Eine andere Dialektik der Aufklärung. Zur Rezeption weiblicher Herrschaft in der Frühmoderne

Eine andere Dialektik der Aufklärung. Zur Rezeption weiblicher Herrschaft in der Frühmoderne

Organisatoren
SFB 584 und Lehrstuhl für Geschlechtergeschichte an der Universität Bielefeld
Ort
Bielefeld
Land
Deutschland
Vom - Bis
11.01.2008 - 12.01.2008
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Von
Pauline Puppel, Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden

„Major dignitas est in sexu virili“, heißt es bei Ulpian (gest. 223 n.Chr.). Seine Auffassung, dem männlichen Geschlecht komme mehr Würde zu als dem weiblichen, wurde nicht nur zu einem basalen Rechtssatz des vormodernen Normensystems, sondern prägt bis heute die Diskussionen über Frauen in Führungspositionen von Politik und Wirtschaft. Aus sechs Perspektiven wurde jetzt der Frage nach der „Dialektik der Aufklärung“ im Hinblick auf die Rezeption der Herrschaft von Frauen in der Vormoderne nachgegangen. Erkenntnisleitend war dabei die Überlegung, dass im Verlauf der für unser Menschenbild konstitutiven Epoche der Aktionsradius von Frauen zunehmend eingeschränkt wurde. Fast überzeitlich erscheint der Diskurs über die Herrschaftsausübung von Frauen; daher wurde nach den diskursiven Bildern, Topoï und Wertungen, nach den sie bedingenden exogenen Faktoren und nach ihrer Wirkmächtigkeit in der Gegenwart gefragt.

Die erste Sektion thematisierte „Konzepte“: Die „rechtlichen Grundlagen weiblicher Herrschaft“ wie Lehn-, Erb- und Hausrecht skizzierte PAULINE PUPPEL (Wiesbaden), um in einem weiteren Schritt die Positionen der Rechtsgelehrten zur „Weiberherrschaft“ zu analysieren. Herrscherinnen wurden im dominanten Diskurs der Vormoderne zu Ausnahmen stilisiert, um die Ordnung der Geschlechter nicht in Frage stellen zu müssen. Den „Streit um das Recht auf eine neue Gesellschaft:“ stellte BARBARA HOFFMANN (Kassel) am Beispiel von drei Frauen unterschiedlicher Standeszugehörigkeit im Einflussfeld des radikalen Pietismus an der Wende zum 18. Jahrhundert vor. Sie ging der Frage nach, ob der Radikalpietismus eine Möglichkeit darstellte, Herrschaftsräume für Frauen und von Frauen zu erweitern, musste aber feststellen, dass sich die traditionellen Ordnungsvorstellungen als so durchsetzungskräftig erwiesen, dass alle drei Frauen scheiterten.

Sektion zwei war für die Analyse der Rezeption von Herrscherinnen im Kontext des Dreißigjährigen Krieges reserviert. SIMONE BUCKREUS (Paderborn) stellte mit dem Beitrag „Amelia von Hessen-Kassel“ Aspekte ihrer soeben eingereichten Dissertation vor. Angeregt von der Zwei-Körper-Konzeption elisabethanischer Juristen, die Kantorowicz bekannt gemacht hat, geht sie davon aus, dass zum leiblichen und politischen Körper ein dritter, nämlich der in der öffentlichen Wahrnehmung konstruierte und/oder für die Öffentlichkeit entworfene, hinzutritt. Buckreus erläuterte, dass Amelia Elisabeth die „Bildpropaganda“ nutzte, um sich als standfeste Herrscherin zu stilisieren, die sowohl territorial- als auch religionspolitische Ziele im Westfälischen Frieden durchsetzen konnte. Ihre Zeitgenossen feierten sie entsprechend als „hessische Debora“.

Der Rezeption von weiblicher Herrschaft in Russland des 18. Jahrhunderts war Sektion drei gewidmet. MARTINA WINKLER (Berlin) referierte über „Frauenherrschaft im ‚offenen’ russischen Jahrhundert“. Die Gesellschaft war zwar patriarchal strukturiert, dennoch herrschten vier Frauen im vormodernen Russland. Dieses Phänomen steht nach Winkler nicht im Gegensatz zu den damaligen Vorstellungen und Gesellschaftsstrukturen, sondern lag vielmehr in ihnen begründet, denn das Erbrecht schloss Frauen keineswegs prinzipiell aus. Winkler betont, dass nicht von einem Dualismus ausgegangen werden kann, sondern dass die Möglichkeit, Herrschaft auszuüben, abhängig war von der Möglichkeit, entsprechende Räume zu besetzen. Die Literaturwissenschaftlerin MIRIAM FINKELSTEIN (München) stellte in ihrem Vortrag „Zur Rezeption der Regentin Sof’ja Aleksejevna (1682-1689) bei russischen Autorinnen des 18. und 19. Jahrhunderts“ die kaum bekannte literarische Tätigkeit der Zarin Katharina der Großen vor. Sof’ja, was auch Göttliche Weisheit bedeutet, bot sich als Projektionsfläche geradezu an, da sie beansprucht hatte, als Mit-Zarin anerkannt zu werden. Die sophiologischen Bezüge sind darüber hinaus für die deutsche Prinzessin Sophie von Anhalt-Zerbst, die sich die Interpretationshoheit über die russische Geschichte zu sichern suchte, von immenser Bedeutung für die Legitimierung der eigenen Herrschaft.

In Sektion vier wurde die Rezeption Kaiserin Maria Theresias thematisiert. Der Soziologe ANDREAS HANSERT (Frankfurt/M.) untersuchte in seinem Beitrag „Amt und Dynastie – Rolle und Geschlecht“ am Beispiel der Kaiserin die „Struktur von historischer Frauenherrschaft“. Hansert unterstrich, dass zwischen der dynastischen Herrschaft und der Herrschaft qua Amt unterschieden werden müsse, wobei unter letztere eine spezifische Ausformung von „Rolle“ zu verstehen sei. Insofern hatten seiner Ansicht nach Männer auf der Basis von Ämtern mehr Chancen, rollenhaftes Handeln zu entwickeln. Da bis 1919 Amt und Sexus unlöslich verbunden gewesen seien, folgert Hansert, dass bei Herrschaft durch Amt erst heute von „Geschlechtsneutralität“ gesprochen werden könne. Die Männlichkeit von Amt werde insbesondere durch die Kaiserkrönung Franz Stephans von Lothringen augenfällig: Maria Theresia war „nur“ die Ehefrau des Reichsoberhaupts. Der historiographischen Darstellung Maria Theresias und ihrer Zeitgenossen auf den Thronen Europas wandte sich SVENJA KADUK (Bielefeld) zu. Sie analysierte die „Konstruktion von Weiblichkeit und Männlichkeit in der deutschen Nationalhistoriographie des 19. Jahrhunderts“ am Beispiel der bekannten Werke von Ranke, Droysen und Treitschke. Diese wirkmächtigen Historiographen nutzen Gegensatzpaare für den Ausdruck ihrer misogyn aufgeladenen Herrschaftsfantasien, um ihre intendierte Argumentation, zu untermauern. Die Geschichtsschreiber wollten Preußen als gutes Staatswesen darstellen und nutzten dafür narrative Stilmittel. Die Konnotation ‚weiblich’ steht nach ihrer Erkenntnis also nicht in Zusammenhang mit dem tatsächlichen Geschlecht der Protagonisten.

Die fünfte Sektion wandte sich der Rezeption staatstheoretischer Schriften des 16. und 18. Jahrhunderts zu. CHRISTINE ZABEL (Paris/Heidelberg) arbeitete ihr Verständnis von „Jean Bodin als realpolitischem Theoretiker“ anhand der Six Livres de la République von 1576 heraus. Sie untersuchte, welche Auswirkungen Bodins gender-Codierungen für die politische Position von Frauen und vor allem für die französische Königin hatten. Die Geschlechter betrachtete der Staatsdenker immer in juristischer Relation zueinander, wobei der Ehemann Befehlsgewalt über seine Ehefrau habe. In Bezug auf die Königin bedeutet dies, dass auch sie dem Gemahl untergeordnet ist. Eine Problematik, die Bodin am Beispiel seiner Zeitgenossin Elizabeth I. von England erläuterte. Die Königin kann seiner Ansicht nach die Kontinuität der Herrschaft nicht garantieren denn durch Heirat. Grundsätzlich sei daher die Herrschaft einer Frau abzulehnen – ganz egal, wie weise sie auch regieren könnte. „Die Querelle des Femmes im Mundus Christiano-Bavaro-Politicus (1709-1711)“ liest VERONIKA HAIN (München) als ein Mittel zur Zurückdrängung der Frau aus der Machtsphäre. Der Verfasser, der sich wahrscheinlich mit dem vierbändigen Manuskript um eine Stelle am bayerischen Hof bewerben wollte, diskutierte, ob Frauen fähig seien, zu herrschen, ob sie an der Herrschaft partizipieren sowie ob sie als Gesandte tätig werden dürften. Trotz der Anhäufung misogyner Argumente ist Freiherr von Schmid ein Pragmatiker: Den Grund für die vorsichtig befürwortende Haltung zu weiblicher Herrschaft vermutet Hain in der möglichen Regentschaft der Kurfürstenwitwe, mit der es sich der Freiherr nicht verscherzen wollte.

Die abschließende Sektion war der Methoden- und Theoriediskussion zur Rezeptionsästhetik weiblicher Herrschaft in der Frühen Neuzeit vorbehalten. Als diskussionswürdige Punkte nannten MAREIKE MENNE (Stuttgart) und SIMONE BUCKREUS sechs Aspekte: (1) Zum Bereich „Zeit“ gehört die Überlegung, ob z.B. die Aufklärung auch für das weibliche Geschlecht ein Modernisierungsparadigma sein kann. (2) Unter dem Begriff „Raum“ kann ebenso nach geographischen Räumen gefragt werden wie nach Konzepten. (3) Im Bereich „Rezeptionsästhetik“, die als Sinnbildungsprozess im Leser verstanden wird, wurde u.a. die Historisierung der Herrschaft von Frauen untersucht. (4) Kritisch stand im Raum, ob wir heute als Gefangene des Modernisierungsparadigmas die Herrschaft von Frauen in der Vormoderne als „Scheitern“ wahrnehmen und wie sehr uns die Wertung „vormodern – modern“ das Verständnis verstellt. (5) Ein Augenmerk sollte auf den Bereich des „Spiels“ gerichtet werden, da die Bedeutung von Maskeraden in der Vormoderne für das spielerische Umgehen mit Geschlechterrollen nicht zu unterschätzen ist. (6) Schließlich sollten Codes überdacht werden. Die Verwendung von Begriffen wie „weibliche Herrschaft“ und „Herrschaft von Frauen“ weist auf ein Synonym hin, das es jedoch zu hinterfragen gilt. Die Bedeutungskonstitution unterliegt einem Prozess, Bedeutungen werden Dingen und Abstrakta jedoch nicht beliebig zugeschrieben, sondern sind Resultat je spezifischer Konfigurationen. Im Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses standen die gender-Zuschreibungen zu den für das moderne Staatsverständnis wesentlichen Begriffen „Macht“, „Herrschaft“ und „Politik“, über die konkreten Rollenkonstruktionen und die Rezeption der ‚weiblichen’ Herrschaft/der Herrschaft von Frauen sowohl auf den unterschiedlichen Ebenen der Darstellung, der Selbstdarstellung, der Rezeption und der Performanz.

Eine zeitnahe Publikation ist geplant. Um keine Aneinanderreihung von Einzelbeiträgen zu veröffentlichen, sollen die in der Abschlussrunde diskutierten sechs Aspekte in zusätzlichen Abstracts in Bezug zur je eigenen Thematik gebracht werden. Dies könnte dazu beitragen, die lebhaften Diskussionen in den Tagungsband einfließen zu lassen.

Konferenzübersicht:

Eine andere Dialektik der Aufklärung. Zur Rezeption weiblicher Herrschaft in der Frühmoderne

Sektion 1: "Konzepte"
Pauline Puppel (Wiesbaden) "Die rechtlichen Grundlagen weiblicher Herrschaft"
Barbara Hoffmann (Kassel) "Streit um das Recht auf eine neue Gesellschaft. Frauen im Einflussfeld des radikalen Pietismus"

Sektion 2: "Fallbeispiele I - Rezeption von Herrscherinnen im Umfeld des 30jährigen Krieges"
Simone Buckreus (Paderborn) "Amelia von Hessen-Kassel"

Sektion 3: "Fallbeispiele II - Rezeption von weiblicher Herrschaft in Russland im 18. Jahrhundert"
Martina Winkler (Berlin) "Frauenherrschaft im 'offenen' russischen Jahrhundert"
Miriam Finkelstein (München) "Zur Rezeption der Regentin Sof'ja Aleksejevna (1682-1689) bei russischen Autorinnen des 18. und 19. Jahrhunderts"

Sektion 4: "Fallbeispiele III - Rezeption Maria Theresias"
Andreas Hansert (Frankfurt/M.) "Amt und Dynastie - Rolle und Geschlecht. Zur Struktur von historischer Frauenherrschaft am Fall Maria Theresias"
Svenja Kaduk (Bielefeld) "Maria Theresia und ihre Brüder. Die Konstruktion von Weiblichkeit und Männlichkeit in der deutschen Nationalhistoriographie des 19. Jahrhunderts"

Sektion 5: "Rezeption in der frühneuzeitlichen Staatstheorie"
Christine Zabel (Paris/Heidelberg) "Jean Bodin als realpolitischer Theoretiker?"
Veronika Hain (München) "Die Querelle des Femmes im Mundus Christiano-Bavaro-Politicus (1709-1711). Ein Mittel zur Zurückdrängung der Frau aus der Machtsphäre"

Sektion 6: "Methoden- und Theoriediskussion zur Rezeptionsästhetik weiblicher Herrschaft in der Frühen Neuzeit"