Welche Antike? - Konkurrierende Rezeptionen des Altertums im Barock. 12. Jahrestreffen des Wolfenbütteler Arbeitskreises für Barockforschung

Welche Antike? - Konkurrierende Rezeptionen des Altertums im Barock. 12. Jahrestreffen des Wolfenbütteler Arbeitskreises für Barockforschung

Organisatoren
Wolfenbütteler Arbeitskreis für Barockforschung
Ort
Wolfenbüttel
Land
Deutschland
Vom - Bis
05.04.2006 - 08.04.2006
Url der Konferenzwebsite
Von
Kirsten Lee Bierbaum, Christof Ginzel, Johanna Beate Lohff, Hanns-Peter Neumann, Kornee van der Haven, Annett Volmer (Schlußredaktion und Einleitungen: Ulrich Heinen)

Mit der Frage nach konkurrierenden Rezeptionen des Altertums im Barock befasst sich das durch die DFG und das Land Niedersachsen geförderte 12. Jahrestreffen des Wolfenbütteler Arbeitskreises für Barockforschung.
In den Kontroversen des 17. Jahrhunderts etwa um Politik, Religion, Ethik oder Künste beruft man sich immer wieder auf Antikes. Nicht zuletzt die Intensivierung, Extensivierung und kategoriale Erweiterung dessen, was das Antikeninteresse im 17. Jahrhundert wahrnahm, begünstigte dabei konkurrierende Rezeptionen des Altertums. Die neue Fülle und wachsende Inhomogenität der verfügbaren antiken Texte und archäologischen Zeugnisse verband sich mit einer zunehmend vernetzten philologischen und archäologischen Durchdringung. Dabei trat mehr und mehr das Bild eines in sich heterogenen Altertums zutage. Zum Teil angetrieben von regional-politischen oder konfessionellen Interessen, sprengte zugleich eine vervielfältigende Expansion des Interesses am Altertum alle Raum- und Epochengrenzen über die kanonische mittelmeerische Antike hinaus. Der Fokus des Interesses verlagerte sich in die silberne Latinität, in die neronische Zeit, ins Frühchristentum, in die Patristik und deren Rezeption des jüdischen Altertums. Hatte der frühe Humanismus schon ganz Italien in den Blick genommen, so traten im 16. und 17. Jahrhundert auch die antiken, vor- und frühgeschichtlichen Zeugnisse Nord-, Mittel-, Ost- und Südosteuropas in den Blick. Schließlich vermehrte auch die kategoriale Erweiterung des Altertumsinteresses das altertumskundliche Material. Insbesondere die Realien und Gebräuche des Alltags, aber auch das Rohe, Alltägliche, Banale und "Barbarische" antiker Kunst- und Textproduktion wurden seit dem späten 16. Jahrhundert zunehmend rezeptions- und forschungswürdig. Zudem trug die ständig anwachsende Vielfalt von Antikenrezeptionen selber dazu bei, durch die Vermittlung älterer Rezeptionen wiederum eine andere Antike wahrzunehmen.

Sektion I. Antike Gemeinschaften und Herrschaftsformen im politischen Streit des Barock
Unter der Leitung von Elisabeth Klecker (Wien) und Dirk Niefanger (Erlangen) untersuchte die Sektion, inwieweit die Rezeption antiker Gemeinschaften und Herrschaftsformen des späten 16. und 17. Jahrhunderts von der doppelten Kontroversstruktur von antiken und daran anschließenden barocken Konflikten geprägt war. Vom imperialen bis zum nationalen, vom monarchischen bis zum republikanischen Prinzip sind Widersprüche frühneuzeitlicher Machtansprüche in den Kontroversen der antiken Legitimationsbasis vorgezeichnet.
Sowohl bei antiken Protagonisten, die etablierte Ordnungen ganz offensichtlich in Frage stellen, als auch bei affirmativen Figuren ist eine Akkulturierung antiker Vorstellungsbereiche an aktuelle Kontexte festzustellen. Im Zentrum der Vorträge und Diskussionen stand die Wirkung der Antike und ihrer Deutungen auf gesellschaftliche und politische Vorstellungen der Barockzeit sowie auf die Repräsentation dieser Denkweisen in unterschiedlichen kulturellen Medien. Wegen der intensiv ausgeprägten Vorliebe für sinnstiftende Theatralität und politische Performanz im 17. Jahrhundert bekommen die darstellenden und repräsentierenden Medien dabei ein besonderes Gewicht auch in der öffentlich-politischen Bezugnahme auf die Antike.

Bericht: Christof Ginzel (Bonn) und Kornee van der Haven (Utrecht)

Mara Wade (Urbana), Die Kontroverse im Norden oder die (Re)-Präsentation der Monarchie: Dänemark 1634 als Fallstudie
Wie Wade zeigte, wählte der dänische König Christian IV. (1588-1648) bei den Feierlichkeiten zur Hochzeit seines Sohnes 1634 für die Festzugsdekorationen Antikenbezüge, um seinem kurzzeitig realistisch scheinenden Streben nach einer Schlüsselposition im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation Nachdruck zu verleihen: Der Auftritt von Vater und Sohn in der Rolle der republikanischen Feldherrn Scipio Africanus und Scipio Asiaticus (Asiagenes) signalisierte als Rückgriff auf das vorkaiserzeitliche Rom ein Übergehen habsburgisch-kaiserlicher Ansprüche.

Susanne Rode-Breymann (Hannover), Lebensbilder hervorragender Tüchtigkeit – Plutarch-Rezeption in Opern am Habsburgischen Kaiserhof. Ein Versuch
Rode-Breymann betonte, dass anhand klassischer Vorbilder am Wiener Kaiserhof während privaterer Feierlichkeiten aus Anlass von Geburts- und Namenstagen nicht nur politische, sondern im Rückgriff auf Plutarch und andere antike Quellen auch "persönliche" Tugenden wie etwa die Gattenliebe dargestellt wurden. In den letzten zwei Jahrzehnten des ausgehenden 17. Jahrhunderts bemerkte Rode-Breymann insgesamt eine deutliche Zunahme von Aufführungen, die - möglicherweise angestoßen durch Eleonore Magdalena von Pfalz-Neuburg, die hochgebildete dritte Gattin Leopolds I. - auf klassische Stoffe, speziell aus Plutarch, zurückgreifen.

Sebastian Werr (München), Antikenrezeption und Herrschaftslegitimation in Opern für den Münchner Hof 1680-1691
Für Opern, die am Münchner Hof in den Jahren 1680-1691 zur Aufführung kamen, wurde auf antike Stoffe rekurriert, die - wie Werr darlegte - herrschaftslegitimierend im Sinne der zeitgenössischen politischen Lage ausgelegt werden konnten. Die pompösen Aufführungen spiegeln die politisch-kulturelle Gegenwart in der antiken Vergangenheit. Über die vom antiken Stoff transportierte Ideologie hinaus lassen sie ein Bewusstsein für die psychagogische Wirkung von Theatereffekten erkennen, die den Entkoppelungsstrategien moderner Werbung gleicht.

Nils Büttner (Dortmund), Aurei saeculi imago: Konkurrierende Antikenbilder im politischen Konflikt
In den Niederlanden erforschte man seit dem 16. Jahrhundert gleichermaßen das klassische Altertum, die biblische Vorzeit und die lokale Frühgeschichte mit hoher Intensität und entwickelte so ein breites Repertoire von Denk- und Bildformen historischer Bezüge. Im Verlauf des Bürgerkrieges, der aus der Gefolgschaftsverweigerung der nördlichen Provinzen gegenüber den habsburgischen Landesherren resultierte, wurden die von Tacitus zum Vorbild stilisierten Germanenstämme ebenso zum antiken Modellfall erhoben wie das Volk Israel und das Imperium Romanum. Sowohl in den katholischen südlichen Provinzen der Niederlande wie im protestantischen Norden bediente man sich dabei in Bildern und Texten derselben Antikenbilder, die auf beiden Seiten der Front für die theologischen und politischen Konflikte der Gegenwart mobilisiert und instrumentalisiert werden konnten.

Kornee van der Haven (Utrecht), Die Revolte des Brutus auf der Amsterdamer und Hamburger Bühne: Staats-Torheit oder Freiheitskampf?
Dass sich klassische Rebellengestalten nicht nur dazu eigneten, das Recht der Niederlande auf Widerstand zu akzentuieren, betonte van der Haven. Solche Figuren trugen auch zur prägnanten Darstellung des neuen republikanischen Selbstverständnisses der jungen Republik bei, konnte man die städtischen Regenten dabei doch mit den römischen Konsuln parallelisieren. Obwohl die republikanische Zielsetzung der römischen Rebellion unter der Führung des Brutus auch im hamburgischen reichsstädtischen Umfeld verteidigt wurde, verurteilte man seine Rebellion als "Staatstorheit", die von persönlicher Rache statt von politischem Idealismus bestimmt gewesen sei.

Thorsten Fitzon (Freiburg), Republikanismus im Barock? Literarischer Diskurs eines antiken Staatsmodells in Aneignung und Ablehnung
Der Republikanismus der Stadtrepubliken im deutschen Sprachraum bestimmte nach Fitzons Darstellung die Antikenrezeption, insofern der politische status quo einen nachträglichen Traditionsbezug ermöglichte. Das republikanische Ziel von Tyrannenmördern wie dem jüngeren Brutus wurde öffentlich auf der Bühne gelobt und mit der kommunal-republikanischen Identität der frühmodernen Stadtrepubliken in Verbindung gebracht. Neben dieser zu erwartenden affirmativen Rezeption solcher Symbolgestalten lässt sich deren Verurteilung keineswegs nur in monarchischen Systemen beobachten, sondern konnte auch zur Rechtfertigung unterschiedlicher Formen von - auch kommunaler - Obrigkeit dienen.

Lubomir Konecný (Prag), Raising on the Shield: The Afterlife of an Antique Formula in Seventeenth-Century Art and Politics
Auch die Visualisierung der Königswürde, der sich Konecný widmete, rekurrierte im 17. Jahrhundert auf klassisch-heidnische Elemente. Ein häufiger Bestandteil dieser Ikonografie war die Schilderhebung des Fürsten, wie sie in archaischer Zeit zur Manifestation der potestas üblich war. Anhand antiker Beschreibungen rekonstruierten frühmoderne Künstler diesen Brauch und übertrugen ihn in bemerkenswerter Flexibilität auf das frühneuzeitliche Herrschertum. Wahlkönigtum konnte mit diesem Bildtyp ebenso visualisiert werden wie die Herleitung absolutistischer Machtansprüche von altehrwürdigen Ahnen der Vorzeit.

Naima Ghermani (Paris), Die Antike als ikonografische Sprache um 1600 in Deutschland
Ghermani untersuchte die Antikenbezüge der politischen Ikonografie von Frontispizporträts protestantischer Reichsfürsten zu Beginn des 17. Jahrhunderts. Diese zeichneten sich durch eine komplexe ikonografische Sprache aus, die das Porträt in emblematischem Rahmen inszenierte. In der Einbeziehung antiker Allegorien und Symbole entwickelte sich eine neue, an ars memorativa und ars combinatoria orientierte, vor allem von Juristen geprägte Form des öffentlichen Herrscherbildes. Das Frontispizporträt wurde dabei zu einem bedeutenden Medium im politisch-konfessionellen Kampf um die Macht im Reich. So erschienen in solchen Porträts ambitionierte Fürsten, wie etwa Friedrich V. von der Pfalz, in kaiserlichen Repräsentationsformen.

Caroline Callard (Paris), Falsifier l’inconnu. L’Etruscologie dans la Toscane du XVIIe siècle
Callard zeigte die politischen Implikationen der populären Beschäftigung mit Etrurien und etruskischer Kultur und Sprache in der Toskana im 17. Jahrhundert auf. Die Überzeugung, in den Etruskern ehrbare Stammväter gefunden zu haben, bedingte eine verfälschende Rezeption bzw. eine - in den Fälschungen des Curzio Inghirami kulminierende - Rekonstruktion des unbekannten Etrurien. Dieses Etrurien wurde zum Medium toskanischer Selbstvergewisserung und diente vor allem als Gegenleitbild zum Absolutheitsanspruch und Expansionsdrang des päpstlichen Rom. Die in jüngerer Zeit diskutierte Verflechtung der frühen Etruskologie mit dem Streit um Galileos Verurteilung muss dagegen fraglich bleiben.

Christof Ginzel (Bonn), Joseph von Arimathea, Konstantin der Große und Jakob I. von Großbritannien: Die Rezeption des frühen Christentum in Magna Britannia
Ginzel erläuterte, wie die Akkulturierung antiker Heldenstoffe und Persönlichkeiten in der konfessionellen Auseinandersetzung zwischen protestantischen Fürstenhäusern und der katholischen Hegemonialmacht Habsburg fester Bestandteil der herrschaftslegitimierenden Diskurse des ausgehenden 16. und beginnenden 17. Jahrhunderts wurde. Die anlässlich der Reichseinheit von England und Schottland um 1603/1604 verfasste Traktatliteratur inszenierte die Inthronisierung Jakob VI. als Rückkehr Kaiser Konstantins des Großen und die Einheit der Königreiche als Wiedergeburt eines imaginierten archaischen und urchristlichen Britannien.

Zrinka Blazevic (Zagreb), How to revive Illyricum? Political institution of “Illyrian Emperors” and early modern Illyrism
Eine ähnliche identitäts- und einheitsstiftende Rückbesinnung auf ein politisches Idealgebilde des Altertums zeigte Blazevic anhand des Konzeptes eines Imperium Illyricum redivivum. Autoren wie Joannes Tomcus Marnavitius erklärten das Haus Habsburg zum genealogisch legitimen Nachfolger der illyrischen Herrscher, zu denen auch der als Heiliger der Ostkirche verehrte Kaiser Konstantin der Große zählte. Konvergierende Legitimationsstrategien in Gestalt dynastischer Anbindung und kulturell-religiöser Raumkonzepte sollten eine militärische und missionarische Expansionspolitik rechtfertigen.

Isabella Woldt (Hamburg), Antikenrezeption und Sarmatismus in der Residenzarchitektur des polnisch-litauischen Großreiches im Barockzeitalter
Einen dem literarischen Illyrismus vergleichbare Altertumsbezug, den Sarmatismus, stellte Woldt anhand von Architektur und bildender Kunst dar: Das auf "sarmatische" Abstammung gegründete Selbstverständnis des polnischen Adels manifestierte sich im 17. und 18. Jahrhundert eindrucksvoll in einer als Antikenbezug verstandenen Orientierung an italienischen Modellen, wie sie etwa in der Residenzarchitektur des polnisch-litauischen Großreiches zum Ausdruck kam.

Harald Bollbuck (Wolfenbüttel), Die antiquarische Philologie des Martin Opitz
Intentionale und sekundäre Instrumentalisierung antiquarischer Landesgeschichte differenzierte Bollbuck am Beispiel der Dacia antiqua (um 1622/23), die Martin Opitz als Philologe und Antiquar am Hof des Siebenbürgischen Fürsten Bethlen Gábor verfasste: Durch Verknüpfung antiker und zeitgenössischer Texte erfolgte hier die Konstituierung des Raumes Walachei in Relation zur antiken Welt. Ungeachtet der potentiellen nationalen Lesart des Werkes sicherte diese Schrift dem jungen Autor nicht zuletzt den Zugang zu den Netzwerken der gelehrten Welt.

Werner Wilhelm Schnabel (Erlangen), Griechen, Römer und die „alten Teutschen“. Normhegemonie und kulturelle Perspektivierung in Zincgrefs Apophthegmata
In seinen Apophthegmata (1626) hat Julius Wilhelm Zincgref die von ihm (re)konstruierte "Klugredenheit" "teutscher" Sprecher gleichrangig neben Griechen und Römer gestellt und so die kulturelle Dignität und Ebenbürtigkeit der „alten Teutschen“ mit den antiken mediterranen Kulturen hervorgehoben. Diese Gleichrangigkeit resultierte nicht - wie Schnabel betonte - aus dem vielfach propagierten Kulturtransfer zwischen den zivilisierten Römern und den wilden Germanen taciteischer Überlieferung, sondern beruhte auf einer konkurrierenden "alten Teutschen" Tradition. Diese stellte Zincgref als ebenso ursprünglich wie die der Griechen und Römer dar. Sui generis sei sie alternativen Normen gefolgt. Zincgrefs Parteinahme für seine Vorfahren sollte die Zeitgenossen zur Wahrung und Verteidigung der eigenen Kultur und Sprache ermahnen.

Sektion II. Spätantike Religionen als Argumente religiöser Identitäten im Barock
Die kontroverse Rezeption spätantiker Religionen und Kulturen in den Konfessionen des 17. Jahrhunderts war Thema der von Wilhelm Schmidt-Biggemann (Berlin) und Johann Anselm Steiger (Hamburg) geleiteten Sektion. Im oft polemischen Ringen um die konfessionelle Identität und Hegemonie von katholischer, reformierter und lutherischer Konfession wurden heterogene antike Quellen unterschiedlicher Gattungen und vielfältiger kultureller Provenienz herangezogen. Synkretistisch griff man gleichermaßen auf patristische Schriften und spätantike Apokryphen, die Zeugnisse des spätantiken christlichen Bildgebrauchs und den frühchristlichen Märtyrerkult, auf spätantiken Neuplatonismus Hermetismus und Kabbala, auf die Tradition der rabbinischen Schriftauslegung wie auf heidnische antike Mythologeme oder auf die keltische Religion als vermeintliche Vorstufe idealen Christentums oder auf die germanische als deren Gegenbild zurück, um in der inter- und intrakonfessionellen Identitätsbildung Orientierung und Argumente zu finden. So bildeten sich vielfältige konfessionspezifische Konstruktionen der Spätantike. Besonders die in den letzten Jahren gewachsene Bedeutung der Archäologiegeschichte sowie die Erforschung der Rezeption der Kirchenväter und der rabbinischen Auslegungsgeschichte in der Barockzeit kamen bei der Suche nach Leitlinien zum Tragen, nach denen sich die Konfessionen des 17. Jahrhunderts zu den spätantiken Religionen vom frühen Christentum bis zum Judentum und den heidnischen Religionen verhalten.

Bericht: Kirsten Lee Bierbaum (Köln) und Hanns-Peter Neumann (Berlin)

Johann Anselm Steiger (Hamburg), Einführung ins Thema aus lutherisch-theologischer Sicht
Zur Einführung ins Thema skizzierte Steiger die Vielfalt der Antikenrezeption im lutherischen Protestantismus. Die neuaristotelische Philosophie diente dort dazu, die theologische und exegetische Arbeit der Reformationszeit methodisch reflektiert darzustellen, sie lehr- und lernbar sowie kontroverstheologisch kommunikabel zu machen. Daneben spielte die Rezeption antiker Rhetorik, Diätetik und Medizin sowie der rabbinischen Tradition und der Kirchenväter eine prominente Rolle. Mit der Aufarbeitung der antik-christlichen Tradition, die nicht nur in der jüdisch-biblischen Welt, sondern auch im heidnischen Altertum wurzelt, waren von vornherein, wie Steiger betonte, konkurrierende Antiken zu verarbeiten.

Wilhelm Schmidt-Biggemann (Berlin), Einführung ins Thema aus philosophiehistorischer Perspektive
In seinem Teil der Einführung sprach Schmidt-Biggemann mit der christlichen Kabbala einen deutlich anders gewichteten Antikenbezug an. Die christlichen Kabbalisten hatten ernsthafte Ambitionen zur Ausbildung einer transkonfessionellen Theologie, bewegten sich dabei jedoch mit ihrem elitären Anspruch oft am Rande der Orthodoxie. Indem sie insbesondere den mosaischen Schöpfungsbericht metaphysisch-spekulativ interpretierten, näherten sie sich dem Geheimnis der prima causa einerseits trinitäts- und logostheologisch, andererseits naturphilosophisch.

Yosseff Schwartz (Tel Aviv), Der Streit über den Wert der Kabbala im 17. Jahrhundert
Hieran knüpfte Schwartz mit einer detaillierten Analyse der Frage nach dem Ursprung der Kabbala im Denken des 17. Jahrhunderts an. Die Kabbala war eng an die in der rabbinischen Tradition bewahrte uralte Weisheit angebunden, die in der frühen Neuzeit zum unstreitbaren Dogma des Judentums wurde. Unter anderem an Johann Georg Wachter, Johann Peter Späth, Juan Caramuel Lobkowitz O.Cist. und Henry More veranschaulichte Schwartz die differenzierten Haltungen des 17. Jahrhunderts zur Frage des Ursprungs der Kabbala.

Anne Eusterschulte (Berlin), Neuplatonismusrezeption in der Theologie des 17. Jahrhundert
Am Beispiel von Jacob Thomasius stellte Eusterschulte die Neuplatonismusrezeption in der Theologie des 17. Jahrhunderts dar. Thomasius argumentierte gegen die trinitätstheologische Interpretation neuplatonischer Triaden und stetzte das christliche Trinitätsdogma, das er als einzigartigen, gänzlich originären Glaubensinhalt des Christentums begriff, deutlich von einer häresieverdächtigen prisca theologia ab, die in der antiken Philosophie schon christliche Wahrheiten angedeutet sah.

Hanns-Peter Neumann (Berlin), Die Diskreditierung des Hermetismus durch Isaac Casaubon und seine Neubewertung bei Ralph Cudworth
Neumann erörterte das Ende des Hermetismus. Die historisch-philologische Diskreditierung des Hermetismus durch Isaac Casaubon wurde durch Ralph Cudworth mit zum Teil überzeugenden Argumenten relativiert. Der Hermetismus spielte zwar in seiner philosophischen Argumentation nominell keine Rolle mehr, wurde aber der Sache nach im Pythagoreismus des 17. und 18. Jahrhunderts weiter transportiert.

Silke-Petra Bergjan (Zürich), Antike und patristische Literatur in der Sabbatkontroverse in den Niederlanden im 17. Jahrhundert (G. Voet, J. Coccejus u.a.)
Bergjan widmete sich der Rezeption antiker Positionen in der Debatte um den Ursprung des Sabbats. Bei der Frage, ob der Sabbat positives oder unveränderliches Recht sei, wurde in den Niederlanden im 17. Jahrhundert nicht zuletzt auf heterogene patristische Positionen Bezug genommen.

Susan Boettcher (Austin), Die Geschichte der christlichen Antike als konfessionelles Argument der lutherischen Theologie
Ähnlich zeigte Boettcher an Beispielen aus den Luthermemorien, wie die christliche Antike als konfessionelles Argument der lutherischen Theologie diente. Schriften von Philipp Melanchthon und Johannes Mathesius etwa entwickelten in Konkurrenz zur römisch-katholischen Position eine apostolische Genealogie von Adam und Moses über die Kirchenväter bis hin zu Martin Luther, die durch eine dunkle Zeit des Papsttums unterbrochen gewesen sei.

Nadja Horsch (Köln), Die Roma sancta des Gregory Martin - Zur katholischen Auseinandersetzung mit der christlichen Spätantike
An Gregory Martins Roma sancta (1581) erklärte Horsch das verstärkte Interesse der katholischen Kirche an ihren frühchristlichen Ursprüngen als Resultat innerkatholischer Reformbestrebungen. Martin kombinierte suggestive Beschreibungen römischer Frömmigkeit mit patristischen Zitaten, um Orte und Rituale in ihren frühchristlichen Kontext rückzubinden. Das christliche Rom mit seinen materiellen Relikten wird in Martins Schrift zum noch immer gegenwärtigen Sinnbild eines christlichen Triumphes über das Heidentum.

David Ganz (Münster), Rückblick im Zwiespalt. Frühchristliche Kunst im nachtridentinischen Rom
Ähnlich wie Martin Zitate in die Schilderung gegenwärtiger Frömmigkeit einfügte, verhalten sich die neuen rahmenden Dekorationszyklen, deren visuelle Argumentation Ganz analysierte, zu den in ihnen erhaltenen frühchristlichen Bildern in Rom. Das ornamentale System aktivierte die frühchristlichen Zeugnisse, die seit den 1580er Jahren erneute Aufmerksamkeit genossen, als typologische Urbilder für die Gegenwart. Aus ihrer alten Umgebung herausgebrochen, die dabei meist zerstört wurde, und oftmals produktiv missverstanden, konnten die antiken Elemente so dem Anspruch einer neuen, humanistisch geprägten Wirkungsästhetik gerecht werden.

Hubertus Günther (Zürich), Die Vollendung der Peterskirche in Rom
An der Entwicklung der Reliquienverehrung im Petersdom zu Rom zeigte Günther, wie während der Gegenreformation der Skeptizismus der Renaissance gegenüber überlieferten Traditionen durch die Reaktivierung des Frühchristentums revidiert wurde.

Bartosz Awianowicz (Torun), Die Progymnasmata-Sammlungen und der Glaubenskampf des 17. Jahrhunderts
Progymnasmata, deren Antikenbezug Awianowicz behandelte, waren seit der Antike gebräuchliche Sammlungen rhetorischer Figuren, deren theoretische Erörterung jeweils mit demonstrierenden Beispielen verknüpft war. In den konfessionellen Polemiken wurden diese Beispiele mit aktuellem Bezug versehen und boten sowohl den protestantischen Autoren die Möglichkeit, antikatholisches Exempelmaterial in einer pädagogischen Gattung zu versammeln, als auch den Katholiken, im selben Medium zu agieren.

Alfred Noe (Wien), Die Bedeutung der Religionen in Honoré d' Urfés L'Astrée
Wie Noe zeigte, begegnet im französischen Schäferroman L’Astrée (1607-1627) von Honoré d’Urfé ein vom nationalistischen Impetus getragenes Antikenideal. Der Roman handelt von einer gallischen Schäfergesellschaft, die ihre keltischen Traditionen in friedlicher Koexistenz mit den römischen Göttern lebt. Indem diese keltischen Mysterien auf das Christentum vorauszudeuten scheinen, wird das Zusammenleben verschiedener Religionen zur hoffnungsvollen Utopie, während zugleich die lokalen Traditionen als legitime nationale Wurzeln erscheinen.

Daniel Bolliger (Montpellier), Johann Conrad Dannhauers Christeis sive drama sacrum, Straßburg 1646: Die Geschichte der Alten Kirche als konfessionelles Drama
Das Drama Christeis sive drama sacrum (1646) von Johann Conrad Dannhauer präsentierte Bolliger als gelehrte Allegorie der frühchristlichen Ekklesia, die Hoffnung auf eine Aufhebung der konfessionellen Spaltung entwickelte. Der poetologisch hervorgehobene Werkteil enthält dabei Dannhauers zentrale Botschaft. Einerseits wird die Antike als Ursprung von Häresie sowie Synkretismus und damit als Gefahr für die Kirche dargestellt. Andererseits erscheint die Frühzeit auch als Zeitalter der ersten Siege über diese Gefahren und bietet so Anlass zur Hoffnung auf ein universales, die Konfessionalisierung überwindendes Konzil.

Stefanie Arend (Erlangen), Lob was dürr? – Das antike Ideal der Magerkeit im Kreuzfeuer: Jakob Baldes satirischer Wettstreit zwischen den Mageren und den Feisten
Für Jacob Baldes S.J. Agathyrsus Deutsch (1647) musste Arend Antikenbezüge eher verneinen. Wo die Satire über das Ideal der Magerkeit einen platonischen Leib-Seele-Diskurs erwarten lassen könnte, begegnet dem Leser tatsächlich eine rein ästhetische Körperanschauung, die eher auf ein modernes Schönheitsideal vorauszudeuten scheint.

Dietrich Hakelberg (Wolfenbüttel), "Heidnische Greuel und abscheulicher Leichen-Brand." Archäologische Praxis und die Pietismuskontroverse bei David Sigmund Büttner (1660-1719)
Einen anti-affirmativen Zugang zur Antike aus pietistischer Sicht demonstrierte Hakelberg bei David Sigmund Büttner, der anhand des archäologischen Fundes heidnischer Urnen bei Querfurt die Bestattungsrituale der eigenen germanischen Vorfahren rekonstruierte. Die Verurteilung der als abstoßend empfundenen heidnischen Brandbestattung, die das Höllenfeuer vorwegnehme, stellte Hakelberg der Dankbarkeit gegenüber, in der christlichen Gegenwart leben zu dürfen.

Sektion III. Antike Lebensmodelle als Konkurrenzmodelle im Barock
Die von Barbara Mahlmann-Bauer (Bern) und Hartmut Laufhütte (Passau) geleitete Sektion richtete sich auf die kontrovers diskutierte Vielfalt antik geprägter Lebensweisen und Welthaltungen im Barock. Als wirksame und doch immer wieder problematische Antikenorientierungen barocker Lebens-, Erziehungs- und Darstellungskonzepte wurden etwa die neu etablierte weibliche Memoria-Tradition, die Entfaltung höfischer Ethik als Erneuerung antiker urbanitas, die antike Metaphorik barocker Ethiken etwa in die christliche Erbauung untersucht. Die Auseinandersetzung mit solchen vielfältigen, in sich und untereinander prinzipiell konfliktträchtigen Anwendungsfeldern antik begründeter barocker Ethik ergänzten Beiträge zu deren epistemischen Grundlegungen in der frühneuzeitlichen Auseinandersetzung mit speziellen Gebieten der antiken Philosophie, Ethiken und Poetiken. Die hieran beteiligte interdisziplinäre Vielfalt von Germanistik, Philosophie, Kunstgeschichte, Romanistik, Theologie, Klassischer Philologie und Wissenschaftsgeschichte erwies sich im Verlauf der Diskussionen als produktive Heterogenität und konstruktive Horizonterweiterung. Die Vorträge einte eine ausgeprägte Text- und Quellenbezogenheit, die an übergreifende Kontexte und oft an historische Grundfragen sozialer Praxis rückgebunden wurde.

Bericht: Annett Volmer (Berlin)

Barbara Mahlmann (Bern), Erasmianische Frömmigkeit und reformatorische Theologie in ungedruckten Gedichten Heinrich Glareans - Neue Frömmigkeit im antiken Gewand
Mahlmann-Bauer stellte vier bisher ungedruckte geistliche Gedichte Heinrich Glareans (1488-1563) aus einer Handschrift seines Schülers Johann Egolph von Knöringen (1535-1575) vor, die dem Baseler Druck von Glareans Elegiae aus dem Jahr 1516 angefügt ist. In der Analyse zeigte sich zum einen, wie sehr die Christus-zentrierte Frömmigkeit Glareans von reformatorischem Gedankengut geprägt ist, das der Erasmusschüler von 1514 bis 1523 begeistert aufnahm. Zum anderen knüpfte Glarean mit Elegien und Oden an spätmittelalterliche Spiritualität an, die ihm aus der Kölner Studienzeit vertraut war. Wenn Glarean in einer sapphischen Ode die wissenschaftliche Methode des Thomas von Aquin preist, wendet er sich vermutlich gegen die reformatorischen Bildungsziele an der Baseler Universität und weist auf Themen jesuitischer Dichtkunst voraus.

Ulrich G. Leinsle (Regensburg), Antike Lebenskonzepte in jesuitischer Wirklichkeit: Die akademischen Reden und Progymnasta Latinitatis Jakob Pontanus
Leinsle lenkte in der Diskussion den Blick auf die Rolle Johann Egolphs von Knöringen, der in Dillingen einige Jahre als Bischof wirkte und vielleicht Jesuitendichter wie Jakob Pontanus S.J. mit Glareans erasmianischer, z.T. gegenreformatorischer Frömmigkeit bekannt gemacht hat. Leinsle setzte sich in seinem Beitrag mit einem bisher nicht bekannten Manuskript des späthumanistischen Grammaticus und Dichters Jakob Pontanus auseinander, das neben Gedichten und Dramen auch Reden und Musterdisputationen aus seiner Dillinger Lehrtätigkeit enthielt. In den beiden letztgenannten Textsorten zeigte sich erstmals der Philosoph Pontanus, dessen späterer neuplatonisch-hermetischer Denkstil noch wenig ausgeprägt war.

Hartmut Laufhütte (Passau), Der Umgang mit der Antike in Sigmund von Birkens Herrscherpanegyrik
Der Funktion der Antike in der Herrscherpanegyrik Sigmund von Birkens ging Laufhütte nach. Die Einbeziehung vorchristlicher Motivik diente hauptsächlich der kontrastiven Hervorhebung der christlichen Tugenden des Herrschers. Mit dem Nachruhm der Herrscher ist aber auch immer der der Lobsänger verbunden, denn die flüchtige Fama der Großen in eine dauerhafte Präsenz zu verwandeln, ist ohne die Arbeit des Künstlers nicht möglich.

Vanessa von der Lieth (Hamburg), Die Rezeption antiker Mythologeme im Betrachtungswerk Catharina Regina von Greiffenbergs
Die Rezeption antiker Mythologeme bei Catharina Regina von Greiffenberg behandelte von der Lieth. Während Birken in der Poesie bevorzugt auf biblische Gestalten statt auf heidnische Götter setzt, empfiehlt Georg Philipp Harsdörffer, die Namen heidnischer Götter höchstens zur Abschreckung einzuführen. Greiffenberg vertritt diesbezüglich eine weniger grundsätzliche Auffassung. Textbeispiele machten deutlich, dass sie antike Mythologeme verwendet, um biblische Sachverhalte zu erhellen und zu illustrieren. Greiffenberg setzt die mythologischen und biblischen Gestalten in ein von Kontrast und Überbietung gekennzeichnetes Auslegungsverhältnis.

Annett Volmer (Berlin), Antike und Memoria in den Schriften italienischer Autorinnen um 1600
Volmer rekonstruierte die Umwertung der Antikenrezeption als Memoria-Konzeption in den Texten italienischer Autorinnen um 1600. Ziel der Aristoteles-Rezeption bei Lucrezia Marinella oder in der Neuinterpretation des Kirke-Mythos in Moderata Fontes I Tredici canti del Floridoro war die Präsenz eines umfangreichen Spektrums weiblicher Charaktere und Taten in der Memoria.

Gilbert Heß (Göttingen), Figurationen der Person Neros im Barock
Mit der literarischen Rezeption der Figur Neros als der Personifikation des Bösen – einer Figur, die sich für die im Barock wichtigen Diskurse um Macht, Liebe und Gewalt geradezu anbot – beschäftigte sich Heß. Er illustrierte die konkurrierenden Imaginationen der Antike, die gerade im Nachweis der Parteilichkeit der antiken Schriftzeugnisse zu poetischer und interpretierender Freiheit einluden, anhand von drei Fallstudien in verschiedenen Gattungen: den Trauerspielen Daniel Casper von Lohensteins, dem Singspiellibretto Nero von Friedrich Christian Feustking und dem Roman Römische Octavia von Herzog Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel.

Rosmarie Zeller (Basel), Seckendorffs Lucan-Kommentar als Anleitung zum richtigen Leben und zum richtigen Umgang mit der lateinischen Literatur
Lucans Pharsalia waren neben Vergils Aeneis das meistgelesene und -bewunderte Epos im 17. Jahrhundert. Zeller stellte Veit Ludwig von Seckendorffs Übersetzung des Epos und die diesem vorangestellten politischen und moralischen Discurse der Lucan-Rezeption Pierre Corneilles in der Tragödie La mort de Pompée gegenüber. Mit seiner Übersetzung hob von Seckendorff weniger auf den ästhetischen Genuss als vielmehr auf eine moralische Auseinandersetzung mit dem antiken Text ab.

Thomas Schirren (Tübingen), Vossius' Institutiones Oratoriae (1630) als Auseinandersetzung mit der antiken ars rhetorica
Schirren untersuchte die Commentarii Rhetoricii (1630) von Johann Gerhard Vossius unter einem neuartigen Blickwinkel. Wurde bisher Gerardus Johannes Vossius' Auseinandersetzung mit Quintilian favorisiert, so konnte Schirren am Beispiel des Statusbegriffes aufzeigen, dass Vossius stärker auf Aristoteles rekurriert. Denn Vossius will die Statuslehre nicht nur auf Gerichtsfälle angewendet wissen, sondern empfiehlt diese auch für die deliberative Gattung.

Ferdinand van Ingen (Zeist), Verhaltensmuster der christlichen Antike und deren Umbildung in der Frühen Neuzeit
Ethik und Didaktik als Gegenstände humanistischer Antikenrezeption besprach van Ingen. Er konzentrierte sich dabei auf die Modellierung des Bildes protestantischer Märtyrer, insbesondere auf die Wesenszüge, die sie zu Vorbildfiguren werden ließen. So wurde aus der christlichen Antike das Kampfmotiv durch die Tugend der Beständigkeit ergänzt – stets in Analogie zum Martyrium Christi.

Guillaume van Gemert (Nijmegen), Boethius als Lebensmodell - Christian Knorr von Rosenroth und Johann Hellwig in Konkurrenz
Über Boethius als Lebensmodell und die konkurrierenden Übersetzungen von Christian Knorr von Rosenroth und Johann Helwig sprach van Gemert. Knorr und Helwig haben die einzigen deutschen Fassungen der Consolatio im 17. Jahrhundert vorgelegt. Ihre Konkurrenz wird in den Gedichtübertragungen offenbar, denn Helwig hebt stärker auf das Formale ab und versucht, die Eigenheiten der Vorlage zu bewahren. Knorr hingegen bevorzugt eine die lateinische Syntax vernachlässigende Übersetzungsmethode. Diese Verschiedenheit motiviert sich aus den Zielen der Übersetzer: Während Helwig nach einer Emanzipation der deutschen Sprache strebte, ging es Knorr in erster Linie um eine individuelle Lebensanleitung.

Ulrich Heinen (Wuppertal), Nutzgarten oder Lustgarten? Antike Gartenethiken im Frühbarock.
Heinen ging der Revitalisierung antiker Gartenethiken in der Konstruktion frühbarocker Gartenkonzepte nach: Nutzgarten oder Lustgarten? Mit Juvenal zitierte Peter Paul Rubens an seinem Antwerpener Haus als erster einen antiken Autor in einem Gartenportal. Im Einklang mit Justus Lipsius' Ethik entwickelte Rubens dort das Konzept eines stoischen Nutzgartens, dessen ethischer Nutzen als Schutz- und Erbauungsort in der Muße und der darin erreichten Gesundung der Vernunft liegt. In seinem Gemälde "Amor und Psyche" (Prado, Madrid) stellt Jacob Jordaens Rubens' Gartenportal eine erotische Szene gegenüber, kontrastiert und relationiert so die kontroversen Konzepte des stoischen Gartens der erbaulichen Muße und des hedonistischen Liebesgartens.

Jörn Steigerwald (Bochum), Urbanitas: Ausfaltungen einer höfischen Ethik zwischen Guez de Balzac und Christian Thomasius'
Die Neubegründung des urbanitas-Begriffes im Siècle classique als urbanité ist das Ergebnis konkurrierender Rezeptionen von antiken Lebensentwürfen in der höfischen Gesellschaft Frankreichs, wie Steigerwald zeigte. Die urbanitas als sozio-kulturelles Ideal verlangte von den Mitgliedern der höfischen Gesellschaft, dass sie sich durch ihre soziale Praxis zu distinguieren haben. Guez de Balzac führte in De la conversation des Romains (1644) den Begriff urbanité als antikes Ideal in die soziale Praxis ein. Paul Pellison überführte die urbanité in den umfassenderen Begriff der Galanterie, und Christian Thomasius befürwortete die Akkulturation der Galanterie in Deutschland.

Simone De Angelis (Bern), Autopsie und Autorität. Zum komplexen Verhältnis zweier medizinischer Basiskonzepte und ihrer Funktion in der Formation einer 'Wissenschaft vom Menschen' im 17. Jahrhundert
De Angelis sprach den medizinischen Begriffen Autopsie und Autorität für die Formation einer frühneuzeitlichen "Wissenschaft vom Menschen" eine entscheidende Rolle zu. Mit der auctoritas wird auf die medizinischen Autoren der Antike verwiesen. Auch wenn antike Autoren wie Galen die Autopsie dem Bücherstudium vorziehen, so ist es doch interessant, wie die frühneuzeitlichen Anatomen argumentieren, um neue Wissensansprüche geltend zu machen. Beispielhaft zog De Angelis den Bologneser Anatom Costanzo Varolio und seinen Traktat über die Entdeckung des Ursprungs der optischen Nerven heran. Die antiken Autoritäten wurden nämlich keineswegs grundsätzlich in Frage gestellt, sondern die Entautorisierung fand nur partiell statt. Angestrebt wurde vielmehr die Harmonisierung beider Wissensquellen, zugunsten einer Zusammenführung der Autorität der antiken Autoren mit der Beweiskraft moderner Empirie und Experimente

Thomas Behme (Berlin), Erhard Weigels Programm der Wiederherstellung der aristotelischen Philosophie aus dem Geist des Euklid
Erhard Weigel entwickelte - wie Behme darlegte - eine eigenständige Lehre, welche die geometrische Methode als die der wahren Philosophie begreift, in engem Anschluss an den zeitgenössisch dominierenden Aristotelismus. Das Musterbeispiel für eine deduktive Wissenschaft im aristotelischen Verständnis war wiederum das methodische Vorgehen Euklids in den Elementen. Mit seiner Aufwertung der philosophischen Fakultät, in der argumentative Schlüsselqualifikationen vermittelt werden, wurde Weigel zum Vorläufer ähnlicher Forderungen von Christian Wolff.

Sektion IV. Antike Künste in den Künsten und Kunstkontroversen des Barock
Unter der Leitung von Sandra Pott (Hamburg) behandelte die Sektion heterogene Antikenrezeptionen in den Theorien und der Praxis der Künste des 17. Jahrhunderts. Gegliedert nach Kunstgattungen wurden die grundlegenden Wirkungen divergierender antiker Vorbilder als produktiver Motor der vielfältigen Kontroversen etwa um Poetik, Oper, Tanzkunst, Malerei, Skulptur und Architektur untersucht. Während der erste Tagungstag dabei die Kunsttheorie, Dichtung und Bühnenkünste behandelte, stand am zweiten die bildende Kunst im Mittelpunkt. Die in der Sektion erkennbar gewordenen Strategien des Antikenrekurses reichen von der legitimatorischen Aneignung bis zur antilegitimatorischen Verschleierung antiker Quellen; von der Katalogisierung der nicht mehr zu bewältigenden Detailfülle des Wissens um die Antike und ihre authentischen Bestände bis zur Rezeption einer über frühere Antikenrezeptionen vermittelten oder einer aufgrund literarischer Beschreibung imaginierten Antike; von der Affirmation bis zu ironischer Selektion oder transformierender Ironie. In der neuen Vielfalt der aufgerufenen Quellen und Zeugnisse der Antike lag offenbar ein wichtiger Antrieb zur Entwicklung der Gattungs-, Formen- und Stilvielfalt in den Künsten des 17. Jahrhunderts.

Bericht: Johanna Beate Lohff (Köln)

Katrin Kohl (Oxford), Inspiration, Ingenium und Technik: Die apologetische Bedeutung des Ursprungs in den Kunstkontroversen des Barock
Kohl verdeutlichte, dass sich die Kunsttheorie des 17. Jahrhunderts des reichen Fundus' antiker Topoi vor allem zur Legitimation der eigenen Kunst bediente, ohne jedoch um eine Darstellung einer "wahren" Antike bemüht zu sein. Daran knüpfte sich die in der vierten Sektion leitende Frage nach der Auswahl antiker Vorbilder, auf die sich die Kunstdiskurse bezogen.

Ulrike Zeuch (Wolfenbüttel), Die Poetik des Aristoteles und die stoischen Prämissen ihrer Rezeption im Barock - ein Paradigma für andere Disziplinen im 17. Jahrhundert?
Für den Mimesis-Begriff des Aristoteles erörterte Zeuch, dass dessen Poetik vermittelt durch Horaz und die Renaissance-Kommentatoren gelesen wurde, ohne dass man sich ihres Ursprungs noch bewusst war.

Sandra Pott (Hamburg), Außer Konkurrenz? Die Ars poetica des Horaz in der Poetik des 16. und 17. Jahrhunderts
Die Vermitteltheit und Vielschichtigkeit der Antikenrezeption betonte auch Pott. Die seit der Antike kursierenden Auslegungen der sogenannten Ars poetica des Horaz hat nicht nur zu unterschiedlichen Horaz-Rezeptionen im Barock geführt, sondern auch zu parallelen Horaz-Adaptionen. Vermittelt zum einen durch antike und mittelalterliche Kommentatoren, zum anderen durch die barocken Kommentatoren selber, konnte Antike hier nicht zuletzt im Blick auf strategische Ziele der Legitimation und Delegitimation wahrgenommen werden, wobei der in sich nicht völlig konsistente Text des Horaz zugleich Anlass zu widersprüchlicher Vielfalt bot und doch seine Autorität behielt.

Jörg Robert (München), Vetus poesis - Pluralisierung von Antike und Autorität(en) in Martin Opitz' Aristarchus sive de contemptu linguae Teutonicae (1617)
Für Opitz’ Erstlingswerk Aristarchus fragte auch Robert "Welche Antike?" Indem Opitz die deutsche Sprache als Natursprache deklarierte, die im Gegensatz zum Griechischen oder Lateinischen ohne den Zusammenbruch einer Hochkultur überliefert sei, schuf er einen autoritativen Gegenentwurf zur lateinischen und griechischen Antike der Humanisten.

Elisabeth Rothmund (Paris), Antike Vorbilder und neue Dichtungsformen im deutschen Barock
Laure Gauthier (Reims), Die Oper im 17. Jahrhundert als antik begründete Gattung. Die Kontroversen um den Rekurs auf die antike Dramaturgie als Mittel zur Legitimierung und Institutionalisierung des lyrischen Theaters
Für die Bühnenkünste zeigten auch Rothmund und Gauthier Legitimation als Zweck von Antikenrekursen. Während Rothmund dies für Opernlibretti und deren Beziehung zum Sonett demonstrierte, behandelte Gauthier die Stellung der Oper innerhalb des Hamburger Opernstreits. Während die Oper aufgrund ihrer unklaren Gattungszugehörigkeit zunächst in Verruf geriet und man versuchte, sie anhand antiker Vorbilder zu begründen, wurde sie zu einem wichtigen Nebenschauplatz im Streit der Konfessionen.

Marie-Therese Mourey (Paris), Antike Quellen in der Legitimation der Tanzkunst
Dass sich auch der Kunsttanz – unter Berufung auf antike Vorbilder – als neue Kunstform der Frühen Neuzeit nur schwer durchsetzen ließ, konnte Mourey zeigen. Schon in der Antike als heikel betrachtet, führte die Legitimation des Tanzes im Barock zu moralischen Konflikten. Dabei ergab sich ein kontroverses Bild des Rekurses auf die Antike: Einerseits nutzte man antike Beschreibungen zur Legitimation; andererseits verschleierte man den Antikenbezug, um sich nicht dem christlichem Vorwurf auszusetzen, an ein moralisch überwundenes Heidentum anzuknüpfen.

Valeska von Rosen (Berlin/Jena), Die "falsche" Antike: Caravaggios Ironisierung des Imitatio-Diskurses
Von Rosen wies nach, dass der seit Giovanni Pietro Bellori als Normbrecher mit antiken Traditionen verkannte Michelangelo Merisi da Caravaggio sehr wohl antike Skulptur rezipierte, im Gegensatz zu den in der Renaissance propagierten schönen und edlen Vorbildern aber vor allem die hässlichen Alten und Barbaren der späthellenistischen Skulptur wieder aufleben ließ. Caravaggio zeigte damit die andere Seite der Antike, ironisierte so den Antikendiskurs seiner Zeit und spielte mit Normen, indem er sie gleichermaßen befolgte und sich von ihnen distanzierte.

Jürgen Müller (Dresden), Ironie statt Pathos. Ein Beitrag zu Rembrandts Antikenrezeption
Eine ähnliche ironische Zielsetzung der Antikenrezeption verfolgte - wie Müller demonstrierte - auch Rembrandt van Rijn etwa mit seinem Raub des Ganymed: Der urinierende Knabe in den Fängen des Adlers wiederhole den Knaben aus der Laokoongruppe und parodiere so nicht nur den gelehrten Antikendiskurs, sondern auch seine italienischen Vorbilder.

Damian Dombrowski (Würzburg), Bernini moderno? Randbemerkungen zur kontroversen Antikenrezeption in der Skulptur des römischen Hochbarock
Eine Abwandlung des Laokoon-Sohnes ist auch der Putto in der Caritas-Gruppe aus Gian Lorenzo Berninis Grabmal von Urban VIII. Dombrowski stellte den Bernini-Putto dem Putto aus Francois Duquesnoys Grabmal des Ferdinand van der Eyden entgegen, der auf demselben antiken Vorbild basiert. Obwohl die Forschung gemeinhin annimmt, Bernini kehre sich mit seiner Caritas vom antiken Ideal ab, konnte Dombrowski zeigen, dass Bernini das antike Vorbild an den Beginn eines lebendigen Werkprozesses stellte und damit der in der Renaissance propagierten kreativen Aneignung der Antike näher kam als Duquesnoy, der in umgekehrter Weise versuchte, seine gedanklich eigenständig konzipierten Figuren den antiken Vorbildern anzugleichen.

Stefan Schweizer (Düsseldorf), Konkurrenzen zwischen Text- und Artefaktautorität. Atlanten, Perser und Karyatiden in der Architektur und Architekturtheorie des Barock
Am Beispiel der männlichen Stützfigur barocker Architekturen thematisierte Schweizer das kreative Potential der Rezeption imaginierter Antike. Hierzu zeichnete er anhand reicher Bild- und Textzeugnissen eine komplexe Genealogie dieser architektonischen Ordnung. Da zwar ein antiker Text diese Besonderheit des Architekturschmuckes beschrieb, aber keine archäologisch überlieferten Artefakte als Vorbild herangezogen werden konnten, konnten solche Stützfiguren zu stilprägenden Neuerungen der barocken Architektur werden.

Anna Schreurs-Morét (Frankfurt am Main), "Stehet Rom, der Städte Ruhm/ Auf dem Raum der teutschen Erde? Soll Tarpejens Altertum/ Jetzt den Allemannen werden?": Antworten des Künstlers und Kunstliteraten Joachim von Sandrart auf diese Frage
Schreurs-Morét zeigte, dass Joachim von Sandrart die Antike in seiner Malerei nur vermittelt durch italienische und nordeuropäische Künstler aufgriff. Dabei habe er Antike als gesamteuropäisches Konzept verstanden und ein friedenstiftendes Anliegen verfolgt.

Marie Theres Stauffer (Zürich), Antike Experimente mit verspiegelten Maschinen in naturphilosophischen Schriften des 17. Jahrhunderts im Spannungsfeld von ars, scientia und magia
Stauffer widmete sich der naturphilosophischen Einordnung von Spiegelmaschinen im 17. Jahrhundert. Während Spiegelversuche in der Antike der mathematischen Beweisführung dienten, wurden sie in den barocken Wunderkammern nicht nur als wissenschaftliche Demonstrationen, sondern auch als Kunst und verblüffende Kunststücke aufgefasst. Giovanni Battista della Porta, Athanasius Kircher S.J. und Caspar Schott S.J. stützten sich zwar bei der Konstruktion ihrer Maschinen auf antike Vorbilder, schätzten ihre eigenen aber mitunter als technisch besser und vor allem als vergnüglicher ein.

Martin Disselkamp (Berlin), Antiquarische Verwirrungen. Rom als Herausforderung an das frühneuzeitliche Wissen von der Antike
Dass die neue Fülle des frühneuzeitlichen Wissens von der Antike neue Herausforderungen an die Wissenspräsentation darstellte, zeigte Disselkamp im Vergleich zweier Rom-Topographien, der Mirabilia Romae (1140) und der Roma Vetus von Famiano Nardini (1660). Während der mittelalterliche Pilgerführer das christliche Rom als Fortführung des antiken Roms betrachtete, wird an der antiquarischen Bemühung des Barock deutlich, wie die Fülle an Quellenmaterial zur detailgetreuen Rekonstruktion des antiken Rom neu geordnet werden musste. Im Ergebnis lebt dabei nicht das antike Rom wieder auf, sondern die Antiquare demonstrieren zunehmend die nicht zu bewältigende Komplexität der überlieferten Antike als Ergebnis und unlösbare Aufgabe aller Antikenrezeption.

Plenarvorträge
Bericht: Kirsten Lee Bierbaum und Johanna Beate Lohff (beide Köln)

Gerrit Walther (Wuppertal), Barocke Antike und barocke Politik. Ein Überblick
Den Kongress eröffnete Walther mit einer Entwicklungsskizze der Bedeutung der Antikenrezeption für Politikauffassungen im Barock. Zur Verortung des Problems verwarf Walther die in der Geschichtswissenschaft übliche Gleichsetzung von Barock und Absolutismus als anachronistisch. Prägend für das, was jenseits aller Epochenkritik als "barock" gelten kann, sei vielmehr die bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts andauernde Zeit der konfessionellen Krise. Für diese Phase aber sei ein eher "unklassisches" Antikenkonzept festzustellen. Auf der Basis humanistischer Gelehrsamkeit konkurrierten damals weitgefasste, pluralistische, teils kritische und sogar ironische Antikenbegriffe miteinander. Auch die andauernde Rivalität zwischen Herrschern und konkurrierenden Fürstenclans machte den Antikenbezug zur Quelle für Legitimationsargumente und damit zum Medium politischer Konkurrenz. Als sich in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts der Souverän zunehmend als Meinungsführer durchsetzte und die politische Situation beruhigte, ging dies mit einem mehr und mehr vereinheitlichten klassizistischen Antikenbild einher.

Werner Oechslin (Zürich/Einsiedeln) 'Das Wort klassisch hat für uns etwas Erkältendes' (Wölfflin): Irrwege - und längst fällige Korrekturen - bei der Suche nach der Antike im Barock
Anhand selten gelesener Text- und Bildzeugnisse der Kunst- und Kulturgeschichtsschreibung des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, die den Stilbegriff des Barock als Inbegriff einer ganzer Epoche prägten und ihn dem ebenso epochemachenden Begriff des Klassischen entgegensetzten, dekonstruierte Oechslin die immer noch gängige typologische Antinomie von "barock" und "klassisch". Gerade der komplexe und vielfältige Antikenbezug des 17. Jahrhunderts weicht die Grenzen zwischen "Klassischem" und "Barockem" nachhaltig auf.

Thomas Leinkauf (Münster), Hellenismus und Frühe Neuzeit
Leinkauf analysierte detailreich, wie in der Philosophie der Epoche weniger die sogenannte klassische Antike als vielmehr der Hellenismus rezipiert wurde. So wurde in der Frühen Neuzeit beispielsweise der von Plotin diskutierte Seelenbegriff als transzendente Einheit aufgegriffen. Der Neuplatonismus der Frühen Neuzeit ist insgesamt eher durch die Rezeption eines bereits vermittelten Platonismus gekennzeichnet als durch die direkte Auseinandersetzung mit Platon selbst. Noch in Leibniz' Vitalismusbegriff lebte dieser Begriff fort. Neuplatonismus wurde damit bis zur Gegenwart zum Reservoir aller antimaterialistischen Strömungen.

Ingo Herklotz (Marburg), Der Antiquar als komische Figur - Ein literarisches Motiv zwischen Querelle und altertumswissenschaftlicher Methodenkritik
Ausgehend von einem Fund im Archiv von Pesaro - der dreiaktigen Antiquarskomödie L’antiquario von Giovanni Battista Passeri - rekonstruierte Herklotz die Antiquarskomödie als eigene Literatur- und Theatergattung und verortete diese in der Wissenschaftsgeschichte der Altertumskunde. Das Genre kann auf eine bis in die Antike reichende Tradition zurückblicken und erfreute sich seit dem 17. Jahrhundert besonders in der europäischen Salonliteratur großer Beliebtheit. Zunächst im Kreis der Antiquare, dann zunehmend auch in der Öffentlichkeit geriet mit der Figur des Antiquars die antiquarischen Methoden und Leidenschaften selber mehr und mehr in die Kritik. Auf der typologischen Basis der italienischen Commedia dell’Arte wurde ein pedantischer, eigenbrödlerischer Antiquar vorgeführt, der in ästhetischer wie sozialer Hinsicht der Antike verhaftet bleibt und dabei alle Kommunikationsmöglichkeiten mit der zeitgenössischen Außenwelt verliert. Während so zum einen über die Gattung eine Rezeption der Antike stattfindet, bietet die Antiquarsfigur zum anderen eine Projektionsfläche für eine umfassende Kritik an Altertumswissenschaft und Antikenverehrung. Die in Rom angesiedelte Verwechslungskomödie Paseris ist das Werk eines Insiders – Passeri war selbst Antiquar – und stellt den Versuch dar, dem karikierenden Genre mit dessen eigenen Waffen zu begegnen und so letztlich der Kritik an der antiquarischen Methode durch die Karikatur des Antiquars entgegenzutreten.

Nicolette Mout (Leiden), Resuscitating the Ancient World: Justus Lipsius as an Apple of Discord between Catholics and Protestants - Part 1: military and political theory
Jeanine de Landtsheer (Leuven), Resuscitating the Ancient World: Justus Lipsius as an Apple of Discord between Catholics and Protestants - Part 2: philology and religion
Die beiden Abschlussvorträge lenkten die Aufmerksamkeit auf Justus Lipsius, in dessen vierhundertstem Todesjahr der Kongress stattfand. Als antiquarisch gewissenhafte Rekonstruktion großer Systemzusammenhänge der Antike mit dem weittragenden Anspruch einer Reform der eigenen Epoche eröffnete dessen Gesamtwerk die Antikenrezeptionen des 17. Jahrhunderts. Und doch wurde gerade dieser auf Vereinheitlichung angelegte Versuch schon zu Lebzeiten des Autors zum Zankapfel im Konfessionstreit.
Anhand der in Leiden verfassten Schriften De Constantia und Politica fokussierte Mout auf die Reaktivierung antiker Quellen in Lipsius' Entwurf militärischer und politischer Theorie. In beiden Schriften argumentiert Lipsius unter ständigem Rekurs auf antike Autoren zum Nutzen der eigenen Gegenwart. Dabei stellt Lipsius das römische Kriegswesen ebenso wie die aus den antiken Autoren extrahierten politischen Verfahren als der eigenen Gegenwart überlegen dar. So entwickelt er aus der Rezeption antiker Quellen ein normatives Gerüst als moralisches Vorbild sowohl für das Gemeinwesen wie auch für den Einzelnen. Ganz auf der Grundlage von Zitaten antiker Autoren und Realien skizziert Lipsius in seiner Politica die Funktion von Religion für das Gemeinwesen, ohne dabei Kirche als Institution zu berücksichtigen. Da sein Plädoyer für eine einheitliche Religion im Staat keine Position zu der virulenten konfessionellen Frage nach dem wahren Glauben entwickelte, geriet Lipsius zwischen Protestanten und Katholiken ins Kreuzfeuer der Kritik.
Wie de Landtsheer hieran anschließend zeigte, verband Lipsius den Anspruch, Antike zur Lösung aktueller Fragen fruchtbar zu machen, mit größtmöglicher philologischer Gewissenhaftigkeit. Kennzeichnend für Lipsius' Editionen war der Versuch, die lateinischen Autoren (insbesondere Tacitus und Seneca) möglichst klar und unverfälscht wiederzugeben. Die Intensität seiner Studien zur antiken Stoa lassen sich an seiner Seneca-Ausgabe ablesen, die über 20 Jahre in Anspruch nahm, sowie an seinem Plan, eine allgemeine Einführung in die gesamte Stoa zu verfassen. Anhand von De Cruce zeigte de Landtsheer, wie Lipsius selbst eine genuin christlich intendierte Thematik wie die des Kreuzes mit antiquarischer Methodik entwickelte, dabei aber genuin christlich-theologische Aspekte weitgehend aussparte. Die Leistung von Lipsius als Philologe, Antiquar und Philosoph besteht vor allem darin, ein System rekonstruiert zu haben, das verstreute Fragmente der Antike mit größtmöglicher Quellengenauigkeit zu einer Rekonstruktion ihres ursprünglichen Konnexes zusammenzuführen, um das so rekonstruierte antike System der Politik, der Kriegsführung oder der Ethik wieder für eine lebenspraktische Übertragung nutzbar zu machen.

Ertrag der Tagung
In intensiver interdisziplinärer Auseinandersetzung mit den Quellen zeigte der Wolfenbütteler Barockkongress die Brüche und Widersprüche der barocken Kontroversen als Spiegel der Multiplizität antiker Welten sowie der unterschiedlichen Methoden und Zwecke konkurrierender Antikenrezeptionen, -rekonstruktionen, -konstruktionen und -imaginationen. Die doppelte Kontroversstruktur von antiken und damit verbundenen barocken Konflikten wurde dabei geradezu als Paradigma barocker Antikenrezeption und antik begründeter Identitätsbildungen im späten 16. und im 17. Jahrhundert erkennbar. So zeigte sich, dass die Autorität antiker Bezüge trotz oder vielleicht sogar wegen ihrer widersprüchlichen Vielfalt und selbst in der Ironisierung verengter Antikenbegriffe und antiquarischer Verstiegenheiten ihre Verbindlichkeit bis weit ins 17. Jahrhundert kaum einbüßte. In den kontroversen Antikenrezeptionen des Barock konnten Autorität, Identität und Alterität einander durchaus implizieren. Mit der Analyse der kontroversen Rezeptionen des Altertums im Barock entdeckte der Kongress für den Umgang mit Vielfalt und Autorität noch vor der Aufklärung und dieser hierin vielleicht sogar überlegen eine bisher nicht erkannte spezifisch europäische Tradition. Im Sinne einer zugleich vielfältigen und autoritativen Antike erhält der Plural in dem von Ennius entlehnten Wahlspruch des Lipsius ganz neue Bedeutung: moribus antiquis (Ennius, Ann., 1.5.156).

Die Tagungsakten werden als Band der Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung publiziert werden.

Kontakt

Leitung und Kontakt:
Prof. Dr. Ulrich Heinen
Institut für angewandte Kunst- und Bildwissenschaften
Bergische Universität Wuppertal
42285 Wuppertal
Tel.:+49-202-439-4157
+49-221-6803871
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