HT 2004: Zwischen „Globalisierung“ und Konfessionalisierung: Kommunikation und Raum in der hansischen Geschichte

HT 2004: Zwischen „Globalisierung“ und Konfessionalisierung: Kommunikation und Raum in der hansischen Geschichte

Organisatoren
Antjekathrin Graßmann; Albrecht Cordes
Ort
Kiel
Land
Deutschland
Vom - Bis
17.09.2004 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Gunnar Meyer, Kiel

"Die Hanse lebt" konstatierte die Organisatorin Antjekathrin Graßmann (Lübeck) einleitend, meinte damit aber weniger den Gegenstand der Hanseforschung als das zahlreich erschienene Publikum, das zu einem erheblichen Anteil auch aus Schülern bestand. Warum und wie die Hanse in der Geschichte über vier Jahrhunderte habe überleben können, war dagegen die zentrale Frage dieser Sektion des Hansischen Geschichtsvereins, die von Antjekathrin Grassmann, Rolf Hammel-Kiesow (Lübeck) und Albrecht Cordes (Frankfurt/M) organisiert wurde.

Das bald dreißig Jahre alte Urteil Wolfgang von Stromers, die Hanse sei in Handel und Gewerbe im Vergleich mit oberdeutschen Unternehmen rückständig gewesen, bildete den Anknüpfungspunkt gleich zweier Vorträge: Stefan Selzer (Halle) und Stuart Jenks (Erlangen) bemühten jeweils ökonomische Modelle, um die vermeintliche Rückständigkeit zu widerlegen.

Eingebettet zwischen diesen beiden Referaten versuchte Friedrich Bernward Fahlbusch (Warendorf) eine "gesamthansische Führungsgruppe" prosopographisch zu fassen. Widmeten sich die ersten drei Vorträge Kernthemen der Hanseforschung, so fächerten die beiden abschließenden Vorträge das Themenspektrum weiter auf: Claus Veltmann (Halle) untersuchte die Rolle deutscher Kaufleute bei der Verbreitung lutherischen Gedankengutes in Europa; Stefan Dusil (Frankfurt/M) zeichnete in einem historiographischen Vortrag am Beispiel der Erforschung des Magdeburger Stadtrechts nach, wie sich, bedingt durch die Rezeption geographischer Begrifflichkeiten, aber auch durch politische Einflüsse die Perspektive der Stadtrechtsforschung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts veränderte.

Stefan Selzer rief die Hanseforschung auf, nach den in jüngerer Zeit dominierenden sozialwissenschaftlichen Fragestellungen doch die Hanse als ökonomisches Phänomen wieder stärker in den Blick zu nehmen und sich dazu neuerer wirtschaftswissenschaftlicher Ansätze zu bedienen. Seine eigenen, gemeinsam mit Ulf Ewert (Chemnitz) entwickelten Überlegungen griffen auf die "neue Institutionenökonomik" zurück, eine volkswirtschaftliche Betrachtungsweise, die die Wirkung von Institutionen (weit gefasst: gemeint sind auch Regeln und Normen) auf Wirtschaftseinheiten untersucht und dabei soziale, politische und rechtliche Rahmenbedingungen berücksichtigt. Am Beispiel des Danziger Kaufmanns Johann Pisz aus dem 15. Jahrhundert versuchte Selzer die Vorteile des vermeintlich rückständigen hansischen Handels zu belegen. Dessen Charakteristika (Disponierung vom Kontor aus, häufig ohne qualifizierte Angestellte vor Ort, fehlende schriftliche Fixierung, Verkauf von Waren anderer Kaufleute ohne Gewinnbeteiligung) beschrieb Selzer als die Eigenschaften eines Netzwerkes von miteinander durch gegenseitige Geschäfte verbundenen Kaufleuten. Vorteile dieser Netzwerkstruktur hätten darin gelegen, eine breite Palette von Waren bei niedrigen Transaktionskosten (dazu mehr von Herrn Jenks) bereitstellen zu können. Das Risiko, von einem Handelspartner übervorteilt oder gar betrogen zu werden, habe dadurch minimiert werden können, dass dem Übeltäter eine kollektive Bestrafung, nämlich ein Reputations- und Vertrauensverlust potenzieller Handelspartner und damit der Ausschluss aus dem Netzwerk drohte. Erleichtert worden sei die Netzwerkbildung durch überregionale Familienbande, die gemeinsame Seefahrt, auf Makroebene auch durch die gemeinsame Sprache und die Verbreitung etwa des Lübischen Rechts; das Fehlen dieser Voraussetzungen sei die Barriere, die eine weitere Ausbreitung der Netzwerkstruktur, etwa auf den neu aufkommenden transatlantischen Handel verhindert habe.

Obwohl der Begriff nicht im Mittelpunkt stand, waren Netzwerke auch Gegenstand des folgenden Vortrags. Friedrich Bernward Fahlbusch versuchte Gemeinsamkeiten einer "gesamthansische Führungsgruppe" herauszuarbeiten und diese zu charakterisieren. Er verwarf die traditionellen Etiketten für Führungsgruppen von "Patriziat" über "Eliten" bis "Machtkartell" und entschied sich schließlich augenzwinkernd für die Wortneuschöpfung "Amigonat", womit einerseits auf die heute wie damals existente Schwierigkeit, Eigeninteresse und Gemeinwohl miteinander zu vereinbaren, angespielt wurde, andererseits auf die freundschaftlichen, verwandtschaftlichen und ökonomischen Verknüpfungen innerhalb der zu beschreibenden Gruppe hingewiesen wurde. Diese Verknüpfungen verdeutlichte Fahlbusch am Beispiel der Lüneburger Ratssendeboten, deren Heirats- und Geschäftsbeziehungen sie mit Führungsgruppen anderer Hansestädte auf das vielfältigste verband. Dass die solchermaßen beschriebene Gruppe ein hansisches Selbstverständnis besaß, verneinte der Referent; inwieweit sich diese so beschriebene Gruppe selbst als solche verstand, musste ebenfalls offenbleiben; dass sie aber existierte und in der beschriebenen Weise interagierte, sah Fahlbusch als Voraussetzung für die Funktionalität des institutionell schwach ausgeprägten Gesamtkonstruktes "Hanse" an.

Deren trotz vermeintlicher Rückständigkeit über 400 Jahre währende Existenz mühte sich anschließend Stuart Jenks mit großem rhetorischen Einsatz zu erklären. Die bisherigen Erklärungsversuche, von Jenks pointiert auf die Schlagworte "Monopol im Ost-West-Handel" und "Kartellverhalten" verkürzt, wurden als nicht hinreichend verworfen. Für seine Erklärung griff Jenks auf das Marktmodell der neoklassischen Volkswirtschaftslehre zurück. Dessen segensreiche Auswirkungen durch den Ausgleich von Angebot und Nachfrage über den Preis stellte sich in der Realität selten ein, weil die den Handelspartnern entstehenden Transaktionskosten (welche im neoklassischen Modell meist ausgeblendet blieben) erheblich seien. Jenks führte hier mit sichtlichem Stolz die Unterscheidung von "sichtbaren Transaktionskosten" in Form von Frachtkosten, Lagerung und Zöllen sowie "unsichtbaren Transaktionskosten" ein. Hinter letzteren verbergen sich die (durch das Ausschlagen alternativer Geschäftsentscheidungen entstehenden) Opportunitätskosten und alle mit einem Geschäft verbunden Faktoren, die Zeitaufwand verursachen: Suchkosten, Vereinbarungskosten und Durchsetzungskosten. Das Erfolgsgeheimnis des hansischen Handels sei nun, so Jenks, dass die überwiegende Mehrzahl der hansischen Priviliegien für die hansischen Kaufleute diese unsichtbaren Transaktionskosten senkten: Die Stapelpflicht etwa diente der Qualitätssicherung, was die Such- und Messkosten reduziere, Haftungsregelungen senkten die Vereinbarungskosten, und die den Kontoren zugebilligten Gerichtskompetenzen minimierten die Durchsetzungskosten. Offen sei allerdings noch, wie sich in diesem Zusammenhang für die hansischen Kaufleute das Spannungsfeld der "zwei Ordnungen", nämlich der jeweils lokalen Rechtsordnung und des gesamthansischen Rechts, auswirkte.

Im Vortrag von Claus Veltmann blieb der Blick auf den gesamthansischen Raum gerichtet, allerdings wurde statt nach der ökonomischen Rolle des Kaufmanns nach seiner kulturellen gefragt: Welchen Anteil hatten hansische Kaufleute bei der Verbreitung reformatorischen Gedankengutes in Europa? Mit England, den Niederlande und Spanien untersuchte Veltmann drei Zielgebiete hansischen Handels, in denen die Reformation gänzlich unterschiedlich aufgenommen wurde. In England, wo eine Reformation durch Initiative von oben stattfand, konnte Veltmann einen Einfluss deutscher Kaufleute nur bis 1530 nachweisen; die Tatsache, dass englische Protestanten, die während der Rekatholisierung unter Maria I. ins Exil gingen, sich vornehmlich nach Straßburg, Basel und Zürich wandten, lässt auf eine geringe Rolle lutherischen Gedankentums schließen. Auch in den Niederlanden, wo die Reformation gegen die Obrigkeit durchgesetzt wurde, gewannen trotz anfänglicher Kontakte des Klerus nach Wittenberg schnell calvinistische und zwinglianische Einflüsse die Oberhand. Im katholisch gebliebenen Spanien schließlich, wo der Konformitätsdruck offenbar am größten war, befanden sich unter den Opfern der Inquisition immer wieder ausländische "Luteranos", darunter jedoch nur wenige deutsche. Veltmann bündelte seine Beobachtungen in folgenden Thesen: deutsche Kaufleute hätten nur kurz nach 1520 bei der Verbreitung lutherischen Gedankengutes eine Rolle gespielt und zwar hauptsächlich in den Städten, die sie bereisten; die Reformation sei danach eher von Bildungseliten getragen worden (zu denen Veltmann die Kaufleute offenbar nicht rechnete); außerhalb Deutschlands erwiesen sich die Reformierten als einflussreicher als die Lutheraner. Letztlich scheinen sich also die hansischen Kaufleute auf ihr Geschäft konzentriert und den in den Hanserezessen festgehaltenen Rat, auswärts jeweils nach Landessitte zu leben, befolgt zu haben.

Obwohl Magdeburg zu den Hansestädten gerechnet werden kann, hatte der historiographische Vortrag über die Erforschung des Magdeburger Stadtrechts, mit dem Stefan Dusil die Sektion beschloss, wenig Zusammenhang mit den bisherigen Vorträgen. Der Referent zeichnete den Paradigmenwechsel der Rechtsgeschichte nach, der sich seit den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts in einer Abkehr von genuin juristischen Fragen und in einer Hinwendung zu kulturgeschichtlichen Fragestellungen bemerkbar machte; wichtige Impulse für die Rechtsgeschichte habe dabei vor allem die Geografie geliefert, wie Dusil am Beispiel von Hermann Aubins "Kulturräumen" ausführte. Nicht erst nach 1933, sondern bereits in den 20er Jahren lieferte die Rechtsgeschichte Beiträge für eine auch politisch motivierte und instrumentalisierte "Ostforschung", in der die Rechtsgeschichte vor allem die Legitimation für gegenwärtige territoriale Ansprüche liefern sollte. Als frappanten Beleg für die politische Relevanz rechtshistorischer Forschung präsentierte Dusil eine Verlagsankündigung für die Edition Magdeburger Schöffensprüche, in der zu Beginn der 40er Jahre die Sammlung "alte[r] angestammte[r] Rechte" beworben wurde.

Die abschließende Diskussion in der sichtlich auf ein allgemeineres Publikum, weniger auf eine spezialisierte Fachöffentlichkeit zugeschnittenen Veranstaltung kreiste im ökonomischen Bereich um die Frage, inwieweit die ökonomischen Modelle auch das Ende des hansischen Handelserfolgs plausibel beleuchten, und beschränkte sich ansonsten auf inhaltliche Nachfragen und methodische Hinweise an die Referenten, die auch aus Zeitgründen nicht in eine kontroverse Diskussion mündeten.

Den Berichterstatter hat die in zwei Vorträgen manifestierte Rückbesinnung auf ökonomische Betrachtungsweisen überzeugt, allerdings dürften sich damit die in der Vergangenheit dominierenden sozialgeschichtlichen und prosopographischen Studien keineswegs erübrigt haben.

http://www.historikertag.uni-kiel.de/
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