Der 46. Deutsche Historikertag stand unter dem Leitmotiv „Geschichtsbilder“. So waren auch die Bilder, wie sie das Fernsehen von und über die Geschichte produziert Thema des Historikertages und die von Rainer Wirtz (Konstanz) und Thomas Fischer (Baden-Baden) veranstaltete Sektion „Popularisierung der Geschichte im Fernsehen“ damit eine logische Erweiterung des Leitthemas. Auf dem Podium saßen neben den beiden Veranstaltern noch Fabio Crivellari (FWU)1, Roger Hillesheim (TV Schoenfilm), Michael Kloft (Spiegel TV), Ulrich Brochhagen (MDR)2 und Frank Bösch (Universität Bochum).
Rainer Wirtz formulierte in seinem Eröffnungsvortrag „Popularisierung der Geschichte im Fernsehen? Folgen für die Geschichtswissenschaft?“ Fragen an die Fernsehgeschichte. Ausgehend von der Feststellung, dass der öffentliche Diskurs über Geschichte zunähme, die Geschichtswissenschaft daran aber keinen Anteil habe und somit einen Bedeutungsverlust erleide, stelle sich die Frage nach der Etablierung eines eigenen Fernsehformats: „Geschichtsfernsehen“. Um mit diesem „Geschichtsfernsehen“ ein Massenpublikum zu erreichen, bedürfe es der Aufbereitung des dokumentarischen Materials nach den Regeln des Fernsehens, also der Trias von „Quote, Spannung und Unterhaltung“. Neben diese träte aber gleichzeitig eine noch wirkungsmächtigere Trias, die von „Personalisierung, Dramatisierung und Emotionalisierung“. Diese Aufbereitung von Geschichte ziehe allerdings Einwände der Historiker nach sich. Hauptkritikpunkt an dieser „erzählbaren Geschichte“ sei die unklare Herkunft aller Bilder – seien es Archivmaterial, der Neudreh von Szenen oder das im Computer generierte Bild. Die zweite Frage müsse daher die Frage sein, wieviel Wissenschaft nach dieser Bearbeitung übrig bliebe. Angesichts der ungezählten historischen bzw. historisierenden Dokumentationen und Spielfilme könnte man behaupten, dass Geschichte im ABC des Fernsehens gleich hinter Kochen komme. Bei einer fernsehgerechten Erzählung von Geschichte käme der traditionelle Ordnungsfaktor der Geschichtswissenschaft – die Zeit – viel zu kurz. Bei einer solchen Erzählweise bliebe kaum Raum für historische Zusammenhänge. Angesichts dieser medialen Hochglanz-Version von Geschichte stelle sich die Frage nach der Authentizität dieser Geschichtsbilder. Sind diese Bilder echt, oder produziert das Fernsehen echte falsche Bilder?
Fabio Crivellari erläuterte in seinem Vortrag „Populäre Geschichte in populären Darstellungen?“ das Unbehagen der Historiker am Geschichtsfernsehen. Hierzu formulierte Crivellari eine Kernthese, die aus zwei Teilen bestand: Erstens sei das Detail einer einzelnen Sendung aus der Perspektive kollektiver Geschichtsbilder irrelevant. Zweitens seien aus dieser Perspektive die narrativen Schemata beachtenswert. Durch sie würde Geschichte als visuelles Ritual formuliert. Durch ein Ritual aber sei das Ende der Kontroverse erreicht. Der Referent führte weiter aus, dass das Fernsehen seit seinem Bestehen immer Gegenstand von Kritik und Analyse gewesen sei. An den Kategorien Film und Fernsehen seien zahlreiche Theorien der Massenmedien verankert. Der Begriff der „Massenmedien“ sei in diesem Zusammenhang aber überwiegend negativ konnotiert. In der Kritik stehe hier vor allem die Passivität des Zuschauers, der alles, was ihm durch die „Glotze“ serviert wird, kritiklos hinnehme oder über sich ergehen ließe. Crivellari zitierte an dieser Stelle die Ergebnisse der Kognitionsforschung, nach denen die Resistenz der Zuschauer gegenüber den Inhalten des Fernsehens belegt ist. Inhalte versendeten sich: Wenn die Sendung um sei, sei auch der Inhalt hinüber und der Zuschauer so klug wie zuvor. Insofern sei eine einzige historische Dokumentation nicht weiter schlimm. Durch die ritualisierte Darstellung von Geschichte im Fernsehen sei jedoch die Gefahr gegeben, dass sich durch diese Präsentationsform, besonders durch die systemimmanente Wiederholung bestimmter Bilder, Informationen im kollektiven Wissen festsetzen können, die mit der Realität nicht viel gemeinsam haben. So würden bestimmte Bilder und Filmsequenzen aus dem Dritten Reich zu Ikonen, die das kollektive Bild des Dritten Reiches dominierten. So würden sich die immergleichen Bilder von Leni Riefenstahl ins kollektive Gedächtnis einbrennen, die jeweils wechselnden Kommentare sich jedoch versenden.
Das Unbehagen der Geschichtswissenschaft wird – so Crivellari – durch die Vermarktung der Geschichte gesteigert. Ein kurzer Streifzug durch die Buchhandlungen zeige eine Flut an Titeln mit Bezug zu Hitler und zum Dritten Reich: Hitlers Helfer, Hitlers Volksstaat, Hitlers Frauen ... Die Ähnlichkeit mit den einschlägig bekannten Serien Guido Knopps sei mehr als nur rein zufällig. Es sei der Versuch der Verlage, auf diesen erfolgreichen Zug aufzuspringen. Auch die Werbung für eine (Zeit-)historische Dokumentation sei Teil dieser Vermarktungsstrategie, weise sie doch Stilmittel der „klassischen Kinowerbung“ auf. Auch die Stilisierung des Doku-Dramas „Dresden“ im ZDF zum „Fernsehereignis des Jahres“ zeige die Vermarktungsmöglichkeiten auf: Nach dem Doku-Drama kämen dann weitere Dokumentationen und Themenabende. Zeitschriften und Zeitungen würden sich dem Ereignis anschließen. Durch die Inszenierung als Event würde „Dresden“ zum Kollektiverlebnis. Die Eventkultur hätte für alle Seiten nur Vorteile: Dadurch dass dieses Event in der Öffentlichkeit bekannt ist, sei das knappe Gut der Aufmerksamkeit schon „kostengünstig vorselektiert“. In diesem Zusammenhang stünde auch die Erschaffung von Marken. Durch die Stilisierung von Guido Knopp zur Marke würden ihm Eigenschaften wie „hohe Akzeptanz, Glaubwürdigkeit und Wiedererkennbarkeit“ zugeschrieben. Durch den Versuch die Reichweite von Dokumentationen zu steigern, sei es erforderlich, die „inhaltliche und stilistische Komplexität“ zu reduzieren. Dies hätte zur Folge, dass das Dritte Reich nur noch – der obenangeführten Bücherliste folgend – auf „Hitlers Genitiv“ reduziert würde. Der alte Spruch „Hitler sells“ würde unvermindert weiter gelten.
Holger Hillesheim zeigte in seinem Praxisbeitrag „Quote, Geld und Wissenschaft – Spannungsfeld zum Spannungsbogen" eine Fallstudie zum ARD-Dreiteiler ‚Die Gestapo’. Holger Hillesheim ist TV-Produzent und schilderte daher die Herstellung historischer Dokumentationen aus Sicht des verantwortlichen Produzenten und Regisseurs der SWR-Auftragsproduktion „Die Gestapo“. Nach einigen eher anekdotenhaften Anmerkungen zu seiner Person und seinem beruflichen Werdegang kam Hillesheim auf die Umstände der Produktion dieser Dokumentation zu sprechen. „Die Gestapo“ sei von vornherein als Produktion für die Prime-Time geplant worden. Die von der ARD geforderte Wissenschaftlichkeit sei im internationalen Zusammenhang fast schon „rührend“. In einem etwas theoretischeren Teil legte der Redner dann ein Spannungsparallelogramm zwischen Sender, Produzent, Wissenschaft und Zuschauer dar, in dessen Grenzen sich eine derartige Produktion bewegen würde. Dabei sei jeder Punkt mit den anderen aber auch in sich durch ein „feines Gespinst von Beziehungsfäden“ gekennzeichnet. Auch sei keiner dieser Eckpunkte ein Monolith. Im Verlauf einer solchen Produktion, die sich durchaus über zwei Jahre hinziehen könne, wirkten diese Kräfte wechselseitig aufeinander ein. Hillesheim widmete ferner einen Großteil der Redezeit der Schilderung der finanziellen und durch den Quotendruck hervorgerufenen Zwänge. Leider sprach Holger Hillesheim manche Punkte nur an. Der Zuhörer hätte sich bei diesen Punkten mehr Klarheit im Vortrag gewünscht.
In seinem Vortrag „Die mediale Präsentation der DDR – zwischen Nostalgie und Aufarbeitung“ präsentierte Ulrich Brochhagen, beim MDR zuständig für Zeitgeschichte, zwei verschiedene Produktionen zur Geschichte der DDR. Die erste Dokumentationsreihe „Das war die DDR“ entstand 1993, kurz nach der Wende, während die zweite „Damals in der DDR“ ein Produkt der jüngsten „Ostalgiewelle“ ist. Zwischen beiden Produktionen liegen gerade einmal 10 Jahre, doch ist die Aufmachung und Präsentation extrem unterschiedlich. In seinem Vortag versuchte Brochhagen die Arbeitsweise eines TV-Redakteurs anhand folgender Punkte darzulegen: 1. Wie fallen Entscheidungen für ein Projekt?; 2. Inhaltliche Schwerpunktsetzung; 3. Kriterien zur Auswahl von Regisseuren; 4. Bausteine; 5. Rezeption des Endproduktes.
Die Entscheidungen, die zur Erstellung der ersten Dokumentationsreihe zur DDR-Geschichte führten, waren vielfältiger Art: Zum einen wollte der MDR innerhalb der ARD zeigen, dass auch er solche Dokumentationen produzieren kann. Zum anderen sollte die Geschichte der DDR aufgearbeitet werden. Bei der jüngeren Produktion sei der MDR lediglich auf der grassierenden „Ostalgiewelle“ mitgeritten. Der Erfolg von Ostalgie-Shows bei den großen Fernsehsendern, von ARD über Sat 1 und RTL bis hin zum ZDF, und der große Erfolg der Kinofilme „Sonnenallee“ und „Goodbye Lenin“ hätten ein großes Interesse des Publikums an der Alltagsgeschichte der DDR aufgezeigt. Statt Aufarbeitung herrsche nun die Spreewaldgurkenseeligkeit. Wie unterschiedlich das gleiche Ereignis in zwei Dokumentationen dargestellt werden kann, illustrierte Brochhagen am Beispiel des 17. Juni 1953. Während in der Dokumentation „Das war die DDR“ ein Mitglied des ZK3 seine Sichtweise der damaligen Ereignisse und seine Rolle darin schildern durfte, erzählt in der 2003 erstellten Produktion „Damals in der DDR“ eine Frau aus der Provinz ihre Geschichte des 17. Juni.
Der von Spiegel TV kommende Dokumentarfilmer Michael Kloft stellte in seinem Vortrag die Frage „Fernsehstar Hitler – Wie viel Wissenschaft verträgt Zeitgeschichte im TV?“. Dabei widmete sich Kloft intensiv der Frage, ob und wie wissenschaftliche Beratung bei historischen Dokumentationen stattfindet. Ausgehend davon, dass sich das Fernsehen und der Fernsehmarkt in den letzten 20 Jahren komplett verändert habe, legte Kloft dar, dass das klassische Bildungsfernsehen immer mehr an Zuschauern verliere. Bis Mitte der 1990er Jahre sei Zeitgeschichte im Fernsehen mit einem bildungspolitsch wertvollen Impetus dahergekommen. Erst mit der Serie „Hitlers Helfer“ sei moderne Zeitgeschichte ins Fernsehen gekommen – und Hitler endgültig zum Fernsehstar geworden.4 Der Erfolg hätte für sich gesprochen, bescherten Dokumentationen dieser Art den Senden Quoten, wie sonst nur der Tatort oder der Musikantenstadel. Die Kritik daran sei groß gewesen, von einem „Sündenfall der Branche“ sei die Rede gewesen. Dabei hätten die Macher – so Kloft – lediglich auf die Erkenntnis reagiert, dass die Fortsetzung der Schule mit anderen Mitteln nicht mehr zeitgemäß sei. Wissenschaftliche Beratung sei bei allen Produktionen extrem wichtig. Schließlich könne der Autor ja unmöglich immer auf dem aktuellsten Forschungsstand sein. Ferner sei der Historiker im Idealfall der Garant für eine – zumindest den Fakten gehorchende – Darstellung der Ereignisse. Zum Schluss seines Vortrages wies Kloft darauf hin, dass das Interesse an zeitgeschichtlichen Dokumentationen beim Publikum unter 50 Jahren immer weiter schwinden würde. Bevor sich diese Zuschauerschichten mit der Fernbedienung ganz von Dokumentationen verabschieden würden, sollten Wissenschaftler und Macher über neue Darstellungsformen nachdenken.
Frank Bösch, Juniorprofessor in Bochum, ging in seinem Vortrag „Geschichte emotional: Darstellungsformen von NS-Dokumentationen“ auf das Problem der Emotionalisierung und Personalisierung von Geschichte ein. Bösch legte dar, dass sich Teile der deutschen Geschichtswissenschaft erst durch externen Anstoß mit manchen Themenfeldern intensiver beschäftigten. Als Beispiele nannte er die vertieften Forschungen zum Holocaust im Anschluss an die Diskussion nach der Ausstrahlung der amerikanischen Serie „Holocaust“ sowie die Forschungen zur Regionalgeschichte des Nationalsozialismus, die durch die Serie „Heimat“ angeregt wurden. In seinem Überblick über die stilistische Entwicklung der historischen Dokumentationen fuhr Bösch fort, dass sich die Rolle des auktorialen Erzählers seit den 1980er Jahren immer mehr zugunsten von Zeitzeugen und musikalischer Ausgestaltung verschoben hätte. Bilder hätten bis dahin lediglich zur Illustration des Sprechertextes gedient. Heute sei es genau umgekehrt: Der Text dient zur Illustration der Bilder. Der erklärende Kommentar sei „lakonischen Einwürfen und rhetorischen Fragen“ gewichen. Weiter sei es problematisch, in den Dokumentationen nur auf die großen Personen zu setzen, ganz so als seien Hitler, Göring, Goebbels und Co. allein an allem schuld. Ein weiteres großes Problem seien – ganz dem Motto des Historikertages entsprechend – die Bilder. Auf die Gefahr der Verselbstständigung der Bilder sei schon hingewiesen worden. Als letzten Problempunkt benannte Bösch die Vermischung von Fakten und Fiktionen. So sei die Verwendung der klassischen Nachdrehszenen – Limousinen, die durch die Dunkelheit fahren, Vollmond über dem Stacheldraht – aus zweierlei Gründen problematisch. Zum einen sei die suggestive Kraft dieser Bilder enorm hoch, zum anderen sei die Aussage dieser Szenen, eben durch die Emotionen, die sie hervorrufen, zweifelhaft. Der Referent plädierte hier für den Ansatz, die Zeitzeugen an den Orten des Geschehens aufzunehmen.
Thomas Fischer, in seiner Doppelrolle als leitender Redakteur beim SWR – daher selbst verantwortlich für viele zeitgeschichtliche Dokumentationen – und Lehrender an der Universität Konstanz, wies in seinem Kommentar darauf hin, dass Historiker und Geschichtslehrer ihr Deutungsmonopol über die Geschichte an das Fernsehen verloren hätten oder sich zumindest in einer Konkurrenz dazu befänden. Dies sei allerdings weniger eine Konkurrenz um die Deutung von Geschichte als viel eher eine Konkurrenz um die Wahrnehmung von Geschichte. In den letzten 20 Jahren hätte sich aber der Charakter der Geschichtskultur in der Gesellschaft gewandelt. Dieser Diskurs gehorche immer mehr den Regeln der Mediengesellschaft. Daher sei Geschichte in diesem Diskurs kaum noch Gegenstand fachwissenschaftlicher Analysen. Dokumentationen hätten im Fernsehen den Platz der Diskussion unter Wissenschaftlern eingenommen, Geschichte würde durch Geschichten erzählt.
Die Sektion hinterließ beim Teilnehmer einen zwiespältigen Eindruck. Auf der einen Seite standen so hervorragende Beiträge wie der von Fabio Crivellari, der der gesamten Diskussion um Geschichte im Fernsehen einige so noch nicht gehörte Punkte hinzufügen konnte. Auf der anderen Seite standen die Berichte aus der Praxis, die zwar einen interessanten Einblick hinter die Kulissen der Produktion solcher Dokumentationen erlaubten, aber an wirklich Neuem und Interessanten kaum etwas zu bieten hatten. Dass für Programmplätze zur Prime-Time in der ARD ein gewaltiger Quoten- und Erfolgsdruck herrscht, ist wohl mittlerweile eher eine Binsenweisheit als bahnbrechende Erkenntnis. Dass Spiegel-TV um den jüngeren Zuschauer bemüht ist, verwundert bei der Tatsache, dass die privaten TV-Sender in Deutschland überwiegend von Spiegel-TV bedient werden, auch nicht. Sich auf einen Praxisbericht, diesen dann aber ausführlicher als hier, zu beschränken, wäre vermutlich sinnvoller gewesen. Problematisch war noch, dass auf dem Podium ein Vertreter der „Mutter aller Zeitgeschichtsredaktionen“, der ZDF Redaktion Zeitgeschichte unter der Leitung von Guido Knopp, fehlte. Auch wenn – wie Fabio Crivellari es formulierte – niemand in die „Feuilletonsportart des Knopp-Bashing“ verfallen wollte, so waberte doch der Mythos Guido Knopp wie ein Geist durch die Sektion.
Anmerkungen:
1 Institut für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht: <http://www.fwu.de/> (08.01.2007).
2 Mitteldeutscher Rundfunk.
3 Zentralkomitee der SED.
4 So auch der Titel eines Symposions, dass das Haus des Dokumentarfilms in Stuttgart am 21. April 2005 veranstaltete. Tagungsbericht unter: <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=768> (08.01.2007).