Land am Fluss - Zur Regionalgeschichte der Niederelbe

Land am Fluss - Zur Regionalgeschichte der Niederelbe

Organisatoren
"Arbeitskreis für Hamburger Regionalgeschichte" (Universität Hamburg), "Landschaftsverband Stade e.V.", "Maritime Landschaft Unterelbe"
Ort
Stade
Land
Deutschland
Vom - Bis
18.10.2002 - 19.10.2002
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Von
Norbert Fischer / Barbara Günther

Am 18./19. Oktober 2002 fand in Stade die interdisziplinäre Tagung "Land am Fluss - Zur Regionalgeschichte der Niederelbe" statt. Die Referentinnen und Referenten kamen u.a. aus den Fächern Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Geschichte, Volkskunde, Geografie, Biologie, Hydrografie. Die Tagung wurde gemeinsam veranstaltet vom "Arbeitskreis für Hamburger Regionalgeschichte" (Universität Hamburg), dem "Landschaftsverband Stade e.V." und der "Maritimen Landschaft Unterelbe".

Hans-Eckhard Dannenberg (Stade) hob in seiner Eröffnungsansprache das Potenzial der Niederelbe-Region für eine interdisziplinär ausgerichtete Forschung hervor. Dabei akzentuierte er die Bedeutung der Region als "maritime Kulturlandschaft". Franklin Kopitzsch (Hamburg) untersuchte, welches Bild von der Niederelbe in der Literatur seit dem 17. Jahrhundert gezeichnet wurde. Seine Betrachtungen bezogen u.a. Petrus Hesselius, Barthold Heinrich Brockes, Michael Richey, Georg Christoph Lichtenberg, Siegfried Lenz und Peter Rühmkorf ein, aber auch Landschafts- und Reiseführer des 19. und 20. Jahrhunderts. Wie er resümierte, erreichte unter den deutschen Flüssen die Elbe nicht die publizistische Bedeutung des Rheins. Holger Martens (Hamburg) widmete sich der besonderen Bedeutung des ehemaligen Fischerortes Finkenwerder bei Hamburg als Künstlerkolonie. Nach Darstellung der Geschichte Finkenwerders erläuterte er die Anziehungskraft und Verklärung der von Industrialisierung und Urbanisierung vermeintlich unberührten "Idylle" auf Hamburger Künstlerkreise seit der Zeit um 1900 - einer Zeit, als die Bedeutung Finkenwerders als Fischerhafen bereits im Schwinden begriffen war.

Olaf J. Peters (Bremerhaven) dokumentierte aus industriearchäologischer Sicht mit reichhaltigem Bildmaterial bedeutsame Zeugnisse maritimer Kultur an der südlichen Niederelbe: Häfen, Werften und Küstenschiffe, Speicher, Leuchttürme, Gedenkzeichen, Fähranlagen, Zollgebäude, Grabsteine. Insbesondere plädierte er für eine neue Nutzung bzw. eine museale Sicherung der maritim-kulturellen Tradition - zumal seiner Ansicht nach die öffentliche Sensibilität für das maritime Erbe gestiegen sei. Heinrich Reincke (Lüneburg) referierte über die hydrografischen Aspekte des Flusses und seiner Häfen. Er beschrieb die geplanten Maßnahmen zur Elbvertiefung und ihre Folgewirkungen für die Niederelbe und stellte Pläne zur Freihaltung der von der Verschlickung bedrohten Häfen an der Niederelbe vor (u.a. Dornbusch). Dabei spielt die Anlage künstlicher Speicherbecken eine wichtige Rolle.

Gerd-Michael Heintze (Balje) thematisierte am Beispiel des Landes Kehdingen die Interessenkonflikte zwischen Naturschutz, Agrarwirtschaft und Industrie. Er erläuterte die Bedeutung des Lebensraumes "am Fluss" anhand verschiedener hochspezialisierter Brutvögel und insbesondere als Rastplatz für durchziehende Vogelarten. Eindeichungen und die damit verbundene Schrumpfung der Außendeichsflächen hätten diese "Land-Wasser-Lebensräume" bereits stark eingeschränkt, bevor es zur Ausweisung von Naturschutzgebieten gekommen sei. Jürgen Ossenbrügge (Hamburg) stellte die vielschichtigen Dimensionen der Industrialisierung im Niederelbe-Raum dar. Neben den Erscheinungsformen ("nachholende Industrialisierung") erläuterte er die regionalpolitischen Implikationen und zeigte die Perspektiven der wirtschaftlichen Entwicklung an der Niederelbe auf. Insbesondere ging er dabei auf die Bedeutung der Seehäfen und der Räume Stade und Brunsbüttel ein. Zugleich problematisierte er die Auswirkungen des Strukturwandels für die "Identität" der Region. Im Rahmen des "Metropolregion"-Konzeptes erläuterte er die länderübergreifenden Planung für die zukünftige Entwicklung.

In einem öffentlichen Abendvortrag widmete sich Otto S. Knottnerus (Zuidbroek/NL) den Elbmarschen als Teil der Nordseeküste. Insbesondere thematisierte er diese Landschaft als Lebenswelt, die in vielfältigen Wechselwirkungen mit der nahen Großstadt Hamburg stand. Umgekehrt wurden aus urbaner Sicht seit dem späten 19. Jahrhundert die ländlichen Lebenswelten der Elbmarsch romantisch verklärt - wenn auch nie als rein agrarische Region wahrgenommen - oder zur Kulisse städtischer Vergnügungskultur. Knottnerus wies auf die Bedeutung bäuerlicher Selbstverwaltung innerhalb der sich ausbildenden Landesstaaten hin.

Der zweite Veranstaltungstag begann mit einem Vortrag von Jan Lokers (Stade) über ein seit dem 18. Jahrhundert angelegtes, vor allem in den Jahrzehnten nach dem Ersten Weltkrieg diskutiertes Kanalbauprojekt: den "Hansa-Kanal". Dieser sollte - quer durch Norddeutschland - das Ruhrgebiet mit der Elbe verbinden (weiter über den Elbe-Lübeck-Kanal auch mit dem Ostseeraum). Verschiedene Anrainer und Lobbygruppen organisierten sich in Kanalvereinen (u.a. Kommunen und Handelskammern). Trotz konkreter Trassenplanungen und langjähriger Werbemaßnahmen konnte sich das Projekt gegenüber der Konkurrenz von Reichsbahn und dem aufkommenden LKW-Transport nicht durchsetzen. Heike Schlichting (Stade) berichtete über ihre Studien zu Wanderarbeitern im Ziegeleigewerbe der südlichen Elbmarschen, die aufgrund der Bodenverhältnisse besonders günstigen Rohstoff boten. Im 19. Jahrhundert wurden zahlreiche saisonale Facharbeiter aus dem Lippischen für die weit über hundert Ziegeleien angeworben, die insbesondere nach dem Hamburger Brand 1842 in der nahen Großstadt ihren Absatzmarkt fanden. Schlichting schilderte Produktionsmethoden sowie Arbeits- und Wohnbedingungen der Ziegeleiarbeiter und ging auf Arbeitsschutz und gewerkschaftliche Bestrebungen ein. Carsten Walczok (Börnsen) erläuterte die historische Bedeutung von "Brückenköpfen" an der Elbe. So waren die Stadt Lauenburg bzw. das nahe Artlenburg immer wieder Schauplätze von Elbquerungen - als Furt, als Fähr- und Trajekthafen, als Kopf einer Eisenbahn- und später Straßenbrücke mit der Verbindung nach Hohnstorf am südlichen Elbufer. Am Beispiel der Geesthachter Straßenbrücke wurde die überregionale Bedeutung von Elbquerungen erläutert.

Die beiden abschließenden Vorträge widmeten sich der Geschichte des Deichbaues in ihren Wechselwirkungen mit regionaler Gesellschaft und Kultur der südlichen Elbmarschen. Michael Ehrhardt (Bremervörde) stellte die Geschichte von Deichbau und Entwässerung im Alten Land und seiner auf die "Drei Meilen" aufgeteilten genossenschaftlichen Deichverbände in ihren vielfältigen Facetten dar. Ehrhardt wies auf den Einfluss holländischer Siedler im hohen Mittelalter hin, erläuterte die Techniken und Arbeitsweisen ebenso wie die Formen der Deichunterhaltung (Kabel- vs. Kommuniondeichung) und die Funktion der Hinterdeiche. Er ging auf die Bedeutung der Sturmfluten und ihrer Folgewirkungen ebenso ein wie auf das Deichrecht u.a.m. Norbert Fischer (Hanstedt/Nordheide) wies im abschließenden Vortrag auf die historische wie auch symbolische Bedeutung des Deiches für die Entwicklung von Gesellschaft, Kultur und Mentalität an der Niederelbe hin. Er beschrieb am Beispiel des Landes Kehdingen den Deich als Symbol einer "hydrografischen Gesellschaft". Die in Kehdingen vorherrschende "personalisierte" Form der Kabeldeichung interpretierte er als symbolische Basis regionaler Widerständigkeit gegenüber staatlichen Zentralisierungs- und Vereinheitlichungstendenzen.

Ein Tagungsband ist in Vorbereitung und wird im Herbst 2003 erscheinen.

Norbert Fischer/Barbara Günther

Kontakt

Hamburger Arbeitskreis für Regionalgeschichte c/o Universität Hamburg, Institut für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Allendeplatz 1, 20146 Hamburg, e-mail: ahage@ sozialwiss.uni-hamburg.de; Landschaftsverband Stade e.V., Im Johanniskloster, 21682 Stade, e-mail: LSV.STADE @t-online.de


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Deutsch
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