Verweigertes Asyl - Die Abwehr von Flüchtlingen - Aktualität und Geschichte eines humanitären Problems

Verweigertes Asyl - Die Abwehr von Flüchtlingen - Aktualität und Geschichte eines humanitären Problems

Organisatoren
Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin in Kooperation mit der Vertretung des Saarlandes beim Bund
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
07.04.2005 - 08.04.2005
Url der Konferenzwebsite
Von
Franziska Jahn, Zentrum für Antisemitismusforschung

Das Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin in Kooperation mit der Vertretung des Saarlandes beim Bund veranstaltete vom 7.4.-8.4.2005 eine Konferenz zum Thema "Verweigertes Asyl - Die Abwehr von Flüchtlingen".

Ziel dieser Konferenz war eine Bestandsaufnahme heutiger Flüchtlingspolitik im internationalen und historischen Vergleich. Es wurden wesentliche Elemente und Entwicklungen der Exil- und Migrationsforschung betrachtet, um in einer Zusammenschau der Forschungsgegenstände eine Art Paradigmenwechsel zu versuchen, bei dem der historischen Betrachtung der Analyse aktueller Migrationsforschung zukünftig mehr Beachtung geschenkt werden soll.

Wolfgang Benz, Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung, thematisierte die Asyl- und Zuwanderungspolitik Deutschlands nach 1945 bis zur Gegenwart. Der Phase der Vertreibung und Fluchtbewegung im Osten und der Integration während der Nachkriegszeit folgte eine Phase der Anwerbung von Millionen Arbeitskräften aus dem Mittelmeerraum seit 1955, die mit einem Anwerbestopp 1973 endete. Trotz verschiedener Maßnahmen der Bundesregierung, die u.a. 1983 das Rückkehrförderungsgesetz erließ, stieg die Zahl der Arbeitsmigranten, der nachziehenden Familien und Asylbewerber bis in die 90er Jahre weiter an. Unter anderem verstärkte dieser Zuwachs die Forderung nach einem neuen Ausländer- und Asylrecht. Es zeigt sich, dass der in der BRD kontrovers diskutierte Art. 16 GG, der politisch Verfolgten Asyl gewährleistete, nicht mehr ausreichte. Das daraufhin erlassene Ausländergesetz von 1990 bot jedoch wenig Rechtsicherheit. So folgte 1993 der "Asylkompromiss", der den Art.16 Abs.2 GG grundlegend änderte. Danach sollten politisch Verfolgte, die über einen sicheren Drittstaat der EU einreisen, keinen Rechtsanspruch auf Asyl erhalten. Diese und weitere Neuregelungen in der Asyl- und Ausländerpolitik führen mittlerweile zum Rückgang der Zahlen der Asylsuchenden auf den Stand der frühen 80er Jahre.

Edzard Reuter, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Daimler-Benz AG, berichtete von seinen Jugendjahren im türkischen Exil während des Nationalsozialismus. In der Zeit von Verfolgung und Vernichtung bot Kemal Attatürk Intellektuellen eine Zuflucht. Vordergründig sah Attatürk in der Aufnahme die Chance, die noch junge türkische Republik mit Hilfe von emigrierternWissenschaftlern und Politikern zu modernisieren. Er trug dazu bei, dass neben der Familie Edzard Reuters, dessen Vater als Berater im türkischen Wirtschaftsministerium tätig war, weitere 300 Menschen der Vernichtung durch die Nationalsozialisten entgingen. Nach fast 12 Jahren des türkischen Exils erfolgte 1946 die Rückkehr der Familie Reuter nach Deutschland. Prägend in Erinnerung blieb Reuter die selbstverständliche Integration der "deutschen Fremden" in die türkische Gesellschaft, die als eines von vielen Beispielen einer engen Bindung an Deutschland bzw. Europa gewertet werden kann. In der aktuellen europäischen Diskussion bezüglich eines EU-Beitritts der Türkei werde dieser Fakt sowie der Modernisierungswille der heutigen Türkei, so Reuter, ein Befürworter des EU-Beitritts, schnell ausgeblendet.

Fritz Kieffer, Historiker und Jurist, stellte am Fall der Evian-Konferenz 1938 das Versagen der westlichen Welt im Umgang mit der Flüchtlingsproblematik während des Nationalsozialismus dar. Der "Anschluss" Österreichs im März 1938 zwang Tausende Juden zur Flucht in benachbarte Länder und wurde zum Anlass der Evian-Konferenz im Juli 1938, an der 32 Staaten teilnahmen. Weniger humanitäre Überlegungen, als staatliche Interessen gegenüber Deutschland wurden dem Schicksal der Flüchtlinge übergeordnet. Die Furcht vor immens hohen Kosten durch die Aufnahme von Flüchtlingen war allgegenwärtig. Die teilnehmenden Staaten werteten die Konferenz als vollen Erfolg, obwohl verbindliche Aussagen über die Anzahl der aufzunehmenden Flüchtlinge und deren Verbleib nicht erfolgten.

Eine besonders schutzbedürftige Flüchtlingsgruppe stellt die Gruppe der Kinder dar, die u.a. durch Kriege oder Naturkatastrophen, getrennt von den Eltern, auf der Suche nach Asyl sind. Claudia Curio, die am Zentrum für Antisemitismusforschung promovierte, stellte diese minderjährigen unbegleiteten Flüchtlinge am Beispiel der Kindertransporte 1938/39 von Deutschland nach Großbritannien vor. Sie legte die innen- und außenpolitischen Anreize dieser humanitären Geste der britischen Regierung offen. Obwohl es in jener Zeit noch keine verbindliche staatliche und überstaatliche Schutzgesetzgebung für Flüchtlinge gab, rettete die Maßnahme 10000 Kinder. Im Folgenden gab Curio einen Überblick über die sich anschließende Entwicklung von nationalen und internationalen Schutzstandards für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge seit dem Ende des 2. Weltkriegs. Abschließend wurde die Situation dieser Flüchtlingskinder in der heutigen Bundesrepublik Deutschland analysiert.

Dem historischen Abriss folgte ein aktuellpolitischer Diskurs, der von Rita Süßmuth am Beispiel des Asylrechts und des Zuwanderungsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland eingeleitet wurde. Das Bild des Flüchtlings ist mit allerlei gesellschaftlichen Vorurteilen behaftet. In der Wahrnehmung der Mehrheitsgesellschaft erscheint, so Süßmuth, der Migrant als armes, ungebildetes und hilfsbedürftiges Geschöpf. Dass er schutzbedürftig ist, steht außer Frage, jedoch werden die Fähigkeiten und das Bildungsniveau dieses Menschen oft unterschätzt. Vor allem sogenannte Wirtschafts- und Arbeitsmigranten verweilen meist ohne ihre Familie in einem fremden Land und tragen durch finanzielle Unterstützung zum Überleben ihrer Familie im Heimatland bei.

An Beispielen der Asylpolitik Deutschlands und Europas wurden die humanitären Verpflichtungen deutlich. So führte der Flüchtlingsstrom vom Balkan den Beschluss zur Änderung des Artikels 16 GG herbei. Die wichtigste Regelung des neuen Asylrechts ist die "Drittstaaten-Regelung", die lediglich Flüchtlingen Asyl gewährt, die direkt nach Deutschland einreisen. Neben dieser "Drittstaaten-Regelung" diskutierte Rita Süßmuth weitere Steuerungsinstrumente des neuen Asylrechts von 1993, wie z.B. das Flughafenverfahren oder die Abschiebezentren. Kritisch betrachtete sie die Folgen dieser Instrumente, die die Furcht vor einer möglichen Abschiebung des Asylsuchenden zusätzlich erhöhen.
Süßmuth forderte, dass die humanitären Verpflichtungen eines jeden Landes im Mittelpunkt stehen sollten, auch wenn diese durch die Diskussion über mögliche Abwehrprogramme und divergente Interessen der Länder häufig in den Hintergrund treten.

Rupert Neudeck, Gründer und ehemaliger Vorsitzender der Organisation Cap Anamur, griff den humanitären Gedanken der Asylpolitik erneut auf. Seine Vorstellung verschiedenster Phasen und Projekte während und nach seiner Zeit als Leiter der Cap Anamur verwiesen auf die Möglichkeiten und Grenzen humanitären Engagements.

Im dritten Abschnitt der Tagung widmeten sich die Referenten der aktuellen Migrationspolitik Australiens, Italiens und Spaniens. Ein eindringliches Beispiel der Abwehr von Flüchtlingen gab Wolfgang Benz anhand der Politik des Abschreckens und Einsperrens in und vor den Grenzen Australiens. Am 2. September 2001 verkündete die australische Regierung die "Pazifische Lösung", derzufolge Flüchtlinge nur auf dem australischen Festland einen Asylantrag stellen können, aber nicht auf vorgelagerten Inseln Australiens. "Unerwünschte" haben so keine Möglichkeit nach Australien einzureisen. Wenn ein Flüchtling ohne gültiges Visum aufgegriffen wird, erfolgt die Einweisung in eines der 6 australischen Internierungslager oder eines der 2 sich auf fremden Territorien (Papua-Neuguinea) befindlichen Lager. Dieser Aufenthalt, geprägt durch unmenschliche Haftbedingungen, kann monatelang, sogar jahrelang andauern.

Juliane Wetzel, Historikerin am Zentrum für Antisemitismusforschung, fokussierte die Probleme afrikanischer Bootsflüchtlinge vor den Toren Italiens. Italien entwickelte sich seit den 80er Jahren von einem klassischen Auswanderungsland zu einem Land der Einwanderung. Vor allem die illegale Zuwanderung, die Instrumentalisierung der Immigration durch rechtsextreme Parteien sowie wirtschaftliche Probleme Italiens verstärkten rassistische Ressentiments gegenüber Migranten. Problematisch erscheint der Umgang Italiens mit dem Schicksal politisch verfolgter und in wirtschaftlicher Not lebender Menschen Afrikas, die über Schlepperbanden versuchen, das sichere Festland Italiens, vor allem Siziliens, zu erreichen. Das Kentern der überfüllten Kähne unweit der Küste Italiens endet für viele der "clandestini" tödlich. Beim Erreichen des Festlandes tauchen die Flüchtlinge unter oder versuchen in andere Länder der EU zu gelangen. Werden illegale Flüchtlinge aufgegriffen, erwartet sie meist eine sofortige Abschiebung.

Auch Spanien entwickelte sich im Laufe der 80er Jahre von einem Auswanderungs- zu einem Einwanderungsland. Aufgrund der direkten Nähe zum afrikanischen Kontinent ist das Land, ähnlich wie Italien, Ziel vieler illegaler Einwanderer aus Afrika. Der Historiker Axel Kreienbrink, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, bemerkte, dass trotz verstärkter Grenzüberwachung durch spanische Patrouillen die Zahl der illegalen Flüchtlinge weiterhin hoch bleibt. Beide Referenten kommen zu dem Fazit, dass EU-Staaten, die weit von den Krisenherden Nordafrikas entfernt liegen, unterschätzen, wie wichtig eine gesamteuropäische Lösung sei. Momentan werden Länder wie Italien und Spanien mit dem Problem allein gelassen und nur wenig entlastet.

Im letzen Beitrag der Tagung stellte Peter Widmann, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Antisemitismusforschung, die Abwehr und Integration von vietnamesischen Flüchtlingen in Berlin seit Anfang der 80er Jahre bis zur Gegenwart vor. Im Westen der Stadt leben vietnamesische Familien, die Anfang der 80er Jahre als Boat People in Berlin eine neue Heimat fanden. Im Regelfall erhielten sie eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung. Sie gelten als Musterbeispiel gelungener Integration in Deutschland. Die Geschichte der Vietnamesen im Ostteil Berlins, die in den 80er Jahren als Vertragsarbeiter in die DDR kamen, ist dagegen geprägt von Ausgrenzung und dem Kampf um Bleiberecht. Sie erhielten ein befristetes Aufenthaltsrecht in der DDR und lebten isoliert in Wohnheimen der Betriebe. Die Familien der Migranten mussten in Vietnam bleiben. Nach der politischen Wende 1989 verloren die Vertragsarbeiter ihre Stelle und kehrten teilweise nach Vietnam zurück. Diejenigen, die in Deutschland blieben, konnten erst nach Jahren der Rechtsunsicherheit einen dauerhaften Aufenthaltsstatus erreichen. Vergleicht man die Lage der Vietnamesen im Osten und Westen Berlins, so Widmann, wird deutlich, wie eine Politik, die gegenüber Flüchtlingen wie Arbeitsmigranten einseitig auf Repression, auf Abwehr und Abschreckung setzt, Integrationsschwierigkeiten von langer Dauer fördert.

Die Tagung lieferte einen sehr guten historischen sowie aktuellen Überblick über die Migrationspolitik verschiedenster Länder. Besonders deutlich wurden die Probleme aktueller Asyl- und Flüchtlingspolitik, die einen weiteren Handlungsbedarf zum Schutz der Flüchtlinge dringend notwendig machen. Sämtliche Beiträge sollen in einem Sammelband publiziert werden, der voraussichtlich im März 2006 erscheinen wird.


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