Das literarische Fernsehen. Beiträge zur deutsch-deutschen Medienkultur

Das literarische Fernsehen. Beiträge zur deutsch-deutschen Medienkultur

Organisatoren
DFG-Forschergruppe Programmgeschichte des DDR-Fernsehens an der Humboldt-Universität zu Berlin in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Historischen Museum und mit Unterstützung des Deutschen Rundfunkarchivs, Berlin
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
19.01.2006 - 22.01.2006
Url der Konferenzwebsite
Von
Christiane Breithaupt, Berlin

Literatur im Fernsehen gibt es nicht, sagt der Autor und Literaturkritiker Hubert Winkels und meint damit: Literatur und Fernsehen sind Medienformationen mit unterschiedlichen 'Sprachen', unterschiedlicher Technik und unterschiedlichen Formaten – und es macht für das Fernsehen keinen Sinn, auf die Literatur Bezug zu nehmen, da aufgrund der Differenzen dieser Bezug stets defizitär bleiben muss. Deshalb tue das Fernsehen gut daran, sich gerade ohne einen Anspruch auf Hochkultur auf das bereitliegende große Reservoir fiktionaler Stoffe zu besinnen und sich so als eigenständiges Medium zu behaupten.
Das Podiumsgespräch, bei dem Dramaturgen aus Ost und West und der Kritiker Hubert Winkels mit Wissenschaftlern über die Frage: „Literatur und Fernsehen: eine wunderbare Freundschaft?“ diskutierten, stellte den Abschluss des Symposiums Das literarische Fernsehen – Beiträge zur deutsch-deutschen Medienkultur dar, das das Forschungsprojekt „Programmgeschichte des DDR-Fernsehens“1 mit und im Deutschen Historischen Museum, sowie mit Unterstützung des Deutschen Rundfunkarchivs, vom 19. bis 22. Januar 2006 organisiert hatte.

Das Symposium bestand aus einer zweitägigen wissenschaftlichen Tagung und einem Begleitprogramm mit vier außergewöhnlichen Literaturverfilmungen des DDR-Fernsehens (Anlauf/Rita, Irrlicht und Feuer, Selbstversuch und Guten Morgen, Du Schöne) sowie Film- und Podiumsgesprächen mit vielen künstlerischen Zeitzeugen und verfolgte ein Hauptliegen: das komplexe Verhältnis und die Interaktionen von Literatur und Fernsehen in beiden deutschen Staaten zu beleuchten, wobei der Schwerpunkt jedoch auf dem DDR-Fernsehen lag. So wurden in einem ersten Schritt auch eigene Forschungsergebnisse des DFG-Teilprojektes vorgestellt, um dann im Vergleich zum Fernsehspiel in der Bundesrepublik Gemeinsamkeiten, Differenzen und gegenseitige Einflüsse herauszuarbeiten.

Der Ansatz des DFG-Projektes verfolgt einen erweiterten, wissenschaftlichen Zugriff auf das Fernsehen in der DDR: Statt allzu griffigen Instrumentalisierungstheorien zu folgen, die das Fernsehen vor allem als Medium beschreiben, das neben Literatur und Film die stärkste politische Einflussnahme und Verstricktheit aufwies, wird dafür plädiert, auch die ästhetischen Spezifka der Formate als eigene Ausdrucksformen verstärkt ins Visier zu nehmen. Gleichwohl soll, so das Anliegen, die politische Indienstnahme der Medien durch den Staatsapparat nicht negiert werden. In den Mittelpunkt des Forschungsinteresses rückte daher auch ein Begriff, so Reinhold Viehoff (Universität Halle), der das Fernsehen der DDR nicht nur in einer medienpolitischen und -ästhetischen Binnenperspektive verankert, sondern es vielmehr in einen interaktiven Prozess mit dem Fernsehen in der Bundesrepublik stellt – Fernsehen als kontrastiver Dialog. Dieser Dialog lässt sich dann auch auf mehreren Ebenen analysieren: beim gegenseitigen Programmaustausch, in der Übernahme von Konzepten, Genreelementen und ganzer Sendungen, sowie im intermedialen Aufeinander-Verweisen – vom einfachen Zitat bis hin zum Makrodesign fiktionaler Formate. Er lässt sich aber auch als Movens innerhalb einer historischen Entwicklung bei der Vermittlung von Literatur im Fernsehen beschreiben. Hier zeigt sich, wie die Vorträge von Knut Hickethier (Universität Hamburg) und Thomas Beutelschmidt (Humboldt-Universität Berlin) belegten, dass die Rolle der „Literatur als Starthilfe“, so auch der Titel von Hickethiers Beitrag zu Entwicklungen in der Bundesrepublik, für beide deutsche Staaten gilt: Als das Gemeinschaftsprogramm der ARD am 1.11.1954 offiziell sein Programm startete, wurde am Vorabend aus dem Deutschen Theater in Göttingen Heinz Hilperts Inszenierung von Shakespeares „Was ihr wollt“ übertragen. Auch in der DDR bezog sich das Fernsehen von Beginn an auf Literatur: Die Sendung Das gute Buch hatte gerade drei Tage nach Start des Versuchsprogramms am 24. Dezember 1952 ihre Premiere. Dieser anfänglich starke Bezug auf Literatur und Dramatik hatte vor allem eine kultursoziologische Dimension: Als junges, unerprobtes Medium erhoffte sich das Fernsehen über die tradierte Kulturtechnik Literatur nicht nur eine ‚Sicherheit‘, sondern auch eine Form der Legitimation und Nobilitierung. Worin sich die Fernsehsysteme in ihrer Bearbeitung von Literatur jedoch maßgeblich unterscheiden, ist die politisch-ideologische Einflussnahme. Zwar verfolgten beide Fernsehsysteme gerade über die Vermittlung von Literatur einen dezidierten Kulturauftrag. Die Akzeptanz eines staatlichen Führungsanspruchs wurde jedoch von den öffentlich-rechtlichen Anstalten in der Bundesrepublik negiert, während in der DDR ein volkspädagogisches Ziel stets formuliert blieb.

Dass vor allem Erbe-Literatur und die zeitgenössische Literatur von Autoren ‚der zweiten Reihe’, die eine ‚Staatstreue‘ etikettierte, verfilmt wurde, darauf wies der ‚Zensurhistoriker’ Siegfried Lokatis (ZZF Potsdam) in seinem Referat über den verfilmten literarischen Kanon hin. In den Blick nahm er dabei vor allem die ‚Leerstellen’: Namhafte, jedoch kritischere DDR-Autoren (wie Christoph Hein, Christa Wolf oder Volker Braun.) kamen selten vor oder fehlten gänzlich in den Produktionslisten. Diese Feststellung steht jedoch im Gegensatz zu der Aussage des ehemaligen Dramaturgen des Deutschen Fernsehfunk (DFF), Alfried Nehring, der im bereits oben genannten Podiumsgespräch argumentierte, dass gedruckte, erfolgreiche Literatur als Vorlage für einen Fernsehfilm eine gewisse Freiheit im stark reglementierten Entscheidungsprozess des Fernsehens der DDR bedeuten konnte. Dass diese ‚listige Erfahrung‘ jedoch nur begrenzte Gültigkeit besaß, zeigt sich beispielsweise in jenem Umstand, dass das Fernsehen der DDR erst 1989 auf einen literarischen Stoff von Christa Wolf zurückgriff (den Nehring als Dramaturg verantwortete): die Erzählung „Selbstversuch“ – eine eigenwillige formästhetische, nicht wirklich gelungene, Literaturverfilmung, die im Begleitprogramm des Symposiums im Zeughauskino des DHM aufgeführt wurde.

Neben ‚klassischen‘ Literaturadaptionen hat das DDR-Fernsehen jedoch auch eine ganz genuine Form der Literaturvermittlung entwickelt, die im bundesrepublikanischen Fernsehen so nicht vorkam. Die Sonder- und Mischformen stehen, wie Henning Wrage (Humboldt-Universität Berlin) in seinem Vortrag aufzeigte, hier als singuläre Momente in der Verknüpfung von Fernsehen und Literatur, in denen heterogene Versatzstücke von Literaturpräsentationen und szenischen Adaptionen verschmelzen. Jenseits eines hochkulturellen Auftrags weisen diese Hybridformen, so seine These, in ihrer offenen Form eher Nähe zur Moderne auf und stellen daher Gegenentwürfe zu traditionellen, ‚geschlossenen‘ Formen von Literaturadaptionen dar.

Einen weiteren wesentlichen thematischen Schwerpunkt der Tagung bildete das Theater im Fernsehen, dessen Geschichte, Formenvielfalt und ästhetisches Spektrum in der Bundesrepublik Peter Seibert (Universität Kassel) und Inga Lemke (Universität Paderborn) erörterten. Neben der Grundthese von Seibert, dass Mediengeschichte auch ‚invers ‘ geschrieben werden müsste, die den Einfluss von Fernsehen auf Theater und Literatur exemplifizert, beobachtete Inga Lemke (Universität Paderborn) beispielhaft bei Aufführungen von Stücken von Samuel Beckett und Peter Zadek, dass das Spektrum der Theaterverfilmungen in der Bundesrepublik seit den 1960er-Jahren nicht mehr vorrangig auf einer fernsehspezifischen Eignung basiert: Theater im Fernsehen, so argumentierte sie, fungiert(e) immer auch als Spiel oder Kommentar zum Medium Fernsehen und seinen produktionsästhetischen Gesetzen. In der DDR ließ sich dieses Spiel mit den Grenzen des Mediums eher auf der Ebene einer Komik beobachten. So führte Steffi Schültzke (Universität Halle) für das Fernsehtheater Moritzburg aus, dass Komik eben genau dort entstand, wo sie unbeabsichtigt war und verwies auf eine weitere Fragestellung, die während der Tagung jedoch nur beiläufig gestreift werden konnte: die Zuschauerrezeption, deren Autonomie auch darin bestand, anders zu sehen oder aus- bzw. umzuschalten.

Mit überraschenden Gemeinsamkeiten, aber auch erheblichen funktionalen und ästhetischen Unterschieden in Ost und West ließ sich das nicht unproblematische Verhältnis von Literatur im Fernsehen bestimmen. Insgesamt war dieses Symposium nicht nur das Beispiel einer gelungenen Zusammenarbeit von Humboldt-Universität und Deutschem Historischem Museum. Es bot auch die Möglichkeit, Wissenschaft an prominentem Ort einem breiteren Publikum zu präsentieren.

Anmerkungen
1 Das Teilprojekt „Literaturverfilmungen/Fernsehdramatik“ am Institut für deutsche Literatur an der Humboldt-Universität Berlin ist eines von zehn Teilprojekten der Forschergruppe „Programmgeschichte des DDR-Fernsehens“ an den Universitäten Halle, Leipzig, Potsdam und Berlin, siehe auch http://www.ddr-fernsehen.de/


Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Klassifikation
Region(en)
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprache(n) der Konferenz
Deutsch
Sprache des Berichts