Entlassungen und - was allen Arbeitern zugute kam - eine einmalige Teuerungslage in Höhe von 280 Mark. Obwohl sich der Betriebsrat anfangs darum bemühte, den Streik zu koordinieren und die deutschen Kollegen miteinzubeziehen, gelang es ihm nicht, sich an dessen Spitze zu setzen. Die Türken nahmen den Streik selbst in die Hand, ernannten ihre eigenen Streikführer, die deutschen Arbeitnehmer distanzierten sich zunehmend und zum Schluss kam es zu Zusammenstößen zwischen Streikwilligen auf der einen und Arbeitswilligen auf der anderen Seite, so dass die Unternehmensleitung schließlich die Polizei herbeirief, die den Auseinandersetzungen ein Ende bereitete und die "Rädelsführer" in Gewahrsam nahm.
Die Dokumentation von 1982 zeigte auch, wie einige der Protagonisten diesen Streik rückblickend bewerteten - nämlich aus der Sicht ehemaliger Streikender als "lange Niederlage" nach einem Moment "unverhoffter Anarchie" der benachteiligten Türken, als "türkische Sache" (da beispielsweise die deutschen Arbeiter die von den Türken geforderte zusätzliche Mark ja bereits erhielten) und als Reflex auf die Enttäuschung über den IG-Metall-dominierten Betriebsrat. Selbstkritik übte 1982 auch der ehemalige Betriebsratssprecher Kuckelkorn, indem er die mangelnde Betreuung der Streikenden durch den Betriebsrat unterstrich, so dass die als Streikführer apostrophierten "Agitatoren" freie Bahn gehabt hätten. Wie sehr der Streikverlauf auch heute noch ehemalige Betriebsrats- und Gewerkschaftsmitglieder berührte, machte die intensiv geführte Diskussion der Zeitzeugen nach der Filmvorführung deutlich, die eigentlich als letzter Programmpunkt vorgesehen war.
Anschließend erläuterte Hans-Günter Kleff vom "Netzwerk Migration in Europa" und Verfasser einer Pionierstudie zur Geschichte türkischer Arbeitsmigranten die historischen Hintergründe für die Anwerbung und Zuwanderung türkischer Arbeitnehmer nach Westdeutschland. Kleff bot auch eine Erklärung für den Verlauf des Fordstreiks an, die allerdings dem soziologischen Forschungsstand der siebziger Jahre entsprang und mittlerweile kaum mehr haltbar erscheint. Insbesondere zog Kleff einen strukturellen Vergleich zwischen der Arbeitsniederlegung der Türken, die er an einer Stelle als "anatolische Bauernsöhne" bezeichnete, und traditionellen Bauernunruhen. Eine Parallele sah er dabei vor allem in der von ihm konstatierten autoritären Struktur des Fordstreiks - eine Interpretation, der sowohl der Zeitzeuge Rainer Schmidt als auch ein anwesender Vertreter von "Kanack Attak" widersprachen. Schmidt, damals SDS-Student im Betrieb und einer der wenigen Deutschen, die an dem Streik teilnahmen, betonte hingegen, dass die Türken, die das Werk besetzt hielten und durchaus keine homogene, geschlossene Gruppe darstellten, Diskussionskreise gebildet hätten. Ihm sei die von ihnen praktizierte Demokratie manchmal sogar auf die Nerven gegangen. Der zweite Vortrag von Günter Hinken (Institut für Migration und Interkulturelle Studien, Osnabrück) behandelte die Entwicklung der betrieblichen Mitbestimmung bei Ford und verglich sie mit der Situation bei Volkswagen/Wolfsburg. Dabei wurde zum einen deutlich, dass die betriebliche Integration wegen der vergleichsweise frühen arbeits- und betriebsverfassungsrechtlichen Gleichstellung ausländischer Arbeitnehmer tatsächlich sehr viel erfolgreicher verlaufen ist als die Integration in die Gesellschaft - wo es eben bis heute keine rechtliche Gleichstellung gibt. So hätten sich die Profile der Einstellungen und Entlassungen von Deutschen und Ausländern bei VW und Ford seit den 1990er Jahren einander angenähert. Zum anderen zeigte der Vergleich zwischen den beiden Werken sowie die diachrone Analyse der Betriebsratswahlen bei Ford die Ursachen dafür auf, wieso die betriebliche Mitbestimmung in Köln so problematisch verlaufen ist: Zum einen weil es sich bei Ford/Köln um die Tochterfirma eines amerikanischen Konzerns und damit um eine andere und sehr viel weniger an paritätische Mitbestimmung gewöhnte Unternehmensleitung handelte, zum anderen - und damit zusammenhängend - wegen der starken politischen Divergenzen unter den Kölner Fordarbeitern, die zu einer Fraktionierung und damit Schwächung des Betriebsrates geführt hatten. Hinken wies aber auch darauf hin, dass der zeitweilig ungewöhnlich stark ausgeprägte Listenpluralismus bei den Betriebsratswahlen bei Ford auch als Ausdruck politischer Emanzipation der Mitarbeiter zu werten sei.
Die Einschätzung und Bewertung des Streiks durch die Zeitzeugen war auch 28 Jahre danach noch sehr unterschiedlich. War er als Erfolg zu werten, wie z.B. Siegfried Brusten (IG-Metall Köln) betonte, weil der 1975 gewählte Betriebsrat als Folge des Streiks ein völlig anderes Profil aufwies und sich die IG-Metall sehr viel mehr für eine bessere Integration der ausländischen Mitarbeiter im Betrieb einsetzte? Ein türkischer Vertreter des aktuellen Betriebsrates, ebenfalls IG-Metall-Mitglied, bestätigte die positive Entwicklung und betonte die angebliche Gleichberechtigung von Ausländern und Deutschen bei Ford. Selbstkritik war kaum gefragt und fiel beispielsweise auch dem damaligen und aktuellen Betriebsratsmitglied Ernst Schwarzenberg schwer: Der Betriebsrat hätte damals hinter den Türken gestanden und wollte den Streik, der seit längerem geplant gewesen sei, führen, er sei aber eben nicht in der Lage gewesen, dies zu tun. Warum dies nicht gelang, kam hingegen trotz Rückfragen aus dem Publikum nicht so richtig zur Sprache. Weitgehend einig waren sich die Diskussionsteilnehmer in der Einschätzung, dass der Fordstreik nicht zu hoch gehängt werden sollte und die damals entstandene Spaltung zwischen deutschen und ausländischen Arbeitnehmern weniger exemplarisch als vielmehr Ford-spezifisch gewesen sei.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die historische Annäherung und Analyse des Fordstreiks das Nachsehen hatte gegenüber einer allerdings lebendigen Begegnung mit den Zeitzeugen und einem Einblick in das Rollen- und Selbstverständnis von Gewerkschaftsfunktionären, deren Mentalität und Wirklichkeitswahrnehmung doch sehr stark durch die Institution "Gewerkschaft" geprägt zu sein scheint. Insofern hätte man sich gewünscht, dass die Auswahl der Zeitzeugen vielfältiger gewesen wäre und insbesondere auch damalige deutsche und türkische Fordmitarbeiter an dem Gespräch teilgenommen hätten, die sich keinem institutionellen Rechtfertigungszwang ausgesetzt gefühlt hätten.