X Congresso Internazionale di Scienze Storiche Roma, settembre 1955. Un bilancio storiografico

X Congresso Internazionale di Scienze Storiche Roma, settembre 1955. Un bilancio storiografico

Organizer(s)
Unione Internazionale degli Istituti di Archeologia, Storia e Storia dell’Arte in Roma; Koninklijk Nederlands Instituut te Rome; Escuela Española de Historia y Arqueología en Roma; École française de Rome; Deutsches Historisches Institut in Rom (DHI); Istituto Storico Italiano per il Medio Evo
Location
Rom
Country
Italy
From - Until
21.09.2005 - 24.09.2005
Conf. Website
By
Kordula Wolf, Humboldt-Universität zu Berlin

50 Jahre sind vergangen, seitdem in Rom der X. Internationale Historikerkongress stattfand.1 Für die Mitglieder der Unione Internazionale degli Istituti di Archeologia, Storia e Storia dell’Arte in Roma gab jener Weltkongress Anlass, eine historische Bilanz zu ziehen und in Zusammenarbeit mit dem Koninklijk Nederlands Instituut te Rome, der Escuela Española de Historia y Arqueología en Roma, der École française de Rome, dem Deutschen Historischen Institut in Rom (DHI) und dem Istituto Storico Italiano per il Medio Evo vom 21. bis 24. September 2005 in den Räumlichkeiten des Palazzo Barberini in Rom einen Convegno internazionale zu veranstalten. Unter Fokussierung auf den römischen Kongress von 1955 tauschten sich die Teilnehmer aus unterschiedlichen Perspektiven über damalige und heutige Tendenzen und Problematiken in der Geschichtswissenschaft und ihren Nachbardisziplinen aus.

Die Tagung wurde am Mittwoch abend eröffnet durch Grußadressen von Seiten der Präsidentin der Unione Internazionale Letizia ERMINI PANI, dem Vorsitzenden des Dipartimento per i Beni Archivistici e Librari del Ministero per i Beni e le Attività Culturali Salvatore ITALIA, dem neuen Präsidenten des Comité International des Sciences Historiques (CISH) Jose Luis PESET und dem Direktor der Ecole fraçaise Michel GRAS. Stellvertretend für das Organisationskomitee sprach der Direktor des DHI Michael MATHEUS (Rom) in seiner Einleitung über das Anliegen des Convegno internazionale und das ihm zugrundeliegende Konzept, über den Weltkongress in Rom, seinen (wissenschafts-)politischen Hintergrund, seine Strukturmerkmale und das Selbstverständnis seiner Vertreter. Matheus hob hervor, dass der römische Kongress einen weiteren Schritt zur Internationalisierung darstellte, wenngleich er die institutionelle und inhaltliche Spaltung innerhalb der deutschen Geschichtswissenschaft weiter vertiefte. Die damalige Orientierung am traditionellen Epochenschema habe zudem eine starke Europazentrierung impliziert, wobei „für Vergleiche und Synthesen in welthistorischer Perspektive die Zeit offenkundig noch nicht reif war“. In dem Einführungsvortrag des Neuzeithistorikers Paolo PRODI (Bologna) wurde die Tagung von 1955 zum Ausgangspunkt für eine kritische Einschätzung mancher Entwicklungen in der heutigen Geschichtswissenschaft. Der Referent wertete den römischen Kongress als Kulminationspunkt einer Kultur, in der die Geschichte ein zentrales Element des menschlichen Bewusstseins gewesen sei, und hob als dessen wichtigste Ergebnisse die grundsätzliche Infragestellung des Historismus, den enormen Einfluss der Sozialwissenschaften, erste Tendenzen zu Neuorientierungen in der Kirchen- und Religionsgeschichte sowie den Vermittlungsversuch zwischen ‚westlichen’ und marxistischen Historikern hervor. Nach wie vor jedoch habe sich die Geschichtswissenschaft gegen die permanente Gefahr politischer Instrumentalisierung zu wehren. Skeptisch betrachtete Prodi das Aufgeben des traditionellen Epochenschemas und den daraus resultierenden Übergang zu einer „zeitlosen Geschichte“, welcher ‚die Geschichte’ zu einem unhandlichen Gegenstand mache und unsere (europäische) Identität aufs Spiel setze. Daneben stellte er einen zunehmenden Relevanzverlust der internationalen Historikerkongresse fest, zumal diese „Mega-Kongresse“ zu einem „historischen Supermarkt“ geworden seien und kaum noch fruchtbare Gesamtdiskussionen zuließen.

Während der folgenden drei Tage gliederte sich der Convegno internazionale in zwei Sektionen, die jeweils in kleinere Blöcke unterteilt waren. In Anlehnung an das 1955 zu Grunde gelegte chronologische Konzept orientierte sich die erste Sektion am Epochenschema.

Den Auftakt im Bereich der Alten Geschichte, für den Michel GRAS den Diskussionsvorsitz übernommen hatte, machte Carmine AMPOLO (Pisa). Unter Bezug auf die Beiträge von Arnaldo Momigliano und Massimo Pallottino zeigte er, wie sich 1955 traditionelle Elemente mit neuen Ansätzen verbanden und einem neuen Bewusstsein für die Vielgestaltigkeit der Wirklichkeit und die Pluralität und Grenzen ihrer Interpretationen Raum gaben. Besonders weiterbringend sei die Berücksichtigung archäologischer Quellen, die Erforschung ‚barbarischer Völker’ und die Überwindung der alten Einheit von Sprache, Zivilisation und Staat in der Ethnogeneseforschung gewesen. Am Beispiel der hellenistischen Monarchie ging Heinz HEINEN (Trier) dann auf neuere Forschungsansätze und –projekte in der deutschen althistorischen Forschung ein. Anhand seiner eigenen beiden Projekte zur Multikulturalität Ägyptens und zur Thematik „Roms auswärtige Freunde“ im Trierer SFB „Fremdheit und Armut“ führte Heinen vor, wie sehr sich die Prämissen, Fragehorizonte und Arbeitsformen seit 1955 verändert und zu neuen Ergebnissen geführt haben.

Die Vorträge zur Mittelalterlichen Geschichte eröffnete eine längere Einführung des Diskussionsleiters Massimo MIGLIO (Rom), in der er u.a. auch seiner Hoffnung auf die Gründung eines europäischen Instituts für Mediävistik Ausdruck verlieh. Eine historische Bilanz über die Mittelalterforschung während der letzten 50 Jahre zog Vincente Ángel Álvarez PALENZUELA (Madrid) und hob dabei vier Hauptaspekte als besonders relevant hervor: den Versuch, Europa und seine Wurzeln zu untersuchen; den Ansatz zu einer globalen Geschichte jenseits von nationalen Konzepten; die Anwendung neuer Methoden aus der Kartographie, Archäologie und Statistik; die Notwendigkeit der Erforschung von Bereichen wie Wirtschaft, Religiösität, Ideologie, Alltagsleben etc. Für die spanische Mediävistik unterstrich Palenzuela den vom römischen Weltkongress ausgehenden Impuls auf die Erforschung religiöser Bewegungen. Mit den historischen Hilfswissenschaften, die 1955 letztmalig ein eigenes Forum ‚Paléographie et diplomatique’ zur Verfügung hatten, beschäftigte sich der Beitrag von Theo KÖLZER (Bonn). Der Referent maß der internationalen Tagung in Rom für die weitere Entwicklung der Hilfswissenschaften nur begrenzte Bedeutung zu, weil viele der zur Diskussion gestellten Vorschläge konzeptueller, organisatiorischer und praktischer Art nicht umgesetzt wurden. Noch immer aktuell sei aber die Sorge um das Überleben der Hilfswissenschaften, denn die europaweit geringe Präsenz hilfswissenschaftlicher Fächer in Form von internationalen Organisationen und (mit Ausnahme von Italien und Spanien) an den Universitäten habe vor allem die Diplomatik und Paläographie in eine Krise geführt. Eine positive Bilanz für sein Fach zog der Rechtshistoriker Emanuele CONTE (Rom). Unter Einordnung in die Tendenzen rechtsgeschichtlicher Forschungen vor und nach dem X. Internationalen Historikerkongress betonte er das Richtungsweisende in den Ausführungen von Francesco Calasso, als jener die aus der deutschen Rechtsgeschichte in Frankreich und Italien übernommene Gleichsetzung des mittelalterlichen mit dem germanischen Recht als unhistorisch verwarf und damit maßgeblich zur Überwindung der traditionellen Trennung zwischen „äußerer Geschichte“ (Geschichte der Rechtsliteratur) und „innerer Geschichte“ (Dogmengeschichte) beitrug. Die Rechtsgeschichte habe sich während der letzten Jahrzehnte zunehmend aus ihrer isolierten Stellung befreien und den Weg hin zu einer mittelalterlichen Rechtsgeschichte ebnen können.

Den ersten der zwei unter der presidenza von Maria Antonietta VISCEGLIA (Rom) stehenden Vorträge zur neuzeitlichen Geschichte hielt Hermann VAN DER WEE (Leuven). Er legte sein Augenmerk auf die Bereiche der Sozial- und vor allem Wirtschaftsgeschichte, denen während der internationalen Tagung in Rom eine zentrale Rolle zugekommen war. Sowohl für die nachfolgenden internationalen Kongresse als auch durch die bereits vor 1955 einsetzende Hinwendung zu neuen Themenfeldern, Modellen und Methoden sei die Tagung von 1955 als ein „turning point“ innerhalb der zukünftigen Entwicklung der Geschichtswissenschaft gewesen. Heinz DUCHARDT (Mainz), vertreten durch Matthias SCHNETTGER (Rom), beschäftigte sich in seinem Vortrag mit der Absolutismusdiskussion, die wegen der deutsch-französischen Kooperation auf dem römischen Weltkongress besondere Aufmerksamkeit erregt hatte. Das von Fritz Hartung und Roland Mousnier gemeinsam präsentierte Konzept sei zwar für heutige Forschungen kaum mehr relevant, habe aber weiterführende Ansätze wie die Multiperspektivität bei der Analyse des Absolutismus und die Frage nach der Vergleichbarkeit absolutistischer Staaten mit Monarchien außerhalb Europas enthalten.

Die anschließenden Vorträge zur Zeitgeschichte fanden unter der Diskussionsleitung von Marjan SCHWEGMANN (Rom) statt. Die Zeitgeschichte war auf dem X. Internationalen Historikerkongress als eigenständiger Bereich noch nicht nicht vertreten, weshalb Wolfgang SCHIEDER (Göttingen) von der „versteckten Zeitgeschichte“ sprach. Er zeigte, dass die römischen Kongressteilnehmer insgesamt noch weit von dem heutigen Verständnis von Zeitgeschichte entfernt waren, und skizzierte den langen Prozess der Etablierung des Fachs ‚Zeitgeschichte’ im europäischen Kontext. Wenngleich der Ost-West-Konflikt die Historikertage bis zum Zusammenbruch des Sowjetsystems prägte, habe er dem Fortschritt der historischen Erkenntnis jedoch nur wenig gedient. Unter Bezug auf Mario Toscano und Pierre Renouvin vertiefte Robert FRANK (Paris) die allgemeinen Ausführungen Schieders am Beispiel der außenpolitischen Beziehungen 1939-1945. Auch er verwies auf den lange Zeit prägenden Einfluss nationaler Interessen auf historische Debatten und hob hinsichtlich allgemeiner Entwicklungstendenzen die wichtige Rolle institutioneller Einrichtungen hervor. Die Neubewertung der Zeitgeschichte und die methodisch-thematischen Veränderungen während der vergangenen 50 Jahre habe in der französischen Zeitgeschichte v.a. zu einer kritischeren Auseinandersetzung mit dem Zweiten Weltkrieg und dem Vichy-Regime geführt. Aus spanischer Sicht stellte der römische Weltkongress 1955 ebenfalls einen Ausgangspunkt für zahlreiche Neuorientierungen dar, wenngleich diese aufgrund der politischen Situation im Land zunächst in eine andere Richtung gingen. Wie Antonio Elorza DOMÍNGUEZ (Madrid) verdeutlichte, stand die spanische ‚Zeitgeschichtsforschung’ damals ganz im Zeichen der „Entdeckung nationaler Identität“ und habe sich erst nach dem Sturz des Franco-Regimes 1970 allmählich aus ihren politisch-ideologischen Fesseln lösen können. Angesichts aktueller Forschungen in Katalonien sei aber die Debatte um die spanische Nation und deren Scheitern längst nicht abgeschlossen.

Die zweite Sektion des Convegno Internazionale lenkte den Blick auf einzelne Länder und wurde mit zwei Vorträgen eingeleitet, für die Paolo VIAN (Rom) die Diskussionsleitung übernahm. Amedeo DE VINCENTIIS (Viterbo) sprach über die italienische Mediävistik und konstatierte vor dem Hintergrund thematischer und wissenschaftspolitischer Veränderungen seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts einen nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges einsetzenden grundlegenden Wandel, der auch den internationalen Historikerkongress 1955 spürbar geprägt habe. Im wesentlichen bot der Vortrag eine Momentaufnahme der italienischen Mittelalterforschung der 1950er Jahre. Stellvertretend für die Vatikanstadt referierte Walter BRANDMÜLLER (Rom) über Forschungen zur mittelalterlichen und neuzeitlichen Kirchengeschichte an katholisch-theologischen Fakultäten. Er umriss die während der letzten Jahrzehnte erfolgte Öffnung des Fachs für neue Fragestellungen und Themen, betonte jedoch zugleich, dass das epistemologische Selbstverständnis der Kirchengeschichte seit den 1970er Jahren in eine bislang nicht überwundene Krise geraten sei. Das methodische Instrumentarium seiner „profanhistorischen“ Kollegen kritisierend, sprach sich der Referent ausdrücklich gegen einen Abschied von der Kirchengeschichte als theologische Wissenschaft und damit gegen einen Trend in Richtung Religionswissenschaft und Religionssoziologie aus.

Der Vortragsblock unter dem Vorsitz von Volker SELLIN (Heidelberg) begann mit einer Bilanz der Forschungen zur amerikanischen Geschichte. Charles S. MAIER (Cambridge, USA) ging dabei auf den Wandel methodischer und thematischer Schwerpunkte seit den 50er Jahren ein, führte diesen aber nur beschränkt auf Impulse aus internationalen Historikerkongressen zurück. Vertiefend ging der Vortragende auf die amerikanische Sonderwegsthese und die Gründe ihres Aufkommens und ihrer Persistenz ein. Als „eine der aufregendsten Perioden“ in der Geschichtswissenschaft bezeichnete Christopher DUGGAN (Reading) die 1950er/60er Jahre. Die während jener Zeit lebhaft geführten Debatten hätten in England einen nachhaltigen Perspektivenwechsel herbeigeführt und den Historikern zu mehr Öffentlichkeit verholfen. Aufgrund der politischen und ökonomischen Situation im Land sei es in den 1980er Jahren aber zu großen strukturellen und finanziellen Veränderungen in der universitären Forschung gekommen. Was die jüngere Forschung betrifft, so sei in den letzten 20 Jahren forschungstheorertisch durch Postmodernismus und Diskurstheorie ein grundlegender Wandel der Auffassung von Geschichte weg von einer „erklärenden“ hin zu einer „verstehenden“ Geschichte eingetreten, während dies forschungspraktisch zu einer stärkeren Hinwendung zu Kulturgeschichte und narrativer Geschichtsschreibung, aber auch zu einer größeren Fragmentierung innerhalb der Disziplin geführt habe.

Die folgenden beiden Beiträge standen unter der Leitung von Miguel Ángel Ladero QUESADA (Madrid). In Auseinandersetzung mit dem von Ernest Labrousse auf dem X. Internationalen Historikerkongress präsentierten Forschungsprogramm beleuchtete Jacques REVEL (Paris), dessen Beitrag von Michel GRAS verlesen wurde, einen zentralen „historiographischen Moment“ in der französischen Geschichtswissenschaft. Er machte deutlich, dass der Erfolg von Labrousses (heute teils überholten) Ansätzen zu einer empirisch fundierten Sozial- und Wirtschaftsgeschichte entscheidend von Rom ausging, zumal seine „histoire de la bourgeoisie occidentale“ in den folgenden drei Jahrzehnten zu einem „Referenztext“ werden sollte und zahlreiche weiterführende Studien veranlasste. Jo TOLLEBEEK (Leuven) beschäftigte sich mit der Präsenz der belgischen und niederländischen Historiker auf dem römischen Kongress und den Impulsen, die hiervon auf die Forschung in diesen Ländern ausgingen. Wenngleich der römische Kongress im zeitgenössischen Urteil nur bedingt als ein Erfolg gewertet worden sei, habe er auf lange Sicht dennoch vor allem auf dem Gebiet der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte nachhaltige Wirkung gehabt.

Der vorgesehene Beitrag von Aleksandr CHUBARIAN (Moskau) über neue Tendenzen und Methoden in der russischen Historiographie der 1990er Jahre musste entfallen, so dass der nächste von Jose Luis PESET (Madrid) geleitete Tagungsblock mit einem Blick auf die spanische Geschichtsforschung eröffnet wurde. Als positiv innerhalb der Entwicklung der letzten 50 Jahre unterstrich Manuel Espadas BURGOS (Rom) die von den Internationalen Historikerkongressen ausgehenden Anregungen und die Präsenz der Spanier im CISH, welche vor allem während des Franco-Regimes vor wissenschaftlicher Isolation bewahrt habe. Als beunruhigende Tendenz indes bezeichnete der Referent die auf politische Implikationen zurückzuführende „Hypertrophie der Lokalgeschichte“ während der letzten 30 Jahre und die mit ihr einhergehende erneute Hinwendung zur Faktengeschichte. Hatten alle Vorträge bis dahin eine Bilanzierung aus ‚westlicher’ Perspektive vorgenommen, wechselte mit dem Beitrag von František ŠMAHEL (Prag) die Blickrichtung. Unter den Historikern der Ostblockstaaten, die in Rom 1955 erstmals in der Nachkriegsgeschichte wieder auf einem Weltkongress vertreten waren, befand sich auch eine kleine tschechoslowakische Delegation, zu deren Vertretern u.a. Josef Macek und František Graus gehörten. Sein besonderes Augenmerk auf diese beiden Historiker richtend, zeigte Šmahel, wie infolge des Prager Frühlings und der anschließenden sowjetischen Besatzung die anfängliche Phase einer gewissen Offenheit gegenüber ‚westlichen’ Einflüssen jäh abbrach und nicht nur zu einer Diskriminierung kritischer Forscher führte, sondern auch zu einer Absenz auf internationalen Kongressen bis in die 1980er Jahre hinein. Erst nach 1989 habe ein allmähliches Bewußtsein für die Überkommenheit alter Konzepte eingesetzt und neuen Ansätzen Platz gemacht, auch wenn die tschechische Geschichtswissenschaft bis heute kaum internationale Anbindung besitze.

Unter dem Vorsitz von Hans COOLS (Rom) standen die letzten Tagungsbeiträge, die Winfried SCHULZE (München) mit einem wissenschaftlichen und wissenschaftspolitischen Resümee aus deutscher Sicht einleitete. Wenngleich der Weltkongress 1955 auf Verständigungsbereitschaft angelegt war und im Zeichen einer weltpolitischen Entspannungsphase stand, habe er nicht zu einer Annäherung zwischen den Historikern der Bundesrepublik und der DDR beigetragen können, sondern einen weiteren Schritt in Richtung der definitiven Trennung drei Jahre später dargestellt. Während das Treffen in Rom aus ostdeutscher Sicht ambivalent beurteilt wurde und für die wissenschaftliche Arbeit keine nennenswerten Folgen hatte, bedeutete es für die westdeutschen Historiker eine Überwindung der Randexistenz, wie sie sich noch in Paris 1950 gezeigt hatte, und löste Debatten über die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte französischer Prägung aus.

Jean BOUTIER (Marseille) hatte abschließend die schwierige Aufgabe, die Ergebnisse des dreieinhalbtätigen Convegno zusammenzufassen. Er ging dabei systematisch vor und griff verschiedene Gesichtspunkte auf, unter denen die Bedeutung des X. Internationalen Historikerkongresses in den Vorträgen bilanziert worden war: Von einigen Referenten war der Kongress als Ereignis oder als kultureller, politischer, historiographischer Moment untersucht worden, andere wiederum hatten seine Auswirkungen auf das Fach bzw. die jeweiligen Staaten in den Blick genommen oder die Periode zwischen 1955 und 2005 aus wissenschaftsgeschichtlicher Sicht bewertet. Aus diesen unterschiedlichen Perspektiven fielen die Beurteilungen des römischen Kongresses ganz verschieden aus. Thematisiert wurden die „paradoxe Realität des Kongresses“ zwischen Tradition und Innovation, die geschichtsphilosophischen und nationalen Ansätze, die sich in ihm widerspiegelten sowie die „innere“ und „äußere“ Geschichte des Kongresses, also auf der einen Seite die Beiträge der Teilnehmer, die Konzeption der Tagung, die während ihr stattfindenden Debatten und die von ihr ausgehenden Impulse sowie auf der anderen Seite die historisch-politischen Rahmenbedingungen. Aus heutiger Sicht sei der römische Weltkongress, so Boutier am Ende seiner Ausführungen, vor allem deshalb relevant, weil durch ihn Europa stärker in das Visier historischer Forschungen gerückt sei und er jenseits des nationalen Rahmens eine vergleichende Perspektive, die nicht typologische Aspekte, sondern historische Prozesse untersucht, notwendig gemacht habe. In der Abschlussdiskussion wurde angemerkt, dass die Wichtigkeit der Tagung in Rom 1955 kaum in Relation zu späteren Internationalen Historikerkongressen bemessen worden sei und dass es von den Teilnehmern selbst nur wenig Aussagen darüber gebe, wie der römische Kongress ihre Forschungen beeinflusst habe. Es wurde auch die Frage aufgeworfen, wie ein Kongress aussehen würde, auf dem nationale Aspekte überhaupt keine Rolle mehr spielten.

Insgesamt kann der von mehreren in Rom ansässigen Auslandsinstituten organisierte Convegno internazionale als ein gelungener Versuch internationaler wissenschaftlicher Kooperation gewertet werden, was nicht zuletzt auch die Diskussionen zu den einzelnen Vorträgen bzw. Themenblöcken zeigten. Inhaltlich war er weitaus mehr als eine „Tagung über eine Tagung“, denn der Rückblick auf das Jahr 1955 implizierte zugleich einen Blick auf den derzeitigen Standort der europäischen und amerikanischen Geschichtswissenschaft, verbunden mit einem teils skeptischen, teils hoffnungsvollen Ausblick auf zukünftige Herausforderungen. Eine Publikation der Tagungsbeiträge ist vorgesehen.

Anmerkung:
1 Noch im Vorfeld des römischen Kongresses wurden die Tagungsbeiträge in sieben Bänden publiziert, ein weiterer Band mit den Diskussionsbeiträgen der jeweiligen Sitzungen erschien zwei Jahre später. Vgl. X Congresso Internazionale di Scienze Storiche, Roma 4 – 11 Settembre 1955, a cura della Giunta Centrale per gli Studi Storici, 7 Bde. (Comitato Internazionale di Scienze Storiche), Firenze 1955; Atti del X Congresso Internazionale di Scienze Storiche, Roma 4 – 11 Settembre 1955, a cura della Giunta Centrale per gli Studi Storici (Comitato Internazionale di Scienze Storiche), Firenze 1957.


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