Anti-Amerikanismus in der Epoche des Kalten Krieges. Eine vergleichende Perspektive auf ein Ideologem der Moderne

Anti-Amerikanismus in der Epoche des Kalten Krieges. Eine vergleichende Perspektive auf ein Ideologem der Moderne

Organisatoren
Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam, Centre Marc Bloch Berlin Organisation und Konzeption: Jan C. Behrends, Herder-Institut Marburg; Árpad von Klimó, FU Berlin; Patrice G. Poutrus, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam Die Tagung wurde durch die ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius, Hamburg, und die Checkpoint Charlie Stiftung, Berlin, gefördert.
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
13.12.2002 - 14.12.2002
Url der Konferenzwebsite
Von
Jan C. Behrends, Herder-Institut Marburg; Árpad von Klimó, Freie Universität Berlin; Patrice G. Poutrus, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

Nicht nur in der aktuellen politischen Debatte über die Rolle der verbliebenen Supermacht in der Welt, sondern auch in zeithistorischer Perspektive stellt die Auseinandersetzung mit den Vereinigten Staaten von Amerika ein zentrales Thema unserer Zeit dar. Während des 20. Jahrhunderts wurden die USA in politischer, militärischer und kultureller Hinsicht zu einer europäischen Macht – mit weitreichenden Konsequenzen sowohl für Europa als auch für die USA selbst. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, in der heißen Phase des Kalten Krieges, nahm die Auseinandersetzung mit der neuen westlichen Hegemonialmacht auf beiden Seiten des „Eisernen Vorhangs“ besonders intensive Formen an. Von der Rechten, der Linken und selbst aus dem Zentrum des politischen Spektrums gab es im 20. Jahrhundert Angriffe auf die Vereinigten Staaten und ihre Kultur, die seitdem in der öffentlichen Debatte als „Anti-Amerikanismus“ bezeichnet worden sind. Die Frage, inwieweit dieser Begriff zur ideen- und gesellschaftsgeschichtlichen Analyse verschiedener amerikafeindlicher Ideologeme trägt, wurde im Dezember 2002 im Berliner Centre Marc Bloch in vergleichender Perspektive von Historikerinnen und Historikern aus Europa und Übersee untersucht.

„Anti-Amerikanismus“ wurde von der Veranstaltern als politische Weltanschauung definiert, die Aporien und Pathologien der Moderne auf das Wirken der Vereinigten Staaten von Amerika zurückführt und die USA in den Rang einer unmoralischen „Macht des Bösen“ emporhebt, die dann für die verschiedensten globalen Konflikte, gesellschaftlichen Fehlentwicklungen oder lokalen Missstände in anderen Staaten verantwortlich gemacht wird. Es geht demnach im antiamerikanischen Denken nicht um die Kritik an konkreten Entscheidungen der Politik oder Erscheinungen in Kultur und Gesellschaft der Vereinigten Staaten, sondern um eine ideologische Konstruktion, die der amerikanischen Gesellschaft unterstellt, sie habe genetische Defizite und exportiere sie. Im antiamerikanischen Weltbild erscheinen die USA als dunkle Seite der Moderne; sie avancieren in manchen Staaten oder gesellschaftlichen Milieus zum zentralen Feinbild der eigenen Nation. Die Wirkungsmächtigkeit des „Anti-Amerikanismus“ als Deutungsmuster von Konflikten in der modernen Welt rekurriert wiederum auf verschiedene nationale Identitätskonstruktionen, die – obwohl sie Amerika als omnipräsente Bedrohung wahrnehmen – die eigene Nation und ihre Kultur als der amerikanischen Gesellschaft strukturell überlegen ansehen.

Den Beginn der Tagung markierte ein Vortrag von Konrad H. Jarausch (Chapel Hill, NC/ Potsdam), der den deutschen Anti-Amerikanismus in seinen historischen Dimensionen seit dem 19. Jahrhundert schlaglichthaft beleuchtete. Jarausch definierte Anti-Amerikanismus als „generelle normative Ablehnung“ der USA und führte aus, besonders die Hartnäckigkeit antiamerikanischer Ideologeme nach 1945 stelle eine Herausforderung für die zeithistorische Forschung dar. Während er den konservativen Anti-Amerikanismus als Anti-Modernismus charakterisierte, der seine radikalste Ausprägung durch die antisemitische Aufladung unter nationalsozialistischer Herrschaft erfuhr („Onkel Sam ist Onkel Shylock“), entsprang die Amerikafeindschaft der Linken häufig aus einer Frustration über die gesellschaftliche Realität in den USA, die zu einer Verallgemeinerung der Schwächen des amerikanischen Modells einlud. Dabei konnten antiamerikanische Denkmuster in Deutschland unterschiedliche Formen annehmen: Vom plumpen „Ami go home“ der SED-Propaganda bis zur Verdammung des amerikanischen „Konsumterrors“ durch Theodor W. Adorno und Herbert Marcuse über Rudolf Bahros Kritik an der Ressourcenvergeudung des American way of life bis zu den Globalisierungsgegnern von ATTAC reichen die intellektuellen Traditionen. Während sich laut Jarausch legitime Amerikakritik nicht auf die reine Negation des amerikanischen Modells beschränkt, sieht er im Anti-Amerikanismus eine unheilvolle Allianz der Extreme im Kampf gegen die politische und gesellschaftliche Westbindung Deutschlands. Letztlich, so betonte Jarausch, habe der Anti-Amerikanismus häufig wenig mit den USA zu tun; er nutze die Vereinigten Staaten vielmehr als Projektionsfläche in einer innenpolitischen gesellschaftlichen Debatte.

Die erste Sektion behandelte die Traditionen antiamerikanischer Ideologeme in der Zwischenkriegszeit. Moderiert von Bernd Schäfer (Washington, DC) wurden hier Fallstudien zu Sowjet-Rußland, zu Ungarn und zum nationalsozialistischen Deutschland präsentiert. Markus Urban (Nürnberg) analysierte das Amerikabild des „Dritten Reiches“ im Spiegel der nach 1933 publizierten Sachbücher. Dabei konnte er nachweisen, dass es damals eine zunächst noch positive Amerikarezeption gab. Erst nach dem Kriegseintritt der USA von 1941 setzte sich das doktrinär negative und stark antisemitisch geprägte Amerikabild der Nationalsozialisten in der gesamten deutschen Publizistik durch. Árpád von Klimó (Berlin) führte aus, warum sich im autoritären Horthy-Ungarn keine Tradition antiamerikanischen Denkens etablieren konnte. Es gab seit der Revolution von 1848/49 ein sehr positives Amerikabild in Ungarn, und seit 1919 hielten sich Hoffnungen darauf, dass die USA bei einer Revision der Pariser Vorortverträge ungarische Ansprüche unterstützen würden. Schließlich war das Horthy-Regime besonders in der Anfangsphase und seit Mitte der 1930er-Jahre so stark antisemitisch geprägt, dass es bereits über ein etabliertes antimodernistisches Feindbild verfügte. Gábor T. Rittersporn (Paris/ Berlin) beschäftigte sich in seiner Präsentation mit der ambivalenten Stellung der stalinistischen Sowjetunion zu den Vereinigten Staaten, die dort gleichzeitig als Vor- und Feindbild fungierten.

Die zweite Sektion des Workshops widmete sich unter der Leitung von Árpad von Klimó dem Thema „Anti-Amerikanismus und Sowjetisierung nach 1945“. Thomas Haury (Freiburg) bewertete den Anti-Amerikanismus der SED-Propaganda wie auch die Ideologie des Marxismus-Leninismus in den Jahren 1948–1953 als strukturell antisemitisch. Diese These stieß in der Diskussion auf starke Skepsis; eine schärfere Begrifflichkeit und Differenzierung zwischen Ideologie und Propaganda wurde angemahnt. Am Beispiel der „Volksdemokratien“ Polen und Ungarn zeigten Jan C. Behrends (Marburg) und Gyula Virág (Budapest), dass der Anti-Amerikanismus einerseits ein integraler Bestandteil der performativen Kultur des Hochstalinismus war und dass andererseits jede Gesellschaft unterschiedlich auf die Propaganda der partei-staatlichen Bewusstseinsindustrie reagierte. Anhand von Stimmungsberichten konnte Behrends zeigen, dass der parteioffizielle Anti-Amerikanismus in Polen auf wenig fruchtbaren Boden stieß. Im Gegenteil: Während des Sowjetisierungsprozesses erhofften sich Teile der polnischen Gesellschaft die Befreiung vom Kommunismus durch die Vereinigten Staaten. Schließlich analysierte Wolfgang Müller (Wien), warum das negative Amerikabild der sowjetischen Besatzer kaum Einfluss auf die Öffentlichkeit Nachkriegsösterreichs gewinnen konnte.

Wiederum in vergleichender Perspektive widmete sich die dritte Sektion unter der Leitung von Alexander Stephan (Columbus, OH) der Problematik „Anti-Amerikanismus und Amerikanisierung“ im Kalten Krieg. Vanessa Conze (Tübingen) und Marcus M. Payk (Potsdam) zeigten in ihren Beiträgen am Beispiel der „Abendlandbewegung“ und des „Tat-Kreises“, wie antiamerikanisches Gedankengut das konservative Spektrum der frühen Bundesrepublik prägte. Annaliza Tsakona (Cambridge) widmete sich ihrem Beitrag den verschiedenen Ausprägungen der Amerikafeindschaft in der politischen Kultur Griechenlands nach dem Ende der Militärdiktatur 1974. Sie betonte, dass verschiedene gesellschaftliche Gruppen von der Orthodoxen Kirche bis hin zu linken Globalisierungskritikern auf antiamerikanische Stereotype rekurrierten. Schließlich beschrieb François Garçon (Paris) die ideologischen und ökonomischen Grundlagen des französischen Anti-Amerikanismus am Beispiel der dortigen Filmindustrie. Eine der Wurzeln dieses spezifischen Anti-Amerikanismus sieht er in der bleibenden Frustration über das Ende der französischen Großmachtstellung.

Die abschließende Podiumsdiskussion bestritten Konrad H. Jarausch, François Garçon, Ulrich Herbert (Freiburg) und Ingrid Gilcher-Holtey (Bielefeld). In ihrem Resümee des Workshops betonte Frau Gilcher-Holtey, Anti-Amerikanismus sei ein „Kofferwort“ (mot valise), in das alle möglichen Anliegen vom Anti-Modernismus bis zur Globalisierungskritik verpackt werden könnten. Es handele sich um keine Weltanschauung, sondern eher um ein Vorurteil, ein Ressentiment, eine mentale Disposition, die sich im Habitus bestimmter Personen und Gruppen ausdrücke. Ulrich Herbert vertrat die These, die Renaissance des Anti-Amerikanismus in den letzten 15 Jahren hänge ursächlich mit den massiven Eingriffen der USA in den europäischen Einigungsprozess zusammen. Kritiker der US-Politik sollten so mundtot gemacht werden. Als historisches Phänomen betrachtet, sei Anti-Amerikanismus besonders unter den gesellschaftlichen Eliten von Ländern in einer tiefgreifenden Modernisierungskrise anzutreffen – wobei man das Deutsche Reich um 1900 durchaus mit dem heutigen Saudi-Arabien vergleichen könne. Aus dieser Perspektive betrachtet, sei Anti-Amerikanismus primär ein Indikator für tiefgehende Modernisierungsängste.

Eine abschließende Klärung des Begriffs und Erklärung des Phänomens Anti-Amerikanismus war weder zu erwarten noch Ziel der Tagung. Anstelle festzulegen, was Anti-Amerikanismus „eigentlich“ sei, zeigte der Workshop, dass die historische Kontextualisierung in vergleichender Perspektive einen vielversprechenden Zugriff auf die Problematik darstellt. So wurde beispielsweise deutlich, dass der Anti-Amerikanismus in der Zeit vor dem Vietnamkrieg häufig auf die gesellschaftlichen Eliten begrenzt war und dass er dort, wo er von kommunistischen Regimen zum Teil der Staatsdoktrin erklärt wurde, kaum die mobilisierende Massenwirkung entfaltete, die sich die partei-staatliche Bewusstseinsindustrie von ihm erhoffte.

Aufgrund der positiven Resonanz, der Aktualität des Themas für die zeithistorische Forschung und der Ergiebigkeit vieler Beiträge planen die Veranstalter eine Publikation der Tagungsergebnisse.

Kontakt

Patrice G. Poutrus, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam
E-Mail: <poutrus@zzf-pdm.de>