Vom Nutzen der Städteatlanten. Vier Jahrzehnte Atlasarbeiten in Europa

Vom Nutzen der Städteatlanten. Vier Jahrzehnte Atlasarbeiten in Europa

Organisatoren
Institut für vergleichende Städtegeschichte Münster, Atlas-Group der Commission Internationale pour l’Histoire des Villes
Ort
Münster
Land
Deutschland
Vom - Bis
26.02.2007 - 27.02.2007
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Von
Daniel Stracke, Münster

Die Stadt ist als Forschungsobjekt in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen, der Geschichtswissenschaft ebenso wie der Historischen Geographie und der Soziologie, aber auch in der Kunst- und Literaturgeschichte, seit langem etabliert. Das 1970 gegründete Institut für vergleichende Städtegeschichte (IStG) in Münster ist eine der wenigen Forschungseinrichtungen, in denen die vergleichende Städteforschung mit multidisziplinärem Ansatz institutionalisiert ist. Im Rahmen seiner alljährlichen, international besetzten Frühjahrstagung hat das IStG in diesem Jahr unter dem Titel „Vom Nutzen der Städteatlanten. Vier Jahrzehnte Atlasarbeiten in Europa“ eingeladen, eine Bilanz der Arbeiten am Europäischen Städteatlas zu ziehen, an dem es von Beginn an mit zwei Projekten, dem Deutschen Städteatlas / Deutschen Historischen Städteatlas und dem Westfälischen Städteatlas, beteiligt ist, und die seit jeher einen Schwerpunkt seiner Grundlagenforschung bilden.

Der von der Commission Internationale pour l’ Histoire des Villes (CIHV) koordinierte Europäische Städteatlas wurde 1965 unter maßgeblicher Initiative des Gründers und ersten Direktors des IStG, Heinz Stoob, ins Leben gerufen. Ziel der Atlasarbeit ist es, der Forschung europaweit historisches Kartenmaterial zur Verfügung zu stellen, das, mit gleichen Maßstäben und nach gleichen Richtlinien ediert, geeignet ist, als einheitliche Quellengrundlage für vergleichende Studien besonders der Siedlungsentwicklung zu dienen. Wichtigster Kern des Kartenkanons der Städteatlanten ist der Grundrissplan (1:2500), der als eine Neuzeichnung der ersten exakten und parzellengenauen Vermessung, in der Regel aus den 1820er-bis 1860er-Jahren, in jedem Teilprojekt zur Verfügung gestellt wird.
Es handelt sich beim Europäischen Städteatlas damit um ein Großprojekt, dessen konkrete Arbeit in Teilprojekten auf nationaler oder regionaler Ebene geleistet wird. Die Vernetzung der Bearbeiter und Herausgeber der verschiedenen Projekte und die Diskussion der oft unterschiedlichen Ansätze, Methoden und Probleme ist daher eines der Kernanliegen des IStG. Schon im Vorfeld der Tagung waren deshalb in der Bibliothek des Instituts die bisher erschienenen Atlasmappen, die hier von Beginn an gesammelt werden und in wohl einzigartiger Vollständigkeit vorliegen, für die Tagungsteilnehmer zur Information und Benutzung ausgelegt. Neben der Sitzung des Beirates und des Kuratoriums für vergleichende Städtegeschichte traf sich am Rande der Tagung auch die Atlas-Sektion der CIHV zum Gespräch.

Nach einer kurzen Einführung des wissenschaftlichen Vorstands des Städteinstituts, Peter Johanek, war der erste Tag in erster Linie allgemeinen Beiträgen zum Thema gewidmet, während am zweiten Tag einzelne Teilprojekte detailliert vorgestellt und spezifische methodische Probleme diskutiert wurden.
Anngret Simms unterzog zunächst die Rezeption der Städteatlanten in den verwandten Disziplinen einer kritischen Würdigung. Diese sei trotz des sogenannten spatial turn in den Kulturwissenschaften, der aktuellen Hinwendung zu Fragen des Raums, bisher nur in geringem Maße erfolgt. Besonders gälte dies für die Archäologie. Den Grund dafür suchte sie vor allem in der eigenen Disziplin, die in der Frühzeit eine ihrer methodischen Prämissen allzu unkritisch als Axiom akzeptiert habe: gemeint war die von Erich Keyser und Heinz Stoob nachdrücklich vertretene These, dass der in den Städteatlanten edierte Katasterplan des 19. Jahrhunderts alle Phasen der Siedlungsentwicklung und auch die ursprünglichen Siedlungskerne zeige. Die planmäßige Anlage von Städten, die im Grundrissplan so oft feststellbar sei, täusche indes darüber hinweg, dass die Entwicklung auch solcher Städte mit scheinbar eindeutigem Grundrissbild oft kompliziert und mehrphasig verlaufen sei. Der Grundrissplan gebe also lediglich den Endpunkt einer Entwicklung wieder, wie z.B. die Ergebnisse der archäologischen Forschung für Lübeck zeigten. Die Vorstellung der älteren Forschung, dass ein „Modellplan“, der in Westeuropa entwickelt wurde, bei der Anlage von Städten in andere Landschaften, vor allem in Osteuropa und Irland, schematisch übertragen worden sei, bedürfe einer Revision.
Anhand der Beispiele Oppole und Wrocław führte Simms eindrücklich vor, wie unterschiedlich die Interpretationen des Wachstums dieser Städte mit und ohne die Einbeziehung archäologischer Ergebnisse ausfalle und plädierte nachdrücklich dafür, diese Art von Quellen ebenso wenig unberücksichtigt zu lassen wie die differenzierte Modellbildung der Archäologen.

Anschließend gab Howard Clarke einen konzisen Überblick über die Methodik der Atlasarbeit nach den maßgeblich von Heinz Stoob erarbeiteten Vorgaben der CIHV, die den Standard und gemeinsamen Nenner der unterschiedlichen europäischen Städteatlasprojekte darstellten. Dazu gehörten die Neuzeichnung der Karten der ältesten exakten und parzellengenauen Vermessung der Stadt (1:2500), meist in Vierfarbdruck, eine moderne Stadtkarte (1:5000), eine interpretierende Karte, die die Entwicklungsphasen der Stadt darstellt (1:2500 oder 1:5000), Umlandkarten (1:25000), aber auch thematische Beikarten (z.B. zur Sozialtopographie) und die Reproduktion von weiterem Material (Altkarten, Luftbilder usw.). Dabei gemahnte er ausdrücklich an die Komplexität der mentalen Prozesse, die mit der Ver- und Entschlüsselung von Informationen in kartographischer Form einhergingen, und die er mit dem komplementären Begriffspaar construction und deconstruction charakterisierte. Auch grundlegende Hindernisse der Atlasarbeit, wie Probleme bei der Darstellung besonders großer Städte, den großen Arbeitsaufwand, die Quellenüberlieferung und schließlich die oft niedrigen Verkaufszahlen wurden angesprochen.

Im Rahmen des öffentlichen Abendvortrags skizzierte Ferdinand Opll das Gesamtprojekt des Europäischen Städteatlas. Ausgehend von der wachsenden Bedeutung der Stadt für das heutige Leben und der Geschichte der Darstellung urbaner Räume in Bild und Karte beschrieb er die wesentlichen Entwicklungsschritte des Europäischen Städteatlas seit den Anfängen des Niedersächsischen Städteatlas in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und die daran beteiligten Institutionen. Gewürdigt wurde dabei die auf gemeinsamen Grundlagen aufbauende methodische und inhaltliche Vielfalt der mithin in 17 Ländern arbeitenden Teilprojekte, deren Publikationsvolumen die von Hektor Ammann ursprünglich avisierten vierhundert Stadtmappen mittlerweile bereits überschritten habe. Der Ausblick galt der Nutzung neuer elektronischer Medien für die Publikation der Atlasarbeit und dem künftigen Beitrag Ungarns für das Gesamtprojekt.

Am folgenden Tag gab Marc Hennessy einen Einblick in jene Forschungsfelder, die die Städteatlanten für die Historische Geographie eröffnen. Dabei ging es dezidiert nicht um die Interpretation der kartographischen Quellen des 19. Jahrhunderts im Hinblick auf die Morphogenese des Stadtgrundrisses von den Anfängen seiner Entwicklung. Vielmehr stellte er die Frage, was die Karten über die Zeit ihrer Entstehung, das 19. Jahrhundert, aussagen können. Vor dem Hintergrund der Theorien P. Bourdieus, M.R.G. Conzens und M. Foucaults zeigte Hennessy den im 19. Jahrhundert zunehmenden staatlichen Einfluss, der sich auch auf die Gestaltung der irischen Städte auswirkte und stellte vergleichend Beispiele des Kontinents (Wrocław/Breslau, Kaldenkirchen) gegenüber.
Anhand einzelner Beispiele wie der Kleinstadt Trim im ostirischen County Meath zeigte Hennessy die verschiedenen Formen staatlicher Einflussnahme (ökonomisch, kulturell, symbolisch, sicherheitstechnisch) auf die Entwicklung der Städte und veranschaulichte die Auswirkungen des zentralstaatlichen, von der Hauptstadt ausgehenden Engagements mit dem Bau von Postgebäuden, öffentlichen Schulen, Gefängnissen, Militäreinrichtungen, Wirtschaftsgebäuden usw. Am Beispiel anderer irischer Städte (z.B. Downpatrick, County Down, Nordirland) stellte er dar, wie ganze Stadtteile durch diese staatliche Bautätigkeit neu geschaffen wurden und, dominiert von den neuen Institutionen, sich nicht organisch mit der bestehenden Stadt verbanden, sondern, additiv und separat, Zusätze und Erweiterungen zu den bestehenden Strukturen bildeten.
In der anschließenden Diskussion wurde der Wert der Städteatlanten als Quellenbasis für weiterführende Forschungen dieser Art übereinstimmend sehr hoch veranschlagt. Erörtert wurde auch, dass die vergleichbare Entwicklung auf dem Kontinent bereits frühzeitiger als in Irland eingesetzt habe.

Das Referat von Derek Keene stellte mit dem British Atlas of Historical Towns jenes Teilprojekt vor, mit dem die lange Reihe von Atlas-Publikationen der CIHV im Jahr 1969 eröffnet worden war. Erschienen sei bisher eine Auswahl an Städten unterschiedlicher Typen (Burgstadt, Kathedralstadt, regionales Zentrum), darunter auch die beiden Metropolen Glasgow und London. Besonders der Fall London zeige die Probleme der britischen Konzeption, zumal die ‚Main Map’ (1:2500), die älteste edierte Grundrisskarte, über acht einzelne Seiten des gebundenen Werkes verteilt ist, was die Benutzung deutlich erschwere. Der dem Atlas beigefügte ‚Gazetteer’, der die Informationen der Karte aufschlüsseln soll, sei hier ebenfalls sehr umfangreich.
Allgemein sei die Quellenlage in Großbritannien, die auf dem Ordnance Survey im späten 19. Jahrhundert beruht, nicht einheitlich. Gelegentlich fehlten z.B. die Begrenzungen der Besitzeinheiten, da die Karten nicht aus fiskalischen Gründen angefertigt wurden. Die britischen Herausgeber planten, in den folgenden Blättern – in Bearbeitung sei derzeit Winchester – den Beikarten und Reproduktionen mehr Raum zu geben.

Aus seinen Erfahrungen in der Arbeit am Historischen Atlas der polnischen Städte berichtete Roman Czaja über editorische Probleme bei der Erstellung der Grundrisskarte (1:2500). Zunächst erinnerte er an die unterschiedlichen Auffassungen in der Frage, ob die Neuzeichnung der Grundrisskarte als „kritische Edition“ (E. Ennen) oder als „Rekonstruktion“ (British Atlas of Historic Towns) anzusehen sei und verortete die eigene Arbeit eher im Bereich der Rekonstruktion.
Die Quellenlage sei, bedingt durch die historischen Teilungen des polnischen Staatsgebiets, sehr uneinheitlich. Während im Norden und Westen die Überlieferung der preußischen Katasterämter (ca. 1861-65) gut sei, bereite aufgrund von zum Teil kriegsbedingten Zerstörungen vor allem Ostpreußen erhebliche Schwierigkeiten. Das Quellenmaterial befinde sich, wie Recherchen seit den 1990er-Jahren gezeigt hätten, zudem in ganz unterschiedlichen Institutionen: in den Staatsarchiven, aber auch den kommunalen Stellen oder in Museen. Für die polnischen Grundrisskarten, die ohne Nummerierungssystem und Nachträge, aber unter Addierung von Höhenlinien neugezeichnet werden, würden bisweilen auch vorhandene „vorkatasterzeitliche“ Karten verwendet, wie beispielsweise die Flurkarten (1:500 bzw. 1:1000) für die Stadt Elbląg/Elbing. Während der Erhaltungszustand der Katasterkarte in Malbork/Marienburg so schlecht sei, dass sie hier lediglich als Grundlage für die Entwicklungsphasenkarte verwendet werden konnte, sei die betreffende Karte für Schwetz in der Mitte des 19. Jahrhunderts ganz abhanden gekommen, so dass man sich mit späteren Karten habe behelfen müssen.

Wie weit zurück reichen die Informationen, die der Katasterplan liefert? Dieser Frage ging Katalin Szende in ihrem Vortrag nach. Sie konnte deutlich machen, dass die in der Regierungszeit Josephs II. (König von Ungarn 1780-90) begonnenen und im 19. Jahrhundert fortgeführten Kartierungen in Österreich-Ungarn zwar eine gute Ausgangslage für die Forschung bildeten, die Karten aber nur in begrenztem Umfang vorhergehende Zeiträume erschließbar machten. Anhand der Beispiele Sopron (Oedenburg), Györ (Raab) und Buda ging sie speziell auf die Wichtigkeit der archäologischen Forschung für die historische Grundrissinterpretation ein. Die Grabungen der Archäologen, besonders die Erforschung der Keller in der Stadt, hätten z.B. gezeigt, dass oftmals die Hausgrundrisse des 18. und 19. Jahrhunderts nicht mit den mittelalterlichen übereinstimmten. Aber auch die Überbauung von Marktplätzen, die Niederlegung oder Umwandlung von Teilen der Stadtbefestigung und andere Veränderungen, wie die Verbreiterung oder Neuanlage von Straßen, hätten häufig das Stadtbild zu stark verändert, als dass die Grundrisspläne alleine sichere Rückschlüsse ermöglichen würden. Sogar große und markante Teile der Bebauung, wie wichtige Straßenverläufe oder Tore, seien erst durch die archäologischen Untersuchungen bestimmbar geworden.
Die anschließende, sehr vielseitige Diskussion des Vortrags bestätigte die Ergebnisse Szendes und erweiterte durch Fragen z.B. nach dem Straßennamensystem, nach Art und Umfang der Einbeziehung von Ergebnissen der historischen Bauforschung und der damit verbundenen Problematik der zweidimensionalen Darstellungsweise der Atlanten das Spektrum.

Mirela Slukan Altics Vortrag resümierte die bisherigen Wege der kroatischen Atlasforschung und ihren aktuellen Entwicklungsstand. Sie zeigte die Gestaltung und den Aufbau der einzelnen Atlanten und machte auf die Vielzahl von Problemen politischer, wirtschaftlicher und organisatorischer Natur aufmerksam, vor welche die historische Atlasarbeit in Kroatien gestellt ist.
Die gebundenen kroatischen Städteatlanten bestünden zunächst aus einem äußerst umfangreichen Textteil mit Bibliographie, in den thematische Beikarten zur physikalischen, historischen oder ökonomischen Entwicklung und verschiedene Verbreitungskarten, vor allem aber alte Fotografien, Postkarten und Kartenreproduktionen eingearbeitet seien. Ziel sei hier nicht nur die historische Analyse, sondern auch die Bestandsaufnahme der in der Balkanregion besonders gefährdeten historischen Bausubstanz im Sinne einer Denkmaltopographie. Besonderes Augenmerk sei bei den Arbeiten auf interdisziplinäre Forschung gelegt worden, vor allem auf die Einbeziehung der Archäologie und die historische Bauforschung. Dem Textteil folge dann der Kartenteil, in dem die kartographischen Quellen als Farbreproduktionen, zum Teil mit vergrößerten Detailaufnahmen, wiedergegeben werden. Beigefügt seien hier Bildunterschriften in Englisch, um auch der ausländischen Forschung die Benutzung zu ermöglichen. Seit dem dritten Band sei zusätzlich die älteste parzellengenaue Vermessung des Stadtgrundrisses nach den Vorgaben der CIHV als loses Kartenblatt mit englischen Straßennamen enthalten.
Der zweite Teil des Vortrags zeigte verschiedene Probleme der kroatischen Atlasarbeiten auf, besonders die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs und des Balkankriegs in den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts. Nicht nur historische Bausubstanz, sondern auch historische Quellen seien in großem Umfang vernichtet worden. Weitere gewichtige Probleme seien die fehlenden oder nur sehr schlecht dokumentierten archäologischen Ausgrabungen und die weite Zerstreuung des schriftlichen Quellenmaterials, das oft in verschiedenen Archiven anderer Länder zu finden sei.

Marjatta Hietala stellte die finnischen Atlasarbeiten, die als Teil des 1973 ins Leben gerufenen Skandinavischen Städteatlas erscheinen, in ihren forschungsgeschichtlichen Kontext und erläuterte die wichtigsten Charakteristika dieses Projekts. Die Arbeiten an dem Skandinavischen Städteatlas, der alle nordischen Länder umfassen soll, seien mit dem Ziel begonnen worden, Atlanten zu einer festen Anzahl von Städten aus jedem Land zu publizieren. Die Umsetzung sei inzwischen unterschiedlich weit gediehen, wobei lediglich Norwegen noch keinen Städteatlas vorzuweisen habe.
Im Weiteren stellte Hietala, hauptsächlich anhand der drei bislang erschienenen finnischen Städte – Turku, Borgå und Kokkola – und der aktuellen Bearbeitung von Helsinki, die Charakteristika des skandinavischen Städtewesens und die Besonderheiten der Bearbeitung dar. So seien die Städte fast durchweg königliche Gründungen, relativ klein und fast ausschließlich aus Holz errichtet. Nur wenige Beispiele reichten mit ihrer Geschichte bis ins Mittelalter zurück, zudem sei jede Stadt mindestens einmal durch Brand zerstört worden – daher die Entscheidung, auch Informationen über die Feuerverordnungen in den Städten mit aufzunehmen. Von Beginn an habe, neben der Bereitstellung der ‚kanonischen’ Karten, besonderes Gewicht auf der Arbeit an thematischen Karten zur Sozialtopographie und zur Baugestalt der Häuser sowie auf Reproduktionen alter Fotografien von Einzelobjekten gelegen.

Das Verhältnis zwischen der topographisch arbeitenden Städteforschung und der archäologischen Stadtkernforschung wurde in einem Doppelvortrag aus beiden Perspektiven dargestellt. Der Historiker Peter Johanek bemerkte zunächst, dass der Höhepunkt interdisziplinären Arbeitens allgemein und zwischen Archäologie und Geschichtswissenschaft im Besonderen in den 1960er-Jahren gelegen habe, seither jedoch eine Stagnation eingetreten sei. Johanek bezog zunächst die Position, dass der Grundrissplan einer Stadt durchaus historisch interpretierbar sei und sein Gesamtbild bzw. einzelne seiner Elemente bestimmten Entwicklungsphasen zuzuordnen seien. Die Editionsarbeit der Städteatlanten bilde dafür die Basis. Anhand der Beispiele Warburg, Ulm, Rottweil und Paderborn hob er indes auch hervor, dass die archäologische Forschung Interpretationen, die lediglich auf dem Stadtgrundriss beruhen, habe revidieren können. Es müsse daher in jedem Einzelfall geprüft werden, inwiefern das Grundrissbild zuverlässige Aussagen ermögliche. Am Beispiel der Marktplätze von Prag, České Budějovice/Budweis und Soest zeigte er sodann, dass die Interpretation von Stadtgrundrissen aller verfügbarer Quellen bedürfe: So gäbe lediglich eine Urkunde Karls IV. Auskunft darüber, dass der Markt von Budweis im 14. Jahrhundert, da sich hier Marktbuden verfestigt hatten, kein unbebauter Platz mehr gewesen sei, während die archäologische Forschung zeigen konnte, dass der Marktplatz von Soest seine heutige große Gestalt erst im 19. Jahrhundert erhalten habe. Abschließend hob Johanek die Vorreiterrolle des Westfälischen Städteatlas hervor, dessen Blatt Höxter/Corvey von Historikern und Archäologen gemeinsam erstellt worden sei.
Die Archäologin Barbara Scholkmann betonte in ihrem anschließenden Referat, dass die beiden Disziplinen die gemeinsame Fragestellung nach der topographischen Entwicklung von Städten aus unterschiedlichen Blickwinkeln bearbeiteten: Während die Stadtarchäologie die Städte jeweils individuell betrachte, gehe die Städteforschung vergleichend vor. Grundsätzlich beurteilte sie die Städteatlanten positiv, schloss sich dabei aber dem Urteil Johaneks an, dass genau überprüft werden müsse, welche Elemente des Grundrissplans jeweils wie alt seien. Ausführlich führte sie vor, in welcher Weise die neueren archäologischen Grabungsergebnisse in Städten wie Braunschweig, Freiburg/Breisgau, Lübeck und Tübingen die bisherigen Interpretationen modifizieren konnten, die rein auf historischen Quellen und Karten basierten. Für ihre Arbeit sei, über die Benutzung von Städteatlanten hinaus, der Zugriff auf die Originale der kartographischen Quellen unerlässlich.

Den Abschluss der Tagung bildete das Plädoyer Wilfried Ehbrechts, verstärkte Anstrengungen zur Erstellung von Verbreitungskarten zu unternehmen. Diese zentrale Aufgabe auch im Rahmen der Städteatlanten zu verfolgen, sei zugunsten von Einzelinterpretationen vernachlässigt worden. Dabei liege gerade hier die Möglichkeit, Einzelergebnisse im Vergleich abzusichern, miteinander in Beziehung zu setzen sowie, über die Interpretation der Verbreitung, neue Fragestellungen zu finden. Anhand der Leere der friesischen Küstenregion in älteren Verbreitungskarten zur Stadtentstehung legte er anschließend dar, wie typologische Vorentscheidungen das Kartenbild beeinflussen, und schlug vor, in dieser Gegend nach einem bisher nicht erfassten Stadttyp, der „landesgemeindlichen Stadt“, zu suchen.
Anhand der Arbeiten Heinz Stoobs, Carl Haases und Hektor Ammanns erörterte Ehbrecht dann das methodische Problem der Periodisierung von Stadtentstehungsschichten, wobei er sich zugunsten der überregionalen Vergleichbarkeit für absolute Zahlen im Jahrhundert- oder Halbjahrhundertrhythmus aussprach. Bei den Darstellungsräumen und Maßstäben dagegen müssten aus pragmatischen Gründen kleinräumige Lösungen akzeptiert werden. Besonders ging er auf die im Institut für vergleichende Städtegeschichte erarbeitete Kartenserie zur Stadtentstehung ein. Als vielversprechende Möglichkeit, die den Karten zugrunde liegenden Quellen und Belege zugänglich zu machen, wurden die Vorteile elektronischer Datenbanken angesprochen, nicht ohne den Hinweis, dass eine reine Internetpublikation mit ständig aktualisierter Datenbank Gefahr laufe, die Vorläufigkeit der Ergebnisse zu perpetuieren. Inhaltlich sei ein breites Spektrum an Möglichkeiten auszuschöpfen (auch thematische Karten zu Stadterweiterungen, Terminologie, Rechtssymbolen, Bürgerkämpfen usw.). Defizite gäbe es vor allem noch in der Darstellung der Stadt des 19. und 20. Jahrhunderts.

In der Schlussdiskussion wurde die Bedeutung der Städteatlanten als eine städtegeschichtliche und städtebauliche Forschungs- und Wissensgrundlage hervorgehoben und die quantitativen und qualitativen Fortschritte der Arbeiten am Europäischen Städteatlas betont. Noch einmal wurden der für die Atlasarbeit grundlegende Dialog der unterschiedlichen Fachdisziplinen und die damit einhergehenden Schwierigkeiten thematisiert. Auch die Herausforderungen und Möglichkeiten, welche die neuen digitalen Medien für die Arbeit an den Städteatlanten und ihre Publikation bergen, wurden erörtert. Resümierend wurde festgehalten, dass die in den Städteatlanten nach wissenschaftlichen Maßstäben edierten historischen Karten in Zukunft neben morphogenetischen Fragestellungen noch stärker auch als Quellen für die Stadtgestalt des 19. Jahrhunderts heranzuziehen seien.


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