Der Spanische Bürgerkrieg im Zeitalter des "Totalen Kriegs" / The Spanish Civil War in the Age of Total War / La Guerra Civil Española en la Era de la "Guerra Total"

Der Spanische Bürgerkrieg im Zeitalter des "Totalen Kriegs" / The Spanish Civil War in the Age of Total War / La Guerra Civil Española en la Era de la "Guerra Total"

Organisatoren
Abt. für Neueste und Zeitgeschichte des Historischen Seminars der Ludwig-Maximilians-Universität München in Zusammenarbeit mit dem Instituto Cervantes München; Organisation und Leitung: Prof. Dr. Martin Baumeister (München) und Dr. Stefanie Schüler-Springorum (Hamburg)
Ort
München
Land
Deutschland
Vom - Bis
13.07.2006 - 14.07.2006
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Von
Albert Manke, Abteilung für Iberische und Lateinamerikanische Geschichte des Historischen Seminars, Universität zu Köln

Am 13. und 14. Juli 2006 fand in München eine internationale Tagung zum Thema "Der Spanische Bürgerkrieg im Zeitalter des 'Totalen Kriegs'" statt. Organisation und Leitung oblagen Prof. Dr. Martin Baumeister (München) und Dr. Stefanie Schüler-Springorum (Hamburg), denen es gelungen war, zu insgesamt 5 Themenschwerpunkten namhafte Experten der Geschichte des Spanischen Bürgerkriegs und der Weltkriege zu Vorträgen einzuladen.

Da sich im Juli 2006 der Ausbruch des Spanischen Bürgerkriegs zum 70. Mal jährte, ist das Interesse an einer Aufarbeitung jener tiefen Zäsur der spanischen Geschichte unter der aktuellen politischen Konstellation Spaniens größer denn je. Doch während die Debatte in Spanien weitgehend im Spannungsfeld der alten Fronten des Bürgerkriegs stattfindet, warf diese Tagung einen Blick aus internationaler Perspektive auf die Thematik: Der Spanienkrieg wurde im Kontext der aktuellen Weltkriegsforschung diskutiert. Zugleich wurde er als wichtiges Fallbeispiel eines modernen Bürgerkriegs in vergleichender Perspektive untersucht.

Zu Beginn setzte Roger Chickering (Washington, D.C.) mit seinem umfassenden Eröffnungsvortrag den Referenzrahmen für die folgenden Beiträge: Als Experte für die Geschichte des „totalen Kriegs“ formulierte er wertvolle Richtlinien für eine Untersuchung des Spanischen Bürgerkriegs unter der Leitfrage totaler Kriegführung bis in die Zeit der Weltkriege. Obwohl man, wie in der anschließenden lebhaften Diskussion einmal mehr deutlich wurde, auf diesem Feld wohl niemals zu einer konzisen Definition des „totalen Kriegs“ gelangen wird, gibt es doch Merkmale, die den Grad von Totalisierung indizieren. Anhand dieser Merkmale konnte Chickering überzeugend darlegen, dass der Spanische Bürgerkrieg unter militärischen und ökonomischen Gesichtspunkten nicht „total“ geführt wurde (mit Ausnahme des Einsatzes der Legion Condor). Auf sozialer, logistischer und ideologischer Ebene jedoch wurde der Krieg zunehmend „total“. Zivilisten wurden wie Soldaten behandelt: Militärische Befehlsstrukturen, Bestrafungen/Exekutionen, Partizipationspflicht und andere Mechanismen waren Folge einer "militarization of life in all territories it comprised". Dass diese Militarisierung im republikanischen Lager im Gegensatz zu der im franquistischen Lager durch die politische Fragmentierung sowie die Abneigung gegen ein professionelles Heer erst spät durchzusetzen war, trug, so Chickering, entscheidend zur Schwächung der Verteidigung der Republik bei.

Nach dieser äußerst gelungenen Eröffnung folgte die erste Sektion zum Thema "Military Command, Military Operations and Combat". Alaric Searle (Manchester) ordnete den Spanischen Bürgerkrieg in den Kontext der militärgeschichtlichen Diskussion in Europa ein, Sebastian Balfour (London) untersuchte den Zusammenhang von Kolonialkrieg und Bürgerkrieg. Nicht nur verdeutlichte er die Entwicklung einer grundlegend antirepublikanischen Einstellung der spanischen Kolonialtruppen in Marokko, sondern zeigte er auch, wie diese Kampfstrategien und Vernichtungstechniken aus dem Kolonialkrieg in den Bürgerkrieg übernahmen. Michael Seidman (Wilmington, North Carolina) interpretierte anhand individueller Erfahrungen von Soldaten die Auswirkungen der politischen Fragmentierung im republikanischen Lager als Folge eines "broken contract": Die Regierung sei ihrer Versorsorgungspflicht nicht nachgekommen, ein Umstand mit verheerenden Folgen für die Kampfmoral. Im franquistischen Lager hingegen habe die straff zentralisierte Befehlsstruktur zu einer effizienteren Nutzung und Verteilung der Ressourcen geführt.

In der Sektion "Violence and the Experience of War" ging es um Erfahrung und Repräsentation von Gewalt. José Luis Ledesma (Florenz/Zaragoza) untersuchte die Gewalt im republikanischen Lager zu Beginn des Bürgerkriegs. Er widersprach energisch der in Spanien immer noch kolportierten Rechtfertigung des nationalistischen Aufstandes durch den "red terror“. Erst der Staatsstreich mit seinen Säuberungen im Hinterland habe zur Entfesselung der Gewalt auf republikanischer Seite geführt. Im Beitrag Ledesmas wie in demjenigen von Javier Rodrigo (Madrid) spiegelten sich die politischen Fronten im heutigen Spanien. Rodrigos Vortrag, der aufgrund der Erkrankung des Autors verlesen wurde, behandelte die franquistische Gewalt während des Bürgerkriegs in den Kategorien Entgrenzung, Terror und Vernichtung. Stefanie Schüler-Springorum (Hamburg) untersuchte anhand visueller, journalistischer und literarischer Darstellungen des Spanischen Bürgerkriegs dessen Rezeption in NS-Deutschland und verwies dabei insbesondere auf die folgenreiche, massive Sexualisierung der Gewalt, die die nationalsozialistische Propaganda nicht nur von den Gräuelbildern und -geschichten des ersten Weltkriegs, sondern auch von der deutschen Freikorpsliteratur der Zwischenkriegszeit unterschieden habe.

Die letzte Sektion des ersten Tages "Memory and the Politics of History" war wie bereits der Eröffnungsvortrag einem breiten Publikum zugänglich. Walther Bernecker (Erlangen) beschrieb den schwierigen Weg Spaniens in der Bewältigung seiner durch Bürgerkrieg und Diktatur geprägten Vergangenheit. Dieser führe von der Geschichtsfälschung und Unterdrückung abweichender Meinungen in der Francozeit über den „Pakt des Schweigens“ zum Zweck der nationalen Versöhnung während der ersten Jahre der Demokratie bis zum Neubeginn einer Diskussion um die jüngste Vergangenheit im letzten Jahrzehnt, in der seit dem Jahr 2000 die Suche nach verschwundenen Opfern in Massengräbern im Rahmen neuer Bürgerbewegungen eine zentrale Rolle spielte.
Jordi Gràcia (Barcelona) zeigte parallel zu Bernecker diese Entwicklung am literarischen Umgang mit der Vergangenheit auf. Trotz der Zensur konnten bereits in den 1950er Jahren einige Autoren über die Verlierer des Bürgerkriegs schreiben. Während jener Zeit und verstärkt in den 1960er Jahren begannen viele Autoren wie Gonzalo Torrente Ballester und Camilo José Cela, sich von der Diktatur zu distanzieren. Der Topos der "victoria culpable", des "schuldigen Sieges" kam auf. Seit Beginn der Demokratie wird zunehmend versucht, die "dunkle Vergangenheit" zu erhellen und zu entmythisieren.
Jay Winter (Yale) befasste sich mit einem anderen Aspekt der kulturellen Rezeption des Spanischen Bürgerkriegs, dem berühmten Gemälde "Guernica" von Pablo Picasso, das jener im Auftrag der republikanischen Regierung für die Pariser Weltausstellung 1937 schuf. Während der französische Maler Raoul Dufy dort mit dem Monumentalgemälde "La Fée Electricité" das Zeitalter des naturwissenschaftlich-technischen Fortschritts pries, bildete "Guernica" dazu einen bitteren Kontrast, indem es eine elektrische Lampe als Verkörperung der todbringenden Macht der Technik in den Mittelpunkt stelle. Bis heute gilt Picassos Werk in seiner "universal language of suffering" als Symbol für die Greuel des Spanischen Bürgerkriegs und des Kriegs im Allgemeinen.

Der zweite Tag war zwei Themenbereichen gewidmet, die mit höchst unterschiedlichen Ansätzen behandelt wurden: Der erste befasste sich mit Detailanalysen des Bürgerkriegs unter der Leitfrage der „Culture of War"; der zweite hob den Blick auf die Makroebene, hin zu einer komparativen Perspektive europäischer Bürgerkriege. Till Kössler (München) eröffnete den ersten Block mit einem Vortrag zur Erziehung, Mobilisierung und den Erfahrungen von Kindern im Spanischen Bürgerkrieg. Er argumentierte, dass moderne Impulse im Umgang mit Kindern und der Kindererziehung, die sich in der Vorkriegszeit in beiden ideologischen Lagern durchgesetzt hatten, sowohl einen Zugriff der Kriegsparteien auf die Kinder förderte, als auch deren Mobilisierung und Militarisierung deutliche Grenzen setzten. Die neue Auffassung, dass Krieg die Kinderpsyche unwiederbringlich schädige, bestimmte insbesondere auf republikanischer Seite die Politik gegenüber den Kindern. Ismael Saz (Valencia) erörterte die bis heute verbreitete Interpretation des Spanischen Bürgerkriegs als Kampf zwischen Faschismus und Antifaschismus. In seinem Beitrag wurde die Bedeutung überkommener zeitgenössischer Deutungsmuster besonders augenfällig.
Mary Vincent (Sheffield) griff ein anderes zentrales zeitgenössisches Paradigma auf, die Stilisierung des Bürgerkriegs zum Religions-, zum „Heiligen Krieg“. Es gelang ihr in eindringlicher Weise die Plausibilität und Wirkungsmacht dieses Musters im Kriegsverlauf und gleichzeitig seine „Kanalisierung“ und Instrumentalisierung in der Zeit der Diktatur herauszuarbeiten.

In der letzten Sektion der Versuch unternommen, den Spanischen Bürgerkrieg mit anderen europäischen Bürgerkriegskonflikten der Ära der Weltkriege zu vergleichen. Frank Golczewski (Hamburg) beleuchtete Aspekte des Russisch-Ukrainischen Bürgerkriegs, insbesondere die Rolle der Ukraine. Dabei stellte er vornehmliche Gemeinsamkeiten mit dem spanischen Beispiel in Frage, die u.a. auf der Annahme einer klaren Trennung in ein "rotes" und ein "weißes" Lager in Analogie zur Frontstellung in Spanien basierten.
Gabriele Ranzato (Pisa) unterschied die Bürgerkriege in Russland, der Ukraine und in Griechenland sowie die bürgerkriegsartigen Kämpfe in Italien und Frankreich zwischen Partisanen und Kollaborateuren als direkte Folgen des Ersten bzw. Zweiten Weltkriegs. Den Spanischen Bürgerkrieg, den er als eine erste Stufe des Zweiten Weltkriegs sah, erörterte er in verschiedenen Aspekten, so in der Konstellation der großen Mächte, in der politisch-ideologischen Radikalisierung der Lager, sowie in der Totalisierung der Kriegführung. Ranzato schloss sich der häufig vertretenen Interpretation des Spanischen Bürgerkriegs als Stellvertreterkrieg an, differenzierte diese jedoch anhand der Totalitätskriterien Roger Chickerings.
Lutz Klinkhammer (Rom) erörterte den italienischen "Bürgerkrieg" der Jahre 1943-45 unter Aspekten der Vergangenheitspolitik und Geschichtskultur. Insbesondere am Beispiel Italiens, wo jahrzehntelang von Wiederstands- und Partisanenkrieg die Rede war, die Bezeichnung „guerra civile“ jedoch tabu blieb, wurde der perspektivische Charakter des Begriffs „Bürgerkrieg“ deutlich.
Den abschließenden Vortrag dieser Tagung hielt Stathis Kalyvas (Yale), der über den Griechischen Bürgerkrieg (1943-1949) referierte. Mit seinem Vortrag bot er einen Ansatz, der anhand sechs analytischer Parameter – internationaler Kontext, Ursachen, politische Akteure, Kriegsführung, Gewalt und Nachkriegsentwicklungen – den griechischen Fall mit dem Spanienkrieg verglich. Nicht der häufig geübte oberflächliche griechisch-spanische Vergleich, so Kalyvas, sei angemessen. Im Gegenteil sei eine komparative Analyse des Griechischen Bürgerkriegs mit den Konflikten im ehemaligen Jugoslawien, China und weiteren asiatischen Staaten, die ebenfalls aus lokalen Aufständen gegen fremde Besatzungen entstanden, sinnvoller und fruchtbarer.

Insgesamt war die Tagung nicht nur dank ihrer interessanten Vorträge, sondern ebenso durch die intensiven Diskussionen höchst informativ. Letztere konnten aufgrund der zeitlichen Dichte des Programms den großen Bedarf eines Austausches nicht immer decken, was jedoch einer hohen Konzentration exzellenter Beiträge zugute kam. Die hohe Qualität dieser Beiträge und insbesondere die gelungene Kombination verschiedener Perspektiven und Ansätze wurden dem Ziel der Tagung gerecht, die Sichtweise spanischer Diskurse um eine Analyse von außen zu erweitern und dadurch entscheidend zu bereichern. Die einzelnen Referate wurden jeweils durch kommentierende Spezialisten in die allgemeinen Debatten der Kriegs- und Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts eingebettet, zu der es von Seiten der Bürgerkriegsgeschichte bisher nur wenige Anknüpfungspunkte gab. In Deutschland sind Konferenzen im Bereich der iberischen Militärgeschichte bisher leider eine Ausnahme. Es bleibt zu hoffen, dass es nicht stets eines runden Jahrestages bedarf, um die Diskussion und den Austausch auf diesem Gebiet auf diese Art fortzuführen.
Besonderer Dank gilt neben den Organisatoren dem Instituto Cervantes, das nicht nur die hervorragenden Örtlichkeiten, sondern während öffentlicher Vorträge sogar Synchrondolmetscher zur Verfügung stellte, was dem Publikum die Teilnahme wesentlich erleichterte.


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