Grenzen in der Geschichte Schleswig-Holsteins

Grenzen in der Geschichte Schleswig-Holsteins

Organizer(s)
Arbeitskreis für Wirtschafts- und Sozialgeschichte Schleswig-Holsteins
Location
Koppelsberg (bei Plön)
Country
Germany
From - Until
03.06.2005 - 05.06.2005
Conf. Website
By
Martin Rheinheimer, Institut for Historie, Kultur og Samfundsbeskrivelse Syddansk Universitet

Vom 3. bis 5. Juni 2005 veranstaltete der Arbeitskreis für Wirtschafts- und Sozialgeschichte Schleswig-Holsteins in der Akademie am See auf dem Koppelsberg bei Plön unter der Leitung von Martin Rheinheimer die Tagung "Grenzen in der Geschichte Schleswig-Holsteins". Die Tagung stand zugleich im Rahmen des von den Regionen Fyn/KERN und Sønderjylland/Schleswig über das Interreg IIIA-Programm der Europäischen Union geförderten Projektes "Virtuelles Museum". Passend zu dem Thema kam jeweils die Hälfte der Teilnehmer aus Deutschland bzw. Dänemark.

Martin Rheinheimer (Esbjerg) begrüßte die Teilnehmer und führte mit einigen einleitenden Bemerkungen in das Thema ein.

Schleswig-Holstein war und ist ein Grenzland. Heute ist als Staatsgrenze nur die deutsch-dänische Grenze zurückgeblieben. Die deutsch-dänische Grenze lag freilich nicht immer da, wo sie heute liegt. Vor einigen Jahren gab es außerdem noch die innerdeutsche Grenze. Daneben gibt es weiterhin Landes-, Kreis- und Gemeindegrenzen. Hinzu kamen weitere innere Grenzen, die eine Bedeutung für die Menschen hatten und haben: Flüsse, Förden, das Meer. Zudem gab es andere Formen von Grenzen, wie z. B. Standesgrenzen, die zeitweise durchaus regionale Formen annehmen konnten. Nicht in allen historischen Perioden hatten Grenzen die gleiche Bedeutung. Wo heute Staats- und Zollgrenze deckungsgleich sind und beiderseits der Grenze verschiedene Nationen leben, waren die Übergänge früher fließender, und Zollgrenzen mussten nicht unbedingt an der Staatsgrenze liegen. Man kann auch feststellen, dass Grenzen ihren Charakter änderten, z. B. von einer Binnengrenze zu einer Staatsgrenze oder umgekehrt.

Auf der Tagung interessierte es weniger, wo diese Grenzen konkret auf der Landkarte verliefen, als vielmehr ihre wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und anthropologischen Implikationen. Was bedeutete z. B. die Teilung Schleswigs 1920 für die Menschen beiderseits der neuen Grenze in ökonomischer und sozialer Hinsicht? Oder in gleicher Weise: Was bewirkt das Verschwinden der Grenze infolge des Schengener Abkommens? Man kann aber auch weiter zurückgehen und nach der Bedeutung von Grenzräumen im Mittelalter fragen. Grenzen haben eine besondere Funktion für die Ausbildung von Identitäten. Hier knüpft dieses Projekt an frühere Projekte an. Es ist also auch zu fragen, was Grenzen eigentlich sind, welche Formen von Grenzen es gibt und wie sie miteinander interagieren. Detlev Kraack (Plön) beschäftigte sich in seinem Vortrag mit der Wahrnehmung und Überschreitung von ethnischen, religiösen, rechtlichen und sprachlichen Grenzen im früh- und hochmittelalterlichen Nordelbien. Er untersuchte das Werk Helmolds von Bosau darauf, ob die Möglichkeit Grenzen zu überschreiten mit dem sozialen Niveau zusammenhing. Es erwies sich, dass es insbesondere in der Oberschicht Menschen gab, die in mehreren Welten zu Hause waren. Es stellte sich aber auch die Frage, wie Grenzen im Mittelalter eigentlich aussahen. Die slavischen und deutschen Namen in Stammbäumen weisen auf Heiraten über die Grenzen, aber auch auf Formen der Germanisierung.

Am Sonnabend hielt Sylvina Zander (Bad Oldesloe) den ersten Vortrag unter dem Titel "Durch die Hand geschändet". Es ging dabei um die Übertragung von Unehrlichkeit durch Berührung. Zwischen Unehre und Ehre lief in der Frühen Neuzeit eine symbolische Grenze, die sowohl soziale als auch juristische Implikationen hatte. In Einzelfällen konnten Überschreitungen erhebliche Konflikte auslösen, z. B. als 1730 niemand einen verstorbenen Scharfrichterknecht zu Grabe tragen wollte. Selbst wenn dieser zu Lebzeiten keine sonderlichen Probleme gehabt hatte, war der Leichnam doppelt tabuisiert, und es mussten Lösungen gefunden werden, wie sich eine Übertragung der Unehrlichkeit vermeiden ließ.

Ortwin Pelc (Hamburg) beschäftigte sich danach in seinem Vortrag mit der Grenze zwischen Stadt und Land in Schleswig-Holstein vom 12. bis 19. Jahrhundert. Im einzelnen ging er auf rechtliche Unterschiede zwischen Stadt und Land, die Unterschiede in der Praxis sowie auf Übergänge, die Kontrolle und spätere Auflösung dieser Grenze ein. Während die Stadtmauern eine scharfe Grenze bildeten, gab es über Stadtfeld, Landwehr und Vorstädte einen mehr fließenden Übergang. Generell begann sich die Stadt-Land-Grenze seit dem 16. Jahrhundert unter dem Einfluss militärischer Entwicklungen und der Marktkräfte allmählich aufzulösen. Eine umgekehrte Entwicklung findet man jedoch in Hamburg, wo zugleich eine Staatsgrenze entstand.

Klaus-Joachim Lorenzen-Schmidt (Hamburg) sprach in seinem Beitrag über die Elbe als Kommunikationsträger und Grenze zwischen Holstein und Nordwestniedersachsen (1500-2000). Während es im Spätmittelalter noch territoriale Zusammenhänge beiderseits des Flusses gab (sogar einen gemeinsamen Aufstand im Jahre 1306) und die Verbindungen über den Fluss dominierten, entwickelte sich die Elbe in den letzten 500 Jahren mehr und mehr zu einer Barriere. In den letzten hundert Jahren hat sich das Trennende noch gesteigert. Nicht zuletzt die schlechten Verkehrsverbindungen erweisen sich als trennend. Die "gefühlte" Entfernung zwischen Elmshorn und Stade ist heute viel größer als die wirkliche.

Eine weitere landschaftliche Grenze stellen die Deiche dar. Norbert Fischer (Hanstedt/Nordheide) sprach über ihre gesellschaftlich-kulturellen Bedeutung als landschaftliche Grenze. Er betrachtete die Deiche als symbolische Grenze, die in der Frühen Neuzeit Innen- und Außendeichsland schied. Während das Innendeichsland als zivilisiert und normiert verstanden wurde, war das Außendeichsland noch nicht zivilisiert. Hier wurden z. B. Hinrichtungen durchgeführt. Im 18. und 19. Jahrhundert fand eine Angleichung dieser Welten statt. Das wilde Land außerhalb der Deiche wurde gezähmt, und die symbolische Grenze verschwand allmählich.

Bärbel von Borries-Pusback (Hamburg) untersuchte in ihrem Beitrag politische Grenzen im Denken Wilhelm Seeligs. Der Kieler Professor und preußische Abgeordnete schrieb u. a. ein Buch über Schleswig-Holstein und den Zollverein, in dem er Zölle als ein Instrument Grenzen durchlässiger oder undurchlässiger zu machen behandelte.

Hans Schultz Hansen (Aabenraa) sprach über schleswigsche Gesinnungsgrenzen im 19. Jahrhundert. Obwohl bereits in den 1830er Jahren der Gedanke einer Teilung Schleswigs auftauchte, gab es noch in den 1840er Jahren eine schleswigsche Regionalidentität, und die Bevölkerung war gegen eine Teilung. Zwischen 1848 und 1850 kam es dann zu einer nationalen Polarisierung. Doch selbst 1864 war die Bevölkerung noch teilweise gegen eine Teilung, obwohl sich der Gedanke nun ausbreitete. Der Vertrag zwischen Österreich und Preußen von 1866 sah dann bereits eine Volksabstimmung in Nordschleswig vor. H. V. Clausen zog 1901 eine mögliche Teilungslinie, ohne jedoch Flensburg einzubeziehen.

Morten Andersen (Aabenraa) behandelte in seinem Beitrag den wirtschaftlichen Wiederaufbau des schleswigschen Grenzgebietes 1919-24. Im deutschen Teil Schleswigs untersuchte er die Rolle der Inflation, der Handelspolitik, des Nordmarkfonds und des Schleswig-Fonds. Im dänischen Teil untersuchte er dann Kreditgewährung, infrastrukturelle Investitionen, Ausgleichskasse, Kreditanstalt und Darlehenskasse. Während Deutschland die kulturellen und wirtschaftlichen Beziehungen zu Nordschleswig aufrechtzuerhalten suchte, wollte Dänemark Nordschleswig vollständig einverleiben. Beide Seiten hatten nationale Einheitsstaaten als Ziel. Beiden Seiten diente die Grenze als Blickpunkt des Wiederaufbaus.

Am Sonntag sprach zuerst Jørgen Kühl (Aabenraa) über Minderheiten und ihr "Mutterland". Er definierte eine nationale Minderheit und ihr "Mutterland". Dann arbeitete er die dynamischen und kontextbezogenen Beziehungen heraus, die nicht zuletzt auf imaginierten Kin-Beziehungen basieren. Die Minderheiten im deutsch-dänischen Grenzland und ihre Privilegierung im "Mutterland" dienten ihm dabei als Beispiel.

Peter Thaler (Esbjerg) betrachtete in seinem Beitrag die dänische Minderheit in Südschleswig aus komparativer Sicht. Ihn interessierte dabei insbesondere die Fluktuation der Minderheitszugehörigkeit, wie sie sich in der Zu- und Abnahme der Zahl der Minderheitszugehörigen spiegelt. Er verglich die historische Entwicklung in Schleswig dazu mit anderen Regionen mit Minderheiten (Oberschlesien, Südostalpen). Die Identität entwickelt sich danach teilweise im Gesatz zur Sprache. Kultur ist nicht nur Sprache. Identitäten sich subjektiv und beweglich.

Martin Klatt (Aabenraa) fragte im letzten Beitrag: Was nützt die historische Einheit Schleswigs? und knüpfte daran Überlegungen zum Einfluss der Geschichte auf die heutige Tagespolitik in der Region. Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen deutsch und dänisch machte er fest an der Euroregion Schleswig (Region Schleswig/Sønderjylland) und der mit ihrer Schaffung einhergehenden Debatte in Dänemark. Die Gründe suchte er im Kulturkampf im Herzogtum Schleswig, der 1920 zur Teilung führte. Er betrachtete dabei Grenzen in ihrer Funktion als "Narben der Geschichte" oder in ihrer Schutzfunktion.

Insgesamt war die Tagung sehr ertragreich und eröffnete eine Vielzahl neuer Perspektiven, indem sie die Grenze als soziales Phänomen verstand. Die Beiträge sollen in einem Sammelband publiziert werden.


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