Arnold von Lübeck

Organisatoren
Stephan Freund, Historisches Institut der Friedrich Schiller-Universität Jena; GWZO Leipzig; Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald
Ort
Jena
Land
Deutschland
Vom - Bis
25.02.2005 - 26.02.2005
Url der Konferenzwebsite
Von
Stephan Freund, Historisches Institut der Friedrich Schiller-Universität Jena

Am 25. und 26. Februar 2005 fand im Senatssaal der Friedrich Schiller-Universität Jena eine durch HD Dr. Stephan Freund initiierte und organisierte Tagung zum Thema "Die "Chronik" Arnolds von Lübeck - Neue Wege zu ihrem Verständnis" statt. Die in Kooperation mit dem GWZO Leipzig sowie der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald abgehaltene Zusammenkunft wurde aus Mitteln der Gerda Henkel Stiftung Düsseldorf gefördert. 8 Referenten und 60 eingeschriebene Teilnehmer aus ganz Deutschland befaßten sich mit der "Historia", die Arnold, der Abt des Lübecker Johannisklosters, vermutlich in der Zeit von März bis Ende August 1210 verfaßte und die als eine der wichtigsten Quellen für die Reichsgeschichte des späten 12. und frühen 13. Jahrhunderts sowie für die Geschichte Nordalbingiens in jener Epoche gilt.

Im Einzelnen handelte es sich um folgende Vorträge:

MATTHIAS HARDT (Leipzig), "Arnold von Lübeck und Lübeck", lenkte den Blick auf die aus den archäologischen Befunden eindrucksvoll zu rekonstruierende Situation Lübecks zur Abfassungszeit der "Chronik". Die Stadt, die durch die Verlegung des Bischofssitzes von Oldenburg nach Lübeck im Jahre 1160 einen enormen Entwicklungsimpuls erhalten hatte, befand sich gegen Ende des 12. und bis in die Mitte des 13. Jahrhunderts in einem regelrechten "take off", wuchs rasch an und entwickelte sich in städtebaulicher Hinsicht in einem enormen Tempo, was unter anderem zur Aufschüttung und Erweiterung des Stadthügels und zur Errichtung einer großen Stadtmauer führte, so daß Lübeck um 1230/40 bereits umfassend aufgesiedelt war. Diese archäologischen Befunde einer buchstäblichen "boomtown" bilden einen markanten Gegensatz zu Arnolds Schilderungen, der von diesen Entwicklungen in seinem Werk nichts berichtet. Vielmehr beschränkt er sich weitgehend auf die Belange seines Johannisklosters, das in dieser Zeit wohl ebenfalls im Aus- und Umbau befindlich war, bzw. auf die Geschichte der Bischöfe der Stadt.

STEPHAN PANZER (Jena), "Die Chronik Arnolds von Lübeck - Adressaten und Darstellungsabsicht", konnte deutlich machen, daß die bislang vorgenommenen Versuche, die Chronik als "Werk aus einem Guß" aufzufassen und alle Aspekte unter einer vereinheitlichenden Gesamtthematik kategorisieren zu wollen, aufzugeben sind zugunsten einer durch Arnold selbst in sein Werk eingeführten oder von den späteren Rezipienten so empfundenen Multiperspektivität. Die Sorge um das Wohl der Region, den status terrae nostrae, und die Belange der Mission spielten für Arnold, dessen Selbstverständnis als Autor geprägt war von seinem Amt als Abt eines Benediktinerklosters, eine wichtige Rolle. Reichsgeschichtliche Ereignisse wurden vor diesem Hintergrund in ihren Auswirkungen auf das geistliche Leben gemessen und beurteilt. Zudem gilt Arnolds besonderes Augenmerk didaktischen Intentionen, bildet das Gegensatzpaar humilitas versus superbia eine Konstante seiner Darstellung, in der immer wieder Kritik an Verweltlichungstendenzen des Klerus geäußert und demgegenüber die mönchische Lebensweise gepriesen wird. Und schließlich finden sich im Werk zahlreiche Passagen, die darauf hindeuten, daß Arnold zugleich eine "Chronik mit Unterhaltungswert" schaffen wollte. Die Vielschichtigkeit des Werks machte es zugleich interessant für unterschiedliche Rezipienten - Bischof Philipp von Ratzeburg und sein Domkapitel, den Konvent des Lübecker Johannisklosters und weitere Benediktinerklöster sowie schließlich auch weltliche Kreise um Wilhelm von Lüneburg. Diese Adressaten können jedoch nicht als mögliche Auftraggeber angesehen werden, vielmehr handelte es sich bei der Chronik wohl nicht um ein Auftragswerk. Die konkreten Ursachen, die zur Entstehung der historia führten und Arnold veranlaßten, zur Feder zu greifen, müssen noch immer als offen gelten. Vielleicht waren es innermonastische Konflikte oder auch die Konkurrenz zu den Zisterziensern, vielleicht aber auch, das wäre noch stärker in die Diskussion miteinzubeziehen, der Wunsch Arnolds gegen Ende seines Lebens eine Art Vermächtnis an seinen Nachfolger als Abt des Lübecker Johannisklosters zu formulieren.

Ausgehend von der an der Handschriftenüberlieferung abzulesenden Rezeptionsgeschichte von Arnolds Werk erstellte HELMUT G. WALTHER (Jena), "Die handschriftliche Überlieferung der Chronik Arnolds von Lübeck", ein neues Stemma der Textzeugen. Er postulierte ein noch zu Lebzeiten Arnolds entstandenes "redigiertes Autorenexemplar", eine umfängliche vor 1231/38 im Lübecker Johanniskloster geschaffene Redaktionsstufe, sowie eine weitere, nach 1283 entstandene. Die handschriftlichen Befunde zeigen überdies, daß im Laufe der Rezeptionsgeschichte nicht nur die Titel des Werks variierten, sondern bei der Lektüre mit zunehmender zeitlicher Distanz zu den Geschehnissen Arnolds Gegenwartsbezug in den Hintergrund trat, der Text vielmehr "historisch" gelesen wurde und auf diese Weise Heinrich der Löwe in den Vordergrund rückte, was die Beurteilung der "Chronik" bis heute beeinflußt hat. Die durch Walther aufgezeigte Neubewertung der handschriftlichen Befunde führte schließlich unübersehbar vor Augen, daß das Werk Arnolds dringend einer modernen Ansprüchen genügenden Neuedition bedarf.

Daß auch die durch Johann Christian Moritz Laurent im Jahre 1853 vorgenommene und durch Wilhelm Wattenbach 1896 überarbeitete Übertragung von Arnolds Werk modernen Ansprüchen nicht mehr genügt, zeigte OLIVER AUGE (Greifswald), "Probleme der Übersetzung von Arnolds Chronik", auf, der anhand zahlreicher Beispiele illustrieren konnte, wie sehr die in den Geschichtsschreibern der deutschen Vorzeit vorgelegte Übersetzung mancher Passagen Vorstellungen der damaligen Zeit widerspiegelt und damit interpretierende Wertungen vornimmt, durch die die Brauchbarkeit der Ausgabe für die Lehre deutlich eingeschränkt wird. Oliver Auge, der gemeinsam mit Matthias Hardt und Christian Lübke derzeit eine Neuübertragung im Rahmen der Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe vorbereitet, plädierte demgegenüber für eine möglichst nah am Original bleibende, Arnolds Stil respektierende deutsche Wiedergabe, die interpretatorische Eingriffe durch die Beibehaltung des Originalwortlauts bestimmter Wörter vermeiden sollte. Auge verstand seine Ausführungen überdies als Beitrag zur Verdeutlichung für das studentische Publikum, welche Schwierigkeiten das vermeintlich einfache Ranke'sche Diktum "zu zeigen wie es wirklich war" bei der Umsetzung in die Tat bereiten kann, scheitert dieses Vorhaben doch vielfach bereits am Problem einer angemessenen Übersetzung, bei der zugleich auch stets aktuelle Beurteilungskategorien ins Spiel kommen.

STEPHAN FREUND (Jena), "Das Mainzer Pfingstfest von 1184 - Vom Umgang Arnolds von Lübeck mit seinen Quellen", macht darauf aufmerksam, daß eine während des Mainzer Pfingstfestes im Jahre 1184 stattgefundene spektakuläre Auseinandersetzung um den Sitzplatz zur Linken des Kaisers zwischen dem Abt von Fulda und dem Erzbischof von Köln durch Arnold singulär berichtet wird. Als Vorlage für die Gestaltung der Arnoldschen Darstellungen lassen sich die Annalen Lamperts von Hersfeld, die Taten der englischen Könige Wilhelms von Malmesbury sowie insbesondere die Jüngere Hildesheimer Briefsammlung ausmachen und mit konkreten Rezeptionswegen in Verbindung bringen. Arnold hat bei der Bearbeitung seiner Vorlagen offenbar unterschiedliche Vorgänge miteinander vermengt und geschickt zu seiner Schilderung des Mainzer Pfingstfestes verwoben, in der er sowohl die Erwartungshaltung eines weltlich-höfischen Publikums als auch eines monastisch-geistlichen Zuhörerkreises befriedigen wollte. Er schildert daher einerseits breit ausholend und in zahlreichen Metaphern den damals betriebenen Prunkaufwand, verwendet diesen andererseits jedoch als Folie, vor deren Hintergrund er vor dem Streben nach weltlichem Ruhm warnt und der superbia die humilitas gegenüberstellt. Die Ausführungen zum Umgang Arnolds mit seinen Vorlagen sollten nicht nur seine Arbeitsweise erläutern und vor vorschnellen Kategorisierungen des Abtes als entweder geistlicher Autor oder Historiograph oder Literat bewahren, sondern überdies deutlich machen, daß die Frage seiner Vorlagen und Arbeitsweise weiterer intensiver Bemühungen bedarf und es auf diesem Wege gelingen kann, seinem Verständnis als Autor und seiner Vorstellungswelt näher zu kommen (Selbstanzeige).

CHRISTIAN LÜBKE (Greifswald) leistete mit seinem Vortrag "Arnold von Lübeck und die Slawen" einen weiteren Beitrag, der zeigte, wie sehr Arnolds christlich-missionarische Orientierung seine Darstellung beeinflußte: Unter dem Begriff "Slawen" werden bei ihm unterschiedliche Ethnien im wesentlichen summarisch gefaßt; Einzelpersonen werden stets dann geschildert, wenn sie durch ihre Handlungen mit der christlichen Welt in Berührung gerieten. Die damit zutagetretende, auf Livland konzentrierte und damit partiell begrenzte Sicht Arnolds auf die Ereignisse läßt einen markanten Unterschied zu Helmolds wesentlich ausgreifenderer Reichweite und seinem Kenntnisstand über die Slawen deutlich werden. Zugleich aber werden durch Arnolds Perspektive Akkulturationsprozesse des späten 12. und frühen 13. Jahrhunderts sichtbar, die weit über die Ebene der faktischen Ereignisgeschichte hinaus Einblick in grundlegende, die mittelalterliche Gesellschaft beeinflussende, strukturelle Voraussetzungen gewähren sowie in die Vorstellungen, die sich Arnold davon gemacht hat.

BERND SCHÜTTE (Leipzig-Halle), "Arnold von Lübeck und die Darstellung der Staufer und Welfen", demonstrierte, daß Arnold zwar die im Werk Helmolds von Bosau aufgezeigten genealogischen Verbindungen innerhalb der sogenannten "Staufer" und "Welfen" kannte und zum Teil fortschrieb, daß aber dennoch keine klar erkennbaren Vorlieben für bestimmte Personen auszumachen sind, diese vielmehr stets situationsbezogen beurteilt wurden, wobei Arnold die Leistungen des Einzelnen stets an seinen Bemühungen um die Förderung des Christentums maß und Lob und Tadel gleichermaßen verteilte. Dies gilt für die ambivalente Darstellung Friedrich Barbarossas, dessen kaiserlicher Gewalt bei der Ausbreitung des Christentums durch Arnold allerdings autoritative Kraft zugemessen wurde, ebenso wie für Heinrich VI., Philipp von Schwaben und Otto IV., dessen Kaisertum nicht als welfisches charakterisiert werde, und sogar für Heinrich den Löwen: Zwar werden seine Bemühungen um die Stärkung des christlichen Glaubens lobend gerühmt, doch gleichwohl bleibt der gegen ihn erhobene Vorwurf der superbia stehen und wird sein Verhalten nach seinem Sturz als störend innerhalb der bestehenden christlichen Ordnung charakterisiert. Allenfalls Heinrich von Braunschweig scheint die besondere Gunst Arnolds gegolten zu haben. Ist das daraus abzuleitende Gesamtbild nur schwer auf einen einheitlichen Nenner zu bringen, so bleibt gleichwohl eindeutig festzuhalten, daß Arnold weder eine historia regum verfaßt hat noch als welfischer Hofhistoriograph bezeichnet werden kann.

VOLKER SCIOR (Osnabrück), "Arnold von Lübeck und die Historiographie seiner Zeit", konnte schließlich verdeutlichen, daß sich der Abt des Lübecker Johannisklosters zwar im Prolog seines Werks selbst in eine Traditionslinie zur Slawenchronik Helmolds von Bosau stellte, sich von diesem jedoch aufgrund seiner regionalen Bezüge zu Nordalbingien, seiner terra nostra, nachhaltig unterschied und damit eine Sonderstellung in der Historiographie des 12. Jahrhunderts einnimmt. Zugleich hob Scior noch einmal die theologische Dimension von Arnolds Selbstverständnis als Autor als ein dessen Darstellungsabsicht leitendes Motiv hervor. Indem Arnold betonte, der heilsgeschichtlichen Wahrheit verpflichtet zu sein, grenzte er sich selbst dezidiert von fiktiver Literatur ab. Als causa scribendi ist wohl überdies Arnolds Bewußtsein für die Krisenhaftigkeit der Zeit anzunehmen, das ihn veranlaßte, dieser in seiner Geschichtsdarstellung ein sinnstiftendes Gegenbild gegenüberzustellen.

Die Vorträge haben gezeigt, wie inspirierend und weiterführend es sein kann, sich bei den Bemühungen um Arnold von Lübeck von bisherigen Stereotypen zu lösen und Versuche einer starren Kategorisierung aufzugeben. Die auf diese Weise durch einen regen wissenschaftlichen Dialog erlangten neuen Erkenntnisse und das "neue Verständnis" von Arnolds "Chronik" sollen noch im Jahre 2005 in einem Tagungsband publiziert werden.

Kontakt

HD Dr. Stephan Freund
Historisches Institut der Friedrich Schiller-Universität Jena
Fürstengraben 13
07743 Jena
arnold.luebeck@uni-jena.de


Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Klassifikation
Region(en)
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprache(n) der Konferenz
Deutsch
Sprache des Berichts