Wahre Geschichte - Geschichte als Ware. Die Verantwortung des Historikers gegenüber Wissenschaft und Gesellschaft

Wahre Geschichte - Geschichte als Ware. Die Verantwortung des Historikers gegenüber Wissenschaft und Gesellschaft

Organisatoren
Dr. Christoph Kühberger; Prof. Christian Lübke; PD Dr. Thomas Terberger
Ort
Greifswald
Land
Deutschland
Vom - Bis
12.01.2006 - 14.01.2006
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Von
Erik Fischer, Historisches Institut, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald

Die Internationale Fachtagung "Wahre Geschichte - Geschichte als Ware. Die Verantwortung des Historikers gegenüber Wissenschaft und Gesellschaft" fand vom 12. bis zum 14. Januar im Alfried Krupp Wissenschaftskolleg in Greifswald statt. Ausgerichtet wurde sie durch Dr. Christoph Kühberger, Prof. Dr. Christian Lübke und PD Dr. Thomas Terberger vom Historischen Institut der Universität Greifswald. Gefördert wurde sie durch die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach Stiftung, Essen. Gegenstand sollte die Problematik von Fälschungen und unseriöser Forschung ebenso wie die mögliche politische Instrumentalisierung der Geschichtswissenschaft und vor allem ihre Außendarstellung in der Gesellschaft sein.

Die erste Sektion widmete sich der guten wissenschaftliche Praxis in der Geschichtswissenschaft. Theoretische und methodische Grundsatzfragen standen dabei im Mittelpunkt, welche eine Beurteilung von Geschichte in der Gesellschaft und auch in der Wissenschaft ermöglichen. Das erste Referat The End of the Affair: The Irretrievable Breakdown of History and Ethics hielt Keith Jenkins (Chichester). Sein Ansatzpunkt war die radikale Kritik am Projekt der Moderne und somit an dem Versuch der Aufklärung. Zwei zentrale Punkte lokalisierte er dabei: Das Ende der Geschichte und das der Ethik. Jenkins ging jedoch in seiner Analyse nicht über seine ohnedies bekannten Positionen hinaus.

Egon Flaigs (Greifswald) Beitrag konnte man als Gegenprogramm zu jenem von Jenkins verstehen. Flaig beschrieb ironisch drei Todesarten der Geschichte in unserer Zeit: den "schönen Tod", wenn die Geschichte zur Kunst wird und somit sich jeglicher theoretischen und methodischen Reflexion entzieht; den "kannibalischen Tod", wenn die Geschichte geschluckt wird von einer anderen Wissenschaft. In diesem Fall bezog sich Flaig auf die Literaturwissenschaft und verwies auf die Theorie von Hayden White, die er für unhaltbar befindet. Zum Schluss erörterte er die Möglichkeit einer "Hinrichtung der Geschichte" durch die zweite unzeitgemäße Betrachtung von Friedrich Nietzsche, die bekanntlich den Titel trägt "Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben" und in welcher der Geschichte der Status der Wissenschaft abgesprochen wird. Nietzsche instrumentalisierte sie vollständig für das kulturelle Gedächtnis. Auf dieser scharfe Diskussion der verschiedenen theoretischen Ansätze mit Geschichte umzugehen aufbauend, skizzierte Flaig nun sein Programm. Im Anschluss an die Arbeiten von Chris Lorenz plädiert er dafür, dass auch die Geschichtswissenschaft eine Wahrheit annehmen muss, die sich auf eine äußere Realität bezieht, welche als objektiv gelten kann. Als Grundlage dessen nimmt Flaig die Ergebnisse der Forschung von Immanuel Kant und Max Weber.

Urs Sommer (Greifswald) sprach über die Geschichtsphilosophie als junge eigenständige Wissenschaft und stellte zwei Eckmomente eben dieser vor: Die Orientierung an sogenannten Exempla, also beispielhaften Ereignissen in der Geschichte und der Drang nach einer moralischen Vervollkommnung im Zuge der spekulativ-analytischen Geschichtsphilosophie. Die Leitfrage von Sommer war dabei, ob es eine Verbindung zwischen Moral und Geschichte gibt und ob die Geschichte durch ihre Affinität zur Moral zur Ware wird. Sein Vorschlag ist, dass die Geschichte dem Menschen die eigene Moral vor Augen führen soll und somit zu einer Schule des Gewissensverzicht wird. Damit kann sie zur wahren Geschichte werden.

Wolf Buchmann vom Bundesarchiv in Koblenz berichtete von Spektakulären Dokumenten auf dem Prüfstand. Er stellte fest, dass die meisten Fälschungen die Zeit des Nationalsozialismus betreffen und führte an ausgewählten Fällen sehr deutlich vor, wie aus dem Anspruch auf eine wahre Geschichte die Geschichte zu einer "Ware" werden kann. Als problematisch bei der Aufklärung solcher Fälschungen schätzte Buchmann ein, dass die Überlieferungsgeschichte gewisser Dokumente nicht immer zweifelsfrei zu klären ist. Diese bildet aber eine wesentliche Grundlage für die Beurteilung der Authentizität. Ebenso sind jedoch einfache Techniken, wie die äußere Quellenkritik, von größtem Nutzen für eine solche Bewertung. Auch einen anderen Aspekt hob Buchmann hervor: die Rezeptionsgeschichte von Fälschungen. Authentizität ist nach seiner Meinung lediglich ein Kriterium für die Relevanz verschiedenster Dokumente für den historischen Erkenntnisprozess. Doch auch die Geschichte von Fälschungen kann aufschlussreich sein.

Der Ur- und Frühgeschichtswissenschaftler Thomas Terberger (Greifswald) sprach über archäologisch-historische Forschung im Spannungsfeld zwischen harten Daten und Phantasie. Als harte Daten bezeichnete Terberger dabei die Ergebnisse, die durch die Naturwissenschaft hervorgebracht werden. Dem stellte er sogenannte weiche Daten gegenüber, denn die Geisteswissenschaften tendieren eher zu Interpretationen. Terberger betonte jedoch, dass es auch in diesen Wissenschaften durchaus harte Daten gibt, z.B. die Ergebnisse direkter Datierungen. Diese können jedoch Gegenstand von Fälschungen werden. Als Beispiel führte er den Fall um den Frankfurter Anthropologie-Professor Reiner Protsch von Zieten an, welcher der Fälschung von Schädeldatierungen überführt wurde. Solche Fälle sind nicht als singulär zu betrachten, sondern ebenso alt wie häufig. Terberger machte drei Motivfelder für Fälschungen aus: persönliche Bereicherung, wissenschaftliche Anerkennung und Profilierung, sowie die Sucht nach Ruhm und Ehre. Ein deutlicher Indikator sei zudem die inflationäre Benutzung von Superlativen bei der Bekanntmachung neuer Funde. Daneben sieht er die ideologisch motivierte Fälschung als problematisch an, die oftmals politisch beeinflusst ist. Sie kann der Nationen- und Identitätskonstruktion dienen, genauso wie aber auch dem Prestige eines Landes. Besonders hervorzuheben gilt es, dass die potenziellen Aufklärer schnell als "Netzbeschmutzer" diffamiert werden.

Den Abschluss der ersten Tages bildete Thomas Stamm-Kuhlmann (Greifswald). In seinem Abendvortrag beschäftigte er sich mit dem Glanz der Technik und dem Schatten der Erinnerung. Im Mittelpunkt stand die Ambivalenz in der Beurteilung von Peenemünde. Dieser Ort, einmal die Geburtsstätte der modernen Raumfahrt und zum anderen Ausdruck nationalsozialistischer Verbrechen, ist für ihn ein Symbol, welches abwechselnd positiv und negativ konnotiert wird. Ein Stichwort war dabei das des Historikers als Störenfried, der durch seine kritische Arbeit oftmals ein idealisiertes Bild zerstört. Geschichte darf sich jedoch nicht als Legitimationsmacht für Unternehmen und eine positive Außendarstellung missbrauchen lassen. Sie hat die gesellschaftliche Pflicht und Verantwortung, die Vergangenheit kritisch zu beleuchten und die Ambivalenzen darzustellen, um einen Erinnerungs- und des Lernprozess zu erzeugen. Hier ergibt sich jedoch die Gefahr der Verharmlosung, der Fetischisierung und der Mythologisierung abseits einer konkreten Geschichtlichkeit. Stamm-Kuhlmann sieht einen möglichen Ausweg in der Kunst. Er fordert die "Aura der Objekte" durch eine kühle Präsentation zu zerstören. Diese Präsentation soll verstanden werden als ästhetischer Gegenzauber zum Zauber des Objektes. Ziel soll es also sein, nicht (nur) mit Worten, sondern mit anderen Objekten zu argumentieren und zu kritisieren.

Der zweite Tag wurde mit der Sektion Wissenstransfer und Verantwortung eröffnet. Als erster sprach Bernhard Hoppe (Schwerin) über Orte der Erinnerung im Spannungsfeld zwischen gesellschaftlicher Verantwortung und wissenschaftlichem Anspruch. An den Anfang seiner Ausführungen stellte er die Bemerkung, dass wir alle schon einmal auf dem Mond gewesen seien und machte damit auf dem Umstand aufmerksam, dass Orte der Erinnerung stets durch eine Wahrnehmung aus zweiter Hand vermittelt werden. Das, was erinnert werden soll an einem konkreten Ort, ist vergangen und damit unwiederbringlich verloren. Es existieren also keine authentischen Orte der Erinnerung. Dennoch sind die Bereiche, die wir mit einem Ereignis verbinden, die Ware der Geschichte im gesellschaftlichen Diskurs. Diese müssen also angemessen präsentiert werden, wobei der Historiker eine gesellschaftliche Verantwortung trägt, welche sich einmal in wissenschaftlichem Anspruch und zum anderen in einer gelungenen ästhetischen Präsentation zeigt. Geschichte sollte dabei unterhaltsam sein, indem sie im Sinne von Ingeborg Bachmann dem Menschen die Wahrheit zumutet. Maren Krüger vom Jüdischen Museum Berlin schloss mit ihrem Vortrag zum Thema Zwischen Wissenschaft und Besucherorientierung direkt an das Referat von Bernhard Hoppe an und schilderte anschauliche die Übertragung eines solchen Konzeptes in die Praxis anhand des Alltags im Jüdischen Museum.

Christoph Kühberger (Greifswald) thematisierte die Verantwortung der Geschichtslehrer(innen) am Beginn des 21. Jahrhundert. Er beschrieb dabei vier wesentliche Felder der Verantwortung: einmal die als Menschen, Bürger und Erzieher; zum anderen die Verantwortung gegenüber Schülern, Eltern, Institutionen und der Gesellschaft; als drittes die Verantwortung im Lernprozess und schließlich die Verantwortung als Geschichtswissenschaftler. All dieses bringt Probleme mit sich, welche von Kühberger anschaulich skizziert wurden. Wichtige Schlüsselelemente waren jedoch die Verantwortung in einer sich über die nationalen Grenzen hinaus entwickelnden Welt und schließlich die Haltung der Lehrer(innen) zu sogenannter heißer Geschichte, also Geschichte der jüngsten Vergangenheit, die moralisch belastet ist und den über das Emotionale hinausgehende analytischen Blick der Geschichtslehrer(innen) verlangt. Eine angewandte Ethik in diesem Bereich kann nach ihm jedoch nur eine Verantwortungsethik sein, welche die Lehrenden dazu auffordert ihre Handlungen im Geschichtsunterricht ständig kritisch zu reflektieren, um nicht in ethisch bedenkliche Sphären abzugleiten.

Rainer Blasius, verantwortlicher Redakteur bei der FAZ für den Bereich Politisches Buch, warnte in seinem Referat vor sogenannten "Lobkartellen" in der Rezensionspraxis und der inflationären Bezeichnung neu erscheinender Bücher als Standardwerk und sprach sich für eine sinn- und maßvolle Beziehung zwischen Geschichte und Presse aus. Hier soll Geschichte als Ware angemessen einem breiten Publikum zugänglich gemacht werden.

Siegfried Quant (Gießen) beschäftigte sich mit der Geschichte im Fernsehen. Er fragte, ob diese sachgerecht, mediengerecht und publikumsgerecht aufbereitet wird. Das Fernsehen wurde dabei als ein Leitmedium unserer Zeit bestimmt. Quant formulierte die These, dass das Geschichtsbild der deutschen Gesellschaft ein Fernsehgeschichtsbild sei. Als Beispiel hierfür wurde Guido Knopp mit seinen zahlreichen Beiträgen im Fernsehen herangezogen. Dieser wurde auch als Ausgangspunkt genommen, um eine gefährliche Schere zwischen der Geschichtswissenschaft und den Medien aufzuzeigen. Denn, so Quandt, die "scientific community" der Geschichtswissenschaft hat sich medial nicht genügend modernisiert, um kommunikativ auftreten zu können. Dies ist somit auch die Forderung von Quandt, denn ein so wirkmächtiges Medium wie das (Geschichts-)Fernsehen braucht die Geschichtswissenschaft als begleitende, kritische Instanz. Die Forderung ist also sich mit den modernen Medien und der Kommunikation auseinander zusetzen, möglicherweise auch unter Einbeziehung der Ergebnisse der neueren Hirnforschung.

Bodo von Borries (Hamburg) griff den Beitrag von Quandt auf und erläuterte die Geschichte im Spielfilm. Von Borries beobachtete, dass das Lesen eine zurückgehende Fähigkeit sei und Filmen daher eine besondere Bedeutung zukomme. Dem hielt von Borries nun aber eine ausführliche Kritik der historischen Spielfilme gegenüber. Aufgrund ihrer enormen Wirkmächtigkeit sind sie in der Lage eine falsches Geschichtsbild zu transportieren und dieses im Bewusstsein der Menschen dauerhaft zu verankern. Anschauliches Beispiel dafür war der Luther Film aus dem Jahr 2003. Spielfilme würden ein unwiderstehliches Identifikationsangebot anbieten und täuschen durch ihre Suggestionskraft auch über offenkundige Mängel hinweg. Diesem für die Geschichtswissenschaft gefährliches Phänomenen gilt es zu begegnen, auch wenn von Borries freilich zugibt, noch keine zufriedenstellende Lösung gefunden zu haben. In der anschließenden Diskussion warf Siegfried Quandt die Frage auf, ob die Geschichte sich die im Gehirn ablaufende Vorstellungsbildung nicht zu Nutze machen sollte und ob die Fiktion nicht einen lohnenswerten Zugang zur Geschichte schaffen kann. Beide Fragen blieben leider unbeantwortet und wären wohl im Lichte der postmodernen Debatte weiter zu verfolgen.

Die zweite Sektion des Tages stand unter dem Thema Zwischen Wissenschaft und moralischem Gericht und wurde eröffnet durch Clemens Jabloner (Präsident des österreichischen Verwaltungsgerichtshofes, Wien), der über die Juristen im Dienste der Zeitgeschichte sprach und dabei seine Arbeit in der österreichischen Historikerkommission, in der Juristen und Historiker gemeinsam wirkten, schilderte. Jabloner zeigte die Möglichkeit eines multidisziplinären Zugangs zu vergangenen Rechtsakten und die gegenseitige Befruchtung beider Wissenschaften. Die Geschichtswissenschaft identifizierte er dabei als primär auf Erkenntnis ausgerichtet, während die Rechtswissenschaft versuche, einen Sachverhalt normativ zu fixieren und eine personelle Zurechnung zu erstellen. In der Bearbeitung zurückliegender Vergehen, können somit beiden Wissenschaften zusammenarbeiten und zu Ergebnissen kommen. Ein entscheidender Beitrag von Juristen kann dabei die Bewertung alten Rechts sein.

Ludolf Herbst (Berlin) sprach über das Geschichtsbewusstsein und die Politikformulierung in der Bundesrepublik Deutschland. Als Politikformulierung bezeichnet Herbst verschiedene Aufbruchsphasen, in denen Geschichte entsteht, wenn ein neues politisches Paradigma formuliert wird. In einer solchen Phase werden also neue historische Leitbilder begründet und somit kann man eine Korrelation zwischen Geschichtsbewusstsein und Politikformulierung vornehmen. Herbst kam dabei zu dem Ergebnis, dass wichtige historische Ereignisse zwar stets politisch motiviert, jedoch selten mehrheitsfähig waren. Die Bevölkerung trug zumeist den Wandel des Geschichtsbewusstseins nicht mit. Das Problem liegt für Herbst darin, dass die Politikformulierung ein elitärer Diskurs ist, was für die Durchführbarkeit Vorteile bringt, jedoch sich auch nachteilig auswirken kann, da die Geschichtswissenschaft an der öffentlichen und kritischen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit kaum beteiligt war und somit nichts zu einem neuen Geschichtsbewusstsein beitragen konnte. Aus dieser Analyse leitet Herbst einen großen Missstand der Geschichtswissenschaft ab. Diese steht zum einen gegen die öffentliche Debatte und nimmt an dieser nicht genügend Anteil und zum anderen ist sie zu stark dogmatisiert und kann nicht flexibel genug auf neue Deutungsmuster reagieren. Die Forderung von Herbst ist die einer stärkeren Kontextualisierung und einer Befreiung der Zeitgeschichte von moralischen Ansprüchen. Die Geschichtswissenschaft muss sich Bereichen zuwenden, die ein öffentliches Wirken zeigen. Sie selbst darf nicht den Fehler machen, in einen eigenen Elitediskurs zu verfallen.

An diese Forderung schloss Manfried Grieger aus Wolfsburg direkt an. Sein Frage war die nach PR oder Wissenschaft? Dabei ging es ihm um die Standortbestimmung unternehmensgeschichtlicher Forschung. Diese wird seiner Meinung nach in der akademischen Ausbildung immer noch zu sehr vernachlässigt. Doch sie hat ihre ganz eigene Bedeutung, um die Ware Geschichte sinnvoll nach außen zu kommunizieren. Natürlich muss Technik- und Produktionsgeschichte im Sinne des Konzerns geschrieben werden, doch gerade hier liegt das Potential von Unternehmensgeschichte, nämlich den Ausgleich zwischen der Ware und der Wahrheit zu schaffen.

Im Anschluss an die Referate des Tages fand eine Podiumsdiskussion unter der Leitung von Hubertus Buchstein statt, die sich mit der Frage beschäftigte: Stasi-Akten und kein Ende? Teilnehmer waren hier Christoph Kleemann aus Rostock, Jörn Mothes aus Schwerin, Peter Winters aus Berlin und Michael Scholz aus Visby. Ein wesentlicher Punkte der Diskussion war die Frage nach dem Verhältnis zwischen ehemaligen Mitarbeitern und Opfern der Stasi. Vor allem Jörn Mothes machte in diesem Kontext auf die Möglichkeit aufmerksam, mit Hilfe der Stasi-Akten persönliche Biographien aufklären zu können. Jedoch sieht er die Aussöhnung aufgrund der zeitlichen Nähe des Geschehens und einer zu befürchtenden großen medialen Aufmerksamkeit als problematisch an. Wichtig ist jedoch, dass solche Versöhnung nur durch Kommunikation erreicht werden kann. Diese muss sich aber im kleinen, privaten Rahmen abspielen. Ein anderer wichtiger Aspekt war die Verwendung von Stasi-Akten als historische Quelle. Dabei wurde über Fragen der Bestände genauso diskutiert, wie über Sperrfristen und Datenschutz. Eine interessante Erkenntnis dabei war, dass die Stasi-Archive, obwohl sie zu großen Teilen zugänglich sind, kaum von der Forschung benutzt werden. Auch fiel den Teilnehmern der Podiums-Diskussion immer wieder auf, dass es in vielen Punkten eklatante Wissenslücken über die Geschichte der DDR gibt. Die DDR-Vergangenheit ist, so ein Fazit, noch eine zu nahe, so dass sich Wissenschaftlichkeit fast immer mit Emotionalität mischt und somit ein klares Bild trübt.

Jörg Hackmann (Greifswald) eröffnete die Sektion Geschichte und Politik am letzten Tag mit seinem Beitrag Historians as nation-builders. Historiker und Nation in Ostmitteleuropa vor und nach 1989. Nach 1989 wurde immer wieder ein Zusammenhang zwischen Historiographie und "nation-building" postuliert. Dem Historiker wurde eine politische Tätigkeit zugeschrieben. Seine Aufgabe sei es, die Nation zu schreiben und somit zu konstruieren. Hackmann hat jedoch gezeigt, dass es bereits im Sozialismus eine nationale Geschichtsschreibung gab, deren Kontinuität bis nach 1989 weiter wirkt.

Jan Pikorski (Stettin) sprach über die Arbeit der deutsch-polnischer Schulbuchkommissionen. Geschichte kann seiner Ansicht nach eine wichtige vermittelnde Rolle spielen. Die Arbeit der Kommission möchte diese vermittelnde Rolle fördern und als wirkmächtiges Modell der Verständigung fungieren. Als gemeinsame Aufgaben skizzierte Pikorski dabei die Entmythologisierung der Vergangenheit und die Aufklärung über die gegenseitigen Vorurteile und Stereotypen.

Wilfried Menghin sprach über das schwierige Problem der Beutekunst. Sie sei ein ständiges Begleitthema von Kriegen. Die Haager Landkriegsordnung sollte dieses Problem regeln. Doch trotz dieses Vertragswerkes wurden durch das nationalsozialistische Regime groß angelegte Verschleppungen von Kunstwerken durchgeführt. Aber auch Stalin ließ gezielt Kunstwerke requirieren. In den 1990er Jahre wurde die schwierige Beutekunstdebatte zwischen Deutschland und Russland wieder neu geführt. Das Problem an dieser Diskussion ist, dass sich im Laufe der Jahre durch internationale Verträge und das russische Beutekunstgesetz von 1998 unterschiedliche Rechtsstandpunkte herausgebildet haben, die eine Entspannung der Situation kaum möglich machen. Mit der Arbeitsgemeinschaft Deutsch-Russischer Museumsdialog will man einen Anstoß zu Kooperation und Kommunikation geben und eine Initiative zur verstärkten Zusammenarbeit und schrittweisen Klärung der Streitfragen schaffen.

Das Abschlussreferat sollte die Frage nach der guten wissenschaftlichen Praxis nochmals positionieren. Hans-Heinrich Trute (Hamburg), früherer Ombudsmann der DFG, sprach zum Thema Aus Fehlern lernen: gute wissenschaftliche Praxis in der Forschung. Dabei zeichnete er ein pessimistisches Bild. Die heutige Gesellschaft fordert auf vielfältige Weise immer schnellere und bessere Forschungsergebnisse, so dass diese mit der Entwicklung kaum Schritt halten kann. Auch die Ökonomie und die Politik machen Wissenschaft immer mehr zu einer Ware auf dem öffentlichen Markt. Als Folge davon wird es immer wieder zu Fälschungen kommen. Die Motive hierfür waren bereits von Terberger herausgestellt worden: persönliche Bereicherung, wissenschaftliche Anerkennung und Profilierung sowie die Sucht nach Ruhm und Ehre. Auch die Rolle der medialen Öffentlichkeit als ambivalente Macht wurde hier nochmals betont: einmal kann sie als kritische Instanz regulierend wirken, zum anderen besteht die Gefahr, dass sie durch Kreierung wissenschaftlicher Popstars die Lage verschärft. Die Aussichten, die Trute dabei stellte, waren wenig erfreulich: Er ist der Meinung, dass es immer wieder zu spektakulären Fälschungen und daraus entstehenden Skandalen kommen wird. Eine Lösung erscheint schwierig. Oftmals finden sich Hinweise auf eine mögliche Fälschung bei den Fälschern selbst. Zum anderen setzt Trute auf eine verstärkte Binnenkontrolle und forderte feinere Mechanismen in den Institutionen, um solche Fälschungen zu regulieren.

In der abschließenden Diskussion wurde jedoch angemahnt, dass nicht nur solche Binnenkontrollen mehr Sicherheit geben kann, sondern auch eine veränderte Einstellung der Gesellschaft, Politik und Ökonomie zur Wissenschaft. Dieser Mentalitätswandel ist allerdings schwer durchführbar. Die beinah einstimmige Forderung war es dennoch, einen Kulturwandel anzustreben und die Gesellschaft als ganzes kritikfähiger zu machen. Dahinter steckt nicht nur die erhöhte Courage, Autoritäten in Zweifel zu ziehen, sondern auch das Bestreben, selbst besser mit Kritik umzugehen. Die Tagung bewies einmal mehr, dass es in der Geschichtswissenschaft auch einen expliziten ethischen Diskurs geben kann, der sich nicht nur hinter der Hülse einer "wissenschaftlichen Objektivität" versteckt, sondern sich den Aspekten der fachspezifischen Probleme bewusst stellt.


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