Wissen - Geschlecht - Wissenschaft

Wissen - Geschlecht - Wissenschaft

Organisatoren
Arbeitskreis Geschlechtergeschichte der Frühen Neuzeit (AKGG-FNZ)
Ort
Stuttgart-Hohenheim
Land
Deutschland
Vom - Bis
06.11.2003 - 08.11.2003
Url der Konferenzwebsite
Von
Andrea Geier, Tübingen

Die Tagung "Wissen - Geschlecht - Wissenschaft", organisiert und geleitet von Maren Lorenz (Hamburg), Monika Mommertz (Berlin), Claudia Opitz (Basel) und Dieter R. Bauer (Stuttgart), hatte sich zum Ziel gesetzt, "Geschlechtergeschichte der Frühen Neuzeit im Spannungsfeld von Wissen und Wissenschaft zu verorten" (Programmtext). In zehn Vorträgen und einem Round Table wurden verschiedene historische Diskurse über "Wissen" und "Wissenschaft" vorgestellt; die Sektionen lauteten: "Vermittlung und Aneignung von Wissen", "Glauben und/oder Wissen?" und "Männer - Mythos - Wissenschaft". Die Vielfalt der betrachteten Wissensfelder, der sozialen Kontexte und der pragmatischen wie literarischen Diskurse in der Frühen Neuzeit spiegelte dabei ebenso das thematisch weite Feld des "Wissens" jenseits institutionengeschichtlicher Ansätze und Fragestellungen wie die Produktivität der Geschlechtergeschichte auf diesem Gebiet. Die von Beginn an sehr intensiven Diskussionen boten immer wieder Gelegenheit, grundlegende methodologische Aspekte zu erörtern. Besonders deutlich wurden Konkurrenzen zwischen Wissensformen bzw. unterschiedlichen historischen Konzeptionalisierungen von "Wissen" und "Wissenschaft" und die oftmals strategische Funktion geschlechtsspezifischer Zuweisungen in Bezug auf Wissensfähigkeit, -produktion und -vermittlung innerhalb dieser umkämpften Felder. Angesichts des reichen Spektrums der Tagung ließe sich höchstens kritisch anmerken, dass sich nur wenige Beiträge mit weiblichen Akteuren und ihrer Handlungsfähigkeit beschäftigten. Die meisten widmeten sich weiblicher Gelehrsamkeit und Bildung von Frauen aus männlicher Perspektive, wobei sich der Bogen hier "von der männlichen Angst vor weiblicher Wissenschaft" über gelehrte Abhandlungen, welche Chancen und Risiken weiblicher Bildung und intellektueller Arbeit erwägen, bis zu "Zwängen zu neuem Wissen" spannte.

Den Eröffnungsvortrag hielt Elisabeth Gössmann (München/Tokyo) zum Thema "Der frühneuzeitliche Streit um die Päpstin Johanna und die männliche Angst vor weiblicher Wissenschaft und Amtsergreifung". Ausgehend vom Kirchenrecht und der theologischen 'Anthropologie' der Frau im 12./13. Jahrhundert, in der die Gottesebenbildlichkeit nur dem Mann zugestanden wurde, konturierte Frau Gössmann zunächst die Unterschiede zwischen der dominikanischen und der franziskanischen Position. Beide verhandelten an der Päpstin die Frage unwürdiger Sakramentenspender. Doch während die Dominikaner ihn zum Exempel für einen "Naturdefekt der Frau" machten, verurteilen die Franziskaner diese eine betrügerische Frau. In der Reformation spitzte sich die Funktionalisierung der Päpstin-Geschichte zu und die konfessionellen Auseinandersetzungen bestimmten die Einstellung im Päpstin-Streit; gleichwohl kam dabei aus Perspektive der Geschlechtergeschichte, so Gössmann, eine "traurige Ökumene im Negativen" zustande.

Elisabeth Strauss (Berlin) stellte in ihrem Beitrag "'Science for the Ladies'. Strategien der Wissensvermittlung in populärwissenschaftlichen englischen Zeitschriften zwischen 1690 und 1760" heraus, wie Autor/-innen die wissenschaftliche Neugier von Frauen zu fördern und zu unterstützen versuchten. Die Befürwortung naturphilosophischer Studien von Frauen vollzog sich im Rahmen einer Neudefinition von Wissenschaft, dem Siegeszug der Naturwissenschaften, die auf Empirie basierten, und sie war Teil einer Popularisierungsbestrebung, die sich an wissenschaftlich interessierte Laien beiderlei Geschlechts richtete. Gleichzeitig bedurfte sie einer besonderen Legitimierung: Die Neuinterpretationen des theologisch-moralischen Diskurses spiegeln dabei auf spannende Weise, wie sich alte (Säftelehre) und neue Erklärungsmodelle mischten.

Christine Künzel (Hamburg) erläuterte in ihrem Vortrag "'Machen wir's den Tauben nach...'. Die Liebeslyrik des 18. Jahrhunderts als Medium der Sexualerziehung und Geschlechtersozialisation" die Liebeslyrik als 'allegorische Schlüsseltexte': Am Beispiel der Vögel und damit im Verweis auf das 'Buch der Natur' entwerfen diese eine ars amatoria als ein Stufenmodell, das auf das Finale, den Sexualakt, ausgerichtet ist. Dieses in der Literatur inszenierte zweckorientierte Liebesmodell wird beiden Geschlechtern als 'natürliches' Verhalten zugeschrieben . Da die Liebeslyrik keineswegs zur Sexualerziehung von Frauen, für die ein empfindsames Liebesideal galt, diente, sind sie als spielerische 'Selbstverständigungstexte' einer männlichen Sprechergemeinschaft lesbar. Das literarische 'Spiel' basiert jedoch auf einer Regelsetzung durch Männer, in der die 'Aufklärung' über die 'Natur' der menschlichen Liebe in die Legitimation sexueller Gewalt umschlagen kann.

Eva Labouvie (Magdeburg) beschäftigte sich in ihrem Vortrag "'Mehr gifft dann hülffe'. Über Zwänge zu neuem Wissen, Kompetenzen und Konkurrenzen beim Unterricht von Hebammen im 18. Jahrhundert" mit der Professionalisierung der Geburtshilfe. Innerhalb eines kurzen Zeitraums wurde die Frage 'Was ist Fachwissen?' für die Geburtshilfe neu definiert. Die Debatte um die Ausbildung der Hebammen ist dabei als Ringen um Wissensmonopole und um Positionen innerhalb eines neu zu ordnenden medizinischen Apparats aufzufassen. Die Konflikte lagen zwischen der Landbevölkerung und der Obrigkeit sowie zwischen den Dorfgemeinschaften und den approbierten Hebammen, die gegenüber dem Dorf und den traditionellen ‚Hebefrauen' mit neuem Selbstbewusstsein auftraten und neue Aufgaben sozialer Kontrolle wahrnahmen. Grundsätzlich verhalf obrigkeitlicher Zwang der Professionalisierung zur Durchsetzung. Die Tatsache, dass Hebammen sich aus eigenem Antrieb der Examinierung unterzogen, machte auf Ambivalenzen dieses Professionalisierungsprozesses aufmerksam.

Bettina Brockmeyer (Göttingen) befragte in ihrem Vortrag "Eine 'genaue Relation von dem physischen Zustande'. Wissen und Wissenschaft in Briefen von Patientinnen und Patienten an Samuel Hahnemann (1831-1835)" die Kommunikation zwischen Patient/-innen und Arzt. Die Briefe der Patient/-innen bieten viele Belege dafür, dass sie die Schriften Hahnemanns, des Begründers der Homöopathie, und weitere medizinische Fachliteratur lasen. Sie sind damit ein Spiegelbild der vielfältigen medikalen Kultur in der Mitte des 19. Jahrhunderts und ein Medium, in dem sich ein Selbstbewusstsein der Patient/-innen ausdrückt: Diese stellen auf der Grundlage ihres Wissens eigene Diagnosen und tauschen sich über die Bewertung ihrer Erfahrungen aus. Obwohl sich alle auf leibliche Erfahrung berufen und das homöopathische Wissen ihre Schilderungen strukturiert, benutzen nur Männer auch Fachvokabular. Ein Untersuchungsfeld, das vor allem auf den Zusammenhang von Autorität und Erfahrung genauer zu untersuchen wäre.

Xenia von Tippelskirch (Florenz) erläuterte in "Das mystische Modell. Der Rückzug des Intellekts an italienischen Beispielen des 17. Jahrhunderts" Traktate des 17. Jahrhunderts aus Italien. Während die Kirche versuchte, den Zugang zu Wissen zu reglementieren und auf eine Stabilisierung der eigenen Vermittlerrolle hinwirkte, beschäftigen sich viele Schriften mit Modellen des Wissenserwerbs und der Wissensvermittlung; dabei markieren sie Grenzen des Erwerbs, indem sie Wissensinhalte gezielt zusammenfassen und grundsätzlich vor zu viel Wissen warnen. In diesem Sinne bietet Cesare Franciotti in seinem Traktat 'Della giovane Christiana' seinem jungen, weiblichen Zielpublikum medizinisch-theologisches Grundlagenwissen, das er mit Beispielen für 'einfache Gemüter' erläutert. Den Rückzug des Intellekts auf die Spitze treibt jedoch die Mystikerin, die behauptet, dass sie den Intellekt für die mystische Versenkung gar nicht benötige.

Erika Hebeisen (Basel) sprach über "'Die wahre Begierde nach wahren Zeichen'. Zur pietistischen Tradition moderner Wissensweisen". Dabei stellte sie die Herausbildung einer besonderen Kulturtechnik der pietistischen Erneuerungsbewegung im bürgerlichen Milieu Basels um 1750 heraus. Anhand von Verhör- und Ratsprotokollen, Korrespondenzen und Lebensläufen untersuchte sie, wie die Suche der Pietisten nach Heilsgewissheit in Verfahren der Selbstvergewisserung als konkreten sozialen Praxen mündete. Dabei wurde der Glaube Antrieb zur Wissenschaft: Das pietistische Verlangen nach 'wahren Zeichen' habe zur Ausbildung moderner Wissensweisen beigetragen, während die Historiographie die Entwicklung der Moderne mit dem Verschwinden des Religiösen gleichgesetzt habe.

Pavel Himl (Prag) stellte "'Hussar' und 'Schatzgräberin' Christina Horn" vor, eine Frau, die Anfang des 18. Jahrhunderts in der südböhmischen Kleinstadt Cesky Krumlov/Krumau als Betrügerin angeklagt war. Sie hatte etliche Ortsbewohnerinnen dazu gebracht, ihr Geld zu geben. Horn genoss bei diesen Frauen große Autorität, die sich vermutlich aus mehreren Quellen speiste: Dem anerkannt besonderen Wissen und den Kompetenzen des Schatzgrabens, kommunikativen Fähigkeiten und einem bikonfessionellen Hintergrund, der sie für die Erinnerungen der Bewohner an die evangelische Vergangenheit des Ortes sensibel machte.

Bea Lundt (Flensburg) bot mit ihrem Vortrag über "Die Männlichkeit des Weisen und des Herrschers. Ein Vergleich zwischen einem spätmittelalterlichen und einem frühneuzeitlichen populären Erzählwerk" den einzigen Beitrag der Tagung, der das Hauptaugenmerk auf 'Männlichkeit' im Rahmen der Geschlechtergeschichte legte: Sie untersuchte die sich verschiebenden Gender-Ordnungen zwischen den Varianten der Erzähltradition von den 'Sieben weisen Meistern', in denen es um die Ausbildung eines Weisen als zukünftigem Herrscher geht. Dabei kommt es im Rahmen einer Neudefinition von 'weiser Herrschaft' zu Konflikten zwischen einem dem Mönchsmilieu verbundenen, zölibatär ausgerichteten 'Weisheitsideal' und dem 'Hofideal', in dem sich der Herrscher durch Potenz auszeichnet. Innerhalb der grundsätzlichen Spiegelfunktion, welche die Frauenfiguren im Rahmen der Ordnung des Erzählten in allen Varianten einnehmen, verändert und verschärft sich dabei auch die Auseinandersetzung um die sexuelle Bedrohung, die von der Frau ausgeht. Von zentraler Bedeutung ist jedoch, dass im Zusammenhang mit der neu zu bestimmenden 'Weisheit' eine Pluralisierung von 'Männlichkeit' und deren Konflikthaftigkeit ins Zentrum der Erzählungen rücken.

Karin Schmidt-Kohberg (München) stellte den "Diskurs über die intellektuellen Fähigkeiten von Frauen und weiblicher Gelehrsamkeit am Beispiel der sogenannten 'Frauenzimmerlexika'" vor. Dabei handelt es sich um wertende Darstellungen weiblicher Gelehrsamkeit in Zusammenstellungen gelehrter Frauen, die Vorbilder weiblicher Gelehrsamkeit boten und selbst an deren Konstruktion mitarbeiteten. Die Frage, was weibliche Gelehrsamkeit für diese Verfasser, zumeist Polyhistoren, war, führte Schmidt-Kohberg zu einer Einteilung in fünf Kategorien: Sprachfähigkeit, Publikationen, besondere Kenntnisse (das Disputieren mit Gelehrten, öffentliche Reden und Predigten), übersinnliche Fähigkeiten und Herrscherinnen. Die sorgfältige Auswahl der Quellen und die lateinischen Zitate sprechen dafür, dass die Verfasser mit diesen Lexika einem gebildeten Publikum die eigene Gelehrsamkeit vorführen und nicht nur Werke für 'Mußestunden' schaffen wollten.

Angelika Epple (Hamburg), Ute Frietsch (Berlin) und Anna Märker (Berlin) erläuterten in dem von Monika Mommertz geleiteten Round Table ausgehend von ihren eigenen Projekten unterschiedliche Fragestellungen und methodische Zugänge für die Erforschung von 'Wissen'. Den wissenschaftsgeschichtlichen (Epple: 'Empfindsame Geschichtserzählung'), den wissenschaftsphilosophischen (Frietsch: 'Dämonologie des Paracelsus') und den wissenssoziologisch orientierten Ansatz (Märker: 'Anatomische Modelle um 1800') verbindet die Frage nach den historischen Möglichkeiten und Bedingungen von Wissen. Dies zeigt sich im Versuch, die Wahrheitsstrategien der Wissensproduktion und die Strategien der Wissensvermittlung zu erfassen oder das implizite Wissen, die 'Selbstverständlichkeiten' in den Darstellungen des Wissens und ihren Kategorisierungen zu untersuchen. Für die Analyse ist es besonders wichtig die Pluralität der Wissensformen in der Frühen Neuzeit in den Blick zu nehmen und dabei Konflikte und Konkurrenzen in der Ausbildung von Wissensweisen bzw. der Entwicklung in der Wissenschaft/der Verwissenschaftlichung zu betrachten.

Die Geschlechtergeschichte setzt an der Rolle der Kategorie Geschlecht für die Konzeptualisierung von 'Wissen' und den einzelnen Akteuren und ihren Positionierungen im wissenschaftlichen Feld an. In der Abschlussdiskussion wurde nochmals herausgestellt, was für die Tagung selbst produktiv war: Dass der Ansatz der Geschlechtergeschichte vor allem über Theorie- und Methodendiskussion ein disziplinenübergreifendes Gespräch erlaubt, in dem immer auch eine Reflexion auf unsere eigene Wissensproduktion angelegt ist.