Spuren der Avantgarde: Theatrum alchemicum

Spuren der Avantgarde: Theatrum alchemicum

Organisatoren
"Theatrum Scientiarum. Spuren der Avantgarde im experimentellen Wissen des 17. Jahrhunderts", Projekt A6 des Sonderforschungsbereichs 447 "Kulturen des Performativen"
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
01.11.2007 - 03.11.2007
Url der Konferenzwebsite
Von
Juliane Howitz

Die internationale Konferenz „Spuren der Avantgarde: Theatrum alchemicum“ wurde als nunmehr sechste Konferenz vom Forschungsprojekt „Theatrum Scientiarum – Spuren der Avantgarde im experimentellen Wissen des 17. Jahrhunderts“ des SFB 447 „Kulturen des Performativen“ der Freien Universität Berlin veranstaltet. Das Projekt widmet sich der theoretischen und historischen Erforschung der Performanz von Wissen im 17. Jahrhundert. Dabei wird von der These ausgegangen, dass die Avantgarden des 20. Jahrhunderts als groß angelegte Experimentalanordnung gedeutet werden können, die kulturprägende Blickschranken seit der Frühen Neuzeit thematisieren und sichtbar werden lassen. Im Sinne einer kulturhistorischen Komparatistik erscheint avantgardistische Kunst hier neben der Wissenschaft als originäre Form performativen Wissens und als Produktionsweise virulenter Fragestellungen, die sich in letzter Konsequenz gerade auf Ursprünge der Moderne bzw. auf die Emergenz der modernen Wissenschaft und Kunst in der Frühen Neuzeit richten lassen. Während in den vergangenen zwei Jahren im Rahmen der Konferenzreihe „Spuren der Avantgarde“ das Theatrum machinarum (2005) und das Theatrum anatomicum (2006) beleuchtet wurden, widmete sich die diesjährige Veranstaltung dem Theatrum alchemicum. Es ist den Organisatoren dabei gelungen, Teilnehmer/innen aus unterschiedlichen Disziplinen zu gewinnen, um das Thema interdisziplinär und produktiv zu diskutieren.

Zu Beginn der Veranstaltung präsentierten die Organisatoren HELMAR SCHRAMM, LUDGER SCHWARTE und JAN LAZARDZIG die für die Konferenz leitende These, dass Alchemie und Theater in der Frühen Neuzeit als Künste der Verwandlung, der physischen und psychischen Transmutation zu begreifen seien: Versteht man beide als „poetische Verwandlungskünste“ und berücksichtigt man außerdem die gleichermaßen ganz praktische Aneignung und Anwendung von Materialien, so die Organisatoren, ergeben sich erhellende Querverbindungen zwischen Theater und Alchemie. Im Sinne einer kulturhistorischen Komparatistik könnten die Alchemie der Frühen Neuzeit und die Avantgarden des 20. Jahrhunderts als experimentelle Praktiken aufeinander bezogen werden, in deren je spezifischer Performanz die Emergenz von Wissensordnungen im Lichte ihrer theatralen Verfasstheit ersichtlich würde. Es gehe demnach keineswegs um eine lineare kulturwissenschaftliche oder wissenschaftshistorische Geschichtsschreibung, sondern um eine Konfrontation zweier Verfahren der Wissensproduktion, ohne dabei der Illusion des Geschichtskontinuums zu erliegen.

Diese Zusammenhänge von Theater und Alchemie wurden von zahlreichen Beiträgern weiter untersucht, unter anderem von HELMUT GEBELEIN, DIDIER KAHN sowie LAWRENCE M. PRINCIPE: Gebelein leitete ein mit der Bemerkung, dass der Einfluss der Alchemie auf Malerei und Musik inzwischen recht gut belegt, die Relation zum Theater hingegen noch wenig erforscht sei. Gibt es eine alchemistische Form des Theaters? Gibt es alchemistische Theaterstücke? Anhand von ausgewählten Beispielen konnte Gebelein die Einflüsse eines alchemistisch geprägten Natur- und Weltbildes auf Sprech- und Musiktheater nachweisen. Außerdem konstatierte Gebelein eine Parallele zwischen alchemistischem Experiment und Theateraufführung hinsichtlich ihres transitorischen Charakters: Beide seien nicht ohne Weiteres reproduzierbar, während sich das (gelungene) moderne naturwissenschaftliche Experiment eben durch seine Reproduzierbarkeit auszeichne. Gebeleins Anmerkungen zum Begriff des Theatrum als Buchtitel in Publikationen der Frühen Neuzeit wurden in einer regen Diskussion aufgegriffen, zumal die Erforschung des Theatrum-Begriffs einen wichtigen Aspekt der bisherigen Arbeit des Projekts der Konferenzveranstalter darstellt: Theatrum als Schauplatz wird nicht nur als Ort des Zeigens, sondern zugleich als Ort des Verbergens gedeutet. Dieses gleichzeitige Zeigen und Verbergen, die Errichtung kulturprägender Blickschranken, ist sowohl in der Alchemie als auch im Theater anzutreffen und lässt sich grundsätzlich auf die Emergenz von Wissensordnungen in der Frühen Neuzeit verbinden. Offen blieb jedoch die Frage nach den theatralen Dimensionen des alchemistischen Experiments.

Kahn setzte sich in seinem Vortrag mit Antonin Artauds „Das alchemistische Theater“ (1932, 1938 in Le Théâtre et son Double erneut erschienen) auseinander. Artaud stellt in diesem Text „eine geheimnisvolle Wesensgleichheit“ zwischen dem Theater und der Alchemie fest. Laut Kahn ist dieser Text in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts einer der einflussreichsten Texte über Alchemie, obgleich Artaud kaum über wesentliche Kenntnisse von der Alchemie der Frühen Neuzeit verfügte. Artauds Verständnis der Alchemie als einem Double des Theaters sei in der Möglichkeit von Wesensveränderungen in beiden Künsten begründet. Insgesamt stand Kahn der Analogisierung von Alchemie und Theater seitens Artaud jedoch skeptisch gegenüber. Hierbei sei vor allem zu beachten, dass in der frühneuzeitlichen Alchemie grundsätzlich eine bemerkenswerte Abwesenheit des Theaters ausgemacht werden könne. Des Weiteren stellte Kahn fest, dass Artauds Idee eines alchemistischen Theaters über Jahrzehnte hinweg oftmals falsch zitiert und verwendet worden sei. Außerdem habe Artaud selbst nie versucht, sein Konzept eines alchemistischen Theaters praktisch umzusetzen. Kahns These, dass in alchemistischen Texten Theater kaum vorkomme, war in der anschließenden Diskussion heftig umstritten. Während Theater als Institution in alchemistischen Texten tatsächlich nur selten anzutreffen sei, habe die theaterwissenschaftliche Forschung in jüngster Zeit jedoch Modelle entwickelt, mittels derer auch außerhalb des Theaters in Bereichen von Wissenschaft und Kunst theatrale Gefüge aufzuspüren und zu untersuchen sind: Theatralität sei alchemistischen Texten also keineswegs abzusprechen.

Principe beschäftigte sich in seinem Vortrag mit der Theatralität alchemistischer Experimente, die durch besondere Ansprache der Sinne entsteht. In den von ihm untersuchten alchemistischen Schriften sei besonders die figurative Sprache auffällig, die eine entsprechend theatrale und dramatische Form bedinge. Eben diese Theatralität sei der Welt von den Alchemisten zugrunde gelegt worden, was sich auch in den von ihm untersuchten Schriften widerspiegele. Principes Hauptargument für eine Theatralität der Alchemie war jedoch die Allegorisierung von Prozessen und Materialien in den untersuchten Texten. Diese treten als maskierte Personen auf und zeichnen sich damit durch Charakter und Intentionalität aus. Das Zusammentreffen und Interagieren der Stoffe als dramatisches Spektakel lässt diese als Schauspieler erscheinen und versetzt den Alchemisten in die Rolle eines Zuschauers, der das „Schauspiel der Natur“ beobachtet. Ein konkretes Beispiel für seine These lieferte Principe anhand der so genannten Ripley Scrolls. Diese zwischen drei bis sieben Meter langen Schriftrollen aus dem 16. und 17. Jahrhundert sind mit alchemistischen Versen und Bildern versehen, deren Bedeutung und ursprüngliche Funktion allerdings bis heute nicht geklärt sind. Principe schlug mit Verweis auf die strukturelle Ähnlichkeit der Ripley Scrolls mit genealogischen Schriftrollen des englischen Königshauses vor, die Ripley Scrolls als Stammbaum des Steins der Weisen, gewissermaßen des Königs aller Stoffe, zu lesen. Die von Principe so dargelegte Inszenierung alchemistischer Praxis ließ den Schauwert frühneuzeitlicher Wissenschaften generell hervortreten, womit er eine der möglichen Brücken zwischen Theater und Alchemie schlug.

JENS SOENTGEN sprach selbst zwar nicht von einer Theatralität von Stoffen, gestand ihnen aber bereits im Titel seines Beitrags Intentionalität zu: „Stoffe haben Neigungen“. Im Gegensatz zum modernen Chemiker beschäftigte sich der Alchemist der Frühen Neuzeit mit Stoffen, nicht mit Elementen. Was aber ist ein Stoff? Ein Stoff ist weder ein Element noch ein Ding, Letzteres präge heutzutage unsere visuelle Orientierung im Alltag. Oral aber seien wir auf Stoffliches fixiert – ein Fakt, der die Betonung des Mundes und des Geschmackssinns zur Identifizierung und Beschreibung von Vorgängen und Substanzen im alchemistischen Labor erkläre. Ausgehend von seiner Beschäftigung mit dem Thema bot Soentgen sechs Kriterien zur Identifizierung von Stoffen an: Stoffe sind portionierbar, Stoffe sind Gebilde, Stoffe sind materiell, Stoffe haben Neigungen, Stoffe kommen vor, es gibt Stoffe, die natürliche Arten sind. In dieser Phänomenologie war insbesondere der letzte Punkt in der anschließenden Diskussion umstritten. Muss an die Alchemie historisch herangegangen werden, da die damals verwendeten Stoffe eben nicht die gleichen seien wie heute oder sind diese Änderungen allein durch die Ablösung bestimmter Fachkulturen bedingt (Chemie statt Alchemie)? Soentgen betonte ausdrücklich, dass verschiedenen Stoffe sich nicht notwendigerweise durch Formeln unterscheiden müssten und die Klassifikationen solcher Art allein Konventionen seien. Heutige Stoffe seien im Wesentlichen die gleichen Stoffe mit denen in der Frühen Neuzeit gearbeitet wurde.

WILLIAM R. NEWMAN setzte sich in seinem Beitrag mit dem Verhältnis von Alchemie und Bildender Kunst auseinander, ein Verhältnis, das aus verschiedenen Gründen spannungsgeladen ist. Besonders im Streben des Alchemisten nach der Schaffung künstlicher Menschen, der Homunculi, zeigen sich die Gemeinsamkeiten, aber auch die besonders von Seiten der Alchemisten betonten Unterschiede zwischen beiden Praktiken. Die Alchemie nahm für sich in Anspruch, die Natur nicht nur zu verstehen, sondern sie auch reproduzieren zu können. In diesem Punkt ähnele sie dem Ideal einer mimetischen Wiedergabe in der Bildenden Kunst. Die Alchemie allerdings könne nicht allein reproduzieren, sondern darüber hinaus durch transmutatorische Prozesse die Natur perfektionieren. Alchemistischer Transformation stand somit künstlerische Mimesis gegenüber. Der entscheidende Unterschied zwischen Alchemie und Bildender Kunst, so Newman, sei in der Möglichkeit der Stoffveränderung zu sehen: In einem Bild würden Pigmente angeordnet, nicht aber in ihrem Wesen verändert. Alchemie bringt hingegen das in der Natur Angelegte im transmutatorischen Prozess zur Perfektion. Aus der formenden Essenz des Menschen, dem männlichen Sperma, werden Homunculi aus unterschiedlichen Materialien erschaffen. Newman setzte diese Ausführungen in Zusammenhang mit zeitgenössischen transgenen und transhumanistischen Projekten, die die Grenze zwischen Natur und Kunst ebenso verwischen wie der Prozess der alchemistischen Schaffung künstlicher Menschen.

Zu Transformationen von Materialien bei Joseph Beuys sprach BARBARA GRONAU und ging dabei der Auseinandersetzung Beuys’ mit der Alchemie nach. Stoffe nahmen bei Beuys die Rolle von Agenten ein, so Gronau, deren Wert und Bedeutung über materielle Eigenschaften hinausging. Im Umgang mit Materialien übersetzte Beuys alchemistische in künstlerische Verfahren, um im Sinne einer alchemistischen Heilkunst einen gesellschaftlichen Sublimierungsprozess zu unterstützen. In der anschließenden Diskussion wurden die spirituell-religiösen Aspekte dieser Projekte thematisiert.

Zusammenhänge und Inspirationen zwischen Alchemie und avantgardistischer Kunst standen bei weiteren Beiträgen im Mittelpunkt. FREDDIE ROKEM untersuchte die kurze Korrespondenz zwischen Friedrich Nietzsche und August Strindberg um 1889. Rokem sprach dabei von einem „Drama of Letters“, das eine theatralen Überhöhung des eigenen Selbst in Szene setzt. In den Briefen umkreisen die Schreibenden die Grenze, wo Vernunft in Wahnsinn umschlägt. Strindberg, der zur Zeit der Korrespondenz Mitglied der Société Alchimique de France war und deren Studien sein Werk stark prägten, könne gar als „psychological alchemist“ gesehen werden. Die Erkundung verborgener Bereiche der Seele sowie der „alchemistischen Transformationen“ zu ihrer Reinigung spielen im Werk sowohl Nietzsches als auch Strindbergs eine Rolle, doch aus ihrer jeweiligen Position als Philosoph bzw. Künstler heraus konnten die beiden zu keiner Übereinstimmung gelangen.

PHILIPPE SERS sprach sich im Schlussvortrag der Konferenz für eine Neuinterpretation des Werkes Marcel Duchamps aus, die nicht nur von dessen Kunstwerken, sondern auch von den vorbereitenden Notizen und Arbeiten ausgehen solle. Duchamp selbst plante einen solchen Gesamtblick auf sein eigenes Werk mit seinem Museum im Koffer. Duchamp – der von Sers als Alchemist seines eigenen Lebens bezeichnet wurde – verstand seine Kunst als eine „Wissenschaft par excellence“ im Sinne eines Instruments der Wahrheit, zu deren Essenz man nach Sers im Falle Duchamps noch gar nicht vorgedrungen sei. Sers dekonstruierte anhand einiger Beispiele geläufige Annahmen über Duchamp und seine Kunst – insbesondere die angebliche exemplarische Stellung der ReadyMades innerhalb seines Schaffens – und zeigte so die Notwendigkeit eines neuen Herangehens an die Thematik. Erst in einem umfassenden Blick erschließe sich das Werk, in dem jedes Einzelwerk als Element eines Ensembles seine Rolle spiele.

Andere Redner/innen erschlossen aus unterschiedlichen Perspektiven das vielschichtige Feld der frühneuzeitlichen Alchemie, wobei einhellig von einer Vielzahl von Alchemien und nicht von der Alchemie ausgegangen wurde. Hinsichtlich der Alchemie als Inspirationsquelle für avantgardistische Kunst bestand Einigkeit, dass immer neu hinterfragt werden müsse, auf welche Formen von Alchemie sich der jeweilige Künstler bezog, um in der Analyse nicht zu voreiligen und simplifizierenden Schlussfolgerungen zu gelangen.

MIGUEL LOPÉZ-PERÉZ betonte, dass Philosophie und Praxis der Alchemie im Rahmen der frühneuzeitlichen Wissenschaften genau betrachtet werden müssen, um ein angemessenes Bild sowohl aus epistemologischer als auch sozialer Perspektive für das 16. und 17. Jahrhundert entwerfen zu können. Erst ein historisch fundiertes Verständnis lasse das geringe Interesse der modernen Naturwissenschaft, aber auch der Wissenschaftsgeschichte an der Alchemie, möglicherweise aus einer Haltung des Unglaubens und auch Unterschätzung heraus, überwinden.

URSULA KLEIN lieferte einen Beitrag zu genau dieser Problematik, indem sie die allmähliche Ablösung der Alchemie durch die Chemie im Verlauf des 18. Jahrhunderts nachzeichnete. Sie unterstrich dabei, dass es durchaus noch Wissenschaftler gegeben habe, die Interesse an der Alchemie hatten und diese als Wissenschaft auch ernst nahmen. Aber sowohl theoretische als auch ganz praktische Gründe verhinderten, dass weiterhin alchemistische Studien in großem Maße durchgeführt wurden. Kleins Thesen zeigen, dass der Übergang von Alchemie zu Chemie noch wenig erforscht ist, dies aber keinesfalls allein dem Unglauben an die Wirksamkeit der alchemistischen Theorie und Praxis zugeschrieben werden kann.

TARA NUMMEDAL unterscheidet in ihrer Forschungsarbeit zur frühneuzeitlichen Alchemie deutlich zwischen einer philosophischen Alchemie der Ideen, der Gedanken, der Traktate und Weltbeschreibung auf der einen und einer praktischen Alchemie der Dinge, der Vorgänge, der Arbeit im Labor auf der anderen Seite. Nummedal sprach auf der Konferenz über die praktizierenden Alchemisten an den sächsischen Höfen des 16. und 17. Jahrhunderts. In diesen fürstlichen Laboratorien hinterließen die angestellten Alchemisten und Laboranten ihren Nachfolgern, teilweise verborgen in Mauern versteckt oder offen zugänglich, Aufzeichnungen über ihr eigenes Laborieren. Nummedal widmete sich der Rolle dieser Manuskripte sowie notierten Versuchsabläufe und begriff sie als eine Art Wissensbibliothek, als ein über Jahrzehnte hinweg gesammeltes Archiv. Im Wechsel zwischen geteiltem Wissen und geheimen Formeln gestaltete sich der Umgang mit den Hinterlassenschaften der Vorgänger als sehr schwierig und brachte unterschiedliche Herangehensweisen hervor. Nummedals Ausführungen schlossen aus einem ganz konkreten Blickwinkel an das zentrale Konferenzthema des (theatralen) Wechselspiels von Zeigen und Verbergen an.

Die Konferenz „Spuren der Avantgarde: Theatrum alchemicum“ stellte in der Reihe der bisherigen Veranstaltungen sicher die größten Herausforderungen an eine Zusammenführung der beteiligten Disziplinen und Interessen. Es hat sich in den angeregten und zahlreichen Diskussionen jedoch gezeigt, dass die Betrachtung der Thematik aus so verschiedenen Blickwinkeln fruchtbar war. Als ein Ergebnis lässt sich festhalten, dass alchemistische Theorien und Praktiken der Frühen Neuzeit eine epistemologisch und wissenschaftshistorisch bedeutende und bislang oftmals unterschätzte Rolle für Kunst und Wissenschaft der Aufklärung und der Moderne spielten. Die vorgestellten Beispiele alchemistischer Inspirationen in den Avantgarden und Neoavantgarden des 20. Jahrhunderts haben gezeigt, in welchem Maße entsprechende Ideen, wenngleich über die Jahrhunderte verändert und den eigenen Interessen angepasst, immer wieder mit einiger Durchschlagskraft auftauchten.

Im Hinblick auf die grundsätzlichen Fragen des gastgebenden Forschungsprojekts nach den Spuren der Avantgarde im experimentellen Wissen des 17. Jahrhunderts ergaben sich neue und erhellende Bezüge zwischen den Praktiken der Alchemie und den Praktiken der Avantgarde. Avantgardistische Praktiken des Infragestellens der Bedingungen von Wahrnehmen und Erkennen konnten Gewinn bringend mit dem alchemistischen Experimenten mit Materialien verbunden werden: Denn die Sichtbarmachung kulturprägender Blickschranken in den Experimenten der Avantgarden des 20. Jahrhundert gewährte einen Blick auf die Performanz alchemistischen Wissens, in der eine Poetik des Experimentierens jenseits positivistischer Wissenschaftsgeschichte in den Fokus treten konnte. Dies ist eine Poetik, die für das Verständnis der frühneuzeitlichen hermetischen Naturphilosophie (im Vorfeld der modernen Scheidung von Wissenschaft und Kunst) von entscheidender Bedeutung ist. Die Ergebnisse der Konferenz werden als sechster Band der Buchreihe Theatrum Scientiarum im Verlag Walter de Gruyter erscheinen. Die nächste Konferenz der Veranstaltungsreihe wird im Mai 2009 zum Thema Theatrum oeconomicum stattfinden. Für weitere Informationen siehe http://www.theatrum-scientiarum.de

Konferenzübersicht:

Sektion Theatrum Alchemicum
Helmar Schramm, Ludger Schwarte, Jan Lazardzig: „Begrüßung und Einführung“
Hanns-Peter Neumann: „Utopien der Alchemie“
Didier Kahn: „Antonin Artaud and the Alchemical Theater
Nikorn Mangkorntong: „Gun Powder as Blossom-Inducing Substance for the Longan Tree“
William R. Newman: „ Alchemy and the Visual Arts: Homunculus versus Mandrake“
Lawrence M. Principe: „The Stages of Alchemy. Theatrical Drama In and Out of the Laboratory“
Philippe Sers: „Le Grand Oeuvre de Marcel Duchamp. Eléments pour une nécessaire réinterprétation“

Sektion Theater der Materialien
Verena Kuni: „Bühne, Bank, Bibliothek. Das Theatrum alchemicum der Kunst“
Barbara Gronau: „Blutwurst, Eisen und 'Anti-Chemie'. Transformationen des Materials bei Joseph Beuys“
Helmut Gebelein: „Alchemie und Theater“
Wilhelm Schmidt-Biggemann: „Heinrich Khunraths Amphitheatrum sapientiae aeternae“
Wilhelm Kühlmann: „'Solve et coagula'. Alchemie als Modell poetischer Imagination im 20. Jahrhundert“

Sektion Grosses Werk und 'Kreativer Akt'
Michael Lorber: „Johann Joachim Becher. Alchemie und die Theatralität der Natur und der Kunst“
Ulli Seegers: „Werkbegriffe. Vom Großen Werk zum erweiterten Kunstbegriff“
Freddie Rokem: „Staging the Self. The Nietzsche-Strindberg Correspondence“
Leszek Kolankiewicz: „Jerry Grotowski's Alchemical Laboratory“

Sektion Schneidekunst – Gesamtkunstwerk
Gerald Reuther: „Alchemie bleibt die Kunst der Könige. Harmonieverluste in der experimentellen Wissensordnung des 17. Jahrhunderts“
Jens Soentgen: „Stoffe haben Neigungen. Ein Beitrag zur phänomenologischen Beschreibung von Stoffen“
Tara Nummedal: „Alchemical Separation and Purification in Early Modern Saxony“
Ursula Klein: „Alchemical Reminiscences in the Eighteenth Century“
Miguel López-Pérez: „Alchemy: The needed Colour for a Pointillist Picture of Early Modern Age“

Kontakt

Michael Lorber
SFB 447/A6, Institut für Theaterwissenschaft
Grunewaldstraße 35, 12165 Berlin

030-838503-66
030-838503-65
michael.lorber@fu-berlin.de

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