Wirtschaftsgeschichte u. "New Institutional Economics" (Dortmund, 04.-06.10.2001)

Wirtschaftsgeschichte u. "New Institutional Economics" (Dortmund, 04.-06.10.2001)

Organisatoren
IHK Dortmund
Ort
Dortmund
Land
Deutschland
Vom - Bis
04.10.2001 - 06.10.2001
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Von
Armin Müller, Konstanz

Eine Zusammenfuehrung von Wirtschaftsgeschichtsschreibung und den Theorien der Neuen Institutionenoekonomik schien noch vor wenigen Jahren keineswegs selbstverstaendlich zu sein. Seitdem hat sich aber einiges getan. Zumindest von Seiten der Wirtschaftsgeschichte aus scheint ein reger und fruchtbarer Prozess der Annaeherung im Gange zu sein. Dies war ein wichtiges Fazit einer wirtschaftshistorischen Tagung vom 4. bis 6. Oktober 2001 in der IHK zu Dortmund. Etwa 35 vorwiegend juengere Historikerinnen und Historiker waren nach Dortmund gekommen, um ueber die "Wirtschaftsgeschichte vor der Herausforderung durch die New Institutional Economics" zu diskutieren. Mit der Veranstaltung knuepften die Organisatoren Clemens Wischermann (Konstanz) und Karl-Peter Ellerbrock (Dortmund) an eine Vorgaengertagung zum Thema Unternehmenskommunikation an, die im Oktober 1998 in Detmold stattgefunden hatte.1 Unterstuetzt wurde die Veranstaltung durch die Gesellschaft fuer Westfaelische Wirtschaftsgeschichte (GWWG). In seiner Begruessungsrede betonte Heinrich Frommknecht, Erster Vorsitzender der GWWG, die Herausforderungen eines beschleunigten Strukturwandels fuer das westfaelische Ruhrgebiet und beschrieb die sich daraus ergebenden Veraenderungen fuer die Arbeit der GWWG.

Im Mittelpunkt der Beitraege zur ersten Sektion unter Leitung von Toni Pierenkemper (Koeln) stand die Auseinandersetzung mit "Theorieproblemen einer Wirtschaftsgeschichte im institutionellen Paradigma". Clemens Wischermann (Konstanz) eroeffnete die Diskussion mit einem Plaedoyer fuer eine Annaeherung von Wirtschaftsgeschichte und Kulturwissenschaft. Verbinde man den Institutionenbegriff von Douglass C. North mit aktuellen kulturwissenschaftlichen Konzepten, dann habe das Konsequenzen fuer zentrale oekonomische Kategorien: "Markt" und "Unternehmen". Unter Markt koenne nicht mehr eine naturwuechsige Ordnung verstanden werden, sondern funktioniere in einem historisch-kulturellen Zusammenhang. "Unternehmen" seien nicht mehr einfach eine hierarchische Alternativen zu Maerkten, sondern als alternative Sinnkonstruktionen wirtschaftlicher Koordination zu verstehen. Im Mittelpunkt des Referats von Werner Plumpe (Frankfurt/M.) stand ein kritische Bestandaufnahme des Verhaeltnisses der Institutionenoekonomik zum Handlungsmodell des Homo Oeconomicus. Er betonte die grosse praktische Rolle des Modelles bei die Durchsetzung marktkonformen Verhaltens seit dem 18. Jahrhundert und problematisierte deren populaere Ablehnung innerhalb der institutionenoekonomischen Diskussion. Die Sektion rundete Hartmut Berghoff (Goettingen) mit einer institutionellen Begruendung des Faktors "Vertrauen" fuer eine funktionierende Marktwirtschaft ab. Der Beitrag des Staates hierzu sei bisher ueber- und die marktwirtschaftliche Produktion von Sozialkapital unterbetont worden. So ergaeben sich mehrere zentrale Arbeitsfelder fuer Wirtschaftshistoriker wie z.B. die Entstehung von privatwirtschaftlichen Expertensystemen und Netzwerken, der Finanzsektor als Risikomarkt, die Rolle von Markenartikel fuer das Verhaeltnis von Anbietern und Kunden und nicht zuletzt die Unternehmensgeschichte.

Die Beitraege zur zweiten Sektion - moderiert von Karl-Peter Ellerbrock - kreisten um das Thema "Institutioneller Wandel und Wirtschaftsleistung in der Neuzeit". Zu Beginn praesentierte Oliver Volckart (Berlin) ein Erklaerungsmodell fuer die Herausbildung einer Marktwirtschaft in Mitteleuropa zwischen 1000 und 1800, das bei den anderen Teilnehmern auf nicht unerheblichen Widerspruch stiess. Den aktuellen Prozess der Europaeisierung nahm Gerold Ambrosius (Siegen) zum Anlass, einen Vergleich zur deutschen Reichsgruendung zu ziehen. Am Beispiel der Weingesetzgebung in den einzelnen deutschen Bundesstaaten nach 1871 ueberpruefte er die Theorie des institutionellen Wettbewerbs. Lutz Budrass (Bochum) nutzte in seiner Praesentation die Aussagen des Prinzipal-Agent-Theorems dazu, den relativen Erfolg der nationalsozialistischen Arbeitspolitik waehrend des Zweiten Weltkriegs zu erklaeren. Am Beispiel des Flugzeugbaus zeigte er, wie mit Hilfe des betrieblichen Vorschlagswesens und eines abgestuften Praemiensystems eine erhebliche Steigerung der Produktivitaet erreicht werden konnte. Eine Makro-Analyse des DDR-Wirtschaftssystems aus historisch- institutionenoekonomischer Perspektive nahm André Steiner (Mannheim) vor. Er plaedierte dafuer, die starke Fixierung auf Verfuegungsrechte zu durchbrechen und beschrieb die unterschiedlichen Phasen der DDR-Ökonomie mit Hilfe von Transaktionskosten- und Prinzipal-Agent-Modellen sowie der Einbeziehung machtpolitischer Überlegungen. Zum Abschluss dieser Sektion fragte Harm Schroeter (Bergen) danach, ob und wie es im 20. Jahrhundert zu einer "Amerikanisierung" der deutschen Wirtschaft im Sinne eines Transfers von Werten und alltaeglichen Verhaltensmustern gekommen sei. In mehreren Schueben seien wichtige Elemente einer amerikanischen Wirtschaftskultur in die deutsche Praxis uebernommen worden.

Die abschliessende Sektion unter der Leitung von Peter Borscheid (Marburg) und Karl-Peter Ellerbrock (Dortmund) widmete ihre Aufmerksamkeit dem Feld der Unternehmen. Diese beschrieb Karl Lauschke (Bochum) in seinem Beitrag als "marktdurchwirkte, soziale Raeume wirtschaftlichen Handelns und Entscheidens". Daraus leitete er seine Kritik am gängigen institutionenoekonomischen Agency-Theorem ab. Es sei unterkomplex, blende viele Konstellationen eines unternehmerischen Vertragsnetztwerkes aus und muesse deshalb durch sozialwissenschaftliche Erklaerungsmodelle ergänzt werden. Im zweiten Vortrag schlug Thomas Welskopp (Zuerich) vor, Unternehmen als "Koerperschaften", also als eine materielle Struktur in Zeit und Raum, zu begreifen. Einer darauf aufbauende Unternehmensgeschichte schlug er vor, analytisch zwischen "Kapitalismus" und "Industrialismus" - in Anlehnung an Marxsche Kategorien also zwischen "realer" und "formeller Subsumption" - zu unterscheiden. Es folgten zwei Referate zu Beispielen der Leinenindustrie. Ulrich Pfister (Muenster) erlaeuterte, wie in protoindustriellen Produktionsregimen Institutionen wie Markentechnik, Zuenfte und Verlagswesen Funktionen uebernahmen, die den Umgang mit asymmetrischen Informationen und unvollstaendigen Vertraegen erlaubten. Marcel Boldorf (Mannheim) arbeitete in seinem Vortrag zum Beispiel der niederschlesischen Leinenregion heraus, wie ein starres institutionelles Gefuege innovationshemmend wirkte und sich im Umbruch zur industriellen Zeit kein unternehmerisches Potential entwickeln konnte. Der zweite Veranstaltungstag wurde von Fallstudien zu Fragen der Unternehmenskultur und Unternehmenskommunikation abgerundet. Gert Kollmer von Oheimb-Loup (Hohenheim) konnte mit der Wuerttembergischen Metallwarenfabrik (WMF) ein Beispiel dafuer praesentieren, wie es einem Unternehmen im deutschen Kaiserreich gelingen konnte, mit Hilfe einer funktionierenden Unternehmenskultur Transaktionskosten zu reduzieren. Schliesslich praesentierte Anne Nieberding (Konstanz) das Substrat ihrer Forschungen zu unternehmerischer Sinnkonstruktionen bei den Firmen Bayer und J.M. Voith fuer den selben Zeitraum. Sie betonte die Bedeutung von unternehmensspezifischen Systemen betrieblicher Sozialleistungen, Lehrlingsausbildung und Kommunikationakten nach innen und aussen für erfolgreiches unternehmerisches Handeln. Beide machten eine Reduktion von Transaktionskosten am messbaren Absinken der hohen Fluktuationsraten in den jeweiligen Belegschaften fest. Den Schlusstag eroeffnete Alfred Reckendress (Koeln) mit Überlegungen, Property-Rights-Modelle nicht nur zur Untersuchung von Volkswirtschaften, sondern auch von realer Unternehmenspolitik zu verwenden. Am Beispiel der Vereinigte Stahlwerke AG in den 1920er und 1930er Jahren fuehrte er vor, wie eine Fokusierung auf Eigentums-, Verfuegungs- und Handlungsrechte konkrete Erkenntnisgewinne fuer eine Unternehmensgeschichte hervorbringen kann. Einen Blick ueber die disziplinaeren Grenzen der klassischen Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte hinaus ermoeglichte der schweizer Medizinhistoriker Flurin Condrau (Sheffield). Er beschaeftigte sich mit der Stellung der Arbeitsmedizin vor und nach dem Zweiten Weltkrieg an englischen und deutschen Beispielen. Dabei warb Condrau fuer einen Brueckenschlag zwischen Unternehmens- und Medizingeschichte: Gerade ein internationaler Vergleich von Unternehmen biete Erkenntnis ueber die Funktionsweise moderner Unternehmungen in Abhaengigkeit von unternehmenskulturellen Fragen. Christian Kleinschmidt (Bochum) wandte sich in seinem Vortrag dem Wandel unternehmerischer Lernprozesse in der deutschen Nachkriegsgesellschaft zwischen amerikanischer und japanischer Herausforderung zu. Mit seinen Beispielen beschrieb er einen Wandel von vergangenheitsorientierten "Erfahrungswissen" hin zu selbstreflexivem "Metalernen". Vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussionen um Globalisierung und die Konkurrenzfaehigkeit der deutschen Wirtschaft erinnerte Werner Abelshauser (Bielefeld) an die spezifischen Ausgangsbedingungen und Entwicklungswege des amerikanischen und des deuschen Produktionsregimes seit dem 19. Jahrhundert. Die Formung des jeweiligen Systems sei nur unter Einbeziehung des historisch- kulturellen Kontextes zu verstehen. Zum Abschluss der Tagung beschrieb Karl-Peter Ellerbrock (Dortmund) die bestehenden Defizite einer historischen Genossenschaftsforschung. Mit Hilfe eines institutionenoekonomischen Instrumentariums hoffe er, eine systematische Untersuchung von Baugenossenschaften vorlegen zu koennen.

In den Diskussionen zeigte sich, dass die Modelle und Begrifflichkeiten der Neue Institutionenoekonmik mittlerweile nicht nur fester Bestandteil der wirtschaftsgeschichtlichen Praxis geworden sind, sondern auch, dass dadurch eine ganze Reihe fruchtbarer neuer Themenfelder eroeffnet, Diskussionen angestossen und neue Erklaerungen in vielen Bereichen der Wirtschaftsgeschichte angeregt werden konnten. Wenn vor Jahren noch gerne von einer Krise des Faches geschrieben wurde, so zeigte die Tagung, dass eine junge Generation von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler engagiert daran arbeitet, diese Einschaetzung zu ueberwinden. Immer wieder wurde von den Teilnehmern formuliert, dass die oekonomische Theoriediskussion sehr viel von den Studien der Historiker lernen koenne. Die bisher eher einseitige Befruchtung der Wirtschaftsgeschichte durch die New Institutional Economics muesse so zu einem wechselseitigem Austausch weiterentwickelt werden. In den Beitraegen zur Tagung wurde deutlich, dass in diesem Prozess eine theoretisch fundierte Unternehmensgeschichte eine Schluesselrolle spielen koennte. Der Dank der Organisatoren und Teilnehmer galt so schliesslich den Mitarbeitern des Westfaelischen Wirtschaftsarchives, ohne deren engagierte Arbeit die Tagung nicht haette stattfinden koennen. Alle Beitraege werden voraussichtlich im kommenden Jahr als Sammelband veroeffentlicht.

1 Vgl. Clemens Wischermann, Peter Borscheid, Karl-Peter Ellerbrock (Hg.): Unternehmenskommunikation im 19. und 20. Jahrhundert. Neue Wege der Unternehmensgeschichte, Dortmund 2000.

Kontakt

Armin Mueller
Uni Konstanz - Fachbereich Geschichte u. Soziologie
Raum Z910, Tel. 07531/88-3098
Armin.Mueller@uni-konstanz.de


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