"Unternehmen und Alterssicherung" 25. Wissenschaftlichen Symposium der Gesellschaft für Unternehmensgeschichte

"Unternehmen und Alterssicherung" 25. Wissenschaftlichen Symposium der Gesellschaft für Unternehmensgeschichte

Organisatoren
Gesellschaft für Unternehmensgeschichte
Ort
Köln
Land
Deutschland
Vom - Bis
05.09.2002 - 06.09.2002
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Von
Tim Schanetzky, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main

Alterssicherung durch kollektive Versicherungssysteme - dies gehört zweifellos zu den fundamentalen Errungenschaften des 19. Jahrhunderts. Erst mit dem Übergang von der agrarischen zur industriell-kapitalistischen Lebensweise stellte sich dieses Problem überhaupt, und der staatlichen Sozialversicherung gingen jahrzehntelang private Initiativen voraus. So auch die Alterssicherung in Unternehmen und von Unternehmen. Diese Tradition und den heutigen demographischen Wandel, der das überkommene staatliche Sozialversicherungsmodell auf eine harte Bewährungsprobe stellt, nahm die Gesellschaft für Unternehmensgeschichte zum Anlaß, im Rahmen ihres 25. wissenschaftlichen Symposiums nach dem Zusammenhang von Unternehmen und Alterssicherung zu fragen. Welche Funktionen übernahm die unternehmerische Alterssicherung in Deutschland? Wie erschlossen Unternehmen andererseits das Versorgungsrisiko Alter als Geschäftsfeld? Welche Auswirkungen hatten politische Rahmenbedingungen und der Aufbau eines umfassenden Systems der staatlichen Sozialversicherung? Und wie sind diese spezifischen Institutionalisierungen in international vergleichender Perspektive zu bewerten?

Nach einer Begrüßung durch Heinz Peter Roß (Axa Konzern AG, Köln) und einer kurzen thematischen Einführung durch Manfred Pohl (Gesellschaft für Unternehmensgeschichte, Frankfurt am Main) nahm Gerd Hardach (Marburg) in seinem Einführungsvortrag die "Optionen der Altersvorsorge im 19. und 20. Jahrhundert" in den Blick und hob hervor, daß die Entwicklung von Konjunktur und privaten Vermögen das Verhältnis zwischen öffentlicher und privater Alterssicherung in Deutschland maßgeblich bestimmte. Die Hyperinflation der frühen zwanziger Jahre und der neuerliche Währungsschnitt nach dem Zweiten Weltkrieg trafen die Sparvermögen besonders hart und verstärkten damit die Rolle der öffentlichen Alterssicherung. Die umlagefinanzierte öffentliche Rentenversicherung (im Kaiserreich noch als Zuschuß zur Lebenshaltung konzipiert) trat somit schon in der Weimarer Republik in eine prominentere Rolle. Ihr Leistungsniveau reichte zwar noch nicht aus, um von einem Paradigmenwechsel hin zur Existenzsicherung sprechen zu können - aber zumindest in der sozialpolitischen Diskussion wurde dieser Schritt bereits seit der Mitte der zwanziger Jahre vollzogen. Erst mit der Rentenreform von 1957 war diese Umstellung dann abgeschlossen. Insgesamt konstatierte Hardach für weite Teile des 20. Jahrhunderts damit eine Dominanz der öffentlichen Alterssicherungssysteme, während das 19. Jahrhundert noch von der Trias aus öffentlicher Mindestsicherung, privatem Sparen und familiärer Sicherung geprägt war.

Uta-Maria Niederle (Jena) eröffnete die Sektion "Unternehmenslösungen in Deutschland bis 1914", indem sie sich dem klassischen Instrument der privaten Altersvorsorge in institutionenökonomischer Sicht zuwandte: der Lebensversicherung. Ihren Aufstieg im 19. Jahrhundert führte Niederle auf die "Koevolution von Technologie und Produkt" zurück. Die Rechtsform der Versicherungsunternehmen erwies sich dabei als irrelevant für den unternehmerischen Erfolg, da alle Lebensversicherer mit strategischen Institutionenproblemen (Kontroll- und Sanktions-, Teilnahmeproblem) sowie mit der technischen Entwicklung zu kämpfen hatten (biometrisches Risiko, Aktuarwissenschaft). Erst die Lösung dieser Problemkonstellation in den Unternehmen (Marketing, technische Kalkulationsverbesserung, Gesundheitsprüfung) oder in ihrer Umwelt (Justiz und Versicherungsaufsicht, Gesundheitswesen, Steuerbegünstigung) habe letztlich zum Erfolg der Lebensversicherung geführt.

Florian Tennstedt (Kassel) fragte in seinem Beitrag danach, inwiefern betriebliche Pensionskassen, die von Unternehmen seit Mitte des 19. Jahrhunderts verstärkt errichtet wurden, im Kalkül der staatlichen Politik überhaupt eine Rolle spielten. Generalisierende Aussagen über dieses frühe Instrument betrieblicher Alterssicherung erwiesen sich dabei angesichts der Quellenlage als äußerst schwierig. Als grundsätzliches Muster stellte er jedoch heraus, daß nicht nur bei den Pionierunternehmen fast ausschließlich Stiftungen und Arbeitgeberbeiträge die Kassen trugen - Arbeitnehmerbeiträge waren selten, und die Übertragbarkeit im Falle eines Arbeitsplatzwechsels fast immer ausgeschlossen. Trotz widersprüchlicher Angaben über die Gesamtzahl betrieblicher Pensionskassen in den unterschiedlichen Enqueten sei davon auszugehen, daß in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts gerade einmal 500.000 Personen von diesem Instrument der Alterssicherung erfaßt wurden. Aber nicht nur die quantitativ geringe Bedeutung führte dazu, daß Ministerialbürokratie und Politik im Vorfeld der Sozialversicherungsgesetzgebung nicht auf dieses Vorbild zurückgriffen. Letztlich war gerade die Bindung an den - jungen - Staat ein wichtiges Argument in der Genese der Sozialversicherung, so daß die Erfahrungen der betrieblichen Altersvorsorge kaum wahrgenommen wurden.

Günther Schulz (Bonn) untersuchte schließlich das private Sparen am Beispiel der Sparkassen: Alle quantitative Angaben wiesen keinesfalls darauf hin, daß die sich erst langsam professionalisierenden Sparkassen überhaupt eine Bedeutung für die Alterssicherung gehabt haben könnten. Zwar seien entsprechende Durchschnittswerte mit Vorsicht zu genießen, insgesamt müsse aber doch festgehalten werden, daß die Sparkassen schon deshalb nicht als Instrument nachhaltiger privater Altersvorsorge in Frage kamen, weil die Höhe der Einlagen bis in die Weimarer Republik begrenzt, die Kassen organisatorisch kaum gerüstet waren und sich zudem in der Förderung des Kleinsparwesens merklich zurückhielten. Auch die Motive des Sparens sind weitgehend unklar, auch wenn die Höhe der Einlagen und die geringe Nutzungsfrequenz nahelegen, daß das Zwecksparen im Vordergrund stand.

Toni Pierenkemper (Köln) regte in einem abschließenden Kommentar an, bei künftigen Forschungen die unintendierten Folgen sozialpolitischer Interventionen verstärkt zu berücksichtigen und politische Rhetorik als solche zu entlarven - der vielzitierte "Generationenvertrag" stelle ein Musterbeispiel dafür dar, denn letztlich handele sich dabei um eine moralische Rechtfertigung für seit 1957 betriebene generationelle Umverteilung.

Die folgende Sektion "Krisen und Neuordnung der Alterssicherung in Deutschland" wandte sich dann in chronologischer Folge der Weiterentwicklung und institutionellen Veränderung der Alterssicherung zu. Peter Borscheid (Marburg) hob die zentrale Rolle der Hyperinflation hervor. Am Beispiel der überdurchschnittlich wohlhabenden Freiburger "Kleinrentner" konnte er zeigen, daß die Inflation jene Rentiers besonders traf, die nicht mehr erwerbsfähig waren und ihre Vermögen größtenteils in Wertpapieren angelegt hatten. Daß die Geldentwertung die Notwendigkeit der Vorsorge ins Bewußtsein gerückt hatte, zeigte sich auch im dramatischen Anstieg der verkauften Lebensversicherungspolicen in der Zwischenkriegszeit. Bis 1918 sei die Lebensversicherung gerade kein weitverbreitetes Instrument der Alterssicherung gewesen, was sich nun dramatisch veränderte. Dazu trugen etwa die hohen Aufwertungssätze für Versicherungen, neue Produkte in Goldmark oder Fremdwährungen sowie Abonnentenversicherungen bei. Die Betriebspensionskassen profitierten ebenfalls vom neuen Sicherheitsbedürfnis, zumal sie dank noch höherer Aufwertungssätze gegenüber der Lebensversicherung an Boden gutmachen konnten. Weltwirtschaftskrise und Nationalsozialismus setzten die Sonderentwicklung der privaten Alterssicherung fort.

Lil Christine Schlegel (Marburg) unterstrich, daß die betrieblichen Kassen angesichts der schlechten Ertragslage der Unternehmen von der Weltwirtschaftskrise besonders betroffen waren. Dennoch nahm die relative Bedeutung der Betriebsrenten im Nationalsozialismus eher zu: Zwar stagnierte ihre Leistungsfähigkeit, freilich vor dem Hintergrund eines sinkenden öffentlichen Rentenniveaus. Das Neugeschäft der Lebensversicherer konnte sich erstaunlich rasch von der Krise erholen, obwohl die NS-Propaganda die Privatversicherung ablehnte und der Staat allenfalls den DAF-Gesellschaften Förderung angedeihen ließ. Erst der Rüstungsboom brachte dann eine Belebung des Neugeschäfts in "Groß-Lebensversicherungen", und die Übernahme des Kriegsrisikos durch die Versicherer beschleunigte diesen Prozeß nochmals. Nominell sei somit ein Aufschwung der Lebensversicherung als Instrument der Altersvorsorge im Nationalsozialismus zu konstatieren - allerdings in den meisten Fällen als private Zusatzvorsorge, denn die durchschnittlichen Versicherungssummen verharrten weiter auf niedrigem Niveau.

In den Reigen der Sonderentwicklungen reihte Udo Wengst (München) die Situation der öffentlichen und privaten Alterssicherung in den ersten Nachkriegsjahren ein. Am Ende des Zweiten Weltkrieges war die Sozialversicherung aus administrativen und finanziellen Gründen schlicht nicht mehr arbeitsfähig. Während die SMAD im Osten schon bald die Weichen in Richtung Einheitsversicherung stellte, indem sie die betrieblichen Rentenkassen auflöste und private Versicherungen enteignete und verbot, war der Fortbestand des öffentlichen Sozialversicherungssystems in den Westzonen unstrittig. Die Reichweite privater Vorsorge entpuppte sich jedoch als Streitpunkt. Mit der Schaffung einer einheitlichen Versicherungsaufsicht war der Fortbestand privater Versicherungen zwar gestützt worden - die Lebensversicherung konnte sich hingegen erst zur dritten Säule der Alterssicherung entwickeln, als die Unternehmen die Folgen des harten Währungsschnitts verwunden hatten. Die betrieblichen Rentenkassen wurden von der Abwertung ihrer Vermögen noch härter getroffen - auf Initiative der FDP passierte erst 1951 ein Gesetz den Bundestag (gegen den Widerstand der Bundesregierung), das eine "attraktivere" Abwertung der Betriebsrenten ermöglichte und Landeszuschüsse zur Refinanzierung von rund zwölf Mrd. DM erforderte.

Günther Schulz stellte in der von Werner Plumpe (Frankfurt am Main) moderierten Diskussion die These eines Paradigmenwechsels hin zur existenzsichernden Rente für die Zwischenkriegszeit in Frage - schließlich sei dieses Ziel überhaupt erst mit der Rentenreform von 1957 in greifbare Nähe gerückt. Peter Borscheid und Lil Christine Schlegel konzedierten zwar, daß das Rentenniveau der Zwischenkriegszeit in der Tat gegen diese These spreche. Allerdings sei bereits ab Mitte der zwanziger Jahre im Arbeitsministerium und später auch in der Deutschen Arbeitsfront eine intensive Diskussion über eine solche Umstellung der öffentlichen Alterssicherung feststellbar, die fraglos als Traditionslinie bei der Betrachtung der dynamisierten Renten berücksichtigt werden müsse. Am Ende blieb jedoch offen, wie dieser Widerspruch zwischen normativem Anspruch und realer Umsetzung der Existenzsicherung zu bewerten sei.

Daß es offenbar keinen "one-best-way" der Institutionalisierung von Alterssicherungssystemen gab und gibt, machte die international vergleichend angelegte Sektion "Alterssicherung in ‚ausgebauten' und ‚gezügelten' Wohlfahrtsstaaten" besonders anschaulich. In Frankreich blieb es beispielsweise bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts dabei, daß nur freiwilliges Sparen und privates Eigentum Sicherheit im Alter gewährleisten konnten. André Straus (Paris) hob hervor, daß die sozialen Folgen der Industrialisierung zwar auch in Frankreich zu einer Umstellung der Altersvorsorge (insbesondere der Arbeiter) führten, als der Staat die soziale Notwendigkeit der Alterssicherung erkannte und erstmals intervenierte - gleichwohl blieb es jedoch bis in die Zwischenkriegszeit bei einer Kombination aus Vorsorge und Hilfe. Erst nach dem Ersten Weltkrieg wurde der Systemwandel hin zur umlagefinanzierten staatlichen Alterssicherung mit Versicherungspflicht schriftlich vollzogen.

Einen anderen Weg ging Großbritannien im 20. Jahrhundert, wie Robin Pearson (Hull) zeigen konnte. Trotz der wohlfahrtsstaatlichen Reformen nach dem Zweiten Weltkrieg blieb es dort bei einem dualen System aus staatlichen und privaten Alterssicherungsinstrumenten, wobei Verbesserungen im durchschnittlichen Lebensstandard der Rentner fast ausschließlich auf die privaten Vorsorgeinstitutionen zurückgingen. Zwar war schon 1908 ein steuerfinanziertes staatliches Pensionssystem eingeführte worden - dieses konnte angesichts der enormen Kosten jedoch kaum mehr als Zuschüsse zum Lebensunterhalt zahlen. 1946 wurde dieses System dann auf eine beitragsfinanzierte Pflichtversicherung umgestellt, deren Leistungen jedoch karg blieben. Entsprechend wichtig waren die privaten Vorsorgeinstitutionen, insbesondere von Unternehmen gegründete Kassen, Pensionskassen des öffentlichen Dienstes und Gruppenversicherungen der Lebensversicherer. Pearson hob hervor, daß die britische Wirtschaftspolitik private Alterssicherung kontinuierlich förderte, insbesondere durch die Steuerpolitik. Ihr Leistungsniveau sei im Vergleich zu Deutschland aber auch dadurch erhöht worden, daß es in Großbritannien an tiefgreifenden Zäsuren vom Schlage zweier Hyperinflationen fehlte.

Dies trifft auch auf den "verspäteten Sozialstaat" Schweiz zu, wie Martin Lengwiler (Zürich) unterstrich. Das heute international als Vorbild wahrgenommene "Drei-Säulen-Modell" der Schweiz konnte auf einer kontinuierlichen und ungestörten privaten Vermögensbildung aufbauen. So war die berufliche Vorsorge schon vor 1948 weit entwickelt - und hatte insbesondere ab 1942 stark vom kriegsbedingten Boom der schweizerischen Wirtschaft profitiert. Schon in den dreißiger Jahren schrieb der Staat den betrieblichen Kassen krisensichere Rechtsformen (meist Stiftungen und Genossenschaften) vor, und heute ist die kapitalgedeckte berufliche Alterssicherung ebenso obligatorisch wie die umlagefinanzierte staatliche Rentenversicherung, die seit den sechziger und siebziger Jahren als Existenzsicherung konzipiert wurde (Kostendämpfung durch Bedarfsprinzip bei "Zusatzleistungen"). Beide Systeme haben heute das gleiche Aufkommen, und angesichts der demographischen Anfälligkeit der staatlichen Alterssicherung wird die private Vorsorge als dritte "Säule" steuerlich besonders begünstigt.

Die wohl prominenteste Rolle der betrieblichen Alterssicherung ist in Japan zu beobachten. Anna-Maria Tränhardt (Münster) hob hervor, daß die extrem umfassenden betrieblichen Leistungen auf eine Tradition zurückblicken, die bis in die zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts zurückreicht. Ihr Umfang rührt insbesondere von der oft "lebenslangen" Betriebsbindung der Arbeitnehmer, ihrer betrieblichen Ausbildung sowie den in das Modell der "Lebenszeitstellung" integrierten Senioritätslöhnen her. Dem steht andererseits ein erst 1941 etabliertes staatliches Rentensystem gegenüber, das einen traditionell gezügelten Leistungsumfang besitzt und heute durch den in Japan besonders dynamisch verlaufenden demographischen Wandel zudem vor einer schweren Krise steht.

Auch für den Fall der USA konstatierte Martin Seeleib-Kaiser (Bremen) einen relativ hohen Umfang der betrieblichen Sozial- und Alterssicherungssysteme, was er zum einen auf kulturelle Ursachen (traditionelles Mißtrauen gegenüber "dem Staat"), andererseits auf eine dezidierte staatliche Förderung zurückführte. Das System betrieblicher Alterssicherung entstand in den zwanziger Jahren, also noch vor der Einführung der gesetzlichen Rentenversicherung (1935) - oft genug erstreikten Gewerkschaften entsprechende betriebliche Sozialleistungen. Die "gewerkschaftsfreien" Unternehmen sahen sich dann in den vierziger und fünfziger Jahren angesichts eines leergefegten Arbeitsmarktes gezwungen, ihre Sozialpolitik diesen Pionierunternehmen anzupassen. Seit den siebziger Jahren, so Seeleib-Kaiser, änderte sich das Leitbild der betrieblichen Sozialpolitik und damit das der betrieblichen Alterssicherung jedoch grundlegend: Was zuvor als "kollektives Gut" galt, wurde nun zur Disposition gestellt oder aber gezielt als Leistungsanreiz eingesetzt - durch den Zusammenbruch des Börsenbooms ist dieses System nun noch zusätzlich unter Druck geraten.

In der von Peter Borscheid moderierten Diskussion bestand Einigkeit darüber, daß über die Gewichtung und das jeweilige Ausmaß von privater und öffentlicher Altersvorsorge, über ihre Finanzierung und institutionelle Ausgestaltung in den vorgestellten Staaten offenbar keine "objektiven" ökonomischen Kalküle entschieden, sondern daß die jeweilige Bewertung von Zielen und Leistungsfähigkeit letztlich nur als historischer Prozeß erklärt werden kann. Der Vergleich zeigte deutlich, wie die Industrialisierung in allen untersuchten Staaten dazu führte, daß die individuelle Rationalität die Risiken des kapitalistischen Systems nicht länger bewältigen konnte - dieser Prozeß mündete in kollektiven Sicherungssystemen, deren je spezifische institutionelle Ausgestaltung hingegen weitgehend offen war. Werner Plumpe führte diese Differenzierungen auf die Entstehung kulturell geprägter "Sicherheitsdispositive" zurück, die vor vergleichbaren Problemhorizonten mal die staatliche, mal die private Alterssicherung stärker in den Vordergrund rückten.

Die letzte Sektion widmete sich schließlich der aktuellen Diskussion über die Reform der öffentlichen und privaten Alterssicherung in der Bundesrepublik. Heinrich R. Schradin (Köln) präsentierte dafür eine empirische Grundlage, indem er das Leistungsprofil privater Alterssicherungsprodukte auf der Basis eines Renditevergleichs für die Jahre 1980 bis 1997 analysierte. Christian Rempke (Frankfurt am Main) erläuterte am Beispiel der Spezialfonds die Reaktion des Bankhauses Metzler auf die neuen gesetzlichen Rahmenbedingungen, und Karl Panzer (Berlin) unterzog die Rentenpolitik seit der Wiedervereinigung einer kritischen Bewertung in der Perspektive des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft. Den Schlußpunkt setzt dann die von Heike Göbel (Frankfurt am Main) moderierte Podiumsdiskussion, in der Josef Fischer (Staatssekretär im Ministerium für Arbeit und Soziales, Düsseldorf), Karl Panzer, Heinz Peter Roß, Bert Rürup (Darmstadt), Reinhold Schnabel (Essen) und Heinrich R. Schradin zur Zukunft der Alterssicherung Stellung bezogen.

Als Fazit bleibt festzuhalten, daß sich die Stärke des Symposiums zugleich auch als seine größte Schwäche erwies: Die Entwicklung von öffentlicher und privater Alterssicherung in Deutschland nachzuzeichnen, über den Zeitraum eines Jahrhunderts, in all seinen institutionellen und politischen Dimensionen, ist an sich bereits anspruchsvoll genug, besonders dann, wenn zudem eine gewichtige international vergleichende Perspektive gewählt wird. Dieses weite Panorama dann aber auf die Fragen der Unternehmensgeschichte zurückzubeziehen, erscheint schon strukturell hochproblematisch. Alterssicherung im Unternehmen ist nur einer von vielen Faktoren der betrieblichen Sozialpolitik, der isoliert kaum sinnvoll zu untersuchen ist. Und auch die zweite Dimension des Tagungstitels löste sich im Verlauf des Symposiums schnell auf - Alterssicherung war offensichtlich selbst bei den Lebensversicherern nur ein Teil des Geschäfts, so daß auch hier nur ein Ausschnitt untersucht werden konnte. Kurzum: Es gelang zwar, die Geschichte der öffentlichen und privaten Alterssicherung in Deutschland in vergleichender Perspektive und aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln zu betrachten - in den Arkanbereich der Unternehmensgeschichte drang das Symposium damit jedoch kaum vor.

Tim Schanetzky, M.A. (J. W. Goethe-Universität Frankfurt am Main)

Kontakt

Gabriele Pieri, Gesellschaft für Unternehmensgeschichte e.V.
E-Mail: <pieri@unternehmensgeschichte.de>


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