Sport zwischen Ost und West

Organisatoren
Forum Ostmittel- und Südosteuropa (FOSE) Julia Richers, Daniel Ursprung, Stefan Wiederkehr
Ort
Basel
Land
Switzerland
Vom - Bis
17.04.2004 -
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Von
Eva Maurer, Münster

Vor einem Jahr, im April 2003, hatte sich in Zürich das Forum Ostmittel- und Südosteuropa (FOSE) als Zusammenschluss in der Schweiz zu Ostmittel- und Südosteuropa forschender NachwuchswissenschaftlerInnen konstituiert. Dieses Jahr luden die Organisatoren (Julia Richers, Daniel Ursprung, Stefan Wiederkehr) zum zweiten Arbeitstreffen am 17.4. 2004 unter dem Rahmenthema "Sport zwischen Ost und West" nach Basel ein.

Die Reihe der Vorträge eröffnete Stefan Wiederkehr (Zürich). Er beschäftigte sich in seinem Vortrag mit den Geschlechtertests, die an internationalen Sportveranstaltungen seit der zweiten Hälfte der 1960er Jahre durchgeführt werden. Wie der Referent überzeugend darlegte, hing deren Einführung einerseits mit dem Eindringen von Frauen in den traditionell männlich codierten Spitzensport, andererseits mit der Eskalation des Dopingmissbrauchs im Zuge des Kalten Krieges zusammen. Die westliche Presse begleitete die Unterstellung, siegreiche Athletinnen aus dem Ostblock hätten unerlaubte leistungsfördernde Substanzen zu sich genommen, regelmäßig damit, dass sie die Weiblichkeit sozialistischer Sportlerinnen in Frage stellte. Am Ende dieser Kampagne stand die Einführung von Geschlechtertests an sportlichen Großereignissen. Als ironische Pointe mutet an, dass die gängige Testmethode Dopingmissbrauch, zu dessen Nebenwirkungen Virilisierungserscheinungen gehören, unentdeckt lässt, während sie Frauen mit seltenen erblichen Anomalien als "Betrügerinnen" überführt.

Stefan Rohdewald (Passau / Zürich) skizzierte in seinem Referat zu "Was die Armee von der Fizkul'tura erwartet: Körperkultur als Sprache der Disziplinierung in sowjetischen Eintageszeitungen der 30er Jahre" zunächst den Forschungsstand zum theoretischen Diskurs über Körperkultur in der frühen Sowjetunion. Dabei konnte festgestellt werden, dass die Versuche, die programmatisch definierte Körperkultur in die Praxis umzusetzen, bisher kaum untersucht worden sind - trotz der oft hervorgehobenen Bedeutung des Konzeptes bei der Integration der sowjetischen Gesellschaft. Hier setzte der Hauptteil des Referates an. Mit der Analyse sogenannter Eintageszeitungen (odnodnevnye gazety) konnten funktional und situativ bedingte Argumentationsstrategien aufgezeigt werden, durch die körperkulturelle Praktiken möglichst große Anwendung erlangten sollte. Neben spürbarer persönlicher Begeisterung und expliziter Freiwilligkeit wurde in den Texten Gehorsam und Disziplin betont. Aus den Zeitungen gingen Hinweise auf große Probleme bei der Mobilisierung der Massen für die Körperkultur hervor. In der Diskussion wurde die Rolle von Frauenbildern in diesen und ähnlichen Quellen beleuchtet.

Slawomir Puk (Passau / Krakau) war leider verhindert, Stefan Rohdewald las an seiner Stelle dessen Kurzreferat unter dem Titel "Die Geste Kozakiewiczs und ihre politischen Folgen". Puk skizziert in seinem Text ein Fallbeispiel zur situativen Umdeutung sportlicher Öffentlichkeit in politische. Die 27. Sommerolympiade in Moskau 1980 wurde von zahlreichen Staaten boykottiert. In der Endphase des Stabhochsprungwettbewerbs standen sich der Russe Konstantin Volkov und der Pole Wladyslaw Kozakiewicz gegenüber. Letzterer wurde während seinen Sprüngen vom Publikum ausgepfiffen. Nach seinem erfolgreichen Sprung quittierte Kozakiewicz die ihm gezeigte Ablehnung mit einer das Publikum beleidigenden Geste. Der Vorfall wurde dank der Liveübertragung im Fernsehen sofort massenhaft verbreitet. In der Besprechung wurde darauf hingewiesen, dass - abgesehen von Interviews mit Beobachtern des Vorfalls - die westliche Berichterstattung über das Ereignis von Interesse sei, da diejenige in den polnischen und sowjetischen Medien stark beschränkt wurde.

Die Region Südosteuropa rückte mit dem Vortrag von Dario Venutti (Zürich) ins Blickfeld, der anhand der serbischen Fußballfan-Szene einen ebenso aktuellen wie faszinierenden Blick auf die Verbindung sportlicher und nationalistischer Rhetorik warf. Der Sport im ehemaligen Jugoslawien erfuhr parallel zur Verschärfung der gesellschaftlichen Krise eine Militarisierung. In Serbien übernahmen die Sportpresse und die Fußballfans die dominanten nationalistischen Topoi. Die Fans von " Roter Stern Belgrad" transformierten ihre Schlachtgesänge in Botschaften des ethnischen Hasses. Den Abschluss dieser Entwicklung stellte der Kriegseintritt eines Teils der Anhänger von Roter Stern dar: Sie wurden zur Rekrutierungsbasis für die paramilitärische Einheit der "Tigers" von Zeljko Raznatovic alias Arkan.

In der anschließenden engagierten und lebhaften Diskussion wurden die zahlreichen theoretischen An- und Einbindungsmöglichkeiten einer Untersuchung von Sport als kultureller Praxis deutlich. Gerade für die bereits im Titel des Treffens angesprochene komparative Perspektive, die so oft für die auf Osteuropa konzentrierte Geistes- und Kulturwissenschaft gefordert wird, bietet sich die Sportthematik an; auch die aktuellen Konzepte von Öffentlichkeit, Raum und Gegenöffentlichkeit kommen als konzeptionell-methodische Ansatzpunkte zum Zuge. Die Organisatoren und Teilnehmer hoffen, dieses Themenfeld bei einer vom FOSE für 2005 geplanten Tagung weiter erschließen zu können.


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Land Veranstaltung
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Deutsch
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