Auf Veranlassung einer hessenweit tätigen bürgerschaftlichen INITIATIVE, die ihren Schwerpunkt in Fulda, der Grabstätte des Königs, hat und unterstützt von der "Deutsche Bank Stiftung" sowie dem örtlichen Rotary Club fand im September dieses Jahres am Vonderau Museum in Fulda eine öffentliche Tagung statt, die sich umfassend mit dem von der Forschung lange stiefmütterlich behandelten ostfränkischen König Konrad I. beschäftigt hat.1 Ziel der INITIATIVE war es, den in der Öffentlichkeit fast in Vergessenheit geratenen Herrscher in enger Anbindung an die Wissenschaft "stärker in das kulturelle Gedächtnis der Region zu bringen". Das Symposium sollte unter anderem die wissenschaftlichen Grundlagen dafür überprüfen. Für diesen Zweck konnten nicht nur zahlreiche namhafte Mediävisten als Referenten gewonnen werden, sondern es gelang den Veranstaltern auch, eine breite Öffentlichkeit in die Diskussion einzubeziehen.
In seinem Eröffnungsvortrag über König Konrad I. in seiner Zeit und die Bedeutung von Geschichtsbildern betonte HANS-WERNER GOETZ (Hamburg), der wissenschaftliche Leiter der Tagung, die Relevanz der kurzen Epoche konradinischer Herrschaft für die Zeitgenossen wie für die moderne Geschichtswissenschaft. Die Wahl Konrads I. könne angesichts des Aufstiegs der Konradiner keineswegs als Zufall gelten. Neu seien vor allem die weitere Loslösung von den westfränkischen Karolingern und das Ausbleiben einer Dynastiebildung gewesen. Die Relevanz der Regierung Konrads I. liege besonders in ihrer Stellung als Übergang zwischen Karolingern und Ottonen, den Besonderheiten der Regierungspraxis sowie der Bedeutung als Episode bei der Entstehung des späteren Deutschen Reiches. Allerdings sei die Quellenlage problematisch, da die wenigen erzählenden Quellen durch mündliche Traditionen und die zeitspezifische Wahrnehmung verbrämt seien und die Beurteilung ihrer Inhalte nach wie vor kontrovers diskutiert werde. Ein Blick in die Urkunden relativiere das Bild von Konrad als ‚gescheitertem König', doch sei eine gewisse Erfolglosigkeit nicht zu leugnen. Von der Tagung könne wegen der Anwendung neuerer Forschungsansätze eine Revision der Forschungsergebnisse zu Konrad I. erwartet werden, nicht jedoch eine vollkommen neue Sichtweise.
Prolog: Konrad I. in der Forschung
RUDOLF SCHIEFFER (München) sprach über die Rolle König Konrads I. in der modernen Geschichtswissenschaft. Er nannte Kernbereiche, in welchen die Forschung die Regierungszeit des Konradiners kontrovers diskutiert habe: Zunächst die wegen der Quellenlage unklare familiäre Situation der Konradiner. Als Konsens könne derzeit gelten, dass der Aufstieg Konrads I. vor allem auf der hervorragenden Machtposition seiner Sippe beruht habe. Die genaueren Umstände seiner Königserhebung seien aber kaum zu klären, die früher propagierte ‚freie Wahl' in Forchheim ein Konstrukt der Forschung. Vor allem die Tatsache, dass es Konrad I. nicht gelang, sich gegenüber den ‚Herzögen' durchzusetzen, habe die Forschung zu dem Urteil gebracht, er sei gescheitert. Allerdings habe der König durchaus Integrationsversuche unternommen und nicht alle duces seien ‚Partikularisten' gewesen. Die Frage, ob in der Wahl Konrads I. die Anfänge des Deutschen Reiches gesehen werden könnten, sei negativ zu bescheiden, da ein solcher Staat vom König kaum intendiert gewesen sein könne. Aktuelle Tendenzen der Forschung schließlich bewegten sich in Richtung eines gewissen Konturverlustes der Person Konrads I., da man sich immer stärker von den Aussagen der erzählenden Quellen distanziere.
Die Frage, ob Konrad I. als ein gescheiterter König gesehen werden müsse, beantwortete HANS-HENNING KORTÜM (Regensburg) mit einem klaren "Nein". Dieses verfehlte Urteil sei bereits in zeitnahen Quellen angelegt und von den modernen Historikern übernommen worden. Es beruhe zudem auf einer falschen Interpretation der berühmten Formulierung fortuna atque mores Widukinds von Corvey. (Mores müsse tatsächlich mit Sallust als ‚Zeitgeist' übersetzt werden.) Auch sei es nötig, die in diesem Zusammenhang nach wie vor virulente Idee eines ‚Königsheils' endgültig zu überwinden. Konrad I. müsse zudem an seinem eigenen Anspruch gemessen werden, der den Formeln seiner Urkunden entnommen werden könne. Diese wiesen eindeutig auf den Willen des Königs hin, im Einvernehmen mit den Großen zu regieren. Der dennoch erfolgten Eskalation von Konflikten sei keineswegs eine Verletzung der ‚Spielregeln' durch den König, sondern stets deren Missachtung durch seine Gegner vorausgegangen. Dem Image des Königs seien schließlich seine kurze Regierungszeit und die fehlende Dynastie zum Verhängnis geworden.
I.: Konrad I. in seiner Zeit
Am folgenden Tag lag der Fokus zunächst auf dem Geschlecht der Konradiner. Mit dessen Geschichte bis zu Konrad I. befasste sich INGRID HEIDRICH (Bonn). Zwar könne man die Genealogie der Konradiner nur unvollständig rekonstruieren, doch ließen die Urkunden Arnulfs und Ludwigs des Kindes erkennen, dass die Familie um die Wende vom 9. zum 10. Jahrhundert maßgeblichen Einfluss am Königshof besessen habe, der die Grundlage für Konrads I. Aufstieg bildete. Auch eine Verwandtschaft der Konradiner mit den Karolingern sei wahrscheinlich, ihre regionale Ausgangsbasis in der Größe durchaus mit der des späteren Königs Heinrich I. vergleichbar. Angesichts einer solchen Machtposition hätten 911 keine Alternativen zu Konrad I. als König bestanden, da die westfränkischen Karolinger keine Machtbasis bei den ostfränkischen Großen besaßen, den Liudolfingern die Nähe zum Königshof fehlte und in Bayern noch kein Kandidat vorhanden war.
In seinem Vortrag über die sächsischen Verwandten der letzten Karolinger und ihr Verhältnis zu Konrad I. plädierte DONALD C. JACKMAN (Pennsylvania State University) für eine neue Interpretation genealogischer Termini. Der Begriff nepos sei im Frühmittelalter in einem weiteren Sinne für Blutsverwandte verwendet worden und habe nicht nur ‚Enkel' oder ‚Neffe', sondern auch ‚Vetter' bedeuten können. Der Terminus avunculus hingegen habe angeheiratete Verwandtschaft beschrieben. Auf dieser Grundlage sei den Quellen eine Verwandtschaft der Konradiner und Karolinger nicht nur untereinander, sondern ebenso mit dem sächsischen Geschlecht der Cobbonen zu entnehmen. Letzterer Familie entstammten Jackman zufolge die Gemahlinnen Arnulfs von Bayern und Konrads des Älteren; die beiden Damen seien vermutlich Schwestern gewesen. Entsprechend müssten Ludwig das Kind und Konrad I. als Vettern angesprochen werden.
Dass während der Herrschaft Konrads I. ein enges Verhältnis zwischen König und Kirche bestanden habe, erklärte WILFRIED HARTMANN (Tübingen). Der Episkopat habe Konrad I. bewusst von Beginn an den Rücken gestärkt, wie schon die Fürsprache Hattos von Mainz bei seiner Wahl (und Salbung!) erkennen lasse. Zeugnis für die Unterstützung von Seiten der Kirche legten auch die Urkunden des Königs ab, die fast alle für geistliche Empfänger ausgestellt worden seien und später ausschließlich geistliche Intervenienten verzeichneten. Ähnliche Tendenzen ließen auch die historiographischen Quellen erkennen. Hier sei das Bild Konrads I. vor allem in Schriften geistlicher Institutionen durchaus positiv gezeichnet. Zwar sei die enge Bindung an die Kirche häufig als Zeichen der Schwäche ausgelegt worden, doch habe sie Konrads Position auch gestärkt, wie die Akten der Synode von Hohenaltheim belegen würden. Gegen die ältere Forschung betonte Hartmann jedoch, dass der Einfluß des Papstes auf die Synodalbeschlüsse eher gering zu veranschlagen sei.
Die Rolle Konrads I. als christus Domini war das Thema von FRANZ-REINER ERKENS (Passau), der feststellte, dass der König an die Herrschaftspraxis seiner karolingischen Vorgänger angeknüpft habe. Auch die Idee eines sakralen Königtums, das in einer nicht zwingend notwendigen Salbung seinen Ausdruck finde, sei fränkischer Herkunft. Sie offenbare sich z.B. in königlichen Herrschaftsrechten gegenüber der Kirche. Die Synode von Hohenaltheim habe diesen vorhandenen Sakralcharakter des Königtums dann besonders betont. Anders als Hartmann sah Erkens dabei einen maßgeblichen Einfluß des Papstes Johannes X. Die Frage, ob Konrad I. tatsächlich gesalbt worden sei, könne hingegen nicht endgültig geklärt werden. Zwar lege eine starke aus Westfranken kommende Salbungstradition dies nahe, aber es gebe keine Belege, da die christus Domini-Formel der Synode von Hohenaltheim aus westgotischen Vorlagen übernommen wurde. Insgesamt stelle sich Konrads Herrschaft im Hinblick auf die Herrschersakralität als eine Übergangzeit dar, die ältere Vorstellungen einer neuen Situation anpasste.
Eine weitere Sektion befasste sich mit den Grundlagen der Herrschaft Konrads I., dessen politische Berater VERENA POSTEL (Marburg) in den Mittelpunkt ihres Vortrags stellte. Sie entwickelte das Bild einer ‚freundschaftlichen' Beziehung zwischen dem Herrscher und den einflußreichen Bischöfen Hatto von Mainz und Salomo III. von Konstanz. Angesichts der Schilderung Konrads I. als primus inter pares in einigen Quellen stelle sich die Frage, ob er nicht bereits - wie später Heinrich I. - ein System von Freundschaftsbündnissen als Herrschaftsmittel angewandt habe. Schon unter Kaiser Arnulf und Ludwig dem Kind sei ein Aufstieg einzelner Berater - zumal der zwei genannten Bischöfe - zu verzeichnen. Diese habe Konrad I. später in seine Herrschaft einbezogen. Auch dürfe man die Einträge im St. Galler Verbrüderungsbuch als Teil der amicitia des Königs mit den geistlichen Großen werten. Insgesamt sei es mithin durchaus gerechtfertigt, Konrad I. eine innovative, bisher von der Forschung stets später angesiedelte Form der Herrschaftsausübung zu bescheinigen.
Dem frühmittelalterlichen Kampf um wirtschaftliche Ressourcen widmete sich BRIGITTE KASTEN (Saarbrücken). Dabei wies sie auf die unsichere militärische Lage der spätkarolingischen Epoche hin, welche die ostfränkischen Herrscher veranlasst habe, Fiskalgut an den Adel abzugeben, um ihm fundamentale Verteidigungsaufgaben zu ermöglichen. Zudem seien von Konrad I. im Zuge des Dynastiewechsels 911 freiwerdende Güter an die alten Eliten ausgegeben worden, während sich die Bistümer seinem Zugriff fast vollständig entzogen hätten. Für eine insgesamt angespannte wirtschaftliche Lage sprächen ferner die auf allen Ebenen erkennbaren Verteilungskämpfe und der Rückgang der Stiftungstätigkeit bereits vor 911. Greifbar sei schließlich der spätere Versuch Konrads I., karolingische Reichsabteien wieder an sich zu ziehen, um Konkurrenz zurückzudrängen, vor allem aber, um von diesen das servitium regis einfordern zu können.
Zentrum und Regionen des ostfränkischen Reiches waren das Thema der nächsten Sektion. Den Kampf der Konradiner und ihrer babenbergischen Kontrahenten um die Vorherrschaft im Maingebiet, die sogenannte Babenberger Fehde, erläuterte WILHELM STÖRMER (München). Signifikant für die Kämpfe sei vor allem das Ringen um Burgen als strategische Punkte gewesen. Ein Ende habe die Fehde erst 907 mit jenen politischen Prozess gefunden, der mit der Hinrichtung des Babenbergers Adalbert und dem Entzug der babenbergischen Titel und Lehen durch den König endete - ein Vorgang, der von der modernen Verfassungsgeschichte lange als Sieg der Reichsgewalt über die Adelsgewalt gedeutet worden sei. Im Endeffekt habe die Fehde die Durchsetzung der Konradiner als mächtigstes Geschlecht im ostfränkischen Reich bewirkt, wie auch die Königsurkunden der Zeit erkennen ließen, die ausschließlich konradinische Intervenienten verzeichneten.
Über die konfliktreiche Genese des Herzogtums Schwaben an der Wende vom 9. zum 10. Jahrhundert berichtete THOMAS ZOTZ (Freiburg i.B.). Anders als in Bayern oder Sachsen, wo sich früh einzelne führende Geschlechter als duces etablieren konnten, habe in Alemannien länger eine Konkurrenzsituation bestanden. Bereits unter den letzten Karolingern habe Bischof Salomo III. von Konstanz seine Position stetig ausbauen können und Einfluß auf die inneralemannischen Machtkämpfe genommen. Spätestens 913 sei dann auch der mit dem Bischof verbündete Konrad I. mit dem lokalen Adel in Streit geraten. Dieser Konflikt habe schließlich zum Todesurteil für den Grafen Erchanger und seinen Verbündeten Berthold auf der Synode von Hohenaltheim geführt. Erst nach dieser Wendung, bei der der König durch das Ablehnen einer angebotenen deditio Erchangers die ‚Spielregeln' der Konfliktlösung gebrochen habe, sei es dem zuvor ebenfalls gegen Konrad I. opponierenden Burchard gelungen, sich als dux in Alemannien zu etablieren.
Eine anschauliche Darstellung der Aufenthalte Konrads I. im fränkisch-sächsischen Grenzraum lieferte KARL HEINRICH KRÜGER (Münster). Gekennzeichnet seien diese vor allem durch die dortige Überschneidung königlicher Herrschaftsansprüche mit denen der Liudolfinger. Ein erster Sachsenzug Konrads I. lasse sich für Anfang 913 belegen, als er nach Corvey zog, um Einfluß auf die Nachfolge Ottos des Erlauchten zu nehmen. 915 sei dann eine Konfrontation erfolgt, bei der der König seinen Widersacher Heinrich in der Pfalz Grone belagerte. Im Ergebnis habe diese Unternehmung eine Einsetzung des Sachsen in die Rechte seines Vaters und - vielleicht auf Grundlage einer deditio Heinrichs - einen dauerhaften Ausgleich der Kontrahenten gebracht. Die von den Quellen genannten sächsischen Aufenthaltsorte Konrads I. stellte Krüger im folgenden ausführlich vor.
Einen direkten Bezug zum Tagungsort stellte die Sektion über Konrad I. und das Kloster Fulda her. Die Situation der Abtei zu Beginn des 10. Jahrhunderts schilderte ULRICH HUSSONG (Marburg), der bei den Privilegien wie Zehntrecht und Immunität ansetzte, die dem Kloster verliehen und immer wieder bestätigt wurden. Die Wahl des Abtes sei an die Zustimmung des Herrschers gebunden, das Gebet des Konvents für das Reich ebenso verpflichtend gewesen wie das servitium regis. Ferner habe die Mönchsgemeinschaft über zahlreiche päpstliche Privilegien verfügt. Die Größe des Fuldaer Konvents sei im 10. Jahrhundert stark zurückgegangen. Der Grundbesitz der Abtei gehe auf eine Schenkung Karlmanns an Bonifatius zurück. Dieser Besitz sei dann vor allem durch königliche Schenkungen angewachsen, wobei der Konvent eine Arrondierung des Besitzes anstrebte. Fulda könne somit auch im Hinblick auf die Ausstattung als Reichsabtei gelten, doch habe auch in der Blütezeit teilweise Mangel geherrscht.
Schrifttum und Kultur im Kloster Fulda waren das Thema von STEFFEN PATZOLD (Hamburg), der das bisherige Bild einer "literarisch stummen Epoche" revidierte. Aus der Zeit Konrads I. seien zwei ‚literarische' Fuldaer Texte erhalten: Ein Abtskatalog, dem für die Zeit Konrads zu entnehmen sei, dass Schrifttum und Kultur keineswegs brachlagen, und ein Martyrologium, das diesen Eindruck durch den Beleg hagiographischer und komputistischer Interessen der Mönche bestätige. Auch die erhaltenen Fragmente von Bibliothekskatalogen wiesen auf ein reges Kulturleben hin, ebenso wie die Aktivität des Fuldaer Skriptoriums um 900. Die erhaltenen Schriften belegten zudem eine intensive Auseinandersetzung mit ihren Inhalten. Der Großteil der Werke, die das belegen könnten, sei allerdings im Dreißigjährigen Krieg verloren gegangen.
Die nächste Sektion behandelte die problematische Frage nach dem ‚Ort' der Herrschaft Konrads I. auf dem Weg zum "Deutschen Reich". Die Dynastiewechsel von 911 und 919 analysierte vor diesem Hintergrund MATTHIAS BECHER (Bonn). Um die beiden Wahlen zu verstehen, sei ein Blick auf die Entwicklung der fränkischen Teilreiche im 9. Jahrhundert notwendig, die von häufigen Machtkämpfen und wechselnden Adelskoalitionen hinsichtlich der Thronvakanzen gekennzeichnet gewesen sei. Die Wahl Konrads I. schließlich gehe u.a. darauf zurück, dass die mächtigen Konradiner nicht gewillt waren, Karl den Einfältigen, mit dem sie in Lotharingien in Konkurrenz standen, als König zu akzeptieren. Aber auch der neue Herrscher habe Widerstände provoziert. Mit den Liudolfingern sei 915 in Grone jedoch ein Ausgleich gelungen, der in der Nachfolge Heinrichs I. und seiner Wahl in Fritzlar sichtbaren Ausdruck gefunden habe. Eine endgültige Abwehr der westfränkischen Ansprüche sei dem sächsischen König erst 921 im Bonner Vertrag gelungen. Die zwei Herrscherwechsel könnten also als ein allmählicher Dynastiewechsel betrachtet werden, der sich durch Auflösungserscheinungen bereits im 9. Jahrhundert angekündigt habe.
Über Konrad I. und die Entstehung des mittelalterlichen deutschen Reiches sprach JÖRG JARNUT (Paderborn). Die Beurteilung der Wahl von 911 als Lossagung der ‚deutschen' Stämme vom karolingisch-fränkischen Reich sei von der Forschung schon lange verworfen worden. Tatsächlich könnten die dabei anwesenden Volksgruppen noch nicht als ‚deutsch' angesprochen werden. Zudem habe der ostfränkische Herrschaftsbereich nicht dem des späteren Deutschen Reiches entsprochen. Doch habe die Epoche Konrads I. zur Ausbildung einer ostfränkischen Identität beigetragen, da er als erster Nicht-Karolinger seine Herrschaft neu habe definieren müssen, wobei er zwangsläufig in eine latente Konkurrenzsituation mit dem ("Erb")König Karl dem Einfältigen geraten sei. Eine verstärkte Abgrenzung vom westfränkischen Reich sei die Folge gewesen. Durch die Auseinandersetzungen mit den Großen Ostfrankens wurde zudem nach innen ein weitgehend neuer, geschlossener Kommunikationsraum geschaffen, der sich auch im kirchlichen Bereich beobachten lasse. Konrad müsse also als ein Stein im Mosaik des deutschen Reiches gelten, denn er habe einen ‚ostfränkischen Weg' beschritten, der Vorbedingung für weitere Entwicklungen gewesen sei.
II.: Konrad I. in der historischen Erinnerung
Die wenigen bekannten Informationen zum Grab Konrads I. trug THOMAS HEILER (Fulda) zusammen. Über den Ort der Grablege habe es viele Spekulationen gegeben. Einzige zeitnahe Quelle seien die Angaben des Marianus Scottus, der Konrads Grab in der Nähe des Kreuzaltares im Fuldaer Dom verortet. Doch habe erst 1881 eine Untersuchung den Dom überhaupt als Begräbnisort bestätigt. Über die genaue Position des Grabes könne nur spekuliert werden, da die Gebeine des Bonifatius, des Abtes Sturm und auch Konrads mehrfach umgebettet worden seien und für keine Theorie archäologische Beweise vorlägen. Möglicherweise sei Konrad ursprünglich in einem ehemaligen Bonifatiusgrab beigesetzt worden. Durch diese räumliche Nähe zu dem Heiligen könne eventuell auch die Entscheidung zugunsten Fuldas als Grablege motiviert gewesen sein. Doch sei das Grab schnell in Vergessenheit geraten, weil keine kontinuierliche Grabpflege stattgefunden habe.
In seinem Vortrag zum Stiftergedenken an den Gräbern der fränkisch-deutschen Könige attestierte TILLMANN LOHSE (Berlin) Konrad I. ein Anknüpfen an seine Vorgänger im Bereich der Gedächtnispflege. Wie die Stiftungsurkunden zeigten, habe er als König ausschließlich bestehende Institutionen mit dem Gebetsgedenken betraut und keine Neugründungen vorgenommen. Bereits vor seiner Erhebung habe Konrad I. die Stiftung in Weilburg ausgebaut. Allerdings sei der anschließende Umfang seiner Stiftungstätigkeit ohne den Aufstieg zum Königtum kaum denkbar. Spätere Zuwendungen des Herrschers hätten sich besonders auf Lorsch und Regensburg konzentriert. Die Persistenz von Konrads Stiftungen könne anhand von Necrologien überprüft werden. Während in Weilburg und Ansbach entsprechende Zeugnisse fehlten, lasse sich in Fulda ein Stiftungsvollzug bis ins späte Mittelalter nachweisen; noch länger in Lorsch. Von einem Scheitern Konrads I. könne im Bereich der memoria also nicht gesprochen werden.
In der folgenden Sektion zum Bereich der liturgischen und dokumentarischen Quellen wies GERD ALTHOFF (Münster) mit seinem Vortrag über Konrad I. in der ottonischen memoria auf die Möglichkeit hin, die wenigen historiographischen Quellen zu Konrads Herrschaft mit Zeugnissen des zeitgenössischen Gebetsgedenkens kritisch abzugleichen. So könne eruiert werden, welche Aussagen die in jüngster Zeit umstrittene historiographische Überlieferung tatsächlich erlaube. Einträge in das Merseburger Necrolog und das St. Galler Verbrüderungsbuch belegten, dass die Ottonen lange Zeit für Konrad beten ließen (in Quedlinburg sogar über hundert Jahre). Dies wiederum lasse die Schlussfolgerung zu, dass Konrad I. und Heinrich I. durch eine verpflichtende ‚Freundschaft' verbunden gewesen seien, die womöglich aus einer deditio Heinrichs während der Belagerung von Grone resultierte. Für eine amicitia zwischen Konrad und Heinrich, die zum Vorbild späterer Konfliktregelungen wurde und zur Designation des Liudolfingers als Nachfolger führte, spreche ferner ein weiteres Detail: Konrad sei seit seiner Verwundung 916 schwer erkrankt gewesen, wie sein Itinerar belege. Auch dies lasse die groben Inhalte einer vermeintlichen ‚Sterbebettlyrik' der sächsischen Geschichtsschreiber wieder deutlich realistischer erscheinen.
Der Vortrag zum Nachleben Konrads I. in dokumentarischen Quellen von THOMAS VOGTHERR (Osnabrück) konstatierte, dass eine entsprechende Analyse von Urkunden vor allem dort Erkenntnisse bringe, wo sonst übliche routinemäßige Nennungen in späteren Bestätigungen unterblieben. Für Konrad sei dies etwa in Immunitätsbestätigungen Heinrichs I. für Fulda und Hersfeld der Fall. Insgesamt aber seien auch die ‚Routinenennungen' Konrads I. in den Diplomen seiner Nachfolger fast ausschließlich auf Orte in dessen fränkischem Herkunftsbereich beschränkt geblieben. Ebenso ließen die wenigen erhaltenen Fälschungen keine besonders intensive Bezugnahme späterer Generationen auf Konrad I. erkennen. Ein Nachleben sei fast ausschließlich in Urkunden erkennbar, die einen Bezug zum Geschlecht der Konradiner aufwiesen. Außerhalb dieses Bereiches sei der König nur eine Übergangsfigur geblieben.
In der Sektion zur mittelalterlichen Geschichtsschreibung berichtete JOHANNES LAUDAGE (Düsseldorf) über das Bild Konrads I. in der früh- und hochmittelalterlichen Geschichtsschreibung und identifizierte drei Schichten der Erzähltradition. Zunächst gebe es eine Reihe annalistischer Nachrichten, die das Bild eines im Kampf um Lotharingien, gegen die Ungarn und den regionalen Hochadel scheiternden Feldherrn zeichneten. Eine spezifisch sächsische Komponente habe das Geschichtsbild dann durch Widukinds Sachsengeschichte und das Aufgreifen oraler Traditionen bekommen, welche die Regierung Konrads I. vor allem als Voraussetzung des ottonischen Königtums betrachteten. Schließlich sei Konrads Herrschaft in den Versuchen der hochmittelalterlichen Chronisten, die Geschichte des Reiches nach Dynastien zu gliedern, in den Hintergrund getreten. Angesichts dieser Verformungsprozesse sei es geboten, sich stärker an der ersten, annalistischen Tradition zu orientieren, auch wenn so nicht alle Fragen beantwortet werden könnten.
In seinem Beitrag zum Nachleben Konrads I. im Spätmittelalter konzentrierte sich JÜRGEN RÖMER (Lichtenfels-Dalwigksthal) auf das vorhandene Wissen über den König im 13. bis 15. Jahrhundert. Während Konrad I. in der sächsischen Weltchronik noch relativ ausführlich in Erscheinung trete, seien die Nachrichten zu seiner Person in den Chroniken des Spätmittelalters, die ihn teilweise als "Ludwig" oder "letzten Karolinger" bezeichneten, deutlich spärlicher. Auch genaue Kenntnis über Herkunft oder eine mögliche Kaiserwürde des Herrschers sei nicht immer vorhanden gewesen. Einen spezifisch hessischen Fokus weisen nur wenige Quellen auf. Zu nennen sei hier vor allem Wigand Gerstenberg, in dessen ‚phantasievollen' Werken Konrad als "Herzog von Thüringen und Hessen" firmiere und sich nahezu auf Augenhöhe mit Karl dem Großen befinde. Insgesamt aber seien in Bezug auf Konrad I. für das Spätmittelalter eine schlechte Quellenlage und fehlendes Andenken zu konstatieren.
Das Geschichtsbewusstsein in Mittelalter und Gegenwart standen im Mittelpunkt einer letzten Sektion. Dabei untersuchte INGRID BAUMGÄRNTER (Kassel) die Bedeutung Konrads I. für eine regionale Identität Hessens im Mittelalter. Sie führte aus, dass es diesbezüglich nur möglich sei, nach ständig wechselnden regionalen und lokalen Identitäten zu fragen, da ein Zusammengehörigkeitsgefühl in Hessen - zumal im Bundesland - erst über die Jahrhunderte entstanden sei. Zwar habe Konrad I. ein gewisses Potenzial als variable Identifikationsfigur besessen, doch sei eine entsprechende Rezeption erst im 15. Jahrhundert mit dem Rückgriff auf frühmittelalterliche Quellen erfolgt, wobei der König auch dann nur eine marginale Rolle gespielt habe. Einziges prominentes Beispiel für eine Nutzung Konrads, die auf die Propagierung einer (thüringisch-)hessischen Identität abzielte, seien die spätmittelalterlichen Chroniken Wigand Gerstenbergs, der auch ein selbstständiges Hessen in den zwei Jahrhunderten vor Heinrich I. postulierte. Insgesamt gesehen aber habe Konrad I. nur sehr bedingt zur lokalen Identitätsstiftung instrumentalisiert werden können.
Eine Auswertung der Präsenz Konrads I. in Schulbüchern und populärwissenschaftlicher Literatur der letzten eineinhalb Jahrhunderte legte ULRICH NONN (Koblenz) vor. Darin stellte er fest, dass sich die entsprechenden Werke des 19. und frühen 20. Jahrhunderts noch vergleichsweise ausführlich mit dem Konradiner beschäftigten, ihn aber vor allem am Verlust Lothringens bzw. den Auseinandersetzungen mit den ‚Herzögen' maßen und seine größte Leistung in der Designation Heinrichs I. sahen. Ferner habe Konrads Wahl als Markstein auf dem Weg zu einem Deutschen Reich mit ‚Wahlkönigtum' gegolten. Im Bereich der neueren Schulbücher und populärwissenschaftlichen Publikationen falle Konrad I. hingegen, aufgrund einer verstärkten Hinwendung zur Alltagsgeschichte, sehr häufig durch das Raster. Da die wenigen vorhandenen Ausführungen zudem meist unreflektiert und traditionell geprägt seien, falle die Bilanz für die letzten Dekaden eher enttäuschend aus.
Auch wenn das auf der Tagung gezeichnete Bild Konrads I. keineswegs einheitlich war, wurden die bisherigen Forschungsergebnisse doch einer gründlichen Revision unterzogen und in einer Reihe von Aspekten verworfen oder modifiziert. So ist das Bild vom gescheiterten König zugunsten der Frage nach dem jeweils angelegten Maßstab in den Hintergrund getreten. Von Konrads Erhebung als ‚Beginn' eines ‚deutschen' Reichs wird man endgültig nicht mehr sprechen können. Die Frage nach einer möglichen Salbung Konrads I. wurde der Untersuchung zeitgenössischer Vorstellungen zur Herrschersakralität untergeordnet und die Meinung über sein Verhältnis zur Kirche in Teilen revidiert. Von großer Bedeutung ist ferner der festgestellte innovative Einsatz von amicitiae als königliches Herrschaftsmittel bereits vor 919. In der Folge ist auch das sich wandelnde Verhältnis Konrads I. zu den Liudolfingern in einem anderen Licht zu sehen als zuvor, ebenso wie die quellenkundliche Einschätzung der sächsischen Überlieferung. Und schließlich wurden Themenbereiche wie die Stiftungstätigkeit, das Nachleben Konrads I. sowie die Rezeptionsgeschichte überhaupt erstmals näher untersucht. Der in Vorbereitung befindliche Tagungsband wird 2006 im Verlag Dr. Winkler, Bochum, erscheinen.
Anmerkung:
1 Vgl. http://www.fulda-online.de/inhaltsseiten/kultur_freizeit/statische_seiten/museum/KK/symposion/koenig_konrad_symposion_1.htm, http://www.koenigkonrad-aushessen.de/main.html