Konferenz der Middle East Studies Association (MESA)

Konferenz der Middle East Studies Association (MESA)

Organisatoren
Middle East Studies Assocation
Ort
Boston
Land
United States
Vom - Bis
18.11.2006 - 21.11.2006
Von
Valeska Huber, Konstanz/Harvard

Zum vierzigsten Mal traf sich vom 18. bis 21. November die nordamerikanische Middle East Studies Assocation in Boston. 180 Veranstaltungen, von denen bis zu 18 parallel stattfanden, und viele informelle Treffen ermöglichten den Austausch unter Nahost-Spezialisten der unterschiedlichsten Disziplinen. Die auf der Konferenz vertretenen Fächer reichten von Philologie und Literaturwissenschaft über Geschichte und Religionswissenschaften bis zu den Sozialwissenschaften, das Themenspektrum vom Umgang mit Papyrus-Dokumenten bis zur Analyse neuer ägyptischer Filme. Zudem ermöglichten die unterschiedlichen Veranstaltungsformen vielfältige Diskussionsstile: während die meisten Veranstaltungen als klassische Konferenzpodien konzipiert waren, gab es auch ‘Round Tables’ und ‘Thematic Sessions’, in denen offenere Diskussionsformen möglich waren. ‘Special Sessions’ nahmen aktuelle Themen politischer und akademischer Art ins Visier. Da im Rahmen dieses Berichts nicht einmal die beschränkte Auswahl der Veranstaltungen, an denen die Autorin selbst teilnehmen konnte, ausführlich erörtert werden kann, sollen hier einige wiederkehrende Themen der Konferenz aufgegriffen und anhand konkreter Beispiele illustriert werden. Die Auswahl der Schwerpunkte spiegelt dabei eher die Interessen der Autorin als eine generelle Richtung der facettenreichen Konferenz.

Verschiedentlich wurde die Frage nach agency oder der Handlungsmacht verschiedener sozialer Gruppen, besonders in kolonialen Kontexten, thematisiert. Dies wurde zum Beispiel deutlich in zwei Veranstaltungen zum Thema Sklaverei (Recontextualizing Middle East Slavery: Global and National Perspectives; Experiences and Challenges of Enslavement). Hier standen nicht die Sklavenhändler und Sklavenbesitzer sowie der die Sklaverei unterstützende oder verhindernde Staat im Mittelpunkt – vielmehr wurde in mehreren Vorträgen versucht, den Sklaven selbst eine Stimme zu geben (z. B. Eve Troutt Powell, University of Pennsylvania: Lost Boys and Found God: Southern Sudanese Refugees on the Road between Christianity and Islam; E. Ann McDougall, University of Alberta: Beyond the Sense of Self: Living ‘Slavery’ and ‘Freedom’ in Twentieth-Century Southern Morocco). Zudem wurden die unterschiedlichen Bindungen und Verbindungen von Sklaven in verschiedenen Kontexten offen gelegt und die Bandbreite individueller Erfahrungen betont (z. B. Ehud Toledano, Tel Aviv). Hier ging es vor allem um die Verdeutlichung multipler Identitäten, ein Aspekt, der auch in anderen Zusammenhängen häufig betont wurde. Die Frage nach agency wurde ebenfalls im Kontext einer Veranstaltung über Städte in Nordafrika und im Nahen Osten (Nationalism, Imperialism and the Cultural Formations of Modern Capital Cities in the Middle East and North Africa) gestellt. Als Beispiele wurden Fallstudien über Jerusalem, Tripolis, Kairo, Beirut und Casablanca vorgelegt. Es entwickelte sich eine interessante Debatte über die Frage, bis zu welchem Grad die Entwicklung von Städten wie Kairo, Tripolis oder Casablanca staatsgesteuert war. Während Mercedes Volait (CNRS) argumentierte, dass zum Beispiel bei der Entwicklung der Kairoer Stadtteile Garden City und Heliopolis vor allem nicht-britische Modelle eine Rolle spielten und die unterschiedlichen Diaspora-Gruppen aus dem Mittelmeerraum eine prägende Funktion in der Stadtplanung einnahmen, bezog sich der Beitrag von Driss Maghroui (Al Akhwayn Universität) in stärkerem Maß auf die Rolle des Staats in der Planung und Kontrolle kolonialer Städte.

Im Rahmen dieser Veranstaltung wurde auch deutlich, wie fruchtbar ein Empire-Vergleich im Kontext des nahen Ostens sein kann, wie es hier am Beispiel des französischen Protektorats in Marokko, der italienischen Kolonialherrschaft in Libyen und dem britischen Protektorat in Ägypten geschah. Es wurde deutlich, dass es auch in einem kolonialen System eine polizentrische Welt geben konnte und dass das Verhältnis zwischen Metropole und Peripherie nicht immer klar definiert war (z. B. orientierten sich Kairoer Stadtplaner nicht nur an Londoner (Mercedes Volait, CNRS) und Beiruter Künstler nicht nur an Pariser Vorbildern (Kirsten Scheid, American University of Beirut)). Einen ähnlichen vergleichenden Fokus hatte ein Panel über Tourismus (From the Atlantic to the Nile: Constructing Western Tourism in the Colonial Age). Hier spannte sich der geographische Bogen von Marokko und Algerien über Libyen bis nach Ägypten. Allerdings wurde in der Diskussion der Beiträge der Vergleich nicht in den Vordergrund gerückt, was doch hier besonders bereichernd gewesen wäre: Da Briten als Touristen nach Marokko und Algerien fuhren und Franzosen Sehenswürdigkeiten in Ägypten besichtigten, wäre die Beurteilung der Kolonialstrukturen des jeweils anderen durch Reisende sicher aufschlussreich. Zudem war dieses Panel durch die Wahl der Quellen stark von einer westlichen Perspektive geprägt, die in anderen Panels häufig aufgebrochen werden konnte.

Ein solcher Perspektivenwechsel gelang zum Beispiel in einem Panel über Cultures, Creeds and Communities in Arab Lands under French Colonial Rule. Hier ging es nicht nur um die Politik der Franzosen gegenüber den ihnen Untergebenen, sondern auch um Reaktionen auf verschiedenen Ebenen und um das Wechselspiel zwischen Metropole und Peripherie (z. B. James McDougall, Princeton University: Muslim Space and the Secular State: Paris and Algiers, 1905-1940; Benjamin White, Oxford: Rhetorical Hierarchies in France and Syria during the Mandate). Interessant war, nicht nur unterschiedliche Empires, sondern auch die verschiedenen Regierungsformen in unterschiedlichen Teilen des gleichen Kolonialreichs zu unterscheiden (Algerien als Departement Frankreichs versus das Mandat in Syrien und im Libanon). Die widersprüchlichen und unbeständigen Seiten der Kolonialpolitik wurden besonders im Umgang mit Religion und Identitätspolitik deutlich (z. B. Ben Brower, Texas A&M University: The Hajj in Colonial Algeria, 1830-1939; Jennifer Dueck, Oxford: Arab Jamborees: Religious Identity and the Scout Movement under the French Mandate).

In verschiedenen Panels wurde der Ruf nach der Öffnung der Middle East Studies zu anderen Regionalstudien und zur Globalgeschichte laut. Dies wurde zum Beispiel im Panel Ottoman Governmentality benannt, in dem sich einige Teilnehmer für eine Ottomanistik stark machten, die für andere Felder der Geschichtswissenschaft von Belang ist. Sehr deutlich wurde dieses Bestreben auch in der anfangs erwähnten Veranstaltung Recontextualizing Middle East Slavery: Global and National Perspectives. Hier wurde nicht nur der Austausch zwischen Afrikanisten und Nahost-Spezialisten gefordert, sondern auch der Vergleich mit Sklaverei im transatlantischen Kontext. Dabei wurde betont, dass auch bei einem globaleren Ansatz die Einzigartigkeit des Phänomens im islamischen Kontext immer noch herausgearbeitet werden soll, allerdings ohne es zu essentialisieren, sondern mit dem Ziel, die Vielfalt der Sklaverei-Erfahrungen im Nahen und Mittleren Osten zu verdeutlichen.

Schließlich war es ein Kennzeichen der Konferenz, dass sie sich auf unterschiedlichen Ebenen mit aktuellen Themen auseinandersetzte. So gab es verschiedene Panels über Menschenrechte, aktuelle politische Entwicklungen in Nahost-Ländern und über den Umgang mit und die Erfahrungen von Muslimen in Westeuropa und den USA. Ausführlich debattiert wurde die Gefahr der Beschneidung der akademischen Freiheit in den USA nach dem 11. September 2001. Der Plenarvortrag von Juan Cole (Islamophobia and Neo-Orientalism) hatte zum Ziel, die Struktur von anti-islamischen Vorurteilen in westlichen Gesellschaften offen zulegen. Zudem wurden bei der Preisverleihung nicht nur akademische Leistungen sondern auch besonderes politisches Engagement gewürdigt. So wurde deutlich, dass sich die Middle East Studies nicht im luftleeren Raum bewegen können, sondern dass es an der Zeit ist, den Austausch mit anderen Regionalstudien und mit aktuellen politischen Problematiken zu suchen.

website: http://www.mesa.arizona.edu/annual/current.htm
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Land Veranstaltung
Sprache(n) der Konferenz
Deutsch
Sprache des Berichts