Wissenschaftliche Datenverarbeitung, E-Learning und virtuelle Welten im Fach Geschichte

Wissenschaftliche Datenverarbeitung, E-Learning und virtuelle Welten im Fach Geschichte

Organisatoren
Klaus Freitag (Universität Münster), Arbeitsgemeinschaft Geschichte und EDV e. V.
Ort
Münster
Land
Deutschland
Vom - Bis
27.11.2003 - 28.11.2003
Url der Konferenzwebsite
Von
Florian Krüpe, Seminar für Alte Geschichte, Philipps-Universität Marburg

Am 27./28. November 2003 fand in Münster eine Tagung der AGE, der "Arbeitsgemeinschaft Geschichte und EDV" e.V., statt. Über 30 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus mehreren europäischen Ländern trafen sich zum Erfahrungs- und Informationsaustausch zu den Themen "Wissenschaftliche Datenverarbeitung", "E-Learning" und "Virtuelle Welten" im Fach Geschichte. Vorgestellt wurden Projekte für unterschiedliche Zielgruppen: Fachwissenschaftler, Lehrende, Studierende, Schüler und historisch Interessierte; manche davon Ergebnis langjähriger Forschungen und interdisziplinärer Kooperationen. Ausgerichtet wurde die Tagung mit Unterstützung des Seminars für Alte Geschichte; Klaus Freitag (Universität Münster) und seinen Mitarbeitern ist für ihr Engagement bei Durchführung und Planung zu danken.

Eröffnet wurde die Tagung durch das Grußwort des Vorsitzenden der AGE, Christoph Schäfer (Universität Hamburg), im PC-Pool der Philosophischen Fakultät im Fürstenberghaus - und dies nicht ohne Grund: Kennzeichen einer jeden Tagung der AGE ist seit Jahren die Verbindung von fachwissenschaftlichen Vorträgen mit einem anwendungsbezogenen Workshop. So fand auch im Rahmen des diesjährigen Treffens in Münster ein solcher statt, und zwar diesmal in die Arbeit mit dem Geoinformationssystem "ARC-GIS" [http://www.esri.com]. Angeleitet durch Leif Scheuermann und Wolfgang Dietz (Universität Stuttgart), die schon im Rahmen der letztjährigen AGE-Tagung in Marburg ein mehrfach ausgezeichnetes Projekt vorgestellt hatten, für das sie georeferenzierte Karten und Daten erstellen und verarbeiten mussten, wurden theoretische wie praktische Einführungen gegeben und anhand kleinerer Aufgaben das Arbeiten mit georeferenzierten Daten geübt. Dem mehrstündigen Workshop folgte die Jahresversammlung der AGE.

Thema des zweiten Tages waren dann jene Projekte, die sich mit den oben genannten Themen befassen. In sieben unterschiedlichen Vorträgen stellten die sechs Referentinnen und Referenten fachwissenschaftliche, multimediale und theoretische Überlegungen in den Mittelpunkt ihrer Darstellungen.
Den Anfang machte dabei Michael Ruppen (Universität Zürich), der das dort entwickelte Online-Tutorial "Geschichte der Antike - ein multimedialer Grundkurs" vorstellte [http://www.hist.unizh.ch/eag]. Diese plattformunabhängige, multimediale Einführung in die Alte Geschichte richtet sich an Studierende wie Lehrende, enthält didaktische Elemente ebenso wie Möglichkeiten zum Selbststudium und ist mittlerweile auch als CD-ROM erhältlich. Ein kapitelbasiertes Menu, zahlreiche antike Texte im Original wie in Übersetzung, etliche Abbildungen mit Zoomfunktion, "multimediale" Elemente, eine Stichwortsuche und ein so genanntes "Progess-Listing" (der bereits aufgerufenen Abschnitte) unterstützen die beiden Zielgruppen dabei auf vielfältige Weise. Als chronologisch aufgebaute Lehreinheit wird sie insbesondere in ihrer webbasierten Fassung derzeit erfolgreich an verschiedenen Schweizer Universitäten im Rahmen des B.A.-Studiums in der Lehre eingesetzt [http://www.antiquitas.ch]. Dort soll sie die Vernetzung der Vermittlung unterschiedlicher Kenntnisse, Informationen und Fähigkeiten fördern und den Lehrenden auch Möglichkeiten zur Lernkontrolle offerieren.
In einer intensiven Diskussion im Anschluss an diesen Vortrag zeigte sich, dass diese Form des E-Learnings von der Mehrzahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer als Erweiterung "traditioneller" und buch- und übungsbasierter Lehr- und Lernformen Zuspruch findet, nicht aber als deren Ersatz. In dieser Form aber könnte sie - ähnlich wie andere CD-ROM oder Online-Tutorials - künftig wichtiger, weil standardisierter Bestandteil der Vermittlung historischer Inhalte an Hochschulen und Schulen werden.

Den Bogen zurück zum Thema des ersten Tages spannte dann Fabiana Zoccari (Universität Perugia) mit ihrem Vortrag "Geschichte anschaulich machen. Aufgaben und Möglichkeiten der computergestützten Kartographie". Sie schilderte in einem theoretischen Teil zunächst die Problemstellung bei der Arbeit mit historischen Karten und die Schwierigkeiten im Umgang mit Raumvorstellungen und Kartographie in den letzten Jahrhunderten. Ihr Projekt, die Erfassung der Vorstellung des südlichen Italiens in der Zeit vor Augustus, das bekanntlich aufgrund der schon früh einsetzenden Kolonisation durch die Griechen eine alte und eigene Geschichte hatte, fußt auf dem Datenmaterial alter Militärkarten, die gescannt, digitalisiert, nachbearbeitet und dann mithilfe von GIS-Programmen georeferenziert wurden. Ziel dieses Projekts ist es unter anderem, die in der Vergangenheit existierenden Vorstellungen von einem bestimmten geographischen Raum zu erfassen und kartographisch zu visualisieren. Landschaftliche Veränderungen wie Verformungen der Küstenlinien, Flussbegradigungen etc. sollen dadurch ebenfalls erfassbar werden.

Alexander Krikellis (Universität Regensburg) blieb es vorbehalten, den Vormittag wie auch den Nachmittag abzuschließen. In seinem Referat über "Recht und Neue Medien", das ausdrücklich nicht als Rechtsberatung gekennzeichnet war, veranschaulichte er bekannte wie neue Rahmenbedingungen bei der Arbeit mit Internet, Multimedia und Computern. Zentrale Themen waren die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der deutschen wie der internationalen Rechtsprechung, schlechte wie vorbildliche Exempla, mögliche Vorsichtsmaßnahmen, Copyright-Fragen und Schwierigkeiten von Juristen bei der Anwendung vorhandener Gesetze. In seinem nachmittäglichen Vortrag über "Gestaltungsprinzipien der Softwareergonomie" hingegen referierte er über elementare Computer-, Bildschirm- und Softwarestrukturen, Normen und Standardisierungen, Fehlertoleranzen und -vermeidung, den Einsatz von Farben und Schriften sowie Transparenz und Konvergenz. Grundsätzlich sollten EDV-Produkte im Hard- wie im Softwarebereich und auch Web-Projekte so gestaltet sein, dass sie auch von Menschen mit körperlichen Benachteiligungen verwendet werden könnten - ein wünschenswerter Gedanke, der leider insbesondere unter Webdesignern wenig Akzeptanz findet.

Den Reigen der nachmittäglichen Vorträge hatten Elmar Rettinger und Torsten Schrade (Universität Mainz) begonnen. Am dortigen Institut für geschichtliche Landeskunde [IGL, http://www.igl.uni-mainz.de] angesiedelt ist das Projekt "Regionet-History", ein Internet-Portal für die Geschichte Rheinhessens und Netzwerk verschiedener Unterprojekte, Vereine und Gruppen [http://www.regionet-history.de]. Seit seiner Gründung 1960 widmet sich das IGL der Durchführung von Forschungen zur Geschichte des heutigen Bundeslandes Rheinland-Pfalz und der ihm historisch und topographisch verbundenen Gebiete. Zu den Aufgaben des Instituts gehören die Durchführung von Forschungsprojekten, die Betreuung von Quellensammlungen sowie landesgeschichtlich orientierte Publikationen und Veranstaltungen. Diesen Zielen verbunden ist auch "Regionet-History", in dessen Rahmen zahlreiche historische Vereine und historisch Interessierte, aber auch Institutionen und Orte eine Plattform erhalten haben, um sich und ihre Inhalte mittels neuer Medien darstellen zu können.
"Regionet-History" ist somit eine multifunktionale Adresse: Neben den stetig wachsenden virtuellen Archiven einer Region stellt es auch ein Kommunikations- und Internetportal dar, dessen Unterseiten von den registrierten Benutzern via Content Managment System (CMS) selbständig gepflegt werden kann und soll. Dieses CMS bietet die Möglichkeit einer individuellen Benutzerverwaltung, unterschiedlicher Rechtevergabe und der eigenverantwortlichen Pflege redaktioneller Inhalte mittels eines vordefinierten, aber variablen Baukastenprinzips (HTML, CGI, etc.). Die Betreiber von "Regionet-History" überwachen die Bereitstellung der einzelnen Bausteine, pflegen das übergeordnete Portal, das über einen zentralen Kalender mit Terminen und Veranstaltungen verfügt, und schulen die Mitglieder. Ihre Wunschvorstellung ist, dass sich das Projekt eines Tages mittels Sponsoren und Beitragszahlern selbst tragen kann, weitere Portale für die Regionen "Elsass" und "Rheingau" sind in Vorbereitung.

Den roten Faden "GIS" aufgreifend präsentierte daran anschließend Gyula Pápay (Universität Rostock, Institut für Multimedia und Datenverarbeitung in den Geisteswissenschaften) zwei unterschiedliche kartographische Projekte. "Städtesystem und Urbanisierung im Ostseeraum" hat sich zum Ziel gesetzt, eine Analyse der Urbanisierung, des Städtesystems und seines Wandels im schwedischen Ostseeraum im 17. und 18. Jahrhundert zu leisten [www.uni-rostock.de/fakult/philfak/imd/Forschung/HomeMare2/homeMaBa.htm]. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Analyse von Demografie, Wirtschaft und Baukultur in dem genannten Zeitraum. Die Ergebnisse sollen sowohl in einem Historischen Informationssystem wie in diversen Sammelbänden dokumentiert werden. Das Informationssystem hingegen soll Karten, Datenbanken, Grafiken und Texte verknüpfen und für gegenwärtige wie zukünftige Forschung zur Verfügung halten. Im Verbund arbeiten vor allem die Hochschule Wismar, sowie die Universitäten Rostock und Greifswald zusammen; eine erste, schon jetzt beeindruckende Testversion des so genannten Niederländischen Sundregisters steht zum Download bereit. In ihm wurden die Daten von 50000 Schiffspassagen verarbeitet, die Programmierung erfolgte mithilfe der Programmiersprachen ESRI MapObjects und Visual Basic 6.0.
Die zweite Hälfte seines Vortrags "Wohnen und Wirtschaften in Stralsund um 1700. Ein historisches Stadtinformationsprojekt" ist Teil des Projekts "Multimedialer und Dynamischer Geschichtsatlas von Mecklenburg". Dieser CD-ROM-Geschichtsatlas von Mecklenburg existiert gegenwärtig nur als Prototyp für den Zeitraum von 1815 bis 1918 und basiert auf dem 1996 erschienenen Geschichtsatlas für Mecklenburg und Pommern. Er war der erste Atlas zur Landesgeschichte in Deutschland, dessen komplexe Karten ausschließlich rechnergestützt erarbeitet wurden. Dank alter wie auch neuer Karten ist er insbesondere für regionalhistorisch Interessierte interessant, da er sowohl in kartographischer Hinsicht wie auch in multimedialer Hinsicht zahlreiche Möglichkeiten bietet. Plattformunabhängigkeit, Georeferenzierungen, zahlreiche Animationen und multimediale Elemente ermöglichen eine dynamische und anschauliche Darstellung der historischen Entwicklung des mecklenburgischen Territoriums. In einer modifizierten Form ist er mittels Shockwave-Plugin auch online zugängig [www.unirostock.de/fakult/philfak/imd/atlas/Die_Internetversion/die_internetversion.html].

Ein weiteres historisch-kartographisches Projekt wurde dann von Norbert Winnige (MPI für Geschichte, Göttingen) vorgestellt, nämlich "TASC: Transnational Atlas and Database of Saints Cults". Dieses Informationssystem zur Geschichte der Heiligenverehrung in Europa zwischen Mittelalter und Gegenwart mit Sitz an der University of Leicester [http://www.le.ac.uk/elh/grj1/tasc.html] ist gesamteuropäisch angelegt und fußt vor allem auf den Widmungen und Weihungen von Kirchen und Kapellen. Die erfassten Daten beinhalten die Heiligennamen, Orte der Verehrung und Objekte der Verehrung ebenso wie zeitliche Hintergrundinformationen. Grundlage des Datenmaterials waren unter anderem die bekannten Acta Sanctorum, jene umfangreiche Sammlung hagiographischer Texte und Viten.
In einer Modellstudie wurden für die Diözese Eichstätt serielle Quellen (Benefizienregister, Visitationen, Schematismen) von der Mitte des 15. Jahrhunderts bis zur Gegenwart eingegeben, da die Außengrenzen dieser Diözese weitgehend stabil geblieben sind. Parallel dazu wurden ähnliche Anstrengungen in Zusammenarbeit mit der Kommission für Bayerische Landesgeschichte und dem Max-Planck-Institut für Geschichte (Göttingen), Abteilung Historische Fachinformatik für die Diözese Münster unternommen. Moderne Papierkarten wurden ebenso digitalisiert und mithilfe von ARC-IMS und anderen Programmen georeferenziert wie kolorierte Handzeichnungen oder Kupferstiche, wobei die Verfügbarkeit solcher Karten längst nicht für alle Regionen gleichermaßen gegeben ist.
Geplant ist zukünftig eine Internetschnittstelle (PHP-Interface) mit detaillierter Suchfunktion auf Basis der bekannten Datenbankformate MYSQL bzw. XML sowie eines eigenen Map-Servers, um die Einzelkarten abrufen und darstellen zu können. Digitalisierte, georeferenzierte Karten und eine Ortsnamen-Datenbank sollen sich dabei sinnvoll ergänzen.

Mit diesem Vortrag endete die diesjährige AGE-Tagung. Die nächste Tagung soll im November 2004 in München stattfinden. Die vielfältigen Möglichkeiten des Erfahrungsaustausches und die diversen fachwissenschaftlichen und methodischen Anregungen für unterschiedliche Zielgruppen wurden allenthalben sehr begrüßt.


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