Vormoderne Parlamentsoratorik. Reden und Kommunikation auf europäischen Repräsentativversammlungen des 14. bis 17. Jahrhunderts

Vormoderne Parlamentsoratorik. Reden und Kommunikation auf europäischen Repräsentativversammlungen des 14. bis 17. Jahrhunderts

Organisatoren
SFB 640 „Repräsentationen sozialer Ordnungen im Wandel“, Teilprojekt A1 „Oratorik auf europäischen Reichs- und Ständeversammlungen des späten Mittelalters und der beginnenden Neuzeit als Repräsentation politisch-sozialer Ordnungen im Vergleich“
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
12.10.2006 - 14.10.2006
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Von
Raphael Stepken, SFB 640, TP A1, Humboldt-Universität zu Berlin

Die politischen Versammlungen des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit waren Orte des institutionalisierten und zeremoniell strukturierten Dialogs von Herrscher und Ständen sowie der Stände untereinander. Ihre Bedeutung wurde von Ständeforschung und Verfassungsgeschichte in einer herrschaftsgeschichtlichen Perspektive untersucht: Waren die Reichs- und Ständeversammlungen eher Instrumente monarchischer Interessendurchsetzung oder Mittel ständischer Herrschaftsbeteiligung? Gefragt wurde vor allem nach dem Grad der Institutionalisierung (Teilnehmer, Periodizität), den behandelten Gegenständen und erzielten Entscheidungen (Abschiede) sowie dem Ausmaß korporativen Bewußtseins.Das Versammlungsgeschehen selbst, das im wesentlichen in einer Aufeinanderfolge von Reden und anderen Formen von Kommunikation (Umfrage, Debatte, Gestik etc.) bestand, fand dagegen kaum Beachtung.

Das am Sonderforschungsbereich 640 an der Humboldt-Universität zu Berlin angesiedelte Forschungsprojekt zur „Oratorik auf europäischen Reichs- und Ständeversammlungen des späten Mittelalters und der beginnenden Neuzeit“ will diesem Aspekt im europäischen Vergleich (vor allem deutsche Reichstage, französische Etats généraux und englisches Parliament) nachgehen und eine Typologie vormoderner politischer Mündlichkeit erarbeiten.1 „Oratorik“ soll im Sinne eines erweiterten und modifizierten Begriffs von „Rhetorik“ einen Ansatz bezeichnen, der die Wirkung parlamentarischer Rede in ihrem situativen, d.h. anlaß- und ortsgebundenen Kontext betrachtet und nach ihrer Stelle innerhalb des jeweiligen Versammlungszeremoniells fragt. Dem Grundgedanken der Sprechakttheorie folgend, sollen die einzelnen Redebeiträge als soziale Handlungen analysiert werden, die eine Reaktion des Publikums herausforderten. Im Zentrum steht dabei die Frage nach der Funktion der Reden: Dienten sie als Teile des Procederes nur der Zelebrierung eines bereits a priori bestehenden Konsenses, oder zielten sie auf Persuasion im Rahmen deliberativer Auseinandersetzung? Anregend ist hier der von Thomas N. Bisson geprägte Begriff der „ceremonial persuasion“, nach dem politische Oratorik immer sowohl zeremonielle wie persuasive Funktionen erfüllte, beide Aspekte also nicht als Gegensätze aufzufassen sind.

Diese Fragestellungen im Austausch mit Experten verschiedener disziplinärer und länderspezifischer Ausrichtung zur Diskussion zu stellen, war Absicht der von Johannes Helmrath und Jörg Feuchter vom 12. bis 14. Oktober in Berlin veranstalteten Tagung.

Das Tagungsprogramm begann am 12. Oktober mit einer Führung durch das Reichtagsgebäude. Im Anschluß an die Konfrontation mit diesem in mehrfacher Hinsicht oratorisch bedeutsamen Ort waren die beiden folgenden Tage den Referaten und Diskussionen gewidmet.

Nach einem Grußwort durch den Präsidenten der Humboldt-Universität, Christoph Markschies, und einer thematischen Einführung von Johannes Helmrath eröffnete der Rhetorikforscher Josef Kopperschmidt (Mönchengladbach) unter der Leitfrage „Oratorik – ein erfolgversprechendes Forschungsparadigma?“ die Reihe der Vorträge. Kopperschmidt versuchte dem Ansatz einer historischen Oratorik Profil zu verleihen, indem er ihn als Antwort auf die Mängel der (traditionellen) Rhetorik verstand, die aufgrund ihrer ausschließlichen Konzentration auf Inhalt (logos: sachbezogene Argumentation) und sprachliche Gestaltung (lexis) keine adäquate Antwort auf die zentrale Frage nach den Wirkungsbedingungen politischer Rede geben könne. Die persuasive Wirkung einer Rede sei aber wesentlich Ergebnis erfolgreicher „Anpassung“ des Sprechers an die „Plausibilitätspotentiale“ seines Publikums. Deren Rekonstruktion sei die Aufgabe von Oratorik. Dabei müsse der Fokus auf die Person des Redners (ethos), vor allem aber auch auf die Zusammensetzung und „Gestimmtheit“ des Publikums (pathos) ausgeweitet werden. Kopperschmidt verdeutlichte dies am Beispiel der Reden Adolf Hitlers, deren enorme zeitgenössische Wirkmacht mit Hilfe einer nur an Inhalt und Sprache orientierten rhetorischen Analyse nicht zu erklären sei. Untersucht werden solle also nicht nur, was und wie etwas gesagt wurde, sondern auch wann, wo, von und zu wem, in welcher Situation etc. Oratorik unternehme eine umfassende Kontextualisierung und Historisierung von rhetorischen Darbietungen, zu deren Realisierung eine interdisziplinäre Ausrichtung unabdingbar sei.

Barbara Stollberg-Rilinger (Münster) untersuchte die Bedeutung von symbolisch-zeremoniellen Kommunikationsformen in politischen Versammlungen der Vormoderne am Beispiel des berühmten Augsburger Reichstags von 1530, der ganz im Zeichen des Konfessionsstreites stand. An verschiedenen zeremoniellen Anlässen aus dem Vorfeld des eigentlichen Beratungsgeschehens zeigte sie, wie Altgläubige und Protestanten ihre entgegengesetzten Positionen symbolisch austrugen und dabei um die schriftlich nicht fixierte Verfahrensform rangen. So verbot zum Beispiel der Kaiser den Protestanten die Predigt und forderte sie zur Teilnahme am Fronleichnamszug auf, dem sie aber demonstrativ fernblieben. An der den Reichstag eröffnenden Heilig-Geist-Messe nahmen sie zwar teil, brachten aber ihren Unmut durch deutliche Gesten (Gelächter) öffentlich zum Ausdruck. Den Beteiligten war die unterschiedliche Funktion und Wirkung diskursiven und symbolischen Kommunizierens durchaus bewußt: Sie standen vor der schwierigen Aufgabe, auf der einen Seite ihre Position durchzusetzen, auf der anderen Seite aber nicht so weit zu gehen, daß die für den Beginn der Verhandlungen und des Dialogs unbedingt erforderliche „Konsensfiktion“ zerbrochen wäre. Die Verwendung symbolischer Kommunikationsformen diente eben diesem Ziel und markierte bzw. begrenzte so den Raum für die argumentativ-diskursive Kommunikation.

Lucas Rüger (Berlin) befaßte sich mit der Medialität humanistischer Oratorik auf dem Augsburger Reichstag von 1518. Seine Ausführungen gingen von dem Befund aus, daß zwar eine große Anzahl humanistischer (Türken-)Reden überliefert ist, die meisten davon aber nie zur „actio“ vor dem Reichstag gekommen sind. Rüger erklärte dies damit, daß der mündliche Vortrag als Ausweis rhetorischer Brillanz und Machtnähe seine Funktion zwar nicht verloren hatte, die Publikation der Reden in Prachtdrucken diesen jedoch weitgehend kompensieren konnte und daher von vielen Humanisten zur Beförderung ihrer Karrierechancen genutzt wurde. Die Drucke hatten einen offiziellen Anstrich und demonstrierten durch entsprechende Titel und den Erscheinungsort Augsburg den Bezug zum politischen Großereignis.

Henry Cohn (Warwick) beleuchtete die Überlieferung protokollarischer Aufzeichnungen von den frühneuzeitlichen Reichstagen. Während in der Zeit Maximilians I. die Überlieferung von im Plenum gehaltenen Reden (besonders: Eröffnungsrede des Königs bzw. seines Vertreters und Gesandtschaftsreden) einsetzte, sind Aufzeichnungen von den Beratungen und „Voten” innerhalb der Kurien in größerem Umfang erst seit etwa 1540 angefertigt worden. Gründe für diesen Wandel der Dokumentierpraxis sah Cohn in dem gehäuftem Auftreten von Prezedenzfragen und der zunehmenden Bedeutung von zur Verschriftlichung neigenden (juristischen) Experten, aber auch in der Entwicklung, daß immer weniger Fürsten viritim auf dem Reichstag erschienen und stattdessen mit ihren Gesandten korrespondierten. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts sei die Anzahl der Protokolle und Aufzeichnungen aber unter anderem wegen einer Tendenz zur Geheimhaltung zurückgegangen. Deswegen sei die Annahme eines allgemeinen Verschriftlichungs- und Verrechtlichungsprozeßes für den Reichstag der Frühen Neuzeit problematisch.

Die integrative und konsensstiftende Funktion politischer Oratorik betonte Peter Mack (Warwick) in seinem Vortrag zur parlamentarischen Rhetorik im elisabethanischen England. Macks Analyse der Parlamentsreden ergab eine große Ähnlichkeit mit dem Verfahren der akademischen „Disputatio“, was er auf die den meisten Parlamentsmitgliedern gemeinsame rhetorische Ausbildung in den „grammar schools“ und Universitäten zurückführte. Entsprechend zeichneten sich die meisten Reden durch eine klare, im Exordium transparent gemachte Argumentationsstruktur aus. Das Parlament war Ort einer deliberativen Debattenkultur, die den Teilnehmern die Möglichkeit zur Artikulation von Dissens in Sachfragen bot und den Anspruch implizierte, daß auf die vorgebrachten Einwände (durch Mitglieder des Kronrats) argumentativ eingegangen wurde. Dies, so Macks These, motivierte die Mitglieder der Gentry zur Kooperation bei der Durchsetzung der Regierungspolitik (Gesetzgebung und Steuern) in ihren lokalen Einflußbereichen, obwohl die direkte Einwirkung des Parlaments auf die Ausgestaltung dieser Politik wegen der königlichen Prärogativen und der zentralen Stellung des „privy council“ limitiert blieb. Die Parlamentsoratorik trug, indem sie die lokale Führungsschicht in das „dominium politicum et regale“ integrierte, zur „Regierbarkeit“ des Landes bei.

Jörg Feuchter (Berlin) präsentierte die Ergebnisse seiner Forschung zur Oratorik auf den französischen Generalständen zwischen 1302 und 1614. Er bot einen Überblick zur oratorischen Überlieferung, die mit der Frühen Neuzeit sprunghaft anwächst, und thematisierte dann die Wiederaufnahme der mittelalterlichen Tradition nach mehr als 70 Jahren ohne Etats généraux durch die Versammlungen von 1560/61 in Orléans und Pointoise. Feuchter zeigte, daß dieser Rückgriff in einem Moment krisenhafter Zuspitzung kurz vor Ausbruch der Religionskriege mit der expliziten Hoffnung verbunden war, er möge - gleichsam performativ - „Heilung durch Reden und Zuhören” (Charles de Marillac) bewirken. Zugleich wurden die beiden Etats von teilweise kontrovers diskutierten Modifikationen des oratorischen Reglements begleitet. So verbot Katharina von Medici 1561 in Pontoise den Ständen die Thematisierung der Religionsfrage und der Zusammensetzung des königlichen Rates und gab damit einen zusätzlichen Anstoß zur Diskussion grundlegender Fragen, die das Zeremoniell und die Funktion der Generalstände betrafen. Aufschluß darüber gibt der procès-verbal des Dritten Standes – eine Quelle, die bislang kaum bekannt war und noch nicht ausgewertet wurde.

Aus literaturwissenschaftlicher Perspektive untersuchte Loris Petris (Neuchâtel) die persuasiven Strategien in den Reden des französischen Kanzlers Michel de l’Hospital in der Anfangsphase der Religionskriege (1563-1568). Anhand einer Reihe von Textauszügen stellte er dar, wie die am Vorbild Ciceros geschulten und minutiös vorbereiteten Reden als „moyens politiques” auf die Befriedung Frankreichs und Durchsetzung der königlichen Politik zielten. Dabei liessen sich drei zentrale Argumentationsfiguren ausmachen, nämlich die Behauptung der Vernünftigkeit der angedachten Maßnahmen oder Gesetze (raison), der Verweis auf ihre sich aus den Umständen ergebende Notwendigkeit (necessité) und die Einforderung von unbedingtem Gehorsam gegenüber dem Monarchen (autorité). Diese Motive seien von Hospital jeweils so in Bezug gesetzt worden, daß ihm damit ein relativ flexibles rhetorisches Instrumentarium zur Verfügung gestanden habe. So verband er z.B. „autorité” und „raison” mit der Behauptung, die Richtigkeit mancher königlicher Entscheidungen sei deshalb nicht immer unmittelbar verständlich, weil dem Monarchen als „ministre de Dieu” eine Einsicht zukomme, die seinen Untertanen fehle.

Thomas Hayes (Göttingen) Referat über „Die lateinische Sprache als Medium mittelalterlicher Oratorik“ berührte mit dem Verhältnis von Mündlichkeit und Schriftlichkeit bzw. von Latinität und Volkssprachlichkeit zwei zentrale Fragen oratorischer Praxis. Haye hob hervor, daß der pronuntiatio der Rede fast immer deren Verschriftlichung und damit Fixierung vorausging, was einem spontan-situativen oder gar improvisierten Sprechen kaum Raum ließ. Latinität habe im Versammlungsverfahren eine zeremonielle Funktion ausgeübt („Je feierlicher, desto lateinischer“). Wo eine volkssprachliche Übersetzung geboten wurde, sei diese nicht simultan, sondern im Anschluß erfolgt. Die Wirkung der Rede sei aber gar nicht davon abhängig gewesen, daß alle Zuhörer sie verstehen konnten, sondern Folge gruppendynamischer Prozesse sowie des Vertrauens in wenige (lateinkundige) Experten. Der Referent schlug außerdem eine Typologie fünf mittelalterlicher Redeformen vor, die als Wurzeln und Einflüsse parlamentarischer Rede gelten könnten: Predigt, Synodalrede, Gesandtenrede, Gerichtsrede und Akademische Oralität. Die Existenz einer typisch humanistischen Oratorik stellte er dagegen in Frage.

Kolja Lichy (Berlin) sprach über „Reden als Aushandeln. Rhetorik und Zeremoniell auf dem polnisch-litauischen Sejm zu Beginn der Wasa-Zeit”. Er führte vor, daß das Sejmzeremoniell als Repräsentation der politischen Ordnung Polen-Litauens als „res publica” und „regimen mixtum” fungierte und damit auch das Verhältnis der drei Sejmstände (König, Senatoren, Landboten) zueinander bestimmte. Der Rede kam in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle zu, weil sie es dem Sprecher ermöglichte, das Sejmverfahren implizit (durch die rhetorische Gestaltung seines Beitrags) oder explizit (durch Thematisierung) zu interpretieren und so am Prozeß der „Aushandlung” der Verfassungsordnung teilzuhaben. Besonders deutlich wurde dies am Beispiel des Sejms von 1606 zur Zeit der Adelsopposition gegen Sigismund III., die dem Sejm seinen repräsentativen Charakter absprach. Auf diese Krise der Repräsentation reagierte der Sejm mit verstärkten rhetorischen Bemühungen im Kampf um die Legitimität. Exemplarisch kam dies in einer Rede des Senators Jan Ostroróg zum Ausdruck, der die zeremonielle Vorrangstellung seines Standes gegenüber den Landboten mit einer senatorischen „Mittlerrolle” begründete, um dem Eindruck entgegenzutreten, es gehe um die Ausschließung der Landboten.

Mit dem außergewöhnlichen Phänomen landständischer Teilnahme am Reichstag beschäftigte sich der Beitrag von Sašo Jerše (Ljubljana) über die „Reichstagsoratorik der Gesandtschaften Innerösterreichs und ihre verfassungspolitischen Dimensionen“ in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Die im Plenum vorgetragenen Reden der Gesandten zielten in erster Linie auf die Mobilisierung von militärischer Hilfe gegen die Osmanen, die die kroatische Grenze bedrohten, und folgten dem Mitte des 15. Jahrhunderts etablierten Genre der „Türkenrede“. Ihre spezifische Funktionalität verortete Jerše im Kontext der österreichischen Erbteilung nach dem Tod Ferdinands I. 1564 und des konfessionellen Gegensatzes zwischen dem katholischen Herrscher der innerösterreichischem Länder und deren protestantischen Ständen. Sinn der Reden sei es gewesen, diese pluralisierenden Entwicklungen durch die Demonstration von Eintracht auf der repräsentativen Ebene zu kompensieren und die Zugehörigkeit der innerösterreichischen Länder zum Reichsverband dar- und herzustellen. Die Gesandtschaften seien also keineswegs ineffektiv geblieben, sondern hätten, indem sie auf dem Reichstag zu Wort kamen, „alles erreicht, was dort zu erreichen war“.

Mit Oratorik als Mittel der Repräsentation von Reichszugehörigkeit beschäftigte sich auch der Vortrag von André Krischer zur Rhetorik der Reichstädte auf den Reichstagen der Frühen Neuzeit. Den Reichsstädten war zwar 1648 formal das „votum decisivum” zuerkannt worden, ihr Einfluß auf die interkuriale Entscheidungsfindung blieb aber weiterhin beschränkt, da die beiden anderen Kollegien die Städte erst konsultierten, nachdem sie sich untereinander verständigt hatten. Die Rhetorik der Reichsstädte hatte demnach nicht zuerst argumentativ-persuasiven Charakter, sondern war darauf gerichtet, der Präsenz der Städte auf dem Reichstag – und damit ihrer Reichsstandschaft – performativ Legitimität zu verleihen. Wichtig war häufig weniger der Inhalt des Gesprochenen, sondern daß überhaupt und mit einer gemeinsamen „Sprache” gesprochen wurde. Diese gemeinsame Sprache war die höfisch-barocke Rhetorik, derer sich die Städtevertreter bedienten, um gegenüber dem ihnen nach Rang und Würde überlegenen Adel Geltungsansprüche zu demonstrieren. Krischer zeigte diesen Vorgang städtischer Assimilation in die Adelswelt qua Oratorik am Beispiel des Procederes bei der Akkreditierung der Gesandten. Die Legitimität eines Gesandten oblag keiner Prüfung durch eine institutionalisierte Entscheidungsinstanz, sondern war Ergebnis eines Verfahrens, das sich vor allem durch eine Reihe gegenseitiger Besuche und den Austausch sog. „Complimente” in langen und barocken Reden auszeichnete, deren Inhalt ohne Bedeutung blieb.

In seinem Resümee bündelte Neithard Bulst (Bielefeld) Themen und Ergebnisse der Beiträge, sprach aber auch grundlegende Probleme und Grenzen des von Projekt und Tagung verfolgten Forschungsprogramms an. Die spärliche Überlieferung protokollarischer Quellen erlaube es in vielen Fällen nicht, zu einer einigermaßen umfassenden Rekonstruktion von Formen und Situationen politischer Mündlichkeit zu gelangen. Erschwerend komme hinzu, daß Redebeiträge wegen fehlender Namensnennung in den Dokumenten häufig nicht zugeordnet werden könnten. Bulst betonte die Relevanz sozialgeschichtlicher und prosopographischer Forschung für die Untersuchung der Repräsentativversammlungen: Die Bedeutungsanalyse von Redeakten setze voraus, daß man wisse, wer zu welchem Publikum spreche. Die Vorträge hätten gezeigt, daß die vormodernen Parlamente eher selten Entscheidungsinstanzen waren. Dennoch sei ihr Einfluß auf die Entscheidungsfindung, etwa indem Vorhaben sich in den Beratungen als nicht durchsetzbar erwiesen, nicht zu vernachlässigen.

Insgesamt machten die Beiträge und Diskussionen der Tagung deutlich, daß „Parlamentsoratorik“ ein fruchtbarer Ansatz für die Beschäftigung mit Repräsentativversammlungen sein kann. Bei aller Unterschiedlichkeit der Referate und der untersuchten Versammlungen läßt sich eine grundlegende Gemeinsamkeit als Ergebnis festhalten: In allen untersuchten Fällen war die Rede ein konstitutives Element. Wer zur Rede kam und Gehör fand, war zugleich „zugehörig“. Daß geredet wurde, war an sich schon bedeutsam, ganz unabhängig von dem, worüber gesprochen und was gesagt wurde. Im Reden konstituierte und erneuerte sich sowohl die politische Gemeinschaft des Parlaments, wie die dort repräsentierte politisch-soziale Ordnung. Die Verwendung von Begriffspaaren wie „deliberativ - konsultativ“, „zeremoniell - persuasiv“, „symbolisch - diskursiv“, „instrumentell - nicht-instrumentell“ als analytische Kategorien scheint nicht verzichtbar zu sein. Doch dürfen diese nicht nur als Gegensätze verstanden werden. Die schwierige Aufgabe scheint vielmehr darin zu bestehen, auch die gegenseitige Abhängigkeit und Gleichzeitigkeit der von ihnen beschriebenen Elemente in den Blick zu nehmen.

Die Publikation des Tagungsbandes ist für 2007 geplant.

Anmerkung:
1http://www.repraesentationen.de/site/lang__de/3847/default.aspx

http://www.repraesentationen.de/
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