Die elfte Fachtagung des Arbeitskreises Geschlechtergeschichte der Frühen Neuzeit, die vom 3. - 5. 11. 2005 im Tagungszentrum Hohenheim stattfand, beschäftigte sich mit der Frage, ob und wie Gefühle und Emotionen historisiert und so für die Analyse vergangener sowie gegenwärtiger Gesellschaften genutzt werden können. Von Interesse war, welche Rolle die Kategorie Geschlecht dabei spielen sollte. Organisiert und geleitet wurde die Tagung von Dieter R. Bauer (Stuttgart), Andrea Griesebner (Wien), Maren Lorenz (Hamburg), Monika Mommertz (Berlin) und Claudia Opitz-Belakhal (Basel).
Den Auftakt der Tagung bildete ein sehr anregender Vortrag von Barbara Rosenwein (Chicago), in dem sie einen Überblick über die neuere psychologische Forschung zu Emotionen bot, deren Ergebnisse kritisch analysierte und gleichzeitig danach fragte, inwieweit die historischen Disziplinen konstruktiv zu dieser Forschungsrichtung beitragen könnten. Im Vordergrund ihrer Darstellung stand dabei eine kritische Bewertung des (zumeist unzulänglichen) Gebrauchs der Kategorie Geschlecht von Seiten der Psychologie. Dabei untersuchte sie die folgenden Aspekte: Ausdruck von Emotionen und deren Dekodierung, subjektive Erfahrung von Emotionen, Stereotypenbildung und Bedeutung der Sozialisierung. Rosenwein überzeugte mit ihrer These, dass es gleichermaßen problematisch sei, entweder grundsätzlich identische - oder grundsätzlich unterschiedliche Verhaltensmuster von Frauen und Männern vorauszusetzen. So sind für eine Reihe psychologischer Untersuchungen nach wie vor die Studien von Paul Ekman richtungsweisend, in denen er nachzuweisen versucht, dass die mit den sechs Emotionen Freude, Trauer, Ärger, Überraschung, Ekel und Angst verbundenen Gesichtsausdrücke in unterschiedlichen Kulturen gleich interpretiert werden würden. Nach geschlechtsspezifischen Unterschieden fragt er dabei nicht. Rosenwein hinterfragte nicht nur Ekman's Facial Action Coding System, sondern wies auch auf die Inkonsistenz einer Reihe anderer empirischer Untersuchungen hin. Sie kritisierte die Tendenz zur unzulässigen Verallgemeinerung kontextgebundener Versuchsanordnungen sowie einen unhinterfragten Quellen- bzw. Mediengebrauch (Selbstberichte, Photos) und hob hervor, dass Stereotype sich historisch entwickeln. HistorikerInnen können also helfen, der Entwicklung von Normen, die Emotionalität regulier(t)en, nachzuspüren und gleichzeitig - wie etwa Carol Z. Stearns & Peter N. Stearns mit ihren Arbeiten nahe legen - darüber nachzudenken, ob gewisse Gefühle erst historisch entstanden sind. Mit ihrem Vortrag regte Barbara Rosenwein eine grundsätzliche Reflektion der Komplexität der Erforschung des Gefühlsausdruckes an, an ihre methodologischen Überlegungen konnte über die gesamte Tagung hinweg immer wieder angeknüpft werden.
In der ersten thematischen Sektion der Tagung wurden unterschiedliche Fälle literarischer Codierungen vorgestellt. Carmen Furger (Basel) sprach über den Ausdruck von Gefühlen und Emotionalität in Briefstellern des 17. und frühen 18. Jahrhunderts. Sie untersuchte, inwieweit die "anthropologischen Konstanten" Trauer und Freude in der normativen Quellengattung der Musterbriefsammlung Ausdruck fanden. Dabei fragte sie 1) nach der Bedeutung des sozialen Verhältnisses zwischen den Korrespondenten und damit danach, inwiefern Emotionalität Hierarchien abbildet, 2) nach dem Grad an Intimität bzw. Formalität und schließlich 3) nach eventuellen geschlechtsspezifischen Unterschieden. An einer Reihe sehr eindrücklicher Beispiele u.a. aus den Briefstellern von Christian F. Hunold und Hoffmann von Hohenegg wies sie auf die Muster hin, nach denen in Briefen den Emotionen Ausdruck verliehen werden sollte. Gefühle durften nur innerhalb eines streng vorgegebenen Verhaltenskodexes manifestiert werden, den recht spärlichen Ausdruck von Vertraulichkeit interpretierte Carmen Furger als Stilmittel und wies daraufhin, dass in Briefwechseln mit "Frauenzimmern" anscheinend ein höheres Maß an Gefühlsbetonung angeraten wurde.
Isabelle Stauffer (Zürich) lenkte den Blick dann auf die performative Kraft des galanten Codes. Anhand einer Analyse des Romans Die Kunst- und Tugend-gezierte Macarie (1673) von Maria Katharina Stockfleth zeigte sie, inwiefern hier LeserInnen verführt und auf ganz unterschiedlichen Ebenen belehrt werden sollten. Gefühle werden in diesem Roman bewusst inszeniert, häufig vorgespiegelt. Nach Isabell Stauffer verstellen sich nicht nur die Romanhelden, sondern verstellt sich auf einer poetologischer Ebene der Roman selbst, indem er dort Liebe inszeniert, wo es um Tugend geht. Woran sie die Frage anschloss, ob die Liebesthematik wirklich nur zur Vermittlung der Tugendthematik diente - oder doch eher konstitutiv für das Werk ist. Text kann verführen, wie auch in mehreren mises en abyme im Roman deutlich wird. Obwohl im 17. Jahrhundert eigentlich nur Männern das galante Sprechen zuerkannt wurde, während Frauen sich durch vornehme Zurückhaltung auszeichnen sollten, blieb man doch davon überzeugt, dass Frauen eine besondere Gabe zur Verführung hätten. Dass Autorinnen sich des galanten Codes bedienten, wurde dadurch denkbar, blieb jedoch problematisch.
Im Anschluss sprach Andrea Sieber (Berlin) über Melancholie, Autorschaft und gesteigerte Selbsterfahrung bei Andreas Tscherning und Catharina Regina von Greiffenberg. Tscherning ließ in Melancholey redet selber (1655) die Schwermut als "Mutter schweren bluts" auftreten, die einen "schuldenreinen Geist" zum "Hexer" macht. Ausgehend von Tschernings Darstellung der kreativ und gleichzeitig selbstzerstörerisch wirkenden Melancholie wandte sich Andrea Sieber der Rolle zu, die der Schwermut im Briefwechsel zwischen der Barockdichterin Catharina Regina von Greiffenberg und ihren "Seelenfreunden" Sigmund von Birken und Susanna Popp zugewiesen wird. Catharina Regina von Greiffenberg schildert in ihren Briefen an ihre Freunde ihre Schwermut, fühlt sich in die Nöte ihrer Briefpartner ein, ist "emotionaler Ansteckung" ausgeliefert. Gefühle werden durch die wechselseitige Performanz des Schreibens und Erhaltens von Briefen erzeugt. Andrea Sieber zeigte, inwiefern Schrift und Glaube für die Autorin nicht nur Therapeutika waren, sondern ideale Medien gesteigerter Selbsterfahrung. Melancholie schien hier kommunikativer Gestus zu sein, über den sich die Autorin selbst Geltung verschaffen konnte; eine paradigmatische Verknüpfung von Melancholie und Männlichkeit wurde hier unmöglich.
Die folgende Sektion thematisierte die sozialen Codierungen: Claudia Jarzebowski (Berlin) stellte in diesem Zusammenhang Überlegungen über die historische Entwicklung von Gefühlen von und gegenüber Kindern an. Sie wies dabei gleich zu Beginn daraufhin, dass es wichtig sei, eindeutig zwischen Emotionen des Forschungsobjektes und des Forschers/ der Forscherin zu unterscheiden. Nach einem kritischen Überblick über den aktuellen Forschungsstand zur Geschichte der Kindheit, untersuchte sie an einem Fallbeispiel die Liebe zwischen einer Mutter und ihrem (Stief-)sohn im 18. Jahrhundert und stellte diesem konkreten Gerichtsfall die zeitgenössischen, theoretischen Ausführungen über die Liebe zu Kindern von Hanns von Globig und Johann Heinrich Kirchhof gegenüber. Davon ausgehend deutete sie mögliche künftige Untersuchungsfelder an: emotionale Beziehungen seien in erster Linie als soziale Beziehungen in einem spezifischen Umfeld, Kindheit als relationale Kategorie zu untersuchen.
Sophie Ruppel (Basel) untersuchte am Beispiel zweier Fallgeschichten die emotionale Aufladung von Geschwisterbeziehungen und fragte danach, ob Bruder-Schwester-Beziehungen im Laufe des 18. Jahrhunderts zunehmend emotionalisiert worden seien. Anhand einer Gegenüberstellung des für seine Zeit außergewöhnlich emotionsgeladenen Briefwechsels zwischen den Geschwistern Charlotte und Wilhelm von Hessen Kassel aus dem 17. Jahrhundert und der Korrespondenz zwischen den im 18. Jahrhundert als Erziehern tätigen Geschwistern Henriette und Carl Ludwig von Knebel untersuchte sie die Möglichkeiten des individuellen Ausdrucks von Emotionen innerhalb eines vorgegebenen normativen Rahmens. Sophie Ruppel zeigte, wie sich die Bewertung von Geschwisterliebe vom 17. zum 18. Jahrhundert verschob: Stand im 17. Jahrhundert noch die Blutsverwandtschaft und damit das Wohl der Dynastie im Vordergrund, wurde im 18. Jahrhundert die Beziehung zwischen Bruder und Schwester als Seelenverwandtschaft zur Idealbeziehung stilisiert. Aus diesem Wertewandel, wie er sich an den konkreten Gefühlsausdrücken in den gewählten Beispielen nachvollziehen läßt, könne allerdings nicht, wie Sophie Ruppel betonte, auf eine Veränderung der konkret physisch-psychischen Erfahrung der jeweiligen Geschwisterpaare geschlossen werden.
Die dritte und letzte thematische Sektion wandte sich den Codierungen von (Ehe-) Beziehungen und damit der Frage zu, inwieweit Liebesbeteuerungen und Mangel an Liebe im Zusammenhang mit Ehe in unterschiedlichen Quellen zum Ausdruck gebracht werden konnten. Christina Bake (Halle) berichtete aus ihrem Dissertationsprojekt zu Ehepaardarstellungen auf illustrierten Flugblättern des 16. und 17. Jahrhunderts. Liebe zwischen den Ehepaaren wurde in diesem Medium in der Regel nicht bildlich dargestellt und in den Texten lediglich angedeutet. Die Flugblätter thematisierten vielmehr Mangel und Konflikte, die Ehe verpflichtete in erster Linie die Frau zur Unterordnung und beide Ehepartner zur Einhaltung von festen Regeln. Gefordert wurde u.a. auch eine Anpassung der Frau an die Launen des Mannes. Sexuelle Befriedigung, die in Darstellungen von Hennenreiterin und Hahnrei in satirischer Überspitzung auftauchte, wurde nicht mit dem Thema emotioneller Hingabe verbunden. Christina Bake betonte, dass die Flugblätter durch ihre Darstellungen zur Verankerung von Stereotypen beitrugen und die Gefühlswelt ihrer Rezipienten beeinflussen konnten. Die Produzenten dieser Bilder und Texte scheinen, so Bake, vor allem Männer gewesen zu sein, die aus männlicher Perspektive die Ehe schilderten und in erster Linie ihren Geschlechtsgenossen Ratschläge erteilten. Ob man eine ähnliche männliche Dominanz für den Adressatenkreis annehmen kann, muss zunächst offen bleiben.
Alexandra Lutz (Marburg) erläuterte dann, inwieweit die Erwähnung der Gefühle Liebe und Hass, Wut und Sanftmut in Ehegerichtsprozessen des 17. und 18. Jahrhunderts im protestantischen westlichen Holstein strategisch angewandt wurde. Dabei stellte sie durchaus geschlechtsspezifische Unterschiede fest. Die Männer verklagten ihre Frauen wegen Scheltworten, Ungehorsam und dem Fehlen von "liebreichen Blicken", nach den Berichten der Frauen war der Mangel an Liebe zumeist mit Gewalttätigkeit und fehlenden Unterhaltszahlungen der Männer verbunden. Hass wurde vom Konsistorialgericht lange Zeit nicht als zureichender Grund für eine Trennung betrachtet. Erst um 1720 wurde erstmals eine zeitlich befristete Trennung befürwortet, die mit "unüberwindlichem Hass" begründet worden war. Doch bereits vor diesem Zeitpunkt thematisierten Männer und Frauen ihre gegenseitige Abneigung. Alexandra Lutz wies nicht zuletzt auf Unterschiede in den Archivalien hin, auf die sie ihre Studie stützt: Während die Gesuche meist sehr strategisch auf ideale Verhaltensmuster verwiesen, zeichneten summarische Protokolle und Pastorenberichte häufig ein abweichendes Bild. Selbst wenn Gefühle in diesem Kontext stets zugeordnet, narrativ verwendet und gefiltert wurden, so ermöglicht die Untersuchung dieser Gerichtsfälle eine Annäherung an die Gefühlswelt der jeweiligen Ehepaare.
Margareth Lanzinger (Wien) beleuchtete abschließend, inwieweit Liebe und Leidenschaft in Ehedispensansuchen der Diözese Brixen im 19. Jahrhundert verbalisiert wurden. Die bei Eheschließungen in Verwandtschaft oder Schwägerschaft notwendigen Anträge variierten zwischen einer strategischen Erwähnung der gegenseitigen Neigungen und völligem Verschweigen von Zuneigung zugunsten von ökonomischen Beweggründen. Margareth Lanzinger führte anhand einer sehr sorgfältigen Analyse einzelner Anträge aus, dass man von einem bloßen Erwähnen nicht unmittelbar auf die Existenz von diesen Gefühlen rückschließen kann. Wohl aber lassen sich in der seriellen Untersuchung der Quellengattung unterschiedliche Aneignungen des normativen Ehemodells, ein "übliches Verbal- und Coderepertoir" sowie markante Abweichungen ausmachen. Es lässt sich dementsprechend ermessen, inwieweit in diesem sehr spezifischen Kontext das Äußern von Emotionen mit dem Willen zur Handlung verbunden war.
Bei der Podiumsdiskussion am Freitag Nachmittag diskutierten die Historikerinnen Andrea Griesebner (Wien), und Claudia Opitz-Belakhal (Basel) mit der Musikwissenschaftlerin Linda-Maria Koldau (Frankfurt) und der Literaturhistorikerin Andrea Sieber (Berlin) über die methodologischen Grundlagen einer Emotionenforschung in den historisch ausgerichteten Disziplinen, wobei sie Ergebnisse der je eigenen Forschungspraxis einfließen ließen. Ähnlich wie die Debatte über die historische Rekonstruktionsmöglichkeit von "Erfahrungen" führt das Thema der Emotionalität an Grundsatzfragen der historischen Forschung heran, bewegt sich doch eine Geschichte der Emotionen zwischen einer historiographischen Erfassung des "Natürlichen" und des kulturell Geprägten. Anstatt essentialistische Denkmodelle der Hirnforschung zu übernehmen, muss, so der Konsens am Podium, eine Geschichte der Emotionen Ansätze und Ergebnisse der Körpergeschichte neu aufnehmen und sich sehr bewusst mit den Bedingungen medialer Vermittlung auseinandersetzen. Emotionen werden und wurden in Text-, Bild- und Tonmedien unterschiedlich kodiert. In der Musik gab es etwa seit der Codierung der affetti ab dem 17. Jahrhundert ganz klare Vorgaben, wie Emotionen vertont werden sollten. Grundsätzlich ist daher danach zu fragen, in welchen (historischen) Situationen welche "passiones" oder "Affekte" angesprochen wurden, welche Gefühle in welchen Medien überhaupt ausgedrückt werden konnten und wie sich diese jeweils in das zeitgenössische (vor)wissenschaftliche Verständnis einfügten. Mikroanalysen scheinen dazu besonders geeignet. In ihnen darf jedoch der Wertekontext einer Gefühlsäußerung nie vernachlässigt werden: Hatte doch die aristotelisch oder (später) kartesianisch begründete Gefühlskontrolle unterschiedliche Auswirkungen in der Frühen Neuzeit. In jedem Fall bleibt es vielversprechend, Emotionen nicht nur als Reaktionen auf etwas, sondern als selbst handlungsleitend zu interpretieren. Ein hilfreicher analytischer Begriff scheint in diesem Kontext derjenige der Performativität zu sein, der darauf verweist, dass der Ausdruck von Gefühlen jeweils neue Gefühle produzieren kann.
Einig waren sich die Gesprächsteilnehmerinnen darüber, dass Geschlecht im Rahmen einer Dekodierung von Emotionen immer in Relation mit anderen Kategorien gesetzt werden muss und nicht als einzig bestimmende (und ausschließlich dichotomisch zu denkende) Kategorie (miss-)verstanden werden sollte.
Die Tagung hat deutlich gezeigt, dass das Feld der Emotionen und historischer Emotionalität weiterhin viel Raum für innovative historische Forschung bietet und neue Perspektiven öffnet. Kann doch die Frage, welche diskursiven Bedingungen und kulturellen Muster den Menschen zur Konstruktion, Wahrnehmung und Beschreibung ihrer Emotionen jeweils zur Verfügung standen, stets nur kontextbezogen beantwortet werden. Weg von einem irreführenden, erfahrungsgesättigten Vorverständnis lohnt die sorgfältige Historisierung von Emotionen unter geschlechtergeschichtlicher Perspektive ebenso wie die Frage nach den Handlungsstrategien, die sich an den Ausdruck von Emotionen knüpfen, und die genaue Untersuchung des Mediums, das dem Ausdruck dient.