Frühe Kirchen in Brandenburg und Berlin - Archäologie und Bauforschung

Frühe Kirchen in Brandenburg und Berlin - Archäologie und Bauforschung

Organisatoren
Archäologische Gesellschaft in Berlin und Brandenburg; Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege; Archäologisches Landesmuseum; Landesdenkmalamt Berlin
Ort
Luckenwalde
Land
Deutschland
Vom - Bis
14.11.2006 - 16.11.2006
Url der Konferenzwebsite
Von
Jörg Kirchner, Landesamt für Kultur und Denkmalpflege Mecklenburg-Vorpommern, Schwerin, z. Zt. Hannover

„Der Abbruch von Kirchen schreckt sogar Atheisten.“ Mit diesem Satz fasste Heinz-Dieter Heimann, Professor für Geschichte des Mittelalters an der Universität Potsdam, zum Auftakt der Tagung die widersprüchliche Situation zusammen, dass in einer weitgehend säkularisierten Gesellschaft Sakralbauten nach wie vor einen der wesentlichen Bezugspunkte der Menschen in Dörfern und Städten bilden. Selbst Kirchen, die heute in anderer öffentlicher Nutzung stehen, strahlten in ihren unverkennbaren Formen noch etwas davon aus, dass sich geistliche und lokale Identität über Jahrhunderte hinweg gemeinsam entwickelten. Die heutige historische Forschung zum Mittelalter stelle denn auch nicht mehr allein Glaube und Christentum in den Mittelpunkt, sondern verfolge verstärkt die organisatorischen Strukturen, die Stadt und Land bis in die Gegenwart hinein prägen. Matthias Friske, Pfarrer und Mittelalterhistoriker, hob in diesem Sinne hervor, dass frühe mittelalterliche Kirchen die anschaulichsten und am vollständigsten erhaltenen Zeugnisse aus der Gründungszeit der heutigen Kulturlandschaft darstellen.

Die These, dass der ökonomische Faktor im frühen Kirchenbau bisher weit unterschätzt worden sei, stellte der Bauhistoriker Ulrich Waack auf. Sein Bericht, der auf der Untersuchung von 169 Siedlungen auf dem Barnim basierte, leitete die Vorträge ein, die einen Überblick über die Forschungen zu Regionen oder Orten gaben und deutlich machten, welche historischen Erkenntnisse durch Archäologen und Bauforscher an Kirchen in Berlin und Brandenburg gewonnen werden konnten. Waack wies nach, dass die Grundrisstypen der frühen Kirchen auf dem Barnim nicht etwa, wie in der älteren Forschung angenommen, mit der jeweiligen politischen Herrschaft in Verbindung stünden – also eine wettinische, askanische oder magdeburgische Prägung vorliege -, sondern vielmehr durch die geo-morphologischen Bedingungen der Landstriche bestimmt seien. In den Bereichen mit wirtschaftlich ertragreicheren Böden, seien die früheren und aufwändigeren Bauten vorzufinden. Für die formenreiche Dorfkirche in Marienfelde ermittelte er den Einsatz von 7400 Steinquadern und stellte entsprechende Vergleiche mit anderen Kirchen und den ihnen zugehörenden Wirtschaftsflächen an. Waack zog das Fazit, dass die ökonomische Leistungsfähigkeit der Landwirtschaft die Grundrisstypologie der Dorfkirche in hohem Maße bestimme. Die Überblicksdarstellungen setzte Markus Agthe, Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum, fort, der zusammenfassend von den ca. 50 Grabungen berichtete, die im letzten Jahrhundert an Kirchen in der Lausitz durchgeführt werden konnten. Thomas Langer, Archäologe beim Landkreis Potsdam-Mittelmark, stellte unter anderem seine Forschungen zu Orts- und Flurwüstungen vor. Wiltrud Barth vom Landesdenkmalamt Berlin machte mit ihren eingehenden Untersuchungen an den Dachwerken der ältesten Berliner Dorfkirchen bekannt und erläuterte die Eigenart der Holztonnendächer aus der Zeit um 1300. Eberhard Bönisch vom Brandenburgischen Fachamt gab einen Überblick über das Vorkommen von so genannten Schachbreitsteinen im Mauerwerk früher Feldsteinkirchen im Lande und stellte Vergleiche zu den Vorkommen in den angrenzenden Regionen an. Die Funktion und den rechtlichen Status der Kirchen innerhalb der Siedlungsgeschichte der Stadt Brandenburg betrachtete Joachim Müller von der dortigen Unteren Denkmalschutzbehörde. Aus der Entwicklungsgeschichte der Kirchen innerhalb der Stadt lasse sich eine, so der Titel seines Vortrags, Topographie des Glaubens ablesen.

In 23 weiteren Vorträgen wurde die Vielzahl der jüngsten Forschungsergebnisse zu einzelnen Bauten oder baulichen Gruppen von freiberuflich tätigen Archäologen und Bauforschern wie auch von Fachleuten der Landes- und Kreis- bzw. Stadtämter präsentiert. Durch die Ergebnisse archäologischer Grabungen konnte Kenntnis über hölzerne und steinerne Vorgängerbauten für viele Kirchen erlangt und der Standort bereits seit langer Zeit verlorener Sakralbauten rekonstruiert und historisch eingeordnet werden. Eine solche Einordnung nahm Blandine Wittkopp in ihrem Vortrag über die Albertskathedrale auf dem Lebuser Schlossberg vor und belegte damit den weit über das untersuchte Objekt hinausreichenden Erkenntnisgewinn archäologischer Grabungen.

Zur Bandbreite der Aufgaben, vor die Archäologie und Bauforschung gestellt sind, gehört es auch, vor geplanten großflächigen Eingriffen in die Kulturlandschaft, wenn schon nicht die Sachzeugnisse selbst zu bewahren, so doch die in Zukunft verlorenen Überlieferungen zu erforschen und zu dokumentieren. So wurden die umfangreichen archäologischen (Eberhard Bönisch) und bauhistorischen (Andreas Potthoff) Erkundungen an der Kirche von Horno vorgestellt. Die Kirche fiel gemeinsam mit dem gesamten Dorf im Jahr 2004 dem Braunkohletagebau zum Opfer. Grabungen, die im Vorfeld der Errichtung des internationalen Großflughafens Berlin-Brandenburg (BBI) vorgenommen wurden, führten zur Wiederentdeckung der Kirche von Diepensee. Die Ergebnisse, durch die sowohl die Kenntnis über die lokale und regionale Bestattungskultur erweitert als auch eine turmlose Saalkirche mit Rechteckchor und halbrunder Apsis rekonstruiert werden konnte, belegten, so Alexander Marx, dass archäologische Sachfunde die auf Quellen basierende Geschichtskenntnisse wesentlich zu erweitern vermögen.

In den Vorträgen von Dirk Schumann über den städtischen Kirchenbau in der Niederlausitz und Stefan Breitling zur Franziskaner-Klosterkirche und zur Nicolai-Kirche in Berlin (vorgetragen von seinem Mitarbeiter Tobias Rütenik) wurde besonderer Wert darauf gelegt, die archäologische und bauhistorische Forschung unmittelbar aufeinander zu beziehen. Breitling, als Bauforscher an der Technischen Universität Berlin tätig, gab denn auch seinem Vortrag den programmatischen Titel „Unten und Oben.“

Die Tagung machte deutlich, wie erkenntnisreich und notwendig es ist, die Forschungsergebnisse, die sowohl von staatlich-administrativen und universitären Institutionen wie auch durch freiberuflich Tätige in Archäologie und Bauforschung gewonnen werden, zusammenzuführen. Die Vorträge der von Thomas Kersting vom Brandenburgischen Fachamt und Stefan Pratsch von der Kreisverwaltung Teltow-Fläming initiierten und umsichtig zusammengestellten Veranstaltung ergänzten einander in gelungener Weise. Mit der Bus-Exkursion zu verschiedenen Kirchenbauten der Umgebung endete am dritten Tag der fachliche Austausch. Die geplante Publikation der Vorträge wird den aktuellen Kenntnisstand der Forschung zu den frühen Kirchen in Berlin und Brandenburg zusammenfassen. Dass dies, wie selbstverständlich, gelungen ist für ein Gebiet, das sich über die Grenzen zweier Bundesländer erstreckt, ist nach wie vor eine Erwähnung wert.


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