Integration. Interdependenzen von Politik, Ökonomie und Kultur im 19. und 20. Jahrhundert in Europa im Vergleich

Integration. Interdependenzen von Politik, Ökonomie und Kultur im 19. und 20. Jahrhundert in Europa im Vergleich

Organisatoren
Universität Siegen, Institut für Europäische Regionalforschungen
Ort
Siegen
Land
Deutschland
Vom - Bis
16.03.2006 - 17.03.2006
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Von
Cornelius Neutsch, Guido Thiemeyer

In inhaltlicher Hinsicht ging das Tagungskonzept von der Überlegungen aus, dass Integrationsprozesse der europäischen Wirtschaft, Politik und Kultur keineswegs auf die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg reduziert werden können. Auch die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts, die als Zeitalter des Internationalismus gilt, ist gekennzeichnet durch vielfältige Formen der Integration der europäischen Nationalstaaten auf politischer, wirtschaftlicher und kultureller Ebene. Das gleiche Phänomen lässt sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Westeuropa beobachten. Vor diesem Hintergrund entsteht die Frage, ob die Integration im Zeitalter des Internationalismus als Vorläufer der Europäischen Integration nach 1945 angesehen werden kann, oder ob beide Prozesse trotz Gemeinsamkeiten unterschiedliche strukturelle Ursachen und Formen haben? Handelt es sich bei der Integration um eine durch die Industrielle Revolution ausgelöste säkulare Entwicklung, die durch die „Epoche der Weltkriege“ zwischen 1914 und 1945 lediglich unterbrochen wurde? Oder überwiegen trotz der Gemeinsamkeiten zwischen beiden Prozessen doch die Unterschiede?

Die Tagung verfolgte daher zwei Ziele: Erstens sollte der Integrationsschub in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit dem nach 1945 verglichen werden. Zweitens sollte auf Basis der hier gewonnen Erkenntnisse eine differenzierte Definition des Begriffes der Integration erarbeitet werden, die eine Unterscheidung in verschiedene Integrationsformen ermöglicht.

Um Gemeinsamkeiten und Differenzen der Integrationsschübe vor 1914 und nach 1945 zu ermitteln, wurden auf dieser Tagung Fallbeispiele der Integration vor 1914 und nach 1945 untersucht. Die Fallbeispiele behandelten den Integrationsprozess im Bereich der Währungen, bei Post und Telekommunikation, beim Verkehr, den europäischen Nachrichtenmärkten sowie die Integration europäischer Agrarmärkte. Hierbei wurden die Akteure und ihre Interessen, die Entscheidungsprozesse und deren Inhalte in den Blick genommen.

Gerold Ambrosius (Universität Siegen) skizzierte in seinem Einführungsvortrag das Problem der Integration aus wirtschaftshistorischer Perspektive. Grundsätzlich schlug er vor zu unterscheiden zwischen der grenzüberschreitenden wirtschaftlichen Verflechtung von Märkten einerseits und der koordinativen Standardisierung von (nationalen) Standards und Normen andererseits. Während bei der wirtschaftlichen Verflechtung von Märkten der Prozesscharakter der Integration im Vordergrund steht (ohne dass ein Integrationsziel festgelegt würde), kommt die Integration im Sinne der Angleichung von Standards und Normen zu einem Abschluss, nämlich dann, wenn die Standards oder Normen vereinheitlicht sind. Beide Integrationsvorgänge können parallel zueinander verlaufen, in vielen Fällen bedingen sie auch einander.

Zweitens schlug er vor zu differenzieren zwischen Strukturen, Prozessen und Inhalten der Integrationsvorgänge. Auf struktureller Ebene sollte beispielsweise gefragt werden nach den Akteuren, die den Integrationsvorgang prägten. Waren dies staatliche oder private Akteure, aus welchen Sektoren der Wirtschaft kamen sie? Gab es internationale oder supranationale Institutionen in diesem Prozess? Auf der Prozessebene müsste nach der Art und Weise gefragt werden, in welcher die Akteure kooperierten. Die Inhalte schließlich beziehen sich auf den Sektor der Integration, den Verkehr, Nachrichten, etc.

Europäische Währungsintegration

Guido Thiemeyer (Kassel/Siegen) konstatierte für den Vollzug der europäischen Währungsintegration des 19. Jahrhunderts vier verschiedene institutionelle Rahmen, die lateinische und die skandinavische Münzunion, den internationalen Goldstandard sowie verschiedene internationale Währungskonferenzen mit dem (ergebnislosen) Ziel, eine Weltwährung zu schaffen.

In Bezug auf die als Fallbeispiel näher ausgeführte Lateinische Münzunion identifizierte er folgende Akteure: Nationale, private Akteure, die außenwirtschaftlich interessiert waren, und sich in zunehmendem Maße politisch organisierten (Handelskammern); nationale halbstaatliche Akteure, wie privatwirtschaftlich organisierte, aber mit Privilegien ausgestattete Notenbanken; schließlich nationale Regierungen, vertreten in der Regel durch die Finanz- und Außenministerien. Supranationale Akteure oder internationale Büros gab es im Währungssektor vor 1914 nicht.

Hinsichtlich der Akteursstruktur lässt sich die Geschichte der Lateinischen Münzunion in zwei Phasen einteilen: In der ersten Phase zwischen 1832 und 1865 dominierten private Akteure, oft organisiert in Handelskammern, die über Parlamente zunehmend Einfluss auf Regierungsentscheidungen nahmen. In der zweiten Phase zwischen 1865 und 1914 prägten dagegen staatliche Akteure (Finanz- und Außenministerien) die Währungsintegration in der Lateinischen Münzunion.

Auf der Prozessebene lässt sich die wesentliche Zäsur ebenfalls im Jahr 1865 feststellen: Bis zu diesem Zeitpunkt funktionierte Währungsintegration in diesem Rahmen fast ausschließlich über Währungsmärkte. Ab 1865 wurde die Marktintegration dominiert durch politische Ad-Hoc Konferenzen, auf denen diplomatische Vertreter vertreten waren.

Carsten Hefeker (Siegen) betrachtete die europäische Währungsintegration nach dem Zweiten Weltkrieg. Er vertrat die These, dass insgesamt das eigenständige Interesse der Politik in diesem Bereich eine weniger wichtige Rolle spielte, als dies oft in der einschlägigen Fachliteratur behauptet wird.

Ausgangspunkt seiner Betrachtungen war, dass die Integration vor dem Hintergrund der Zwischenkriegszeit gesehen werden muss, die durch einen Zusammenbruch von Handels- und Währungsbeziehungen gekennzeichnet war. Stabilität im Bereich Währung wurde nach 1945 durch das Bretton-Woods System sichergestellt. Dieses System wurde durch einen europäischen Versuch der Währungszusammenarbeit abgelöst, der über verschiedene Zwischenstufen in die EWU führte.

Ausgehend vom amerikanischen Einfluss und Druck auf die europäische Integration standen zunächst politische Interessen im Vordergrund. Später traten dann aber zunehmend ökonomische Interessen hervor. Ein System mit starken Wechselkursschwankungen war mit einem Binnenmarkt nicht vereinbar. Die zugleich weiter voranschreitende Liberalisierung der Kapitalmärkte machte auf der anderen Seite fixe, aber anpassungsfähige Wechselkurse immer fragiler. Der Widerstand gegen die EWU nahm gleichzeitig ab, da sich die geldpolitischen Konzepte in Europa anglichen. Die Vorstellung, mit einer aktiven Geldpolitik die Beschäftigung stimulieren zu können, wurde abgelöst durch das Postulat einer stabilitätsorientierten Geldpolitik.

Verstanden werden kann die europäische Währungsintegration also nur als ein Teil der weitergehenden und umfassenden Integration Europas in wirtschaftlicher Sicht. Die mit Integration immer auch verbundenen Widerstände konnten über die Zeit abgebaut werden.

Europäische Integration von Post und Telekommunikation

In die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts fällt die Entstehung immer dichter werdender innereuropäischer Telegraphennetze. Erste Strukturen internationaler Kooperation bildeten sich bereits im Jahr 1850 mit Gründung des Deutsch-Österreichischen Telegraphenvereins, mit deren Hilfe konkrete Integrationsmaßnahmen, d.h. Standardisierungen im technischen, betrieblichen, administrativen und tarifären Bereich umgesetzt wurden. Durch den 1854 auf französische Initiative ins Leben gerufenen Westeuropäischen Telegraphenverein und den 1865 gegründeten Welttelegraphenverein wurden diese Strukturen nicht nur räumlich sondern auch inhaltlich immer mehr erweitert. Michael Wobring (Bielefeld) zeichnete in seinem Referat diese Entwicklungen anhand ausgewählter Fallbeispiele wie z.B. der allgemeinen Einführung des Morsealphabetes nach und entfaltete in diesem Zusammenhang das komplexe Beziehungsgeflecht der verschiedenen staatlichen und privaten Akteure und Akteursgruppen.

Die von Cornelius Neutsch (Siegen) analysierten Integrationsbestrebungen im Bereich Post und Telekommunikation nach 1945 erhielten seit den 1950er Jahren Anstöße von verschiedener Seite. Eine erste Initiative startete 1951 der Europarat, nach Gründung der EWG wurde auch auf dieser Ebene versucht, einen Zusammenschluss zu erreichen. Daneben existierten Bestrebungen auf Grundlage der OEEC und auf Ebene der PTT-Verwaltungen. Die Zielsetzungen der Akteure unterschieden sich jedoch deutlich: Der Europarat und die nationalen Regierungen der EWG-Staaten befürworteten Integrationsstrukturen auf intergouvernementaler Ebene. Die PTT-Verwaltungen hingegen bevorzugten Integrationsstrukturen auf transgouvernementaler Ebene.

Ergebnis langwieriger Verhandlungen auf mehreren Konferenzen war 1959 die Gründung der „Conférence européenne des Administrations des postes et des télécommunications (CEPT)“, ein Zusammenschluss (west-)europäischer PTT-Verwaltungen.

Die Gründung der CEPT auf transgouvernementaler Ebene, wenngleich ohne bindende Beschlüsse für die einzelnen PTT-Verwaltungen, ergänzt um die CEPT-Ministerkonferenz auf intergouvernementaler Ebene, war gleichsam der kleinste gemeinsame Nenner, eine europäische PTT-Integration voranzutreiben, die zumindest ganz Westeuropa umfasste.

Betrachtet man die eingeleiteten Maßnahmen in ihrer Gesamtheit, lässt sich die westeuropäische PTT-Integration der 1950er und 1960er Jahre als eine Integration „der kleinen Schritte“ charakterisieren, die primär an den praktischen Bedürfnissen grenzüberschreitender Post- und Telekommunikationsdienste orientiert war, und damit inhaltlich eine Kontinuität zu den im 19. Jahrhundert begonnenen Integrationsschritten darstellte, natürlich angepasst an veränderte politische und technisch-betriebliche Rahmenbedingungen.

Europäische Verkehrsintegration

Irene Anastasiadou (Eindhoven) beschäftigte sich in ihrem Beitrag mit Formen der Integration europäischer Transportsysteme im 19. Jahrhundert am Beispiel des Eisenbahnsektors. Sie konstatierte unterschiedliche Integrationsformen für die verschiedenen europäischen Großräume, insbesondere zwischen den industrialisierten Räumen West- und Mitteleuropas und peripheren Räumen wie etwa Süd- und Osteuropa, was sie am Beispiel Griechenlands ausführte und dabei zu dem Ergebnis gelangte, das beim Aufbau der griechischen Eisenbahnlinien und ihrer Anbindung an das gesamteuropäische Netz politische Einflüsse dominierten mit der Zielsetzung die wirtschaftliche und politische Bedeutung des Landes zu heben.

Die Integration im europäischen Verkehrswesen nach 1945 charakterisierte Christian Henrich-Franke (Siegen) als ein sehr komplexes Phänomen, das sich aus einer organisationszentrierten Perspektive für einen ersten Zugriff in drei Bereiche untergliedern lässt: (1) Integration im Kontext europäischer Wirtschaftsorganisationen, (2) Integration mehrerer Verkehrsträger, d.h. auf einer Koordinationsebene zwischen Eisenbahn, Binnenschiff und Straße, (3) Integration einzelner Verkehrsträger, d.h. Eisenbahn, Binnenschiff, Straße und Luftfahrt. Aus jedem dieser drei Bereiche griff Henrich- Franke ein Fallbeispiel heraus, um daran die Europäische Verkehrsintegration nach 1945 zu skizzieren: (1) die Erarbeitung der verkehrspolitischen Paragraphen des EWG-Vertrages, (2) die Gründung der Europäischen Verkehrsministerkonferenz (ECMT), (3) die Gründung der Eurofima, einer Gesellschaft zur Finanzierung von Eisenbahnmaterial.

Zwei Hauptcharakteristika kennzeichneten den Integrationsprozess nach 1945:

Zum einen kann die Verkehrsintegration nicht als ein zusammenhängender Integrationsprozess eingestuft werden. Vielmehr war sie gekennzeichnet durch verschiedene Teilprozesse, die entweder miteinander konkurrierten, sich ergänzten oder vollkommen isoliert nebeneinander vollzogen.

Zum anderen ist die Verkehrsintegration in weiten Teilen nicht vom generellen politisch/ökonomischen Integrationsprozess zu trennen. Insgesamt fällt auf, dass die Integrationsbestrebungen im Verkehrssektor über die Interkonnektivität nationaler Verkehrsnetze an den Außengrenzen sowie eine Koordination nationaler Verkehrspolitiken nicht maßgeblich hinausgingen. Nationale Verkehrsmärkte blieben sogar im begrenzten Kreis der EWG-Mitglieder weitestgehend abgeschottet, auch wenn der EWG-Vertrag einen vagen Grundstein für einen EWG-Verkehrsmarkt gelegt hatte.

Integration der europäischen Nachrichtenmärkte

Jürgen Wilke (Mainz) betonte in seinem Beitrag über die Integration der europäischen Nachrichtenmärkte und die Entstehung der großen Nachrichtenagenturen, dass Nachrichten ein Gut „sui generis“ seien und Nachrichtenmärkte deswegen auch einer besonderen Form der Integration unterworfen sind. In der Entstehungsphase der internationalen Nachrichtenmärkte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde dieser Prozess von privaten Akteuren getragen, die die Entstehung eines europäischen Marktes durch Kartellabsprachen schnell verhinderten. Nach dem Ersten Weltkrieg entstanden zwar weitere, zum Teil staatliche Agenturen, die jedoch auf die nationalen Märkte konzentriert waren. Insofern fand im Nachrichtensektor keine Integration statt, die mit jener in anderen Bereichen vergleichbar wäre. Die Agenturen beschränkten sich vielmehr in ihrer Arbeit auf ihre jeweiligen Herkunftsländer, die – nicht zuletzt aufgrund der verschiedenen Sprachen - auch die wichtigsten Abnahmemärkte für Nachrichten stellten.

Integration des europäischen Agrarhandels

Am Beispiel der Internationalen Landwirtschaftlichen Kongresse zwischen 1889 und 1913 erörterte Rita Aldenhoff-Hübinger (Frankfurt/Oder) Formen, Möglichkeiten und Grenzen der europäischen Annäherung vor dem Hintergrund der Entstehung eines Weltagrarmarkts in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Foren des Integrationsprozesse waren vor allem internationale Konferenzen. Die von den landwirtschaftlichen Vereinen, Landwirtschaftskammern und landwirtschaftlichen Interessengruppen sowie Wissenschaftlern und Politikern besuchten Kongresse fanden in Abständen von zwei Jahren in wechselnden Hauptstädten Europas statt. Sie dienten als Orte des Austauschs über technische und wissenschaftliche Innovationen, rationellere Produktionsmethoden, sowie über handelspolitische Abwehrmaßnahmen, die sich gegen die neue überseeische Konkurrenz, aber auch gegen andere europäische Länder richten konnten. Europäische Zollunionspläne oder Pläne einer deutsch-französischen Agrarunion wurden von einer Minderheit in die Debatte eingebracht, waren aber angesichts der nationalistischen Bewegungen zum Scheitern verurteilt.

Der Beitrag von Kiran Klaus Patel (Berlin) thematisierte die Entstehungsgeschichte der Gemeinsamen Agrarpolitik der frühen EWG in den Jahren 1957 bis 1968. Patel analysierte die ausschlaggebenden Strukturen und Prozesse, die dazu führten, dass die Integration des Agrarsektors stark supranationale Züge annahm und sich ein hochgradig protektionistisches und interventionistisches System ausbildete. Patel schilderte diesen Integrationsprozess als hochgradig verknüpfte Interaktion von politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Akteuren.

Das Gesamtergebnis war im dreifachen Sinne paradox: Gerade in dem Bereich, in dem sich die nationalen Pfade in Westeuropa auf sozioökonomischer Ebene besonders deutlich unterschieden, wurde nun das am stärksten integrierte Modell der Einigung angewandt. Und genau in dem Bereich, in dem durch die beiden vorherigen Wellen des Agrarprotektionismus (1870er Jahre; Zwischenkriegszeit) der staatliche Interventionsgrad auf nationaler Ebene so groß war wie in kaum einem anderem Wirtschaftssektor, wurden nun die meisten Souveränitätsrechte auf eine Gemeinschaftsebene übertragen.

Integrationsbegriffe

Im Zentrum der Diskussionen über alle Papiere stand der Begriff der Integration. Insgesamt ergaben sich hierbei vorläufig vier verschiedene Aspekte des Begriffes, die weiter spezifiziert werden können und müssen.

1) Zentral war zweifellos für beide Epochen die wirtschaftliche Integration, die sich ohne die Intervention von Regierungen beobachten ließ. Diese wiederum vollzog sich auf zwei Ebenen: Zum einen über die Verflechtung von Märkten für Güter, Dienstleistungen, Personen und Kapital. Konkret ließ sich diese Form der Integration etwa für Agrarprodukte im transatlantischen Rahmen seit Mitte der siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts nachweisen, ähnlich in Teilbereichen der währungspolitischen Integration in Westeuropa zwischen 1830 und 1865. Diese Integration vollzog sich über Märkte, politische Interventionen waren hierfür nicht notwendig. Wirtschaftliche Integration vollzog sich aber auch kooperativ durch Verhandlungen über die Angleichung von technischen und ökonomischen Standards. Diese ließen sich im Sektor der Telekommunikation und der Post sowie im Verkehr beobachten, wo technische Standards angeglichen wurden.

2) Wesentlich war auch die wirtschaftspolitische Integration, die nicht primär über Märkte, sondern von staatlicher Politik vorangetrieben wurde. Auch hier ließe sich weiter differenzieren nach den Strukturen, die den Integrationsprozess prägten. Als wesentliche Kategorien ließen sich hier beobachten: Die Unterscheidungen zwischen bi- und multilateralen Integrationsvorgängen, zwischen Intergouvernementalen und supranationalen Integrationsvorgängen (nur im 20. Jahrhundert), zwischen intergouvernementalen (Regierungen verhandeln miteinander) oder transgouvernementalen (Verwaltungen als zentrale Akteure, etwa im Bereich von Post und Telekommunikation und im Verkehr) Integrationsprozessen, sowie zwischen gouvernementalen und nicht-gouvernementalen Integrationsprozessen. Schließlich fiel auf, dass es sinnvoll ist zu unterscheiden zwischen kontinuierlichen Integrationprozessen (etwa im Rahmen der EWG) oder ad hoc Vorgängen, die nur für eine begrenzte Zeit relevant waren.

3) Ein drittes wesentlichen Unterscheidungsmerkmal für Integrationsvorgänge bezieht sich auf das Verhältnis zwischen dem Sektor der Politik und jenem der Wirtschaft. Generell und vereinfachend ließ sich feststellen, dass im 19. Jahrhundert wirtschaftliche Akteure den Prozess dominierten, wobei die politischen Akteure zunehmend an Bedeutung gewannen. Nach 1945 übernahmen politische Akteure in manchen Bereichen (etwa Agrarpolitik, zum Teil auch in der Währungspolitik) eine dominierende Rolle; wirtschaftliche Integration wurde teilweise zu einem Vehikel für die politische Integration. Zugleich ließen sich aber auch Beispiele finden, in denen politische Akteure den wirtschaftlichen Integrationsvorgängen folgten. Es ließen sich auch Beispiele für rein politische Integrationsprozesse finden, etwa mit der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, die allerdings nicht wie geplant realisiert werden konnte.

4) Ein anderer mehrfach diskutierter Aspekt betraf die Gleichzeitigkeit von Integrations- und Desintegrationsprozessen. So führte beispielsweise die Entstehung des transatlantischen Marktes für Agrarprodukte seit Beginn der 1870er Jahre (transatlantische Integration) zur Errichtung von Zollbarrieren für die europäischen nationalen Agrarmärkte, um die heimischen Produzenten gegen die Konkurrenz aus Übersee zu schützen (europäische Desintegration).

Die Tagungsergebnisse sollen noch in diesem Jahr im Nomos-Verlag publiziert werden.


Redaktion
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