Missionsgeschichte als Wissenschaftsgeschichte. Die Dänisch-Hallesche Mission und die Forschung im Kontext interdisziplinärer Zusammenarbeit

Missionsgeschichte als Wissenschaftsgeschichte. Die Dänisch-Hallesche Mission und die Forschung im Kontext interdisziplinärer Zusammenarbeit

Organisatoren
Franckesche Stiftungen; Deutsche Gesellschaft für Missionswissenschaft
Ort
Halle
Land
Deutschland
Vom - Bis
30.08.2006 - 02.09.2006
Url der Konferenzwebsite
Von
Heike Liebau; Brigitte Klosterberg

Die Tagung „Missionsgeschichte als Wissenschaftsgeschichte. Die Dänisch-Hallesche Mission und die Forschung im Kontext interdisziplinärer Zusammenarbeit“, die vom 30. August bis 2. September 2006 in den Franckeschen Stiftungen in Halle an der Saale stattfand, reihte sich, neben mehreren Ausstellungen, einer Vortragsreihe und einer dreibändigen wissenschaftlichen Publikation in die vielfältigen Aktivitäten der Franckeschen Stiftungen im Jubiläumsjahr 2006 ein. Bereits seit 1997 organisieren das Gurukul-Lutheran Theological College & Research Institute in Chennai und die Franckeschen Stiftungen in Halle regelmäßig wissenschaftliche Konferenzen zu unterschiedlichen Aspekten des ersten protestantischen Missionsunternehmens in der protestantischen Kirchengeschichte in Halle bzw. Chennai. Kooperationsprojekte mit den indischen Partnern widmen sich der Erschließung der reichhaltigen Quellen zur Dänisch-Halleschen Mission. Neben den tamilsprachigen Palmblatt- und Papierhandschriften konnten so ca. 34.000 Briefe, Tagebücher und Berichte einzeln verzeichnet und differenzierte Findmittel erstellt werden (vgl. http://www.francke-halle.de/main/index2.php?cf=3_1_2_2). Auch die unter dem Namen „Hallesche Berichte“ periodisch erschienenen Missionsberichte wurden im Hybridverfahren im Auftrag der Franckeschen Stiftungen verfilmt und digitalisiert und sind über die Stiftungshomepage abrufbar (vgl. http://www.francke-halle.de/main/index2.php?cf=3_1_3_3_2). Angesichts dieser Konstellation war es für die Organisatoren der Tagung wichtig, sie sowohl hinsichtlich ihrer inhaltlichen als auch ihrer forschungsstrategischen Ausrichtung in diesen Kontext einzuordnen. An der Konferenz, an der sich die Deutsche Gesellschaft für Missionswissenschaft (DGMW) beteiligte und die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft maßgeblich unterstützt wurde, nahmen ca. 120 Wissenschaftler/innen aus neun Ländern (Indien, USA, Australien, Neuseeland, Südafrika, Niederlande, Dänemark, Schweiz, Deutschland) teil.

Hinter dem Titel „Missionsgeschichte als Wissenschaftsgeschichte“ verbarg sich das konkrete Anliegen, die Dänisch-Hallesche Mission oder (nach seinem Hauptwirkungsort in Südostindien) Tranquebarmission in den Kontext der Entwicklung von Wissenschaften im 18. Jahrhundert zu stellen. Mit der Wahl des Themas unterstrichen die Veranstalter ihr Bemühen, Missionsgeschichte nicht nur in einem engen Verständnis von kirchen- und religionsgeschichtlichen Zusammenhängen, sondern als Teil globaler sozial- und ideengeschichtlicher Entwicklungen zu sehen. Die Konzentration auf die Wechselwirkungen zwischen missionarischer Tätigkeit und der Herausbildung unterschiedlicher Wissenschaftsdisziplinen im 18. Jahrhundert berührt einen Bereich, in dem die Forschungen bisher kaum über punktuelle Fallstudien zur Würdigung einzelner herausragender Leistungen herausgingen. Im Zusammenhang mit der Neuperspektivierung des europäischen Wissens über die außereuropäische Welt im 18. Jahrhundert leisteten die Tranquebarmissionare einen maßgeblichen Beitrag zur Erforschung indischer Sprachen, Kulturen und Religion, aber auch zur Untersuchung von Naturphänomenen. Im 18. Jahrhundert wurden die Weichen für die Formierung der modernen Wissenschaften gestellt, und neue wissenschaftliche Erkenntnismethoden trugen zur „Entzauberung der Welt“ (Max Weber) bei. Ausgehend davon sollte während der Tagung untersucht werden, wie die damals noch vorhandene Verbindung von Naturforschung und Geschichtswissenschaften, aber auch Naturforschung und Theologie zur Symbiose von Mission und Wissenschaft beigetragen und wie Methoden von Forschung und Mission miteinander korrespondiert haben. Dazu zählten besonders Offenheit gegenüber dem „Fremden“, die Anerkennung von kulturell spezifischen Lebenswelten, aber auch die Sammlung und Systematisierung des Beobachteten. Primär sollte also der Frage nachgegangen werden, wann, unter welchen Voraussetzungen, in welcher Weise und in welchem Umfang Missionsgeschichte mit der Geschichte von Wissenschaften bzw. Missionsauftrag und Wissensdrang miteinander verbunden waren.

Inhalt und Verlauf
Unter der Überschrift "Die Erforschung Indiens und der Tranquebar-Mission des 18. und frühen 19. Jahrhunderts im Kontext missionswissenschaftlicher und wissenschaftshistorischer Fragestellungen" stimmten zunächst mehrere übergreifende Vorträge aus unterschiedlichen Blickwinkeln auf die Tagungsthematik ein. Der Eröffnungsvortrag "Bornierter Blick? Gegenseitige Wahrnehmung von Europäern und Asiaten im 17. und 18. Jahrhundert“ thematisierte Inhalte und Tendenzen, aber auch Missverständnisse und Grenzen der gegenseitigen Wahrnehmung von Europäern und Asiaten. Bezogen auf die Tranquebarmission betrachtete Wolfgang Reinhard, Freiburg/Erfurt, vor allem die Gestalt des ersten lutherischen Missionars Bartholomäus Ziegenbalg vor dem Hintergrund vorhergehender missionarischer Entwicklungen in Indien und in anderen Regionen der Erde. Wahrnehmung war nie ein einseitiges Phänomen. Ebensowenig blieb der „Bornierten Blick“ auf einer Seite beschränkt. Andreas Nehring, Erlangen, der leider aus gesundheitlichen Gründen nicht persönlich anwesend war, dessen Referat jedoch verlesen wurde, stellte grundsätzliche Überlegungen zur "Vereinbarung von Missionsstrategie und Forschungsdrang“ an, indem er die Frage nach dem Verhältnis von Glauben und Wissen bzw. von Theologie und Wissenschaft in ihren historischen Kontext stellte. Die Ideen der Aufklärung, die zu einer Trennung von Glauben und Wissen beigetragen hätten, führten zu wissenschaftskritischen Tendenzen in deutschen Missionskreisen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, wodurch die frühere Erforschung fremder Länder und Kulturen durch Missionare teilweise wieder disqualifiziert worden sei. Im Beitrag von Monica Junejya, Hannover, stand der verantwortungsvolle Umgang des Forschers mit Konzepten und Begriffen im Mittelpunkt. Sie mahnte an, sich dessen bewusst zu sein, dass wir jeweils in einer Sprache über Probleme mehrerer Kulturen sprechen und dabei die Gefahr besteht, schon durch den Einsatz von Begriffen einer bestimmten Sichtweise den Vorzug zu geben. Britta Klosterberg, Halle, spannte in ihrem Vortrag zum „Aktuellen Forschungsstand zur Dänisch-Halleschen Mission“ einen Bogen, beginnend mit dem aus Anlass des 250. Jahrestages des Beginns protestantischer Missionstätigkeit in Indien erschienen Werk des halleschen Missionswissenschaftlers Arno Lehmann „Es begann in Tranquebar“ bis hin zur im August 2006 erschienenen dreibändigen Publikation „Halle and the Beginning of Protestant Christianity in India“. Jürgen Gröschl, Halle, rief mit seiner anschaulichen Darlegung der in den Franckeschen Stiftungen seit einigen Jahren erfolgreich laufenden Erschließungs- und Katalogisierungsarbeiten sowie vor allem mit seinen Erläuterungen zu den daraus entstandenen umfassenden Internet-Recherchemöglichkeiten Hochachtung und Interesse unter den anwesenden Forschern hervor.

Historisch betrachtet erwuchs die wissenschaftliche Tätigkeit im Kontext einer christlichen Mission aus konkreten, teilweise missionsstrategischen Erfordernissen und lässt sich somit auch im Rückblick der Forschung nicht von einer Betrachtung der täglichen missionarischen Arbeit abkoppeln. Gleichwohl unterlag sie gewissen eigenständigen Erfordernissen, beginnend mit dem Ausbildungsstandard der Missionare, über die Haltung europäischer Unterstützergruppen, bis hin zu besonderen strukturellen und institutionellen Voraussetzungen im Missionsgebiet. Im zweiten Teil der Tagung standen daher Fragen der missionarischen Infrastruktur, die den organisatorischen Rahmen für das wissenschaftliche Arbeiten unter dem Dach der Mission darstellte, im Zentrum der Debatten. Einen Schwerpunkt bildete die inhaltliche und personelle Organisation der unmittelbaren Forschungsarbeiten, die wie das Missionieren in Zusammenarbeit von europäischen Missionaren und indischen Informanten und Mitarbeitern erfolgte. Wie Robert F. Frykenberg, Madison, betonte, wissen wir leider immer noch zu wenig über die tamilischen Gelehrten, Übersetzer, Lehrer oder Informanten, deren Bedeutung im Kontext der missionarischen wissenschaftlichen Arbeit, insbesondere in den Bereichen Religion und Sprachen, nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. R. F. Frykenberg betrachtete die wechselvollen ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts in der europäischen Missionstätigkeit in Thanjavur aus der Sicht Vedanayakam Sastris, eines selbstbewussten, kritischen indisch-christlichen Denkers.

Trotz der großen Entfernungen zwischen den missionstragenden Einrichtungen in Europa und den Missionaren vor Ort in Indien nahm die europäische Seite, wo immer sie es für das missionarische Ziel für angebracht hielt, auf die Gestaltung der wissenschaftlichen Arbeiten Einfluss. Das missionarische Forschen unterlag zudem einer besonderen ständigen Skepsis. Dabei spielte die Übersetzungstätigkeit eine Sonderrolle, hatte sie doch neben einem starken religiös-missionarischen auch einem weltlichen, nämlich sprachwissenschaftlichen, Aspekt. Rekha Kamath, New Delhi, untersuchte in ihrem Beitrag den Einfluss der Wechselwirkungen zwischen Indien und Europa auf die Übersetzungspraktiken der Missionare.

Wenn von Infrastruktur und institutionellen Voraussetzungen der christlichen Missionstätigkeit im 18. Jahrhundert die Rede ist, rücken unterschiedliche Arten von Netzwerken in das Blickfeld des Forschers. Zwar lieferten Ulrike Gleixner, Berlin, die anhand der Versandlisten der Halleschen Berichte und von Spendenlisten Netzwerke der Unterstützer in Halle rekonstruierte, und Heike Liebau, Berlin, die die unterschiedlichen Finanzierungsquellen für die Missionsschulen in Indien aufzeigte, zwei anregende Beiträge. Doch scheint es gerade hier notwendig zu sein, künftig in größeren Zusammenhängen zu denken und bei Projektplanungen sowohl Untersuchungen zu den europäischen Verhältnissen, d.h. zu den Netzwerken in und um die Franckeschen Stiftungen in Halle, als auch zu den südindischen missionarischen Kommunikationssystemen und Netzwerken, beispielsweise in den Bereichen Buchdruck oder Wissenschaft, parallel in den Blick zu nehmen und beide Perspektiven stärker miteinander zu verknüpfen.

Obwohl die Missionsinfrastruktur nicht das zentrale Thema dieser Tagung war, zeigte sich in den Diskussionen zu den Beiträgen, wie wichtig die Aufarbeitung dieser Strukturen nicht nur für die Einordnung des Missionsgeschehens in den historischen indischen und europäischen Kontext, sondern auch für die Bewertung der wissenschaftlichen Arbeiten der Missionare und der indischen Mitarbeiter ist.

Den Hauptteil der Tagung bildete der interdisziplinäre Dialog zu konkreten Themen und Quellen. Wichtige, unter dem Dach der Tranquebarmission erbrachte wissenschaftliche Leistungen wurden mit der Geschichte verschiedener Wissenschaftsdisziplinen in Beziehung gesetzt. Dazu wurde zum einen Bekanntes unter der Fragestellung der Tagung und gemessen an aktuellen einschlägigen Forschungsergebnissen neu in den Blick genommen. Zum anderen wurden bisher weniger bekannte oder unbekannte Missionsquellen naturwissenschaftlicher Provenienz vorgestellt und gezeigt, warum und in welcher Weise diese Quellen Neues und Einzigartiges bieten und demzufolge wichtige Ergänzungen zu anderen Quellenbeständen zu Südindien darstellen.

Sprachforschungen
Den ersten wissenschaftsgeschichtlichen Schwerpunkt im Rahmen der Tagung bildeten die Forschungen der Tranquebarmissionare zu den Sprachen Südindiens. Zu den wissenschaftlichen Leistungen der Missionare zählen entsprechend ihrer missionarischen Ambitionen vor allem Übersetzungen christlicher Texte in die drawidischen Sprachen Tamil und Telugu. Dazu gehören aber auch Übersetzungen lokaler Texte in europäische Sprachen sowie sprachtheoretische und –vergleichende Studien, die teilweise von europäischen Sprachwissenschaftlern weiter verarbeitet wurden. Rahul Peter Das, Halle, führte in diesen Themenkomplex ein, indem er die Problematik der Subjektivität von Sprachforschungen aufwarf und allgemeine Betrachtungen zu (Sprach)geschichte als erzählender Geschichte und zu Sprachstudien als Teil eines zeitgenössischen sozialen Diskurses anstellte.

Dieser Gedankengang fand sich teilweise wieder im Beitrag von Adapa Satyanarayana, Hyderabad, zu den Sprachforschungen des Missionars Benjamin Schultze (1689-1760). A. Satyanarayana versuchte, eine Verbindung zwischen dem Umgang des Missionars mit Sprache(n) und seiner Haltung zu gesellschaftlichen Phänomenen in seinem missionarischen Wirkungsgebiet herzustellen. Schultze, der sich in seinen Telugu-Studien mehr der Umgangssprache als der Hochsprache widmete, wandte sich - so Satyanarayana - in seiner missionarischen Arbeit gegen Kastenunterschiede und setzte sich für sozial benachteiligte Gruppen ein.

Benjamin Schultze, einer der interessantesten, aber gleichzeitig einer der umstrittensten Missionare, spielte auch eine Rolle im Beitrag von Hanco Juergens, Nijmegen, der sich dem „internationalen, interkonfessionellen Sprachenprojekt“ der Tranquebarmission aus dem Blickwinkel der Sozialgeschichte (der Texte und der Sprachen) näherte. Die Sprachforschungen der deutschen Missionare seien als eine Art Netzwerkarbeit zu verstehen, die sowohl unter diachronen als auch synchronen Gesichtspunkten zu untersuchen sei. Sie seien sowohl von der oralen und schriftlichen Tradition in Südindien als auch durch die Sprachstudien, die Angehörige anderer Nationen und Konfessionen in Südindien betrieben haben, beeinflusst worden und haben ihrerseits auf die Sprachkenntnisse und –forschungen sowohl der Inder als auch anderer in Indien tätiger Europäer Einfluss ausgeübt.

Obgleich die Missionare der Dänisch-Halleschen Mission wichtige Grundlagen für die Erforschung der südindischen Sprachen gelegt hatten, wurden diese Arbeiten von späteren Missionaren und Sprachforschern nicht immer aufgegriffen und weiter entwickelt. Ein Missionar des 19. Jahrhunderts, der sprachwissenschaftliche und religiöse Studien miteinander kombinierte, war Robert Caldwell, der eine vergleichende Grammatik schrieb und erstmals in der Geschichte der Sprachwissenschaft den Begriff „drawidisch“ verwandte. Susan Alexander und Vincent Kumaradass, Tambaram/Chennai, brachten mit ihrem Beitrag über die Studien Caldwells eine Langzeitperspektive in die Diskussion, die eine differenziertere Wertung und wissenschaftliche Einordnung früher missionarischer Forschungen ermöglicht.

Forschungen zu Religion und Gesellschaft
Einen vergleichbaren Blickwinkel nahm Geoffrey A. Oddie, Sydney, mit seinem Vortrag über den missionarischen Beitrag zur Erforschung der indischen Religionen ein, indem er zum einen die Forschungen eines langen Zeitraums, nämlich des 18. und 19. Jahrhunderts, zum anderen eine weitere bedeutende Missionsregion Indiens, nämlich Bengalen, in seine Darstellung einbezog. Zwar ist bekannt, dass es intensive Kontakte zwischen den frühen Missionsstationen in Tamilnadu und denen in Bengalen geben hat, doch kann die Forschung viele Fragen, vor allem hinsichtlich der langfristigen inhaltlichen Auswirkungen dieser Kontakte, immer noch nicht befriedigend beantworten.

Bei den Betrachtungen der Tranquebarmissionare zur südindischen Religion und Gesellschaft stehen ohne Zweifel die Forschungen des ersten Missionars Bartholomäus Ziegenbalg (1682-1719) immer wieder im Mittelpunkt der Betrachtungen. Gita Dharampal-Frick, Heidelberg zeigte, dass sich die proto-ethnographischen Abhandlungen Ziegenbalgs über die indische Gesellschaft – trotz ihres spezifisch missionarischen Blickwinkels – als eine „oral history“ des südindischen Raums verstehen lassen. Ziegenbalg zeichnete ein authentisches Bild von der tamilischen Gesellschaft zu Beginn des 18. Jahrhunderts, das mit dem klassischen Modell der Kasten, das seit dem 19. Jahrhundert als typisches und zentrales Merkmal der indischen Gesellschaft festgeschrieben worden sei, nur bedingt übereinstimme. Will Sweetman, Dunedin, lieferte in seiner „Darstellung südindischer Glaubensvorstellungen in den Arbeiten Hallescher Missionare“ unter anderem eine mögliche Begründung für die „Unantastbarkeit“ und die „Konjunktur“ Ziegenbalgs in den Forschungen zur Tranquebarmission. Nach ihm, so W. Sweetman, gab es kaum Missionare, die längere zusammenhängende Studien zum Hinduismus lieferten. Er stellte die Frage, inwieweit das eher der europäischen Zensur, denn dem Unvermögen oder Desinteresse der Missionare geschuldet war. Eine Ausnahme bildete Christoph Theodosius Walther (1699-1741), dessen Schaffen künftig stärker in das Blickfeld der Forschungsinteressen rücken sollte.

Ester Fihls, Kopenhagen, interessanter Versuch, einen Vergleich zwischen den frühen Missionaren als Ethnologen und der ethnologischen Forschung in Tranquebar heute zu ziehen, brachte der ansonsten historisch ausgerichteten Tagung einen wichtigen Bezug zur Gegenwart. Sie untersuchte, in welcher Weise die Missionsberichte aus Indien im 18. Jahrhundert und die „NGO reports“ über die Tsunami-Katastrophe 2004, die auch Tranquebar heimsuchte, in der Beschreibung der Inder und ihrer Kultur europäische Denkweisen widerspiegeln.

Ein gemeinsamer Programmpunkt der DGMW und der Franckeschen Stiftungen war eine Abendveranstaltung am zweiten Konferenztag. Michael Bergunder, Heidelberg, sprach über „Christentum und südindische Missionsgeschichte“. Bezug nehmend auf das 19. und 20. Jahrhundert, plädierte er dafür, Bekehrung auch als Widerstand gegen soziale und religiöse Benachteiligung zu betrachten. Folgerichtig prägte M. Bergunder den Begriff des „sich Bekehrenden“ und betonte damit das aktive und bewusste Agieren der Konvertiten selbst.

Wenn man über missionarische Betrachtungen zu den lokalen Gesellschaften spricht, spielen geographische Arbeiten oft eine bedeutende Rolle. Geographische Aufzeichnungen waren eine Begleiterscheinung der missionarischen Wanderungen und Reisen. Allerdings müsse deren Beitrag zur Entwicklung der europäischen Geographie und Kartographie Indiens im 18. Jahrhundert insgesamt, so Michael Mann, Hagen, der sich mit den kartographischen Leistungen der Tranquebarmissionare auseinandersetzte, als eher gering eingeschätzt werden. Inwieweit dieses Urteil eventuell doch zu modifizieren ist, wird sich erst nach weiteren umfassenden Detailstudien zeigen, die neben dem vorhandenen Kartenmaterial eine breite textliche Grundlage, d.h. die geographische und soziale Beschreibung der einzelnen bereisten Orte, in die Forschungen einbeziehen.

Forschungen zu Natur und Medizin
Einen Exkurs in eine fremde Wissenschaftswelt stellte der Vortrag von Brigitte Hoppe, München, für die meisten Tagungsteilnehmer dar. Sie schlug einen großen Bogen „von der Naturgeschichte zu den Naturwissenschaften“ und umriss somit den Platz der missionarischen naturwissenschaftlichen Forschungen vor diesem historischen Hintergrund. Ihre Verweise auf zahlreiche - mit missionarischen Beiträgen entstandene - botanische Sammlungen in verschiedenen europäischen Institutionen unterstrichen einmal mehr die Notwendigkeit der Zusammenarbeit zwischen den Disziplinen.

Überzeugend dargelegt wurde dieser Zusammenhang zwischen Quellen missionarischen Ursprungs und naturwissenschaftlichen Sammlungen am Beispiel des Missionars Christoph Samuel John, dem zwei ganz unterschiedliche Vorträge gewidmet waren. Karsten Hommel, Leipzig, dokumentierte anhand der zoologischen Studien Johns die Verbindung zwischen Naturforschung und theologischem Verständnis in der Selbstsicht des Missionars. In seinem Beitrag, der mit großem Interesse aufgenommen wurde, konnte K. Hommel nachweisen, dass Johns Naturkonzept auf Ideen der Physikotheologie beruhte, die von ihm durchaus missionsstrategisch eingesetzt wurde. Zu den beeindruckenden Ergebnissen des Johnschen physikotheologischen Engagements zählt eine faszinierende Kollektion von Fischpräparaten aus Südostindien im Museum für Naturkunde, Berlin, die Hannelore Landsberg, Berlin, vorstellte. Als Bestandteil der Sammlung von Markus Elieser Bloch, mit dem John eine intensive wissenschaftliche Korrespondenz führte, sind diese Objekte ein Beispiel für die zahlreichen direkten Kontakte einzelner Missionare zu Gelehrten in Europa. Hinweise auf derartige Kontakte sind zwar in den Missionsberichten und Briefen enthalten, deren Umfang und Ergebnisse sind aber oftmals von dort aus nicht überschaubar und bedürfen der unmittelbaren Rückkopplung mit den „Spezialquellen“.

In dieser Hinsicht sind möglicherweise auch auf dem Gebiet der medizinischen Forschungen noch Überraschungen zu erwarten, auch wenn der lange verschollen geglaubte „Medicus Malabaricus“ von Johann Ernst Gründler (1677-1720), eine Darstellung tamilischer Volksmedizin zu Beginn des 18. Jahrhunderts, inzwischen wieder entdeckt wurde und nun der Bearbeitung durch Spezialisten harrt. Josef N. Neumann, Halle, brachte einen neuen Blickwinkel in die Diskussion, indem er neben den medizinisch interessierten und arbeitenden Missionaren auch die ausgebildeten Missionsärzte einbezog, die seit 1730 regelmäßig nach Tranquebar ausreisten. Während erstere vor allem in den Anfangsjahren der Mission um ein Verstehen lokaler Heilmethoden bemüht waren und darüber auch nach Europa berichteten, ging es den Ärzten eher um die Verbreitung und Anwendung der zeitgenössischen europäischen Medizin in Indien.

Aus indischer Perspektive näherte sich Indira Viswanathan Peterson, South Hadley, dem Thema Naturforschungen im Missionskontext. Im Mittelpunkt ihrer Ausführungen standen die naturwissenschaftlichen Ambitionen des Rajas von Thanjavur, Serfoji II, der seine Bildung und Erziehung im Umfeld der Dänisch-Halleschen Mission erlangte. Von den Missionaren Christian Friedrich Schwartz und Christian Wilhelm Gericke erzogen und ausgebildet, widmete sich Serfoji sein Leben lang selbst naturwissenschaftlichen und musischen Studien und eröffnete nach dem Modell der Franckeschen Stiftungen in Halle einen „room of science and curiosities“ sowie eine Bibliothek in seinem Palast in Thanjavur. Trotz der persönlichen Nähe zu den Halleschen Missionaren trat Serfoji nicht zum Christentum über, praktizierte aber stets eine tolerante und offene Haltung gegenüber europäischem Gedankengut.

Ergebnisse und Schlussfolgerungen
Insgesamt war während der gut besuchten Konferenz ein lebendiges Interesse der internationalen und interdisziplinären Forschung an dem Thema der Tranquebarmission zu spüren, das durch zukünftige wissenschaftliche Projekte und gemeinsame Tagungen kontinuierlich weiter befördert werden sollte. Die Diskussionen zeigten nicht zuletzt, dass der Wunsch und die Bereitschaft zu einem regelmäßigen Austausch über laufende und geplante Forschungsprojekte und nach internationaler interdisziplinärer wissenschaftlicher Kooperation besteht. Der wissenschaftliche Austausch würde auch dadurch erleichtert, wenn maßgebliche Werke der Sekundärliteratur vom Deutschen ins Englische übersetzt und Forschungsprojekte über ein Online-Informationssystem jedem interessierten Wissenschaftler bekannt gemacht würden.

Die Bandbreite der während der Tagung präsentierten empirischen Beiträge sowie die unterschiedlichen methodischen Zugänge der Redner ließen sowohl Forschungsdesiderata erkennen als auch neue Forschungsperspektiven deutlich werden.

Obgleich sich auch zahlreiche Tagungsbeiträge auf die Gestalt des ersten Missionars, Bartholomäus Ziegenbalg, konzentrierten, rückte die Betrachtung der naturwissenschaftlichen Betätigung stärker die Missionare der späteren Generationen in den Focus wissenschaftlichen Interesses. Allerdings wurde bei diesem Bemühen einmal mehr deutlich, dass aus diesen Zeitsegmenten kaum edierte Quellentexte zur Verfügung stehen. Die Erarbeitung quellenkritischer Editionen aus dem Umfeld der Tranquebarmission bleibt also weiterhin ein bedeutendes Forschungsdesiderat.

Die Missionare konnten sich wissenschaftlich betätigen, weil sie sowohl in Europa als auch in Indien auf eine Infrastruktur stießen, durch die das Missionsunternehmen unterstützt wurde. Künftige Studien zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Dänisch-Halleschen Mission müssten einhergehen mit einer Untersuchung dieser personellen und institutionellen Netzwerke, die die Mission in Europa trugen, und in Indien missionarisches Wirken ermöglichten. Dies stellt - in Bezug auf die indische Missionsgeschichte - ein neues wissenschaftliches Betätigungsfeld dar, das mit Methoden der soziologischen Netzwerktheorie aufgearbeitet werden könnte. Die existierenden Quellen zur Dänisch-Halleschen Mission sowie zum Halleschen Pietismus lassen derartige Studien sowohl für die europäische als auch für die indische Seite zu. Der Gedanke, auf den Paul Jenkins (Basel) in der Diskussion verwies, wonach missionarische Kooperation in Indien im 18. und beginnenden 19. Jahrhundert immer auch als Teil europäischer Kooperationsbeziehungen gedacht werden müsse, sollte bei Projektplanungen eine wesentliche Rolle spielen.

Die Tagung in Halle hat einen möglichen Weg in Richtung einer umfassenden interdisziplinär und international vernetzten Forschungszusammenarbeit zum Umfeld der Tranquebarmission im weiteren Sinn gewiesen. Dieser sollte nicht unbeachtet bleiben, sondern durch künftige interdisziplinäre und internationale Tagungen und Forschungsprojekte weiter begangen werden.

Kontakt

Dr. Britta Klosterberg
Franckesche Stiftungen zu Halle (Saale)
Studienzentrum August Hermann Francke
Franckeplatz 1, Haus 22-24
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Tel.: 0345 21 27 412
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