"Eine Zusammenfassung und Bilanz zu 40 Jahren Radio in der DDR" - so postulierte Klaus Arnold, der zusammen mit Christoph Classen für die Organisation verantwortlich zeichnete, das Ziel des Workshops "Zwischen von Pop und Propaganda - Radio in der DDR",1 der Ende März 2004 in Berlin stattfand. Veranstaltet von der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt und dem Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam in Zusammenarbeit mit DeutschlandRadio Berlin sowie der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, sollte der interdisziplinäre Workshop medienwissenschaftliche und zeithistorische Zugänge zum Thema verbinden helfen.
In seinem Eröffnungsreferat "Geteilte Welt, geteilter Himmel? Der Kalte Krieg und die Massenmedien in gesellschaftsgeschichtlicher Perspektive" machte Thomas Lindenberger (Potsdam) eine gegenläufige Entwicklung zwischen der Zuspitzung des Kalten Krieges und der Ausbreitung der Massenmedien aus. Die zunehmende Bedeutung der audiovisuellen Medien in den Lebenswelten der einbezogenen Gesellschaften, so Lindenberger, stellte zwangsläufig die dichotomische Diskursordnung in Frage. Im Westen wie im Osten erwiesen sich ideologische Instrumentalisierung und Uniformierung als unvereinbar mit der Entwicklung der modernen Mediengesellschaft - im Westen konnte diese Unvereinbarkeit offener und reflexiver thematisiert werden, im Ostblock war es ihr möglich, in einem jahrzehntelangen Prozess ihre "zersetzende" Wirkung zu entfalten und so zur Abnutzung politischer Machtressourcen der Herrschenden beizutragen.
Die erste Sektion der Konferenz wandte sich zunächst den institutionellen Anfängen des Rundfunks in der SBZ/DDR zu. Wolfgang Mühl-Benninghaus (Berlin) zeichnete in seinem Vortrag über "Rundfunk in der Sowjetischen Besatzungszone" die institutionellen und programmlichen Anfänge des im Westberliner "Haus des Rundfunks" produzierten Senders nach. Die Anfangsjahre seien primär durch eine "Mischung aus Unterhaltung, Geselligkeit und Alltag" geprägt gewesen, so Mühl-Benninghaus. Durch die Verknüpfung von Bekanntem und Unbekanntem sowie durch die Wiederbesetzung beliebter Sendeplätze schaffte es der Rundfunk, Hörer aus allen Besatzungszonen an sich zu binden. Mit dem Ausbruch des Kalten Krieges im Sommer 1947 allerdings habe eine Schwerpunktverschiebung im Programm stattgefunden, die, in Abgrenzung zu bürgerlichen Idealen, auf die Verbreitung des proletarischen Massenliedes sowie auf Volksmusik setzte.
Im Anschluss verortete Petra Galle (Berlin) den "‚Berliner Rundfunk' im Berliner Sonderkonflikt", der, laut Galle, vor allem eine Konkurrenz um die "Herzen und Hirne der Hörer" darstellte. Die besondere politisch-rechtliche Situation der Stadt und die knappen Ressourcen sowohl personeller als auch materieller Art im Rundfunk führten zunehmend zu einem großen "Akzeptanzproblem" des Berliner Rundfunks: Je offener die Systemkonkurrenz in den Medien ausgetragen wurde, umso wichtiger wurde auch der Kampf um die Hörer.
Ingrid Pietrzynski (Potsdam) beleuchtete in ihrem Vortrag den 17. Juni 1953 mit seinen Folgen für den Rundfunk der DDR. Dieser sei geradezu gelähmt gewesen, was vor allem am 17. Juni zur kompletten Ignorierung der Ereignisse durch die Programmverantwortlichen geführt habe. Als Folge des Juni-Aufstands machte Pietrzynski eine kritische Auseinandersetzung mit dem Rundfunkprogramm durch Öffentlichkeit und Verantwortliche aus, die ständige Programmreformen und Umstrukturierungen generierte, letztlich aber zeige, dass durch den Juni-Schock Hörerinteressen nicht mehr gänzlich ignoriert wurden, wie dies noch zu Beginn der fünfziger Jahre geschehen war.
Die zweite Sektion der Tagung befasste sich mit dem "DDR-Rundfunk seit dem Mauerbau". Christian Könne (Mannheim) bildete den Auftakt mit Untersuchungsergebnissen zur Wirtschaftspropaganda im Rundfunk der 60er Jahre, die er in drei Typen unterteilte: Die "alltägliche Propaganda" orientierte sich stark an der technokratischen Parteisprache und wurde zeitgleich über alle Medien gesendet, was zu Sättigungserscheinungen der Hörer führte. Mit "außergewöhnlicher Propaganda" betitelte Könne Operativaktionen des Rundfunks, deren Ziel es war, die Vorzüge des sozialistischen Systems aufzuzeigen und den Mensch als zentrale Produktivkraft herauszustellen, während "ungewöhnliche Propaganda" den Zweck verfolgte, mit Hilfe unterhaltender Elemente wirtschaftliche Themen zu befördern.
"Vom Erziehungsinstrument zum Konsumgut?" betitelte Rolf Geserick (Sankt Augustin) seinen Vortrag zur Entwicklung des DDR-Rundfunks in der Honecker-Zeit. Anhand organisatorischer Veränderungen des Rundfunks in den siebziger Jahren machte er stärkere Programmregionalisierungen und zunehmende Personalisierung der Sendungen aus, die zwar zur Stabilität in der Hörerakzeptanz beitrugen, den Verlust der Rolle des Leitmediums ans Fernsehen allerdings nicht ausgleichen konnten.
Sylvia Dietl (Düren) befasste sich in ihrem Referat mit dem "Ende des DDR-Rundfunks unter strukturanalytischen und handlungstheoretischen Aspekten". Dies sei, so Dietl, durch eine Zäsur in Form der Berliner Großdemonstration vom 14. November 1989 gekennzeichnet: War die Reformbereitschaft der Rundfunkverantwortlichen vor diesem Datum noch stark verhalten, habe sich danach eine Eigendynamik im Rundfunk der DDR entwickelt, die vor allem durch die "zweite Reihe" der Rundfunkmacher motiviert gewesen sei. Grundlegende Änderungen habe erst das im Februar 1990 verabschiedete neue Mediengesetz mit sich gebracht, das zu einer starken Umstrukturierung und Regionalisierung der DDR-Medien geführt habe.
Intendant Ernst Elitz (DeutschlandRadio) machte mit seinem Vortrag "Zehn Jahre DeutschlandRadio" auf die Geschichte seines Senders aufmerksam, der 1994 durch die Zusammenführung von Teilen des RIAS mit DS Kultur zu "DeutschlandRadio Berlin" durch eine "Symbiose von Ost und West" zur "unitarischen Komponente" im deutschen Rundfunksystem geworden ist.
Im Zusammenhang mit der Tagung fand am Abend des 26. März ein Zeitzeugengespräch zum Thema "Zwischen Politik und Publikum: Erfahrungen von DDR-Rundfunkjournalisten im Kalten Krieg" statt. Vier ehemalige Mitarbeiter des Rundfunks der DDR, Ernst Dornhoff, Alfred Fleischhacker, Peter Salchow und Peter Warnecke waren unter der Moderation von Renate Schönfelder (DeutschlandRadio Berlin) dazu eingeladen, ihre Arbeit zu reflektieren. Dass diese in besonderer Relation zu den politischen Entwicklungen stand, wurde in vielen Anekdoten deutlich, wie stark die persönliche Rolle in der Propagandamaschine DDR-Hörfunk war hingegen nicht, was auf Kritik aus dem Publikum stieß.
Unter dem Motto "Genres und Themen" stand die Auftaktsektion des zweiten Konferenztages, in der Monika Pater (Hamburg) eingangs über "Unterhaltungssendungen und populäre Musik" in den fünfziger Jahren referierte. "Entspannung, Zerstreuung und Ablenkung" seien die Anfangsmaxime der Unterhaltungssendungen im DDR-Rundfunk der Jahre 1947 bis 1952 gewesen, so Pater, ab Mitte 1953 mit einem immer stärkeren Anspruch zu belehren und zu erziehen. Als Gegenwirklichkeit zum Alltag und mit Ventilwirkung für die Zuschauer - von der staatlichen Führung nur bedingt erkannt - unterstützen die Sendungen den Rückzug ins Private.
Dem Rundfunk als "Kompaß der geistigen Irrfahrt" (Adolf Grimme) widmete sich Hans-Ulrich Wagner (Hamburg) mit seinem Vortrag über die Rolle literarischer Programmangebote beim Berliner Rundfunk und beim Nordwestdeutschen Rundfunk (NWDR) in der Nachkriegszeit. Beide, so Wagner, boten Hilfe zur Lebensbewältigung, wenn auch auf unterschiedlichste Weise: Wurde in den Angeboten des NWDR die gesellschaftliche Rolle des Individuums in den Mittelpunkt gestellt, verbunden mit parabelhafter Selbstreflexion der geistigen Elite, versuchte sich der Berliner Rundfunk an einem volkspädagogischen Medienkonzept mit stark didaktischen Zügen und durch gesellschaftliche Codierung.
Dem Nürnberger "Jahrhundertprozeß" im Berliner Rundfunk widmete sich Christine Bartlitz (Potsdam). Hatte bis zum Beginn des Prozesses im November 1945 die Frage nach der moralischen Verantwortung der gesamten deutschen Bevölkerung am Nationalsozialismus und seinen Folgen noch oberste Priorität, lässt sich, nach Bartlitz, an der Stereotypisierung und Stigmatisierung der Hauptkriegsverbrecher eine Abkehr von dieser Interpretation im Verlauf der "Nuremberg Show" deutlich machen: Die Bevölkerung wurde durch die Dämonisierung der Angeklagten in Verbindung mit der Verurteilung des Monopolkapitals moralisch entlastet und in eine Opferrolle entlassen.
Christoph Classen (Potsdam) erläuterte in seinem Vortrag "‚Faschismus' und ‚Antifaschismus' - Die NS-Zeit zwischen Erinnerung und Politik", wie sich - mit Hilfe des Mediums Radio - die Dominanz des sowjetischen Narrativs vom Sieg über den Faschismus, das der eigenen Erfahrung der Bürger diametral entgegen stand, etablieren konnte. Die rationale Vermittlung von Parolen und Argumenten aber auch von ihrem Charakter her quasi-rituelle Bekenntnisse zur Sowjetunion erhöhten spätestens seit Beginn der fünfziger Jahre den "Kanonisierungsdruck der antifaschistischen Meistererzählung" und förderten den Eindruck von der "DDR als Erlösungsversprechen", so Classen.
Die vierte Sektion des Workshops befasste sich mit Zielgruppenprogrammen im Rundfunk der DDR. Klaus Arnold (Ingolstadt) zeichnete die Geschichte des Deutschlandsenders nach, der von 1948 bis 1971 als offizielles Hörfunkprogramm für die Bundesrepublik sendete. Strukturell den Westangeboten angepasst, sollte der Deutschlandsender versuchen, durch ein Wechselspiel aus ideologischen Vorgaben und Hörerorientierung Hörer in der Bundesrepublik zu gewinnen - eine Zielvorgabe, die sich über die gesamte Sendezeit des Deutschlandsenders hinweg als problematisch erwies. Dies lag nicht nur an dessen niedriger Reichweite, sondern auch an der Konventionalität der Propagandatechniken, die immer in Abhängigkeit zu den jeweiligen SED-Kampagnen standen, so Arnold.
Einen weiteren, jedoch viel kürzeren Versuch der "Auslandspropaganda" im Hörfunk stellte Claus Röck (Leipzig) mit "Radio Vltava" (Radio Moldau) vor, einem Sender, mit dem die DDR auf den Prager Frühling 1968 in der CSSR propagandistisch zu reagieren versuchte. Auf der Frequenz von Radio Berlin International sendend und als CSSR-Untergrundsender getarnt, sollten die "Konterrevolution" enttarnt und, durch Propagierung des Sozialismus anhand der DDR, die Kommunisten in der Tschechoslowakei unterstützt werden. Die, so Röck, "publizistische Flankierung der militärischen Invasion" traf nicht nur im Westen auf massive Kritik - unter anderem wegen der Verletzung internationaler Rundfunkabkommen - auch die Massenmedien in der CSSR lehnten diesen Versuch psychologischer Kriegsführung von seiten der DDR ab und Dubcek schickte Ulbricht eine Protestnote. Ähnlich präsentierten sich die von Jürgen Wilke (Mainz) vorgestellten Geheimsender "Deutscher Freiheitssender 904" und "Deutscher Soldatensender 935", die sich, durch Simulation von Brummtönen vermeintlicher westdeutscher Störsender verstärkt, als freie Äther-Untergrundstimme in der Bundesrepublik ausgeben sollten. Durch den Mitschnitt von SFB- und RIAS-Musiksendungen erreichten die beiden Programme zwar einen bestimmten Hörerkreis, der allerdings zum größten Teil aus DDR-Bürgern - Zivilisten wie Soldaten - bestand. Der propagandistische Auftrag der Sender, Westpropaganda zu machen, verfehlte somit nicht nur durch deren geringe Reichweite in der BRD, sondern auch durch das eigene Musikprogramm, sein eigentliches Ziel.
Mit dem DDR-Zielgruppenprogramm für die Jugend befasste sich Heiner Stahl (Potsdam) in seinem Vortrag "Pop & Propaganda in der Mokka-Milch-Eisbar. Das ‚Jugendstudio DT 64' und die Wendungen der SED-Jugend- und Medienpolitik 1964 bis 1971". Als Festivalprogramm des Deutschlandtreffens der Jugend 1964 mit enormem Erfolg gegründet, sollte "DT 64" laut Politbürobeschluss auch nach den Feierlichkeiten weitersenden. Dieser "Wunsch von oben" führte im Staatlichen Rundfunkkomitee zu heftigen Debatten - die Intendanten der etablierten Sender sahen ihre Pfründe in Gefahr und beschworen die "Aushöhlung ideologischer Fundamente" herauf, allerdings ohne Erfolg: "DT 64" ging im Berliner Rundfunk auf Sendung. Getreu der FDJ-Devise "Wer DT 64 hört, kann kein Westradio hören" überstand das Programm auch die Kritik des 11. Plenums und sendete - vorläufig ohne englische Musik - weiter, mit Beginn der 70er Jahre allerdings nur noch als ergänzendes Angebot zu den Westsendern.
Die letzte Sektion des Workshops widmete sich den "Vergleichenden Perspektiven" und startete mit Adelheid von Salderns (Hannover) Betrachtungen zum "Rundfunk im Nationalsozialismus und in der DDR". Neben der grundsätzlichen Einbeziehung der Bundesrepublik in die Untersuchungen plädierte sie für die Anwendung des "offenen Vergleichs", das heißt für das "In-Beziehung-Setzen" von Strukturen und Befunden. Kontinuitäten zwischen Nationalsozialismus und DDR fand von Saldern in den Medienmentalitäten - medial geprägte Denkstrukturen der Zuhörer -, die von der SED nur unzureichend überschrieben werden konnten. Auch die Problematik des Imports von Ätherwellen - das Hören "feindlicher" Sender - und die gesteuerte Schaffung von vermeintlich ungesteuerten Radio-Öffentlichkeiten wurden von ihr als in beiden Systemen immanente Aufgaben charakterisiert.
Konrad Dussel (Mannheim) zeigte "Aspekte des systematischen Vergleichs" zwischen der Bundesrepublik und der DDR auf und unterschied zwischen "Kontexten" (Politik, Gesellschaft, Wirtschaft) und "Aspekten" (Programm, Technik, Finanzen) des Rundfunks, die in den beiden Systemen in bestimmten Konfigurationen zueinander standen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk der Bundesrepublik verfügte beispielsweise - anders als der Rundfunk der DDR - im Rahmen der Selbstverwaltung über alle drei "Aspekte", war nur begrenzt von außen gesteuert und verfügte dadurch über größere Handlungsspielräume. "Deutsch-deutsche Publika und ihre Präferenzen" beschäftigten Michael Meyen (München), der anhand 100 biographischer Interviews sechs DDR-Mediennutzertypen ausmachte, die sich in Unterhaltungs- und Westorientierung zum Teil stark voneinander absetzten. Die Interviewresultate sowie die Analyse der DDR-Hörerforschungsergebnisse zeigten, dass sich die mutmaßliche Vormachtstellung der Westsender in der DDR nicht beweisen lasse, so Meyen.
Edward Larkey (Baltimore) plädierte in seinem Fazit zum Ende des Workshops für eine Verstärkung des Meinungsaustauschs in der rundfunkgeschichtlichen Forschung, verbunden mit der Anregung, neben der Einbeziehung der Gedächtnisforschung sowie der kulturindustriellen Seiten des Rundfunks, die Perspektive auf internationale Rundfunkentwicklungen hin zu erweitern.
Anmerkungen:
1 Das ausführliche Programm siehe http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/termine/id=2502