Päpste und Papsttum als Gegenstand medialen Interesses (20. Jahrestagung des SAK)

Päpste und Papsttum als Gegenstand medialen Interesses (20. Jahrestagung des SAK)

Organisatoren
Schwerter Arbeitskreis Katholizismusforschung (SAK)
Ort
Schwerte
Land
Deutschland
Vom - Bis
10.11.2006 - 12.11.2006
Url der Konferenzwebsite
Von
Nicole Priesching, Münster; Andreas Henkelmann, Bochum

Zur 20. Jahrestagung des Schwerter Arbeitskreises Katholizismusforschung (SAK) versammelten sich vom 10. – 12. November 2006 ca. 40 (Kirchen-)Historikerinnen und Historiker. In bewährter Kooperation mit der Katholischen Akademie Schwerte stand die Tagung unter der Leitung von Gisela Fleckenstein (Brühl) und Joachim Schmiedl (Vallendar). Thema der Generaldebatte war in diesem Jahr „Päpste und Papsttum als Gegenstand medialen Interesses“.

Den Eröffnungsvortrag hielt Nicole Priesching (Münster) über das Thema „Die Verurteilung der Sklaverei unter Gregor XVI. im Jahre 1839 – ein Traditionsbruch?“, in dessen Zentrum das Apostolische Schreiben „In Supremo“ stand. Dabei ging sie auf Vorbilder, Anlass und Rezeptionsgeschichte des Schreibens ein. Obwohl „In Supremo“ den transatlantischen Sklavenhandel (wenn nicht sogar die Sklaverei selbst) erstmals verurteilt habe, stellte sich Gregor XVI. explizit in die Tradition seiner Vorgänger, was Priesching einer kritischen Prüfung unter Einbeziehung der jeweiligen Situationen in der Neuen und Alten Welt unterzog. In Amerika habe das Schreiben schließlich eine Debatte über die Frage ausgelöst, ob die Kirche Sklaverei an sich stets verurteilt habe oder nicht. Während Abolitionisten den Papst zu einem der ihren erklärten, hätten sich katholische Bischöfe aus dem Süden der USA vehement gegen eine solche Lesart gewehrt.

Der erste Vortrag zum Thema der Generaldebatte wurde am Samstag von Jörg Seiler (Koblenz) gehalten. Er untersuchte das Bild von Papst Pius IX. in der Rottenburger Bistumszeitung (das Katholische Sonntagsblatt) und zeigte, wie mit dieser Form von Berichterstattung „die Voraussetzungen einer ultramontan gelenkten Realitätsauffassung“ geschaffen wurden. Bei der Beschreibung dieses Papstbildes ging Seiler besonders auf den Körper des Papstes, der sich wegen seiner Hinfälligkeit als Inszenierung für die Leiden der Universalkirche anbot, sowie auf die Aura des Papstes bei Audienzen und Massengottesdiensten ein.

René Schlott (Berlin) stellte die Ergebnisse seiner publizierten Magisterarbeit über „die Friedensnote Papst Benedikts XV. vom 1. August 1917 in der Berliner Tagepresse“ vor. Nachdem er die günstige Situation für die Friedensinitiative im ersten Halbjahr 1917 beleuchtet hatte, ging Schlott auf Inhalt und Wirkung des Schreibens ein. Ziel seiner Arbeit sei es darzulegen, wie die Note in der öffentlichen Meinung des Kaiserreichs beurteilt worden sei. Dafür habe er sieben Zeitungen, die das politische Spektrum abdeckten, im Zeitraum vom 18. August bis 22. September 1917 ausgewertet: Die Tägliche Rundschau, die Kreuzzeitung, die Germania, die Vossische Zeitung, das Berliner Tageblatt, der Vorwärts und das unpolitische Boulevardblatt B.Z. am Mittag. Bei der Beurteilung ließen sich zwei Lager ausmachen: Ablehnung der konservativen Zeitungen, ansonsten Zustimmung. Das Scheitern der Friedensinitiative an den realen Machtverhältnissen (v.a. die Belgienfrage) habe also nicht von der Mehrheit der öffentlichen Meinung verhindert werden können.

Um die Saargeschichte nach 1945 als eine deutsche Sonderwegsgeschichte ging es im Beitrag von Judith Hüser (Saarbrücken), der eingepasst in das Thema der Generaldebatte den Titel trug: „’Der Papst vor Ort’ – medial vermittelte Präsenz und politische Instrumentalisierung im autonomen Saarland, 1945-1955.“ Am 22. Mai 1948 kündigte die Saarländische Volkszeitung (Parteiorgan der Christlichen Volkspartei) die baldige Ankunft eines „Sonderkommissars des Hl. Vaters“ an. Es kam Michael Schulien, der im Auftrag von Pius XII. eine unparteiische Vermittlerrolle für den Frieden in Europa übernehmen sollte. Schließlich sollte das Saarland nach Ansicht des Papstes eine Brücke zwischen Deutschland und Frankreich bilden. Nach Hüser hatte Schulien jedoch große Mühe, die Indienstnahme von Religion zu „wahlpolitischen Zielen“ zu verhindern. Aus dem Beobachter sei zunehmend ein Objekt der Beobachtung geworden.

Anschließend berichtete Till Kössler (München) über sein Forschungsvorhaben zum Thema Katholizismus und Erziehung in Spanien 1900-1939. Der Vortrag ging der Frage nach, wie die katholischen Pädagogen und Erziehungseinrichtungen auf die Politisierung von Erziehungsfragen und die wissenschaftliche Herausforderung der neuen Pädagogik im frühen 20. Jahrhundert reagierten. Er argumentierte, dass eine Sichtweise, die katholische Erziehung als allein traditionsverhaftet und fortschrittsfeindlich begreift, dem komplexen Wandel katholischer Bildungsanstrengungen im 20. Jahrhundert nicht gerecht werde. Vielmehr wandelte sich katholische Erziehung seit 1900 unter dem Einfluss neuen pädagogischen und psychologischen Wissens und veränderten Ansprüchen des katholischen Bürgertums als Bildungskunden. Einerseits öffneten sich so katholischen Schulen gegenüber der modernen Industriegesellschaft. Andererseits war die Adaption moderner Pädagogik verbunden mit dem Versuch der Kirche, einen umfassenderen Zugang zu der Persönlichkeit des Schülers zu erlangen und sie in die katholische Mobilisierung gegen die weltlichen Kräfte zu integrieren.

Martin Dröge (Paderborn) präsentierte die Ergebnisse seiner Magisterarbeit über das katholische Milieu und die politischen Lager in Arnsberg in den 1860er und 1870er Jahren. Die Teilung der städtischen Gesellschaft in zwei feindliche Lager entstand während des Untersuchungszeitraumes aufgrund der Konflikte zwischen Katholiken und Nationalliberalen. Vor diesem Hintergrund kritisierte Dröge die These von Olaf Blaschke, der das 19. Jahrhundert als „Zweites Konfessionelles Zeitalter“ deutet. Die Auseinandersetzungen in Arnsberg ließen sich so nicht erklären, da sich das nationalreligiöse Denksystem nicht als Konfession verstanden habe.

Am Nachmittag nahm Antonius Liedhegener (Jena) mit seinem Beitrag über „Papsttum und Demokratie seit 1944/45“ das Thema der Generaldebatte wieder auf. Während im 19. und frühen 20. Jahrhundert die Konflikte und das Misstrauen gerade des Papsttums im Blick auf die Anfänge der Demokratisierung Europas überwogen hätten, sei die zweite Hälfte des kurzen 20. Jahrhundert von einer erstaunlichen Neupositionierung der katholischen Kirche in der modernen Welt geprägt gewesen. Diese Neupositionierung verbinde sich im Wesentlichen mit dem II. Vatikanum, das von Johannes XXIII. angestoßen wurde. Die Aussagen des Konzils betrafen auch und besonders das Verhältnis der Weltkirche zur Demokratie als staatlicher Herrschaftsform. Dieser Wandel im Zuge des Pontifikats Johannes XXIII. und des Konzils hatte, wie Liedhegener in seinem Beitrag anschaulich zeigt, erhebliche Auswirkungen auf die weltpolitische Rolle Pauls VI. und Johannes Paul II. Generell sei die katholische Kirche und das Papsttum im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts so zu einem wichtigen Faktor für den Erfolg der dritten Welle der Demokratisierung geworden. Erst diese dritte Welle der Demokratisierung habe die moderne Demokratie wirklich zu einem globalen Phänomen werden lassen.

Der Kommentar zur Generaldebatte von Joachim Schmiedl (Vallendar) verwies zunächst darauf, dass der Vatikan seit der Mitte des 19. Jahrhunderts als Medienproduzent auftrat, obwohl bis zu den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts das Verhältnis zur Pressefreiheit nur als gespannt bezeichnet werden kann. Wie die Internet-Präsenz zeigt, ist der Vatikan dabei bis heute auf dem neusten Stand geblieben. Außerdem ging Schmiedl auf die Bedeutung der Ikonographie des Papsttums ein und hob hervor, dass ein Papstauftritt in Verbindung mit der Sinnenhaftigkeit der katholischen Liturgie immer einen hohen Reiz auf die Medienöffentlichkeit ausgeübt hat. Umgekehrt fungierte die mediale Darstellung des Papstes aber auch als identitätsstiftend, wie etwa die mediale Darstellung päpstlicher Krankheits- und Sterbeprozesse zeigt. Abschließend machte Schmiedl auf das Verhältnis des historischen Ereignisses zu seinem Niederschlag in den Quellen aufmerksam und betonte, dass auch die päpstliche Medienpräsentation den normalen Gesetzlichkeiten der Zensur unterliegt, die sowohl vom Sender als auch vom Empfänger ausgehen kann.
Am Samstag Abend hielt der Kirchenhistoriker Jochen-Christoph Kaiser (Marburg) in seiner Funktion als Vorsitzender des Arbeitskreises für Protestantismusforschung, der sich im Jahr 2000 in Anlehnung an den SAK gegründet hatte, eine Rückschau auf die Anfänge des Kreises.1
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Die Vorträge am Sonntagvormittag griffen unterschiedliche Themen auf. Jochen Krenz (Würzburg) stellte sein Dissertationsprojekt zur Rezeption der Kirchenpolitik in der Französischen Revolution in deutschsprachigen theologischen Fachzeitschriften 1789-1801 vor. Die Arbeit nimmt die Reaktion deutscher Theologen des ausgehenden 18. Jahrhunderts auf die Französische Revolution in den Blick. Im Mittelpunkt stehen insbesondere die sogenannte Zivilkonstitution des Klerus und die revolutionäre Umgestaltung der gallikanischen Kirche. Theologische Fachzeitschriften sowie Publikationen, die anlässlich der revolutionären kirchenpolitischen Maßnahmen verfasst oder aus dem Französischen übersetzt wurden, liegen dem Dissertationsvorhaben als Quellen zugrunde. Über die Analyse der Rezeption können die Mechanismen der Auseinandersetzung einer sich zunehmend polarisierenden theologischen Öffentlichkeit näher betrachtet werden, also das immer stärker zunehmende Ringen zwischen Aufklärungsbefürwortern und –gegnern.

Anschließend stellte Sonja Ackermann ihre Studie über Christliche Frauen in der DDR vor. Das vom Bund katholischer deutscher Akademikerinnen herausgegebene Werk basiert auf den Interviews mit 97 Frauen, und zeichnet differenziert den Alltag in der Diktatur aus der Perspektive der befragten Personen nach. Die Arbeit gliedert sich in die drei großen Themenfelder religiöse Sozialisation, Schulzeit und Erfahrungen im Erwachsenenalter. Entscheidende Konfliktfelder waren der vom Staat erwartete Eintritt in eine Parteiorganisation, die ebenfalls erwartete Jugendweihe sowie der Übergang in eine höhere Schule, der aufgrund eines nichtkonformen Verhaltens verweigert werden konnte. Dabei zeigt die Studie ganz unterschiedliche Verhaltensweisen auf, die eine große Bandbreite zwischen Bereitschaft zur Anpassung und dem Mut zum Widerstand erkennen lassen.

Abschließend gaben Rosel Oehmen-Vieregge, Andreas Henkelmann, Uwe Kaminsky und Sebastian Tripp einen Einblick in die DFG-Forschergruppe „Transformation der Religion in der Moderne“, die vor einigen Monaten an der Ruhr-Universität Bochum ihre Arbeit aufnahm. Die Gruppe zeichnet sich durch eine interkonfessionelle und interdisziplinäre Perspektive aus, und will analysieren, wie sich die christlichen Großkirchen als religiöse Organisationsform und Religiosität als Modus individuellen und kollektiven Verhaltens in Deutschland während der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert verändert haben. Die ReferentInnen berichteten außerdem über die Teilprojekte ihres Forschungsbereiches zur Transformation der Sozialformen religiösen Handelns. Während sich das von dem katholischen Kirchenhistoriker Wilhelm Damberg geleitete Teilprojekt mit strukturellen Wandlungsprozessen der großen Konfessionen mit der Fokussierung auf Amt und Partizipation (Mitarbeiter: Rosel Oehmen-Vieregge, Sebastian Tripp) beschäftigt, geht es in dem Teilprojekt des evangelischen Sozialethikers Traugott Jähnichen (Mitarbeiter: Andreas Henkelmann, Uwe Kaminsky) um Entwicklungen im Bereich der Diakonie und Caritas.

Die nächste Jahrestagung des SAK findet vom 9. – 11. November 2007 in der Katholischen Akademie in Schwerte statt, diesmal unter der Leitung von Nicole Priesching und Andreas Henkelmann, die auf der diesjährigen Sitzung zu den neuen Sprechern des SAK gewählt wurden.

Anmerkung:
1 Vgl. hierzu auch die Tagungsglosse von Antonia Leugers <http://aps.sulb.uni-saarland.de/theologie. geschichte/inhalt/2006/20.html> (13.12.2006).


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