Krieg und Umbruch um 1800. Übergangszeiten zwischen Französischer Revolution und Wiener Kongress

Krieg und Umbruch um 1800. Übergangszeiten zwischen Französischer Revolution und Wiener Kongress

Organisatoren
Universität Tübingen SFB 437 "Kriegserfahrungen - Krieg und Gesellschaft in der Neuzeit"; HD Dr. Ute Planert, Tübingen
Ort
Tübingen
Land
Deutschland
Vom - Bis
12.03.2004 - 13.03.2004
Url der Konferenzwebsite
Von
Christian Lücking; Maja Brandl

Während die frühe Neuzeit sich mit der Epoche bis zur Französischen Revolution beschäftigt und die "späte" Neuzeit erst mit 1806 oder dem Wiener Kongress einsetzt, haben die Jahre zwischen dem ausklingenden Ancien Régime und der sich ausbildenden Moderne in der jüngeren historischen Forschung nur wenig Beachtung gefunden. Um sich dieser Übergangszeit aus verschiedenen Perspektiven zu nähern, lud Ute Planert (Tübingen) Historiker und Historikerinnen aus beiden Forschungsbereichen im Namen des Sonderforschungsbereichs 437 "Kriegserfahrungen. Krieg und Gesellschaft in der Neuzeit" im März 2004 nach Tübingen ein. Die Tagung erwies sich als gelungene Plattform des Austausches zwischen WissenschaftlerInnen unterschiedlicher Forschungstraditionen. Dabei stand neben dem Blick "von oben" auf Strukturen und Prozesse die Reaktion der Bevölkerung in einer Zeit ständiger Veränderungen, Kriege und Krisen im Mittelpunkt.
Vier Themenblöcke strukturierten die Annäherung an die Umbruchszeit um 1800: 1. Eliten und Herrschaft, 2. Ländliche Gesellschaft, 3. Religiöse Kriegsverarbeitung und konfessionelle Differenzen und schließlich 4. Deutungen und Tradierungen.

1. Eliten und Herrschaft

Die erste Sektion - kommentiert von Barbara Stollberg-Rilinger (Münster) - stellte die Anpassungsversuche und Reaktionen gesellschaftlicher Eliten auf die Umbruchsszenarien in den Mittelpunkt. Anhand der Wechselbeziehungen zwischen Staatsobrigkeit und Beamten sowie zwischen Reformbürokratie und Bevölkerung verdeutlichte Ina Ulrike Paul (Berlin) für Württemberg, wie staatliche Reformpolitik die heterogenen Territorialtraditionen vereinheitliche und allmählich ein Identifikationsprozess mit dem neuen staatlichen Gebilde einsetzte. Dieser Erfolg war nur möglich, weil das politische Modernisierungsprogramm zugunsten des sozialen Friedens in den Hintergrund gestellt wurde. Reinhard Stauber (Klagenfurt) fokussierte für das südliche Tirol die höhere und mittlere Verwaltungsebene. Obwohl hier aufgrund mehrfacher Herrschaftswechsel in kurzer Zeit unterschiedliche Machtinteressen und Akteure konkurrierten, ließ sich beim Verwaltungspersonal eine erstaunliche Kontinuität feststellen. Sie waren "Diener vieler Herren" und aufgrund ihrer Sachkenntnis für jede neue Herrschaft unentbehrlich. Stefan Brakensiek (Bielefeld/Kassel) wählte mit seiner Untersuchung der hessischen Amtsstadt Grebenstein einen mikroperspektivischen Zugang, um so nach Veränderungen im Machtgefüge zwischen Untertanen und Obrigkeit zu fragen. Als die Franzosen im Herbst 1813 flohen und das hessische Fürstenhaus seinen Platz noch nicht eingenommen hatte, wurde in diesem Machtvakuum der Kantonsmaire zur Zielscheibe des Unmuts über die Zumutungen der westfälischen Zeit. Doch auch nach der Rückkehr zum Status quo ante ließ sich das Vertrauensverhältnis zwischen Untertanen und lokaler Obrigkeit nicht wieder herstellen. Anja Victorine Hartmann (Mainz) nahm mit ihrer Betrachtung des Genfer Patriziats ebenfalls den Mikrokosmos einer Stadt in den Blick. Sie machte deutlich, wie der ehemals politisch privilegierte Stand seine soziale und politische Macht erhalten konnte, obwohl das veränderte politische System seine Position nicht mehr institutionell garantierte. Der wichtigste Faktor für den Erfolg dieser Machtkonservierung war die "Etablierung einer Konsens- und Harmoniefassade mit dem Effekt, um der äußeren Unabhängigkeit willen innere Partizipationskämpfe zu unterdrücken", wie Barbara Stollberg-Rilinger zusammenfasste.

2. Ländliche Gesellschaft

Der zweite Themenkomplex - kommentiert von Christof Dipper (Darmstadt) - richtete sein Augenmerk auf die Wahrnehmung der Ereignisse um 1800 aus der Sicht der ländlichen Bevölkerung. Andreas Würgler (Bern) stellte die Helvetische Revolution von 1798 aus der Perspektive des Tagebuchs von Ulrich Bräker vor, der seine Gegenwart gleichermaßen als Auf- wie Zusammenbruch erlebte. Der "arme Mann aus dem Toggenburg" war auf nationaler Ebene klar antifranzösisch und alteidgenössisch gesinnt, verriet im Rahmen der Heimatregion jedoch durchaus revolutionäre Sympathien. Eric Godel (Tübingen) beschäftigte sich mit dem lange vernachlässigten Aspekt der antihelvetischen Aufstände in der Innerschweiz und arbeitete heraus, dass die ländliche Bevölkerung sich weiterhin an frühneuzeitlichen Verhaltensmustern orientierte. Die Rekrutierungsunruhen in den südlichen Rheinbundstaaten standen im Mittelpunkt der Ausführungen von Ute Planert (Tübingen). Sie hob hervor, dass der Widerstand gegen die Aushebungen meist von den unteren Bevölkerungsschichten getragen wurde, während sich die lokalen Eliten leichter mit den neuen Machthabern arrangierten. Tobias Kies (Bielefeld) zeigte, wie die Einwohner der Grafschaft Hauenstein sowohl mit der katholischen Kirche als auch mit dem neuen badischen Staat in Konflikt gerieten. Gegenüber einer Modernisierung der Liturgie hielten sie an hergebrachten Glaubensformen fest; neue lokale Herrschaftsträger stießen ebenso auf Widerstand wie die Zumutungen des modernen Staates, so dass die abgelegene Region mit der französischen Vendée verglichen wurde.

3. Religiöse Kriegsverarbeitung und konfessionelle Differenzen

Welche Rolle Religiosität für Soldaten wie Zivilbevölkerung in einer von Kriegen und gewaltsamen Umbrüchen geprägten Zeit spielte, war Gegenstand dieser Sektion. Andreas Gestrich (Trier) stellte für Württemberg eine enge Zusammenarbeit von Staat und Kirche fest, bei der es nicht leicht fiel, die Inhalte des Gottesdienstes der jeweiligen Bündnispolitik anzupassen. Die Mehrheit der pietistischen Bevölkerung sah in Napoleon den Antichristen, der Unheil und Unordnung über das Land brachte. Von einem kleineren Teil radikaler Separatisten wurde er dagegen als Erlöser empfunden, dessen Versprechungen auf liberté, égalité und fraternité auf das "Paradies" hoffen ließen. Gregor Maier (Tübingen) gab einen Überblick über religiöse Kultformen im Elsass. Sie konnten von Regierungsseite nur mangelhaft unterdrückt werden, so dass man sich um die Instrumentalisierung katholischer Brauchformen bemühte - bis hin zum Kult um den "Heiligen Napoleon". Elisabeth Wagner (Trier) widmete sich der Religionspolitik im französisch dominierten Rheinland und zeigte, dass die französische Kirchenpolitik in der Tradition des aufgeklärten Absolutismus stand, die konfessionellen Differenzen durch die Toleranzbestimmungen aber nur abgemildert, nicht beseitigt werden konnten. Inwiefern Kriegserfahrungen religiöse Praktiken stimulierten, untersuchte Horst Carl (Gießen) für den nordwesteuropäischen Raum. Die Auswertung von Feldpostbriefen und autobiographischen Erinnerungen katholischer Soldaten lassen ihn zu dem Schluss kommen, dass lang gediente Veteranen unter dem Eindruck der Todesgefahr nur selten Hilfe im Gebet suchten. Nur Konskribierte, die über keine militärische Sozialisation verfügten und für die der Kriegsdienst einen traumatischen Bruch ihrer Biographie darstellte, griffen auf geistliche Tröstungen zurück. Doch in der Regel war der Krieg nicht der Ort, wo man beten lernte. Für den Kommentator Rudolf Schlögl (Konstanz) unterfütterten diese Ergebnisse seine Auffassung eines fundamentalen religionshistorischen Bruchs am Ende der Frühen Neuzeit, der die Religion in den Bereich des "Privaten" abdrängte.

4. Deutungen und Tradierungen

Der letzte Themenblock, der von Heide Wunder (Kassel) gebündelt und kommentiert wurde, thematisierte den Umgang mit Quellen der napoleonischen Epoche im Hinblick auf (Um-) Deutung und Tradierung. Eingeleitet wurde die Sektion von Claudia Ulbrich (Berlin) mit den Modifikationen bei der Veröffentlichung der Lebensgeschichte von Regula Engel, einer Schweizer Offizierswitwe. Je nach historischem Werte- und Normenkontext erfuhr jede Neuauflage des Werkes eine andere Deutung. Aus der "Frau Oberst" von 1821 wurde so die "Schweizer Amazone". Deutungen und Umdeutungen von Männlichkeit standen im Mittelpunkt des Vortrags von Julia Murken (Tübingen). Anhand von Quellen aus dem napoleonischen Russlandfeldzug belegte sie, dass "die Kriegsteilnahme von den Zeitgenossen nicht zur Konstruktion eines männlich-soldatischen Ideals genutzt wurde." Die Heroisierung habe erst retrospektiv eingesetzt. Anschließend widmete sich Wolfgang Burgdorf (München) dem Kampf um die Vergangenheitspolitik zwischen 1803 und 1820. Eine aufblühende Memoirenliteratur beschrieb als Haus- und Familiengeschichte die Position der historischen Verlierer und ging in Opposition zu offiziellen Zeitdarstellungen. Dieser Quellenkorpus, so sein Fazit, bleibe für die moderne Geschichtsschreibung noch zu entdecken. Dagmar Günther (Bielefeld) beschäftigte sich abschließend mit der Darstellung der napoleonischen Zeit in den Lebenserinnerungen deutscher Bildungsbürger des Kaiserreichs, die dazu neigten, den zu dem Zeitpunkt der Niederschrift vorherrschenden Wertediskurs zu übernehmen. Dennoch erwies sich die Prägekraft der Befreiungskriege in der Erinnerungswelt der Autobiographen als schwach entwickelt und trat hinter das "Schlüsselmoment" der Revolution von 1848/49 zurück.

Diskussionsschwerpunkte

In den jede Sektion abschließenden Diskussionen dominierten vier grundlegende Fragestellungen. Der in der Tagung eingeführte Begriff "Übergangsgesellschaft" für die Umbruchphase um 1800 blieb - da potentiell auf jede Gesellschaftsformation anwendbar - umstritten. Gegenüber den kulturgeschichtlich ausgerichteten Zugängen der meisten Beiträge forderte Christof Dipper (Darmstadt) die Rückbesinnung auf die harten Fakten der Wirtschafts- und Sozialgeschichte ein. So bleibt etwa noch zu klären, inwieweit die feststellbare Verarmung vor allem der ländlichen Bevölkerung eine Folge der Kriegseinwirkungen oder lang anhaltender ökonomisch-demographischer Trends war. Eine ökonomisch unterfütterte Kulturanalyse, so der Konsens der Debatte, ließe weitergehende Einsichten erwarten.
Kontrovers wurde dagegen der Traditionalismusbegriff diskutiert. Hier verliefen die Fronten klar entlang der Epochengrenze. Heide Wunder und andere Historikerinnen und Historiker der Frühen Neuzeit monierten, dass der Begriff in der Verwendung von "Spätneuzeitlern" nicht nur das Festhalten an überlieferten Mentalitäten und Gewohnheiten bezeichne, sondern eine pejorative Komponente im Sinne von "rückständig" enthalte. Die Spätneuzeitler unter den Diskutanten fühlten sich dadurch missverstanden und wiesen darauf hin, dass traditionale Verhaltensformen auch so gedeutet werden könnten, dass sich die Menschen um 1800 zwar gegen die sich abzeichnenden Zumutungen der neuen Zeit wehrten, einer grundsätzlichen Veränderung im Sinne einer Moderne, die ausgewogener und sozialer war, jedoch möglicherweise nicht abgeneigt gewesen wären. An diesem Beispiel wurde deutlich, dass den geschichtswissenschaftlichen Teilkulturen mitunter eine gemeinsame Sprache fehlt und Begriffe unterschiedlich konnotiert sind. Einig waren sich die Tagungsteilnehmer dann wieder in der Debatte über den Stellenwert autobiographischer Quellen und der Notwendigkeit, gesellschaftliches Umfeld und Wirkungsabsichten in die Interpretation einzubeziehen - ebenso wie in der Absicht, den Dialog zwischen den Teildisziplinen fortzusetzen.