Folter: Quälen und Leiden in der Vormoderne

Folter: Quälen und Leiden in der Vormoderne

Organisatoren
Interdisziplinäre Arbeitsgruppe „Recht – Religion – Gewalt in vormodernen Gesellschaften“, Ruhr-Universität-Bochum (Leitung Prof. Dr. Nikolas Jaspert)
Ort
Bochum
Land
Deutschland
Vom - Bis
07.07.2006 - 08.07.2006
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Von
Ditte Gurack, Bochum

Folter und Gewaltexzesse sind in jüngerer Zeit wieder ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt. Auf Sensationswirkung gerichtete Medien apostrophierten diese Phänomene schnell als ‚vordemokratisch’ oder prophezeiten einen ‚Rückfall ins Mittelalter’. Demgegenüber hat sich die wissenschaftliche Forschung dem Thema noch erstaunlich selten gewidmet. Die Alte Geschichte untersuchte ‚Folter’ bisher vornehmlich unter rechtshistorischer Perspektive, die Mediävistik besonders im Kontext der Inquisition und der Rezeption des römischen Prozessrechts. Die frühneuzeitliche Geschichtswissenschaft behandelte dagegen Folter und Gewaltexzesse in zahlreichen Untersuchungen – unter anderem zur Strafpraxis, zu den Gräueln des 30jährigen Krieges sowie zu den Hexenverfolgungen. Vor diesem Hintergrund hat die interdisziplinäre Arbeitsgruppe „Recht – Religion – Gewalt in vormodernen Gesellschaften“, die seit einigen Jahren regelmäßige Tagungen, Symposien und Ringvorlesungen an der Ruhr-Universität-Bochum durchführt, am 7. und 8. Juli 2006 unter der Leitung von Nikolas Jaspert (Koordinatorin: Ditte Gurack) ein bestens besuchtes Symposium zu „Folter: Quälen und Leiden in der Vormoderne“ veranstaltet. Die Vortragenden haben das Thema unter verschiedenen Blickwinkeln und Ansätzen vom Alten Orient bis in die Frühe Neuzeit behandelt und den Bogen sogar bis zum Irak unserer Tage gespannt.

Dabei hat sich vor allem gezeigt, dass die Folter nicht nur als historische Praxis, sondern auch als literarische Figur ganz unterschiedliche Funktionen erfüllen konnte. So findet sich die Anwendung von Folter sowohl zur ‚Wahrheitsfindung’ in gerichtlichen Verfahren als auch in Form der Straf-, Hinrichtungs- und Erzwingungsfolter. Auch Themenbereiche, mit denen Folter in der Vormoderne im heutigen Bewusstsein meist verbunden ist, wie die Ritualmordverfahren gegen Juden, der Templerprozess und die Hexenprozesse, wurden unter neuen Fragestellungen in den Blick genommen. Anhand vermeintlicher und tatsächlicher Gewaltexzesse zur Kreuzzugszeit, im hussitischen Böhmen und in anderen Zusammenhängen wurde deutlich, dass Folter und Gewaltexzesse verschiedentlich dazu dienten, andere zu diffamieren oder das eigene Märtyrertum zu erhöhen. Topische Gewaltzuschreibungen wiederum konstruieren gegenüber religiös, politisch und ethnisch „Anderen“ Feindbilder, die als Legitimationsgrundlage für tatsächliche Gewalt fungieren konnten und können.

Nach der Hinführung zur Tagungsthematik durch Nikolas Jaspert hat Jörg Gerber sich im ersten Vortrag mit der Funktion der „Folter in den römischen Christenprozessen des 2. und 3. Jahrhunderts“ befasst und betont, dass dort nicht zum Zweck der Informationsbeschaffung gefoltert wurde, sondern um die Beschuldigten zu zwingen, das pagane Opfer zu vollziehen. Folter sollte demnach hier die Funktion erfüllen, die Christen wieder in die Gesellschaft eingliedern zu können. Der Althistoriker Walter Eder problematisierte den Widerspruch zwischen der Praxis der „Sklavenfolter“ und dem Prinzip der unbedingten Loyalität des Sklaven gegenüber seinem Herrn in der römischen Republik und während der Kaiserzeit. Dieses Vertrauen durfte als ein tragendes Fundament der römischen Gesellschaft nur angesichts besonders schwerer Vergehen von Seiten der Staatsgewalt infrage gestellt werden, beispielsweise bei Verdacht auf Bruch der Keuschheitsgelübde von Vestalinnen oder der Gefährdung der Res Publica durch Verschwörung.

Nach Ausweis des Alttestamentlers Christian Frevel existieren kaum Untersuchungen über „Folter im Alten Testament“, obwohl in ihm verschiedentlich Folter und häufiger noch brutale Gewaltexzesse beschrieben werden. Die zitierten Stellen lassen verschiedene Funktionszusammenhänge erkennbar werden. So fanden sich beispielsweise Beschreibungen von Ordalen im altorientalischen Prozessrecht, die durchaus die Form der Straffolter annehmen konnten. Demgegenüber dienten Darstellungen von Folter und blutigen Exzessen infolge von Kriegen wohl eher als fundierende Erzählungen der eigenen Religion und sind, ebenso wie typologische Beschreibungen von (Glaubens)martyrien, als funktionales Muster für das Selbstverständnis des Volkes Israel zu verstehen. In eine andere Richtung wies der Vortrag von Linda-Marie Günther zur Darstellung der Palastintrigen zur Zeit des „Herodes“. Kronzeuge des Beitrags war Flavius Josephus, dessen genaue und häufige Schilderungen der Folter vermutlich Unschuldiger zur Aufdeckung eines Mordkomplotts gegen den König in zweierlei Hinsicht interpretiert wurden: nicht nur im Zusammenhang mit politischen Auseinandersetzungen und der Rechtspraxis der Zeit, sondern auch als literarisches Stilmittel, mit dem Herodes als Archetypus des Despoten gezeigt und so diffamiert werden sollte. Unter dem Thema „Erzwungene Geständnisse in Ritualmordverfahren gegen Juden“ untersuchte der Mittelalterhistoriker Michael Oberweis die Anwendung von Folter als ‚Mittel zur Wahrheitsfindung’ im gerichtlichen Verfahren. Die Kammerknechtschaft schützte die Juden zwar nicht vollständig vor Pogromen und anderen Gewaltexzessen, aber die Folter wurde insgesamt nur selten gegen sie eingesetzt. Anhand dreier Beispiele aus dem 13. und 15. Jahrhundert wurde deutlich, dass den inkriminierten Juden gerade deshalb noch nicht einmal bekannt war, welche Geständnisse ihre Folterer erlangen wollten.

Einen wahrnehmungsgeschichtlichen Ansatz verfolgte Nikolas Jaspert, der nach theoretischen Überlegungen zur Unterscheidung zwischen Gewalt und Grausamkeit, „Gewaltexzesse der Kreuzzugszeit“ auf die Fragestellung hin vorstellte, welche Funktionen die vermeintliche Grausamkeit der Muslime und Christen für das Selbstverständnis der Christen erfüllte. Christliche Autoren wiesen nicht nur den Muslimen, sondern auch den eigenen Glaubensbrüdern brutale Handlungen zu; diese wurden jedoch dadurch sanktioniert, daß die Kreuzfahrer als Neues Volk Israel handelten und nach Meinung der Autoren durch den rechten Beweggrund (recta intentio) geleitet waren. Auch in dem Vortrag von Alexander Berner wurde die Anwendung der Folter als ‚Mittel zur Wahrheitsfindung’ im gerichtlichen Verfahren thematisiert und mit „Folter im Templerprozess“ ein weiterer Kontext behandelt, der uns heute als abschreckendes ‚Paradebeispiel’ dafür dient, wie eine fingierte Anklage durch erfolterte Geständnisse legitimiert und politisch instrumentalisiert wurde. Paradoxerweise galt den Zeitgenossen, die sprichwörtliche Tapferkeit der Templer als Garant für die Glaubwürdigkeit der Aussagen. Andreas Rüther referierte über die „Kriegserfahrungen und Brutalisierungen in der Hussitenzeit“ und zeigte auf, dass der Umgang der verfeindeten Gruppen mit den jeweils anderen große Grausamkeit aufwies. Der Vergleich zwischen altgläubigen und hussitischen Texten zeigte, dass die Hussiten und später der radikale Flügel der Taboriten ihre Gewaltexzesse mit dem Verweis auf die Brutalitäten ihrer Gegner (z.B. der Hinrichtung des Jan Hus) legitimierten – ebenso wie die Grausamkeiten der Hussiten umgekehrt zum zeitgenössisch-historiografischen Topos wurde.

Rainer Walz setzte sich mit der „Folter in Hexenprozessen“ auseinander und widerlegte anhand verschiedener Fallbeispiele aus dem Raum Lippe die These, nach der die angeklagten Frauen einen Identitätsverlust erlitten und sich infolge des Verfahrens auch selbst für Hexen gehalten hätten. Die Angeklagten gestanden (fast) alle erst unter der Folter und die Protokolle lieferten keine Bestätigung dafür, dass sie die Vorwürfe für sich selbst annahmen. Festzustellen seien lediglich die in der peinlichen Befragung widerstreitenden Strategien der Schmerzvermeidung (Geständnis) und Identitäts-, bzw. Ehrwahrung (Beteuerung der Unschuld). Die Vorträge wurden durch eine befruchtende Ausweitung der Perspektive auf die Neueste Zeit abgeschlossen. Kristin Platt vom Bochumer Institut für Diaspora- und Genozidforschung referierte über „Folter und Gewaltexzesse aus der Sicht der Genozidforschung“. Moderne Folter zeichne sich dadurch aus, dass sie, trotz ihres psychopathologischen Charakters, nicht von Psychopathen ausgeführt werde. Die Täter könnten vielmehr als ‚normal’, als psychisch eher unauffällig, bezeichnet werden. Nach ihren Erkenntnissen ist systematisierte Brutalität demnach untrennbar verbunden mit den jeweiligen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die die Grausamkeiten autorisieren, gebieten sowie institutionalisieren, und so ‚normale’(oft besonders ‚wertebewusste’) Mitglieder ihrer Gruppe dazu bewegen, diese auszuführen. Gerade auch seit dem 20. Jahrhundert ist zu belegen, dass militärische Führungsschichten auf wissenschaftliche Untersuchungen, Versuche und Theorien zurückgreifen, um beispielsweise die Bereitschaft der Soldaten zu töten zu erhöhen. Frau Platt wies zuletzt noch darauf hin, dass eben diese Ergebnisse zeigten, wie wichtig es sei, nicht nur die Gewalt an sich zu betrachten, sondern auch den ideellen, legitimatorischen und wissenschaftlichen Kontext von Folter und Gewalt. Mit einer angeregten Schlussdiskussion endete das Bochumer Symposium.


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