Die Zeit als Faktor historischer Erkenntnis. Neue Ansätze in der Erforschung historischer Zyklen

Die Zeit als Faktor historischer Erkenntnis. Neue Ansätze in der Erforschung historischer Zyklen

Organisatoren
Mission Historique Française en Allemagne (Julien DEMADE, Christophe DUHAMELLE) und dem Centre de Recherches Historiques (EHESS/CNRS; Gérard BEAUR)
Ort
Göttingen
Land
Deutschland
Vom - Bis
04.09.2004 -
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Von
Julien Demade, Mission Historique Française en Allemagne

„Die Zeit als Faktor historischer Erkenntnis. Neue Ansätze in der Erforschung historischer Zyklen“

Am 4. September 2004 fand am Göttinger Max-Planck-Institut für Geschichte eine Tagung statt, die von der Mission Historique Française en Allemagne (MHFA) (Julien Demade, Christophe Duhamelle) und dem Centre de Recherches Historiques (EHESS/CNRS; Gérard Beaur) organisiert und finanziell durch das CIERA (Paris) unterstützt wurde. Die Tagung war von der Absicht getragen, über ein bestimmtes Thema, bei dem in besonderer Weise Methoden und Instrumentarium der Geschichtswissenschaft im Vordergrund stehen, Historiker aus Deutschland und Frankreich miteinander ins Gespräch zu bringen, die jeweils zu unterschiedlichen historischen Epochen arbeiten. Die Verbindung zwischen einer eingegrenzten Themenvorgabe und vielfältigen individuellen Horizonten sollte den Austausch über einen gemeinsamen Gegenstandsbereich und das gemeinsame Reflektieren über die eigenen wissenschaftlichen Vorgehens- und Denkweisen fördern.

Gérard Beaur (CNRS/ EHESS, Paris) unterstrich in seiner Einführung zum einen die Kritik am Begriff des Makro-Zyklus (vor allem mit Hinweis auf das Konzept der ‚Sequenz‘, das von Michel Morineau in den 1980er Jahren eingebracht wurde, um die Annahme von durch regelmäßige Dauer und endogene Ursachen geprägten Phasen zu widerlegen und statt dessen von Perioden ungleicher Dauer auszugehen, die durch zufallsbedingte Erschütterungen angestoßen würden). Zum andern wies er aber auch auf die Ambiguitäten hin, die mit einer Übertragung des Zyklus-Begriffs auf die Mikro-Ebene verbunden sind. Dabei bezog er sich gleichermaßen auf begriffliche Uneindeutigkeiten (soll man vom individuellen „life cycle“ sprechen, oder diesem den „cycle de vie familial“ der Franzosen vorziehen?) wie auch auf Uneindeutigkeiten, die mit der weithin vergessenen Geschichte dieser Übertragung selbst verbunden sind (so taucht in den Arbeiten Chayanovs, der im allgemeinen als Vorreiter dieses Ansatzes angesehen wird, der Begriff des Zyklus gar nicht auf; statt dessen ist von der „Entwicklung der Familie“ die Rede).
Beaur wandte sich dann der empirischen Erforschung dieser Probleme am Beispiel des Landerwerbs und -verkaufs unter Kleinbauern in der Region von Chartres im 18. Jahrhundert zu. Wenn sich auf Grundlage aggregierter Daten ein Lebenszyklus feststellen läßt, der dem Modell Chayanovs entspricht (zunehmender Erwerb von Land in der Jugend und mittleren Lebensalter, um zunächst auf die zunehmende Zahl der zu ernährenden Familienmitglieder zu reagieren, und später, um Nutzen aus der Vermehrung aktiver Familienmitglieder zu ziehen; schließlich Verkauf im Alter infolge einer Abnahme dieser Variablen wegen der Versorgung der Kinder in selbständigen Haushalten), so zeigt eine Aufgliederung der untersuchten Gruppe in Kohorten, in denen jeweils in der gleichen Zeitspanne geborene Individuen zusammengefaßt werden, den großen Einfluß, den die Rahmenbedingungen des ökonomischen Zyklus der Makro-Ebene auf die Umsetzung des individuellen Lebenszyklus ausüben. Denn die Krisen auf der Makro-Ebene bestimmen die Strategien der Akteure und bedingen auf diese Weise Ungleichheit, die vom jeweiligen Zeitpunkt ihrer Geburt abhängt. So konnte David Sabean zwar für das schwäbische Dorf Neckarshausen im 18. und 19. Jahrhundert mit Hilfe eines Vergleichs von Alterskohorten, die jeweils vierzig Jahre auseinander lagen, feststellen, daß es Unterschiede hinsichtlich der Chancen gab, den jeweiligen Lebenszyklus zu vollziehen, und daß diese Unterschiede dem Trend unterlagen. Demgegenüber konnte Gérard Beaur jedoch nachweisen, daß bei einer Analyse von zeitlich näher beieinander liegenden Alterskohorten (ihr Abstand beträgt nunmehr 10 Jahre) der additive Einfluß von Zyklen mittlerer Reichweite festgestellt werden kann. Ein Lebenszyklus, der auf der Grundlage serieller Daten rekonstruiert wurde, erscheint somit als Artefakt, das wenig Gemeinsamkeiten aufweist mit den besonderen Erfahrungen der einzelnen Generationen. Ebenso verhält es sich mit dem jahreszeitlichen Zyklus des Landerwerbs und -verkaufs. Wenn nämlich die Gesamtheit der Transaktionen betrachtet wird, zeigt sich ein sehr deutliches, wenn auch überraschendes Bild (so erreichten sie ihr Maximum am Ende des Winters und zu Beginn des Frühjahres, das heißt eben nicht kurz vor der neuen Ernte, wie es die weitverbreitete Vorstellung vom Zusammenhang zwischen Landverkauf und Getreidehöchstpreisen vorsieht). Gleichwohl läßt ihre Aufgliederung entweder nach Altersklassen der Akteure (das heißt nach unterschiedlichen Etappen des Lebenszyklus), nach konjunkturellen Faktoren auf der Makro-Ebene (Jahre mit guter oder schlechter Ernte), oder nach dem Typ der durchgeführten Transaktionen (jahreszeitenbezogen bei den Verkäufern, das Gegenteil bei den Käufern) 1 jeweils sehr unterschiedliche jahreszeitbedingte Handlungslogiken deutlich werden. Beaur stellte abschließend Transaktionen vor, die von einigen Individuen im Laufe ihre Lebens vorgenommen wurden und die keinerlei lebenszyklische Regelmäßigkeit erkennen lassen, was die Frage nach dem epistemologischen Wert der vom Historiker herausgearbeiteten Zyklen aufwirft: Handelt es sich dabei um ein reines Konstrukt, das lediglich auf der Art der Datenaggregation beruht?

Jürgen Schlumbohm (Max-Planck-Institut für Geschichte, Göttingen) erörterte daraufhin die Konsequenzen des Chayanov’schen Begriffs des Lebenszyklus für die Interpretation sozialer Ungleichheit in den vorindustriellen Gesellschaften. Noch stärker als der russische Autor ging nämlich Alan McFarlane, der sich auf dessen Arbeiten stützte, davon aus, daß die Zunahme und Abnahme der Betriebsgröße im Zusammenhang mit dem Alterungsprozeß zu Ungleichheiten zwischen den einzelnen landwirtschaftlichen Betrieben führte und daß hierauf ein großer Teil der sozialen Ungleichheit in den landwirtschaftlichen Gesellschaften zurückgeführt werden kann. Eine solche Form sozialer Ungleichheit entspricht somit nicht der durch den individualistischen kapitalistischen Markt verursachten. Soziale Ungleichheit existierte somit nicht, da Ungleichheit lediglich übergangsweise an Lebensphasen und nicht dauerhaft an soziale Gruppen gebunden war. In neueren Arbeiten zu den deutschen ländlichen Gesellschaften der Frühen Neuzeit (Hans Medick, David Sabean) wird zwar deutlich eine Verbindung zwischen der Größe des Besitzes und dem Lebensalter nachgewiesen, es sollte daraus aber dennoch keine Allgemeingültigkeit der Theorie Chayanovs abgeleitet werden, da sich diese Forschungen nur auf einen bestimmten Raum beziehen (den Südwesten des Reiches), der vom System der Erbteilung geprägt war. In diesem Sinne ist nicht nur die Korrelation zwischen Lebenszyklus und Reichtum an einen besonderen institutionellen Rahmen gebunden. Auch ihre Mechanismen weisen Unterschiede zu den von Chayanov angeführten auf, da sich die Angleichung der Größe des Landes an die Familiengröße nicht in erster Linie über den Erwerb oder Verkauf von Land, sondern durch Schenkung unter Lebenden vollzog, wobei die Kinder Land erhielten, wenn sie heirateten, das heißt sobald sie den elterlichen Wirtschaftsbetrieb verließen (und auf diese Weise die Zahl der zu ernährenden Familienmitglieder wie auch die verfügbare Arbeitskraft verringerten). Das empfangene Land stellte somit einen Vorschuß ihres Erbteils dar, durch den sich der Betrieb der Eltern fortlaufend verkleinerte. Der Erwerb von Land hatte dabei nur eine unterstützende Funktion, indem er neu gegründete Familien in die Lage versetzte, das Land in dem Maße zu erweitern, wie sie selbst anwuchsen. Alte Bauern konnten demgegenüber durch den Verkauf von Land ihren Lebensunterhalt finanzieren, den sie nicht mehr durch eigene Arbeit bestreiten konnten.
Allerdings verschwinden die Phänomene des Lebenszyklus, sobald man eine ganz andere Region Deutschlands wie den von Schlumbohm untersuchten Nordwesten in den Blick nimmt, wo die soziale Ungleichheit wieder in den Vordergrund tritt. Hier erfolgt die Übertragung des Besitzes immer zum Zeitpunkt der Heirat des Alleinerben (und nicht wie in den französischen Regionen „à maisons“ beim Tod des „pater familias“). Auf diese Weise gibt es für einen Teil der Bevölkerung (die Erben) keine Zyklen einer fortschreitenden Akkumulation von Land, sondern einen unvermittelten Übergang von der Besitzlosigkeit zum Besitz großer Wirtschaftsbetriebe. Für den anderen, größeren, Teil der Bevölkerung (die anderen Geschwister) ist ein solcher Zyklus noch viel weniger feststellbar, da dieser sein ganzes Leben lang keinen Grundbesitz erwarb. Schließlich funktioniert dieses System keineswegs im Sinne Chayanovs, weil hier keine Angleichung der Größe der Wirtschaftsbetriebe an die der Familien durch Landerwerb beziehungsweise -verkauf stattfindet, sondern - im Gegenteil - eine durch den Arbeitsmarkt (das heißt durch das Gewicht des landwirtschaftlichen Gesindes, die aus der großen Zahl der von jeglichem Landerwerb ausgeschlossenen Personen resultiert) bedingte Angleichung der Familiengröße an die Größe der Wirtschaftsbetriebe. Schlumbohm konnte auf diese Weise mit Hilfe einer komparativen Methode die vermeintliche Evidenz des Lebenszyklus-Begriffs widerlegen und nachweisen, daß ein solches Phänomen nicht verallgemeinernd auf Zwänge zurückgeführt werden kann, die die vorindustriellen Gesellschaften kennzeichneten, sondern eher auf die Rückübersetzung dieser Zwänge durch das je nach Region spezifische Sozialgefüge.

Georg Fertig (Universität Münster) untersuchte dagegen anhand von drei westfälischen Gemeinden im 19. Jahrhundert weniger das Verhältnis zwischen Lebenszyklus und sozialer Ungleichheit, sondern die von Chayanov angenommene Verbindung zwischen dem Landerwerb beziehungsweise -verkauf und dem Lebenszyklus – das Verhältnis zwischen einem „Markt“ also und den familiären Logiken, aus dem sich der Einfluß von Zyklen auf einer Makro-Ebene auf die Zyklen der Mikro-Ebene erklären läßt. Seine Quellen zeigen indes keinerlei Auswirkung der Getreidepreise sowohl auf die Menge der Transaktionen von Land als auch auf die Preise von Grund und Boden. Läßt sich daraus schließen, daß sich Lebenszyklen vermittels Landerwerb und -verkauf ohne Einwirkungen von Produktionszyklen vollzogen – ein Befund, der im Gegensatz stünde zu G. Beaurs Beobachtungen? Dies ist nicht der Fall, denn die Akkumulation und dann Veräußerung von Land in Abhängigkeit zum Alterungsprozeß wurde in diesen ländlichen Gemeinschaften nicht über den Grund- und Bodenmarkt, sondern eher über Schenkungen unter Lebenden (von Eltern an ihre Kinder) oder Vererbung oder aber Landtransaktionen durchgeführt. Solche Transaktionen von Land zwischen Verwandten unterliegen jedoch nicht den Logiken des Marktes, sondern denen der zwei erstgenannten Arten der Eigentumsübertragung 2. Störende Auswirkungen ökonomischer Zyklen auf der Makro-Ebene auf die Zyklen der Mikro-Ebene konnten ausgeschlossen werden, indem diese Gesellschaft sorgfältig darauf achtete, daß sich diese Lebenszyklen nicht in Abhängigkeit vom Markt vollzogen. Es erscheint wenig sinnvoll, dieses System als ein Zeugnis fortbestehender Archaismen zu interpretieren, denn die selben landwirtschaftlichen Produzenten tätigten zugleich in großem Umfang geldwirtschaftliche Geschäfte – dies allerdings auf anderen Märkten wie etwa im Bereich der Kommerzialisierung ihrer landwirtschaftlichen Produkte oder des Verkaufs ihrer proto-industriell gefertigten Textilien. Damit wird deutlich, daß es den dörflichen Gesellschaften durchaus möglich war, sich nur partiell den Mechanismen des Marktes zu öffnen und auf diese Weise ihre eigenen Reproduktionslogiken zu bewahren, die auf einen ungestörten Vollzug des Lebenszyklus ausgerichtet waren.

Mit Hilfe seiner Methode der „event history analysis“ (die eine multivariate Regressionsanalyse ermöglicht) leitete Fertigs Beitrag zu den folgenden zwei Vorträgen über, in denen die Zyklizität im Zusammenhang mit neueren statistischen Untersuchungsmethoden thematisiert wurde. Noël Bonneuil (EHESS/ INED, Paris) leitete seinen Vortrag mit einer scharfen Kritik an den einflußreichen Überlegungen Richard Easterlins zur Zyklizität der Geburtenrate ein, der überdies durch ökonomische Zyklen determiniert sei. Unter Anwendung von Methoden aus dem Bereich der Theorie zur Dynamik von Systemen, das heißt durch eine Untersuchung der Henri Poincaré’schen ‚Zustandsräume‘ (in der die Objekte durch ihre Position, durch die Geschwindigkeit ihrer Bewegung und ihre Beschleunigung definiert werden) konnte nachgewiesen werden, daß Easterlins Interpretation unzutreffend ist 3. In einem solchen topologischen Analyseverfahren entspricht der Zyklus einer besonderen Laufbahn, die sich als eine feste Kreisbewegung darstellt. Eine solche Laufbahn läßt sich jedoch keinesfalls in bezug auf die Geburtenrate feststellen. Auch wenn diese im 17. wie auch im 20. Jahrhundert eine Konzentration durch ‚Attraktoren‘ aufweist, die ihr Stabilität verleihen, findet diese Stabilisierung dennoch nicht in Zyklen statt, denn die um diese Attraktoren herum feststellbaren Variationen sind zufallsbedingt. Vor allem aber verlagert sich die Geburtenrate in den beiden untersuchten Beispielen von einem Attraktor auf einen anderen. Diese Deplazierungen erfolgen nicht in periodischen Zeitintervallen und lassen sich deshalb auf zufallsbedingte äußerliche Einflüsse zurückführen. Mit Hilfe der hier verwendeten Methode konnte demnach nachgewiesen werden, daß Phänomene, die auf den ersten Blick zyklisch erscheinen können, strenggenommen Pseudo-Zyklen darstellen.

Julien Demade (MHFA, Göttingen) stützte sich in seinem Vortrag über Getreideproduktion und Getreidepreise im Nürnberg des 15. und 16. Jahrhunderts auf Modelle der Auto-Regression. Ausgehend von dem zunächst unerwarteten Befund von deutlichen Abweichungen zwischen Zehnten und Preisen (weil nur die letzteren regelmäßige Schwankungen anzeigen), stellte er ein ökonometrisches Untersuchungsverfahren vor, das auf einer auto-regressiven vektoriellen Modellbildung erster Ordnung basiert (bei dem der Preis des Jahres t die Funktion des Preises im Jahr t-1 sowie die Funktion der entgegengesetzten Variation des Zehnts im Jahr t in bezug auf den des Jahres t-1 darstellt). Daneben erläuterte er ein ökonomisches Untersuchungsverfahren, das auf einem Modell des Ungleichgewichts basiert. Durch eine Kombination der beiden Untersuchungsmethoden läßt sich das besondere Charakteristikum der (Pseudo-)Zyklizität der jährlichen Preise erklären, das darin besteht, daß es gleichermaßen partiell wie asymmetrisch ist (die Preisentwicklung verläuft in langen ruhigen Perioden, die periodisch durch plötzliche Variationen unterbrochen werden, die durchweg als „Hausse“, jedoch nie als „Baisse“ in Erscheinung treten). Dies ist ein Indikator für ein oligopolistisches System des Getreidehandels, das auf der Macht der Grundherren beruhte, einen Minimalpreis zu bestimmen, der nah am Normalpreis lag. Die Untersuchung der periodisch-jahreszeitlichen Preisschwankungen bietet seinerseits nicht nur die Möglichkeit, zumindest für diese Region und für diese Zeit die klassische Sichtweise eines progressiven Preisanstieges von einer Ernte bis zur nächsten zu widerlegen, sondern sie bestätigt auch die Annahme, daß der Getreidehandel in der Feudalwirtschaft durch Oligopole beherrscht wurde. Denn der winterliche Preishöchststand ist nicht erklärbar, wenn nicht von einer spekulativen Lagerhaltung ausgegangen wird, die einen raschen Anstieg der Preise nach der Ernte gewährleistete. Auf diese Weise erscheint die Zyklizität der Preise in der Feudalwirtschaft nicht als Produkt des Einflusses einer determinierenden Natur auf die Produktivkräfte (so wird die zwischen den Jahren beobachtbare Zyklizität nicht durch eine Zyklizität der Produktion bestimmt, denn eine solche gibt es nicht, und auch die innerjährliche Zyklizität erscheint in einer Form, die nicht als das Produkt einer ‚natürlichen‘ Getreideverknappung angesehen werden kann), sondern als Produkt der Rückübersetzung dieser natürlichen Rahmenbedingungen durch ein spezifisches geldwirtschaftliches System (das von einem herrschaftlichen Oligopol beherrscht wurde). Die Zyklizität ist demnach ein sozial konstruiertes Phänomen, um Herrschaftspositionen zu sichern.

In seinem abschließenden Beitrag erweiterte Michael Kopsidis (Institut für Agrarentwicklung, Halle) die Perspektive auf das Tagungsthema, indem er den Blick von den Zyklen auf Tendenzen richtete, die er am Beispiel der letzten vorindustriellen landwirtschaftlichen Wachstumsphase in England, Preußen, Rußland und China vergleichend untersuchte. Ausgehend von neueren Erkenntnissen der Entwicklungsökonomie konnte er im Widerspruch zur üblichen geschichtswissenschaftlichen Theorie aufzeigen, daß dieses Wachstum auf die kleinen bäuerlichen Betriebe zurückzuführen ist, deren Besonderheit darin liegt, daß sie den Gebrauch von Produktionskräften maximieren und die „transaction costs“ minimieren konnten, wohingegen die großen proto-kapitalistischen Betriebe nur dann konkurrenzfähig waren, wenn sie staatliche Unterstützung erhielten, die das Konkurrenzverhältnis zu den kleinen Betrieben verzerrte. Die Tagung endete auf diese Weise mit einem Hinweis auf die dynamischen Kräfte in sogenannten ‚traditionellen‘ ländlichen Gesellschaften – ein also Hinweis darauf, daß es sich bei den dort auftretenden ‚zyklischen‘ Phänomenen mitnichten nur um eine einfache Wiederholung des Immergleichen handeln konnte.

ANMERKUNGEN:
1 Die Möglichkeit, zwischen dieser doppelten jahreszeitlichen Verteilung von Transaktionen zu unterscheiden, ergibt sich aus dem Umstand, daß die Kleinbauern nicht nur untereinander, sondern auch mit Akteuren aus anderen sozialen Gruppen Grund- und Bodengeschäfte tätigten.
2 Die drei Arten der Eigentumsübertragung unterlagen einer zeitlichen Logik: auf die Schenkungen der Eltern zum Zeitpunkt der Heirat der Kinder folgten die elterlichen Verkäufe an die Kinder (denn letztere verfügten über eigenen Besitz, der es ihnen ermöglichte, die Käufe zu finanzieren; die Verkaufserträge stellten wiederum die Lebensgrundlage der Eltern dar, die nicht mehr arbeiten konnten), und schließlich die Vererbung.
3 Die empirischen Grundlage dieser Überlegungen bildeten dabei nicht nur dieselben Daten, die Easterlin als Beweis für den zyklischen Charakter der Geburtenrate angeführt hatte (nämlich solche, die sich auf den „baby-boom“ beziehen), sondern ebenso Daten aus dem 17. Jahrhundert.


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