Arbeitsgemeinschaft „Demokratia“ – Auf den Spuren einer antiken Staatsform. Kolloquium zum zehnjährigen Bestehen der Arbeitsgemeinschaft

Arbeitsgemeinschaft „Demokratia“ – Auf den Spuren einer antiken Staatsform. Kolloquium zum zehnjährigen Bestehen der Arbeitsgemeinschaft

Organisatoren
Arbeitsgemeinschaft „Demokratia“, Universität Erlangen
Ort
Erlangen
Land
Deutschland
Vom - Bis
16.07.2004 - 17.07.2004
Url der Konferenzwebsite
Von
Katja Gorbahn, Universität Siegen

Einen Dialog über die Grenzen von Fächern wie Zeiten anzubahnen, ist Anliegen der Arbeitsgemeinschaft Demokratia, 1 die vor zehn Jahren von der Althistorikerin Angela Pabst ins Leben gerufen wurde. Unter ihrer Leitung finden sich seither Studierende und Dozierende verschiedener Fachrichtungen zur gemeinsamen Arbeit am Thema Demokratie zusammen. Anlässlich des Jubiläums gab ein öffentliches Kolloquium am 16. und 17. Juli Einblick in diese Arbeit. Interdisziplinarität ohne den Verzicht auf Disziplin ist dabei Programm, und so zeigten die Referate des ersten Tages Querverbindungen zu anderen, auch ferner liegenden Fächern auf. Der Festvortrag und die Vorträge des zweiten Tags waren altertumswissenschaftlich orientiert.

Den Auftakt bildete ein Vortrag des Zoologen und Verhaltensforscher Udo Gansloßer (Erlangen) zum Thema "Entscheidungsfindung in Tiergruppen". Der Brückenschlag zur Biologie gilt in den Geisteswissenschaften nicht ohne Grund als problematisch, doch versuchte der Vortrag Gansloßers, ein Gegengewicht zu jenen biologistischen Argumentationen zu bilden, die das Recht des Stärkeren propagieren und als "natürlich" zu legitimieren suchen. Er zeigte zunächst an verschiedenen Beispielen auf, wie Tiergruppen wichtige Fragen nicht auf "despotischem" Wege, sondern durch "Abstimmungsprozesse" - sei es durch Körperpositionen oder durch akustische Signale - regeln können. Weiterhin betonte Gansloßer den Unterschied zwischen Rangordnung und Anführerschaft, denn auch rangniedrigere Tiere können zu Anführern werden, wenn sie z.B. über wichtige Erfahrungen verfügen. Im letzten Teil des Vortrags wurden in Abgrenzung vom Rangordnungsverhalten, bei denen das ranghöchste Tier ohne weitere Probleme die begehrten Dinge erhält, egalitäre, bedarfsabhängige Verteilungssysteme vorgestellt, die, so Gansloßer, für alle Beteiligten mehr Vorteile hätten. Befunde, die darauf hinweisen, dass innerhalb einer Spezies in unterschiedlichen Rudeln verschiedene Modelle auftreten, stießen in der Diskussion auf großes Interesse.

In seinem Vortrag zum Thema "Wir sind keine alten Griechen. Das antike Drama in der letzten Hälfte des 20. Jh. auf Bühne und Leinwand" klärte der Theater- und Medienwissenschaftler Henri Schoenmakers (Erlangen) zunächst seinen Emotionsbegriff. Emotionen seien im gegebenen Zusammenhang als Resultat kognitiver Prozesse aufzufassen, die auftreten, wenn Belange von Zuschauern betroffen seien. Theoretisch sei je nach der Art der betroffenen Belange zwischen Fiktionsemotionen, die aus Belangen des Alltagslebens resultieren und Artefaktemotionen bzw. ästhetischen Emotionen, die mit Gestaltungs- und Narrationskonventionen der Medien selbst zu tun haben, zu unterscheiden. Aus antiken Theateraufführungen seien beide Emotionstypen bekannt, heute würden jedoch viele Regisseure bzw. Theaterwissenschaftler die griechische Tragödie zu Unrecht ausschließlich auf allgemeine menschliche Probleme hin und nicht im Bezug auf den zeitgenössischen gesellschaftlichen Kontext interpretieren. Demgegenüber vertrat Schoenmakers die Auffassung, für die Aufführung antiker Stücke sei präzises Wissen über die historische Situation, der sie entstammen, nötig. Nur so könne erkannt werden, welche Elemente im Hinblick auf die Belange der Zuschauer damals wirksam waren, heute aber nicht mehr präsent sind. Daran anschließend könnten kreative Wege für eine Rekontextualisierung gesucht werden. Seine Ausführungen stützte Schoenmakers mit zahlreichen Beispielen insbesondere von Aufführungen der Orestie.

Einem derzeit von vielen Ängsten begleiteten und oft kaum objektiv diskutierbaren Thema widmete sich der Vortrag "Zum Verhältnis von Demokratie und Islam" des Juristen Mathias Rohe (Erlangen). Ausgehend von gängigen modernen Demokratievorstellungen benannte er zunächst "externe" wie "interne" Gründe für erkennbare Demokratiedefizite in der islamischen Welt. Der Islam trage jedoch mehr oder weniger jede Staatsform, je nachdem, ob man seine Quellen statisch oder dynamisch interpretiere, und sei dementsprechend auch mit der Demokratie durchaus vereinbar. Die von Muslimen vertretenen Positionen im Hinblick auf die Demokratie reichten von extremer Ablehnung bis hin zu positiver Identifikation. Eine Absage erteilte Rohe sowohl Behauptungen von der Existenz einer Tradition der "Verstellung der wahren Ansichten", also des "Lügendürfens", gegenüber Nicht-Muslimen als auch Vorstellungen von einem monolithischen islamischen bzw. muslimischen Block.

Den abendlichen Festvortrag "Wo beginnt die europäische Geschichte? Überlegungen zu den Griechen" hielt vor zahlreichem Publikum Christian Meier (München). Ausgehend von der These, dass die antike griechische und römische Geschichte als Frühgeschichte Europas aufzufassen sei, ging er zunächst dem griechischen Europabegriff und seiner Entwicklung nach. Europa habe sich, so Meier, in wenigen, aber wirkungsreichen Quellen bereits in der griechischen Antike als Kontinent der Freiheit abgezeichnet, eng verbunden freilich mit der Annahme griechischer bzw. europäischer Überlegenheit. Der Hauptteil des Vortrags beschrieb die griechische politische Entwicklung bis hin zu Demokratie und mit ihr verbunden der Klassik als "Kulturbildung aus der Freiheit und um der Freiheit willen". Über die römische Vermittlung sei dies weitergetragen und in Europa weit intensiver als in der arabischen Welt aufgenommen worden. Europa sei somit weniger Sache bestimmter Völker, sondern Sache einer bestimmten Kultur, die, ob mit segensreichen Konsequenzen oder nicht, von bestimmten Völkern aufgenommen wurde.

"Gesichter der Demokratie. Historisch-Archäologisches zu den attischen Phylenheroen und den Personifikationen von demos und demokratia" hatte die Klassische Archäologin Uta Kron (Jena) ihren Vortrag zur Bilderwelt der Demokratie benannt. Vorgestellt wurden zahlreiche Darstellungen der Heroen der kleisthenischen Phylen sowie einige ihrer Kultorte. Die Phylenheroen dienten als Symbolfiguren, die von den Phylenangehörigen in vielfältigen Zusammenhängen verwendet wurden, der mythologische Hintergrund konnte propagandistisch genutzt werden. In der radikalen Demokratie, so Kron, taucht dann der Bildtyp des Phylenheros als Bürger auf. In gleicher Weise werde auch die Figur des demos selbst verehrt. In seiner Figur wie auch in der Figur der demokratia wurde die Demokratie sichtbar gemacht.

In dem Vortrag "Aristokraten in der Demokratie. Statusvorteile durch genealogische Legitimation?" stellte Claudia Tiersch (Alte Geschichte, Dresden) einen Ausschnitt aus ihrem Habilitationsprojekt vor. Am Beispiel eines Vergleichs zwischen den politischen Schicksalen Alkibiades des Älteren und seines Sohnes Alkibiades des Jüngeren stellte sie Überlegungen dazu an, inwiefern sich hier ein Wandel im Hinblick auf die Statusvorteile für Aristokraten erkennen lässt, und ging der Frage nach, wie ein solcher Wandlungsprozess auf dem Felde der genealogischen Legitimation fassbar ist. Sie kam dabei zu dem Schluss, dass die genealogische Legitimation auch in der Demokratie statusrelevant blieb. Gleichzeitig seien Veränderungsprozesse im Sinne einer demokratischen Transformation zu beobachten: Relevant waren nun nicht mehr die mythischen Vorfahren, sondern historisch greifbare Generationen mit konkret nachweisbaren Leistungen, die auch genannt wurden, statt nur auf den Namen des Vorfahren zu verweisen. Eine solche Form der genealogischen Legitimation war auch nicht-aristokratischen Politikern möglich.

Den abschließenden Vortrag hielt Karl-Wilhelm Welwei (Alte Geschichte, Bochum). In seinem Referat "Sparta: Zum Konstrukt eines oligarchischen Gegenbildes zur athenischen Demokratie" vertrat er die These, das Konstrukt einer Herrschaft der Wenigen in Sparta sei in später perikleischer Zeit von der athenischen Propaganda ins Spiel gebracht worden. Die Klassifizierung Spartas als Oligarchie werde jedoch der tatsächlichen, an verschiedenen Beispielen exemplifizierten Rolle des spartanischen Damos nicht gerecht. Sparta sei eine Ordnung sui generis geblieben, die sich weder in eine Typologie einfügen noch als Mischverfassung klassifizieren lasse. Das Problem der Polarisierung zwischen Athen und Sparta - nicht zuletzt in der aktuellen Geschichtskultur - wurde in der Diskussion noch einmal thematisiert.

In der Vielfalt der angesprochen Aspekte und der an das Thema Demokratie herangetragenen Blickwinkel lag der große Reiz dieser Tagung. Dazu trug neben den Referenten auch das aus verschiedenen Fachrichtungen, aus Universität und Öffentlichkeit stammende Publikum bei. Das Interesse, über die Grenzen der eigenen Disziplin hinaus miteinander ins Gespräch zu kommen, war groß. Raum boten nicht nur die - in demokratischer Manier von Studierenden und Doktoranden geleiteten - Diskussionen, auch abseits des Programms war eine Atmosphäre von Offenheit und Neugier spürbar, die sich nicht zuletzt der Freude und dem großen Engagement der Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft verdankte.

Anmerkungen:
1 Weitere Informationen zur Arbeitsgemeinschaft Demokratia sind unter http://www.demokratia.org abrufbar.


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