Die Landschaft und die Religion

Organisatoren
Abteilung Alte Geschichte des Historischen Instituts der Universität Stuttgart; Prof. Dr. Eckart Olshausen
Ort
Stuttgart
Land
Deutschland
Vom - Bis
04.05.2005 - 08.05.2005
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Von
Frank Stini, Universität Stuttgart

Bereits zum neunten Mal veranstaltete die Abteilung Alte Geschichte des Historischen Instituts der Universität Stuttgart unter der Leitung von Prof. Dr. Eckart Olshausen ein Internationales Kolloquium zur Historischen Geographie des Altertums. Zum Kolloquium, das vom 4.-8. Mai 2005 in Stuttgart stattfand, kamen 40 Althistoriker, Archäologen, Klassische Philologen, Kunsthistoriker und Geowissenschaftler aus zehn Ländern zusammen. Es wurden 36 Vorträge zum Thema "Die Landschaft und die Religion" gehalten. Insgesamt besuchten mehr als hundert Teilnehmer das Kolloquium.

Während der Veranstaltung wurden verschiedenartige Zusammenhänge zwischen religiösen Phänomenen und naturräumlichen Gegebenheiten in Referaten vorgestellt und anschließend diskutiert. So standen Kultformen, die sich nur in einer bestimmten Region nachweisen lassen, ebenso auf der Tagesordnung wie ortsgebundene Besonderheiten von Kulten oder die Frage, wodurch eine Landschaft zu einer Sakrallandschaft wird. Die Vielfalt der diskutierten Themen und die unterschiedlichen Forschungsmethoden und -schwerpunkte einzelner Wissenschaftler verdeutlichten die Bedeutung des Oberthemas sowohl für die Religionsgeschichte als auch für die Historische Geographie des Altertums.

Nach einer Begrüßung der Teilnehmer und einer Einführung in das Thema des Kolloquiums durch Eckart Olshausen begann die Reihe der Vorträge mit „Erdbeben in Syrien und Palästina“ von Holger Sonnabend (Stuttgart), der den Blick auf die in literarischen Quellen häufig genannten Erdbeben in den dortigen „heiligen Landschaften“ lenkte. Der in der gesamten Antike verbreitete religiöse Deutungskontext von Naturkatastrophen sei hier auffällig oft für politische und religiöse Zwecke instrumentalisiert worden. Manche der geschilderten Erdbeben seien daher schlicht literarische Fiktion. Im anschließenden Vortrag stellte Heinz E. Herzig (Bern) die Frage zur Diskussion, wer oder was sich hinter den epigraphisch belegten „Regiones als Stifter für Götter und Tempel am oberen Aarelauf“ verberge – Kultvereine oder andere Personalverbände.

Im folgenden Beitrag von Andreas Mehl (Halle) „Gestaltete Natur und Landschaft im antiken Götter- und Totenkult“ ging es um die anthropogene Umgestaltung von Orten zu Heiligtümern (Delphi, Praeneste) und Grabanlagen (römische Grabbauten mit Gärten). Nicht nur die architektonische Umgestaltung durch Terrassierung, Aufschüttung oder Stützmauern sondern auch organisatorische Maßnahmen (z.B. die Verpachtung von Nutzgärten um die Gräber herum für die Deckung der Kosten des Totenkults) wurden als Kennzeichen und Voraussetzungen sakraler Landschaften präsentiert.

Das Wesen einer Sakrallandschaft oder eines heiligen Bezirks wurde auch in weiteren Beiträgen aufgegriffen, so etwa von Jürgen Krüger (Karlsruhe), der unter dem Titel „Die Grabeskirche in Jerusalem: Vom Steinbruch zur Passionslandschaft“ die „Sakralisierung einer Mikro-Landschaft“ von der Spätantike bis zum Ende des Mittelalters und den Wandel der Architektursprache in den Blick nahm. Mit einer Fülle an Beispielen dokumentierte Joannis Mylonopoulos (Wien) in seinem Vortrag die „Integration und Imitation landschaftlicher Elemente in griechischen Heiligtümern“ und verwies auf die Bedeutung des ursprünglich verehrten Naturelements als Zentrum von Kultstätten, auf ganz naturbelassene Kultplätze und auf artifiziell geschaffene „Naturelemente“ für Kulte, in denen ein solches Naturelement erforderlich, aber nicht vorhanden war. Über die Einbeziehung von Gestaltungselementen und Konzepten aus anderen Kulturkreisen bei der Ausgestaltung von Heiligtümern informierte der Beitrag „Die vorderasiatischen Vorbilder in der Gestaltung sakraler Räume in der archaischen Zeit“ von Iris von Bredow (Stuttgart), in dem sie allerdings eine bewußte Imitation einer ganzen sakralen Landschaft für die archaische Zeit nicht feststellen konnte.

Ebenfalls mit dem Wesen einer Sakrallandschaft beschäftigte sich Frits G. Naerebout (Leiden). Unter dem Titel „Territorialität und griechische Religion“ hob er die Abgrenzung als wichtiges Element eines Heiligtums hervor und verwies auf die Bedeutung der Abgrenzung im Sinne einer Ausgrenzung bestimmter Personengruppen vom Territorium des heiligen Bezirks. Tønnes Bekker-Nielsen (Aarhus) schließlich plädierte im Vortrag „Straßen, Heiligtümer und heilige Straßen“ für einen vorsichtigen Umgang mit der Bezeichnung heilige Straße.

Ein weiterer Schwerpunkt des Kolloquiums lag auf Beiträgen, die die Kultlandschaft einzelner Regionen untersuchten. Neben der Rekonstruktion der Kulte einer Landschaft galt es auch den Einfluß der Landschaft auf Kultformen und auf den Mythos zu verdeutlichen, wie etwa in den Vorträgen von Vera Sauer und Eckart Olshausen (Stuttgart) über „Kulte im Kithairon – Kithairon im Mythos“ oder von Oleg Gabelko (Kazan) und Michail Vysokii (Moskau) über „The Straits of the Greek World in Religion and Mythology: The Thracian Bosporus and the Strait of Messana“. Eine Vielzahl religiöser Phänomene in Beziehung zu ihrer jeweiligen Landschaft vermittelten die Vorträge „Historisch-Geographisches und Religiöses aus Kilikien“ von Mustafa H. Sayar (Istanbul), „Die sakrale Topographie der Ionischen Inseln“ von Eckhard Wirbelauer (Straßburg) und „Religion und Grenze am Fallbeispiel Obergermaniens“ von Leif Scheuermann (Stuttgart). Aber auch einzelne religiöse Phänomene innerhalb einer bestimmten Region kamen zur Sprache. Im Beitrag „Religiöse Landschaften in der südlichen Germania Inferior“ von Wolfgang Spickermann (Osnabrück) wurden die Matronenkulte im Ubiergebiet als provinzialrömische Neuschöpfung interpretiert, als Umgestaltung eines bodenständigen Kultes, bei dem ursprünglich heilige Bäume eine Rolle gespielt haben sollen. Ikonographische Probleme standen im Mittelpunkt des Vortrags von Klaus Parlasca (Frankfurt) über „Orientalische Götter im kaiserzeitlichen Syrien“, während Michael J. Klein (Mainz) die gemeinsame Verehrung von Merkur mit Rosmerta/Maia und von Apollo mit Sirona als autochthone Elemente provinzialrömischer Religion verdeutlichte („Merkur und Apollo in den germanischen Provinzen und der östlichen Belgica“). Und auch die religiöse Verehrung naturräumlicher Gegebenheiten einzelner Landschaften wurde diskutiert. Linda-Marie Günther (Bochum) ging es dabei um „Quellen, Bäche, Flüsse und ihre Gottheiten im griechischen Sizilien“ und Veronica Bucciantini (Florenz) um „Die heiligen Inseln der Küstenfahrt des Nearchos“, über die Arrian, aber auch Plinius und Pomponius Mela berichten.

Aber nicht nur einzelne Regionen, sondern auch einzelne Kultstätten wurden in Referaten behandelt. Im Referat „Naturfaktoren und kultische Entwicklungen. Der Beispielfall Olympia“ hob Julia Taita (Mailand) die „herausgehobene Position“ des Gebiets und die Bedeutung des frühhelladischen Tumulus als „künstliche Landmarke von religiöser Relevanz“ hervor und verfolgte die Entwicklung des Zeuskults und des Orakels. Ebenfalls überregionale Bedeutung erlangten die Thermalquellen und das Heiligtum von Hierapolis in Phrygien, deren Interdependenzen zwischen Naturraum, Kult und Wirtschaft Kai Ruffing (Marburg) rekonstruierte („Thermalquellen und Kult. Das Beispiel Hierapolis“).

Eine weitere Reihe von Vorträgen hatte zum Ziel, Lokalisierungsvorschläge für einzelne Kulte oder Mythen vorzustellen. So suchte Jost Knauss (Obernach) „Die oberirdischen Vorbilder für die Flüsse der griechischen Unterwelt – Acheron, Kokytos, Pyriphlegeton und Styx“ in der epeirotischen Landschaft Thesprotien mit dem heute verschwundenen See Acherusia, Sencer Sahin (Antalya) und kam durch Korrekturen in der lykischen Orographie zu dem Schluß, das Apollon-Orakel von Patara nicht im Stadtgebiet sondern in der sumpfigen Ebene zwischen Patara und Xanthos zu suchen („Kragos Oros, Titanis Petra und der Apollontempel von Patara. Lokalisierungsversuche in der historischen Geographie Lykiens“), und Heinz Warnecke (Forsbach) warf die Frage auf: „Wo thronte Zeus auf Kephallenia?“. Kai Brodersen (Mannheim) schließlich stellte seine Interpretation eines 1997 in Nordafrika entdeckten Mosaiks als „Kartenmosaik“ vor, das Stationen der Reisen der Venus zeige („Die Landschaften auf dem ‚Kartenmosaik’ von Ammaedara oder: Die Reisen der Venus“).

Daß ein Thema aus verschiedenen Blickwinkeln und mit unterschiedlichen Ansätzen betrachtet und diskutiert werden kann, demonstrierten zwei Vorträge zu den Besonderheiten des Kaiserkults in Kleinasien: „The Imperial Worship in Asia Minor“ von Jesper M. Madsen (Aarhus) und „Die Kultlandschaften Asia und Bithynia in ihrer Bedeutung für die Herausbildung des römischen Kaiserkults“ von Christian Mileta (Halle). Auch das Phänomen kultischer Umzüge stand gleich zweimal auf der Tagesordnung. Alexander V. Podossinov (Moskau) stellte in seinem Beitrag „Ausrichtung der antiken kultischen Umzüge“ fest, daß in einer Kreisbewegung vollzogene Umzüge in der griechischen Welt nach rechts, nach der „Sonnenbewegung“, in Rom aber entgegengesetzt verliefen, und führte dies auf die etruskische Vergangenheit Roms zurück. Herbert Graßl (Salzburg) dagegen veranschaulichte territoriale und sozio-politische Aspekte kultischer Umfahrten am Beispiel eines bei Vergil überlieferten Festzugs der Iuno auf einem Wagen („Eine kultische Wagenumfahrt im antiken Noricum“).

Weitere Vorträge suchten in literarischen Quellen nach Aspekten zum Oberthema. Serena Bianchetti (Florenz) ging unter dem Titel „Landschaft und Religion bei Eratosthenes von Kyrene“ auf die Beschreibung des Persischen Golfes ein, auf ihre Wurzeln in den Erkundungen des Nearchos ebenso wie auf Elemente einer Vereinnahmung und Nutzbarmachung von Kulten und religiösen Vorstellungen der autochthonen Bevölkerung seitens der makedonischen Eroberer.
Der Beitrag von Ulrich Fellmeth (Stuttgart) hatte zum Thema: „Landschaft, göttliches Wirken und wirtschaftlicher Erfolg. Die Bedeutung der geographischen Rahmenbedingungen, des Arbeitsfleißes und der Götter bei den römischen Agrarschriftstellern“. Göttliches Wirken als Ursache wirtschaftlichen Erfolgs oder Mißerfolgs sei bei den untersuchten Autoren Cato, Varro und Columella kaum zu finden, es überwiege vielmehr eine rationale Analyse auf der Basis der Kenntnisse naturräumlicher Gegebenheiten. Das Referat von Christian Winkle (Stuttgart) schließlich fragte nach dem Einfluß der Religion auf die Wahrnehmung und Deutung klimatischer Erscheinungen, zu dem viele literarische Quellen Auskunft erteilen, wenn auch hier ebenfalls eine skeptische Grundhaltung der Autoren überwiege („Wetter und Klima – Religiöse Wahrnehmungs- und Deutungsmuster“).

Auf dem Tagungsprogamm standen auch theoretische Überlegungen zum Landschaftsbegriff von John Bintliff (Leiden) über „The Implications of a ‚Phenomenology of Landscape’“. Tilman Krischer (Berlin) referierte über „Kultische Feste, Paideia und christliches Leben im antiken Griechenland“. Und im letzten Vortrag des Kolloquiums von Helmut Brückner, Alexander Herda, John Christ Kraft und Andreas Vött (Marburg und Delaware) wurden neueste Ergebnisse ihrer geowissenschaftlichen Forschungen im östlichen Mittelmeerraum unter der Fragestellung „Mythos und geoarchäologische Evidenz“ vorgestellt.

Im diesjährigen Festvortrag stellte Franz Quarthal (Stuttgart) aus der Perspektive der Landesgeschichte die Frage „Fiktion oder Realität? Kulttradition im deutschen Südwesten“, worauf traditionell ein Empfang der Referenten und Gäste des Kolloquiums durch die Stadt Stuttgart folgte.

Im Schlußwort am Sonntag dankte Eckart Olshausen allen Wissenschaftlern und Besuchern für ihr Kommen und lud zum nächsten Historisch-Geographischen Kolloquium ein, das vom 30.4.-4.5.2008 in Stuttgart zum Thema „Die Erde und ihre Schätze. Rohstoffe in der antiken Welt“ stattfinden wird.

Das Kolloquium erbrachte in angenehmer Atmosphäre eine Vielzahl an Ergebnissen sowohl zu Einzelfragen als auch zu grundsätzlichen Problemen des Oberthemas. Mit unterschiedlichen wissenschaftlichen Methoden und Ansätzen wurden historisch-geographische Aspekte religiöser Phänomene analysiert und damit ein Beitrag zum besseren Verständnis naturräumlicher Voraussetzungen religiöser Phänomene geleistet. Die Akten des diesjährigen Kolloquiums werden wie gewohnt in der Reihe "Geographica Historica" im Franz Steiner Verlag (Stuttgart) erscheinen und die Ergebnisse des Kolloquiums dokumentieren.

Für ihr Mitwirken am Zustandekommen des Kolloquiums danken die Veranstalter der Ernst Kirsten Gesellschaft. Internationale Gesellschaft für Historische Geographie der alten Welt (EKG), der Volkshochschule Stuttgart, der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), dem Verein der Freunde des Historischen Instituts der Universität Stuttgart und der Vereinigung von Freunden der Universität Stuttgart.

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Telefon (0711) 121-3439, Telefax (0711) 121-3584
e-mail: Eckart.Olshausen@po.hi.uni-stuttgart.de; Frank.Stini@po.hi.uni-stuttgart.de


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