Titel : Osmanischer Orient und Ostmitteleuropa. Perzeptionen und Interaktionen in den Grenzzonen zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert
Die vielfältigen Verflechtungen zwischen Ostmitteleuropa und dem osmanisch-orientalischen Raum stehen im Mittelpunkt des Forschungsprojekts „Osmanischer Orient und Ostmitteleuropa – Vergleichende Studien zu Perzeptionen und Interaktionen in den Grenzzonen“ des Geisteswissenschaftlichen Zentrums Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas an der Universität Leipzig (GWZO). Im Projekt, welches seit 2006 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert wird, untersuchen Historiker, Kunsthistoriker und Osmanisten die komplexen Beziehungsgeflechte zweier historischer Räume in der Frühen Neuzeit, deren ökonomische, kulturelle und politische Interaktionen von den in starkem Maße national geprägten Historiographien weithin einseitige oder zu wenig Beachtung fanden.
Die in Zusammenarbeit mit Prof. Stephan Conermann vom Lehrstuhl für Orient- und Asienwissenschaften der Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn konzipierte und durchgeführte internationale Tagung näherte sich unter verschiedenen Blickwinkeln den frühneuzeitlichen Interaktionsräumen zwischen Ostmitteleuropa und dem europäischen Teil des Osmanischen Reiches. Auf kulturellem, wirtschaftlichem und politischem Gebiet sollten beiderseits der politischen Grenzen Analogien, Zusammenarbeit und Konflikte thematisiert werden, welche „Grenze“ im Sinne eines Aktionsraumes definieren. Die Mittlerfunktion und Zwischenlage dieses Raumes bewirkte dabei eine eigene Akkulturation in verschiedenen Richtungen.
Zu diesen Themen kamen in Bonn internationale und interdisziplinär arbeitende Wissenschaftler zusammen und diskutierten Forschungsstände in den Querverbindungen zwischen Geschichte der Frühneuzeit, Literaturwissenschaft, Osmanistik und Kunstgeschichte.
Eröffnet wurde die Tagung durch die Initiatorin des Projekts EVELIN WETTER (Bern) und dessen Koordinator ROBERT BORN (Leipzig). Diese stellten das Projekt sowie die bis dato erzielten Arbeitsergebnisse vor und stellten Struktur und Ablauf der Tagung vor. Thematisch wurde die Konferenz in vier offene Sektionen unterteilt.
Ein erster Teil setzte sich unter dem Titel „Orient“ und „Okzident“ – Wahrnehmungen und Konstruktionen von Räumen in der frühen Neuzeit mit den mentalen Grenzräumen beider Geschichtsregionen auseinander. In direktem Bezug dazu stand der Eröffnungsvortrag der Tagung von DETLEF HABERLAND (Oldenburg) zu den Perzeptionen des südosteuropäischen Grenzraumes in Berichten von Reisenden aus Ostmitteleuropa. Besonders jene Quellen thematisieren implizit einen kulturell vergleichenden Blick auf die „Fremde“. Nach seinen Ausführungen ist die Grenze als Phänomen in den Berichten kaum präsent, jedoch als Erlebnisraum einer Zwischen- oder Durchgangsstation der Grenzzone nachweisbar. Die selektive Wahrnehmung des Reisenden reflektierte und notierte hierbei stets Alterität und lässt Einblicke auch auf die Herkunftsregion des Schreibers sowie dessen Horizont zu. Diskutiert wurden hieran die Vergleichbarkeit von Reiseberichten sowie deren allgemeine Anwendbarkeit für die Forschung. Thematisch anschließend führte VILIAM CICAJ (Bratislava) die Grenzbeziehungen zwischen muslimischer und christlicher Welt im historischen Oberungarn im Lichte von Schriften von Diplomaten, Reisenden, Händlern, Soldaten und Gefangenen besonders seitens der Christen aus. Ein für Grenzräume spezifisches Informationsinteresse ließ ein Genre entstehen, welches von Augenzeugenberichten von genannten Gruppen bis hin zu mystifizierenden und fantastischen Erzählungen über das Jenseits der Grenze ein weites Spektrum aufwies. Weitrechende Quellen zum 16. und 17. Jahrhundert warten – nach Aussagen Cicajs – in Privatarchiven auf wissenschaftliche Auswertung und Erschließung.
Anschließend erörterte CLAUDIA FEURER (Bonn) den Aufbau von Grenzgesellschaften am Beispiel des Triplex Confinium auf dem Balkan. In der frühneuzeitlichen Grenzregion zwischen Habsburger Monarchie, der Republik Venedig und dem Osmanischen Reich bildeten sich komplexe soziale Bindungen heraus, die transkulturell ähnliche Formen annahmen. Hierbei scheinen nicht nur komplexe Familienformen sozial bestimmend gewesen zu sein. Die Referentin diskutierte die speziellen Verhältnisse, wie die brüderliche Familienbindung oder die Blutsbrüderschaft, die gelegentlich nicht nur politische, sondern auch religiöse Barrieren überbrücken konnten. Dabei betonte sie den ambivalenten Charakter dieser sozialen Institutionen, die zwar einerseits grenzüberschreitende Verbindungen regelten, andererseits aber als ein Indiz für die Schwäche innerstaatlicher Strukturen in dieser Region gelesen werden können.
Auf die osmanischen Teilungspläne Ungarns im 16. und 17. Jahrhundert vor dem Hintergrund des „Orta Madzsar“ Phänomens ging JÁNOS J. VARGA (Budapest) ein und lieferte einen Beitrag zur politischen Raumkonzeption im Spannungsfeld zweier Großmächte. Am Beispiel des seit den 1630-40er Jahren so genannten „Orta Madzsar“ (Mittelungarn) diskutierte er die Abhängigkeit des politischen Status einer Region – zwischen Vasallenstaat und Pufferzone – von politischen Gegebenheiten der Region sowie machtpolitischen Plänen der Großmacht. Das Osmanische Reich hätte sich seiner Souveränität über dieses Gebiet nie in Gänze sicher sein können ohne Wien einzunehmen, daher war die Unterstützung des ambitionierten Imre Thököly und dessen Einsetzung zum König des „Orta Madzsar“ (1682) eine vielversprechende Alternative für den Machterhalt in Mittelungarn bis zur vollständigen Eingliederung in das Osmanische Reich.
Die sich anschließende Sektion „Die Imagination des Fremden – das Bild vom „Türken“ leitete RADU PAUN (Bucuresti /Paris) mit Ausführungen zum Machtvokabular in den orthodoxen Ländern während der osmanischen Periode ein, besonders im Hinblick auf Perzeptionen des Sultans durch dessen orthodoxe Subjekte. Den diffizil zu verifizierenden Haltungen niederer Schichten näherte sich PAUN über „Randquellen“ wie Kolophone und Marginalien, welche seinen Forschungen zufolge eine sehr enge Verbindung zwischen politischem und liturgischem Vokabular aufzeigen, die auch auf die Nähe der Spitzen des orthodoxen Klerus zur Hohen Pforte zurückgingen. Im Umstand, dass biblische Herrscherbezeichnungen auch auf den Sultan angewandt wurden, zeige sich eine zumindest sehr viel differenziertere Perzeption der politischen Macht als nur als „illegitimer eherner Feind“ der Christenheit. In der Frage der Neuheit solcherart Vokabulars gegenüber einer muslimischen Oberhoheit spiegele sich die Dialektik zwischen „Kontinuitäten“ und „Diskontinuitäten“ der orthodoxen Tradition.
Einen anderen Zugang zu einer ähnlichen Thematik gewann GÁBOR KÁRMÁN (Budapest), indem er die schriftlichen Überlieferungen der siebenbürgischen Gesandtschaft an der Hohen Pforte heranzog. In der brieflichen Korrespondenz der Gesandten, Dolmetscher oder Schreiber, die im Vergleich zur diplomatischen Überlieferung anderer europäischer Gesandtschaften sehr viel schmaler und einseitiger ist, lassen sich kaum positive Erwähnungen osmanischer Verhältnisse finden. Gründe für diese Besonderheit ließen sich im speziellen Genre der siebenbürgischen Korrespondenz finden, in den besonderen Machtbeziehungen des Herkunftslandes der Autoren als auch im unterschiedlichen Sozialstatus des Botschafters gegenüber anderen Legaten. Gleichfalls erscheint hierbei erneut die Erwartungshaltung der Rezipienten als Schreibintention wichtig.
Die Perzeption des „Türken“ im Polen des 18. Jahrhunderts präsentierte HACER TOPAKTAS (Ankara) im Lichte polnischer und osmanischer Quellen. Anhand einer Gegenüberstellung von Quellen zum Aufenthalt des osmanischen Gesandten Yirmisekiz Celebizade Mehmed Said Efendi in Torun im Jahre 1733 verglich sie zum einen die Haltung der Bevölkerung der Stadt gegenüber dem Emissär sowie dessen Reaktionen hierauf. Am Beispiel der polnischen Beschreibung des Emissärs als „groben und barbarischen Asiaten“ diskutierte TOPAKTAS die Perzeption der Osmanen/Asiaten in der polnischen Öffentlichkeit vom 18. bis zum 19. Jahrhundert.
Der dritte thematische Block der Tagung beschäftigte sich mit der Integration des Fremden in Kultur und Wissenschaft. Im Besonderen Schlesien in den Blick nehmend legte KRZYSZTOF MIGON (Wroclaw) dar, wie Reiseberichte in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts besondere Konjunktur erlangten. Dieses starke Interesse, welches sich in vielfältigen, historischen, geographischen, ethnographischen und religionswissenschaftlichen Publikationen niederschlug, begründete eine frühe Turkologie in Schlesien. Ein Interesse, das mit den Pilgerfahrten zu den heiligen Stätten seinen Anfang nahm, sich mit den Türkenkriegen, zumal der Belagerung Wiens 1529 steigerte und seinen Höhepunkt im Zuge der zweiten Wienbelagerung 1683 und den nachfolgenden Kriegen in den letzten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts fand. Ab dem Ende des 17. Jahrhunderts verstärkte sich mit Abflauen der „Türkenfurcht“ auch die Belletristik über das Osmanische Reich. Zwischen 16. und 18. Jahrhundert wechseln hierdurch auch Thematik und Duktus der Literatur über das Osmanische Reich.
MIHÁLY IMRE (Debrecen) referierte über die Entwicklung und die Variationen des Topos der Querela Hungariae (Klage Ungarns), welcher in Folge der kriegerischen Auseinandersetzungen im 15. Jahrhundert aufkam und besonders in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts in weiten Teilen Europas rezipiert wurde. Dieses Motiv widerspiegelte die Stilisierung Ungarns in der Personifizierung der allegorischen Pannonia oder Hungaria als Wesen des ungarischen Selbstverständnisses im 16. Jahrhundert. Die Klage der Pannonia erscheint vorrangig im Sinne der humanistischen Rhetorik in Form des Dialogs oder Monologs und wendet sich sowohl an das stilisierte Ich als auch an andere Mächte, allem voran das in der Schwester Germania personifizierte Reich. Die im Stich gelassene Hungaria verstärkt so das Bild Ungarns als Märtyrer bzw. in der Rolle des propugnaculum Christianitatis, als Bollwerk der Christenheit.
Eine andere Facette der Beziehungen zwischen Ungarn und dem Osmanischen Reich beleuchtete ALBERTO SAVIELLO (Firenze). Anhand von zwei bildlichen Quellen von Felix Petancic, Gesandter des Königs von Ungarn und Böhmen Vladislav II. (1455-1516) in diplomatischen Missionen im Osmanischen Reich, untersuchte Saviello die Ideen und Konzepte am ungarischen Hof gegenüber dem Osmanen. Die zugewiesene Rolle des Verteidigers der Christenheit und die sich anschließende Verurteilung des Osmanen als Antichristen waren nach Maßgabe dieser Quellen keineswegs die einzigen Handlungsdevisen des ungarischen Königreichs. Mit Verweis auf die Herkunft der Ungarn aus dem Orient wurde beispielsweise nicht selten die Alterität gegenüber Rom herausgestellt. Im Rahmen der antiosmanischen visuellen Polemik thematisierte man daher im höfischen Milieu oft nicht die andere Religion, als vielmehr die Dekadenz des Osmanischen Reiches und seiner Herrscherelite.
Ebenfalls aus kunsthistorischer Perspektive betrachtete ANTJE KEMPE (Berlin/Wroclaw) den Umgang mit dem Motiv des unterdrückten gefesselten „Türken“ in der Sepulkralkunst des 17. Jahrhunderts. In einem Vergleich dreier Grabmäler in der Rzeczpospolita und dem Habsburger Reich stellte sie sich der Frage, ob es sich beim Motiv des „gefesselten Fremden“ um ein Element der politischen Ikonographie und spätestens seit dem 17. Jahrhundert um eine Modeerscheinung handelte, damit in gewisser Weise aus Gruppenidentität stiftenden Vorbildern schöpfte oder vielmehr um einen Reflex des frühbarocken Herrscherdenkmals. Ohne zu stark zu verallgemeinern liege im gefesselten „Türken“ als symbolisch genutztem Sklavenbild ein klar erkennbares Triumphzeichen vor, welches als ein visuelles Attribut des Kriegers und Herrschers die Übermacht versinnbildlichte. Grabmäler spiegelten somit die historische Vielfältigkeit und Komplexität des Feindbildes innerhalb der frühneuzeitlichen Memorialkultur wider.
KLAUS SCHNEIDERHEINZE (Leipzig) stellte in seinem Vortrag die orientalischen kulturellen Komponenten der polnischen Adelskultur seit dem späten Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert als sozio-ökonomisches Phänomen vor. Ausgehend von lang andauernden Kontakten mit Tataren, Persern und Osmanen, sowohl friedlicher als auch militärischer Natur, entwickelte sich am königlichen Hof und an den Höfen polnischer, später polnisch-litauischer, Magnaten, eine orientalische Mode, die auch vom mittleren und niederen Adel schnell übernommen wurde. Hierbei setzte sich die Szlachta in ihrem Auftreten, der Waffentechnik, der Kleidung und verschiedenen Luxusgütern wie Teppichen deutlich vom Adel des westlichen Christentums ab. Erst die ökonomischen Krisen des 17. Jahrhunderts bedeuteten für den Adel den Zwang zu strukturellem Wandel. Unter Beibehaltung der überlieferten Stilmerkmale des Adels griff man nun mehr auf einheimische Produktion dieser Waren zurück, wobei sich ab dem 18. Jahrhundert der Adel im Habitus stärker differenzierte. Die Magnaten orientierten sich nun stärker am westlichen Adel, im Besonderen Frankreichs, wohingegen der mittlere und niedere Adel an überlieferten Formen des gesellschaftlichen Auftretens festhielt.
Im Rahmen eines Abendvortrages vermittelte SURAIYA FAROQHI (München) neue Einblicke in die Forschung zur Stellung der Kaufleute im Osmanischen Reich. Anhand neuester Historiographie diskutierte sie innovative Ergebnisse Fachgrenzen überwindender Forschung, präsentierte einen reichen Fundus unbearbeiteter Quellen zu diesem Thema und regte somit Perspektiven neuer interdisziplinärer Untersuchungen an.
Der letzte thematische Block Der Glaube des Anderen – Die „politische Religion“ in der Frühen Neuzeit wurde von ANTAL MOLNÁR (Budapest) eingeleitet mit Ausführungen zu grundlegenden Merkmalen der katholischen Konfessionalisierung im europäischen Teil des Osmanischen Reiches vom 16. bis zum 17. Jahrhundert. Da in diesem Bereich Gutsherren oder städtische Patrizier fehlten, avancierten reiche Kaufleute zu den weltlichen Führern des konfessionellen Lebens. Als Patronatsherren traten besonders die Händler aus Ragusa auf, die sich konstant in Auseinandersetzungen mit bosnischen katholischen Kaufleuten und den Missionaren der katholischen Reform verwickelt waren. Weitere Akteure in teilweise lang andauernden Konflikten waren bosnische Franziskaner und Jesuiten. Am Beispiel des Streits um drei Kapellen in Sofia, Belgrad und Novi Pazar schilderte Molnár die Versuche bestimmenden Einfluss auch auf soziale und ökonomische Belange der Gemeinde zu besitzen. So wurden konkrete Formen des balkanischen Katholizismus deutlich, dessen Eigentümlichkeiten in der Feinabstimmung und den Unterschieden der Konzepte zwischen Rom und Ragusa bzw. deren örtlichen Ausformungen lagen.
Ausgehend von einer Reihe neu aufgefundener osmanischer Manuskripte aus der British Library und der Universitätsbibliothek in Cambridge diskutierte CLAIRE NORTON (Twickenham) die offenkundige Dichotomie zwischen der offiziellen Rhetorik des osmanischen Staates über das Christentum als der Religion der „Fremdheit“ und pragmatischen alltäglichen Realitäten in heterodoxen und pluralistischen Mikrostrukturen im Osmanischen Reich. Entlang der Ereignisse der habsburgischen Belagerung der Festung Nagykanisza erläuterte Norton die Entwicklung der osmanischen rhetorischen Konstruktion des „Eigenen“ vs. „Fremden“ sowie in welcher Art solche Konzepte Praxis und Realität widerspiegelten und mit ihnen interagierten. Die Wahrnehmung des Fremden war realiter deutlich differenzierter: So wurde zum Beispiel ein protestantischer Monarch im offiziellen osmanischen Schriftverkehr durchaus im Gegensatz zum katholischen Habsburger und somit als potentieller Hoffnungsträger eigener politischer Pläne gesehen. Deutlich wird dabei, dass derlei Befunde ein viel differenzierteres Spektrum von Identitäten im Osmanischen Reich widerspiegeln. Norton stellte dar, dass die Wahrnehmung christlicher Bevölkerung und Herrschaften keineswegs mit der osmanischen Propaganda gleichzusetzen seien und alltägliche Grenzerfahrungen ein bedeutend pragmatischeres Vorgehen erkennen ließen.
Das Verhältnis zwischen der katholischen Marienverehrung und den Osmanen von 1640 bis 1740 erläuterte ROBERT BORN (Leipzig) bezugnehmend auf spezielle Formen christlicher Frömmigkeit unter osmanischer Besatzung und dem Einwirken der osmanischen Expansion auf die Marienverehrung. Seit der Expansion des osmanischen Machtbereichs erlangten Formen der symbolischen Kommunikation, wie das Mittagsgeläut seit 1456 oder das Rosenkranzfest besonderen Traditionscharakter. Diese Schicht erfuhr ab dem Ende des 17. Jahrhunderts eine Erweiterung im Zuge der Etablierung einer neuen Bildfrömmigkeit. Dabei entwickelten sich ausgehend von ikonoklastischen Handlungen der Osmanen und unter Rückgriff auf mittelalterliche Traditionen, die teilweise in Anpassung mittelalterlicher Motive, wie die wundersame Wanderung der Bilder sowie deren Auffinden an Orten der Bedrohung, neue Kulttraditionen und Zentren der Verehrung. Die gezielte propagandistische Inszenierung einer Reihe dieser neuen Kultbilder durch den habsburgischen Hof als antiosmanische Palladia widerspiegelte die Antipodenbildung der Jungfrau Maria gegenüber dem „Türken“. Innerhalb dieser Entwicklungen könne man die Inszenierungsstrategien Marianischer Gnadenbilder als ein Spezifikum Ostmitteleuropas ansehen.
Zum Abschluss der Tagung oblag es STEPHAN CONERMANN (Bonn) im Rahmen einer Schlussdiskussion der vielschichtigen Tagungsbeiträge zusammenfassend Synthesen und Ausblicke einer interdisziplinär angelegten Forschung zum Osmanischen Reich und Ostmitteleuropa darzulegen. Aufgabe einer solchen Wissenschaft solle es sein, Raumdefinitionen im Spannungsfeld von Grenzen, Alteritäten und Interaktionen neu zu überdenken. Ein besonderes Augenmerk sei auf die Quellen(problematik) zu legen und gerade in deren Mannigfaltigkeit überlieferte Bilder und Auffassungen neu abzustimmen. Die Grenze als solche solle vor dem Hintergrund von Kultur, Handel, Administration, Recht und Religion erneut als eine anthropologische Fragestellung diskutiert werden.
Resümierend kann festgehalten werden, dass die Tagung zahlreiche Facetten des Erfahrungsraumes zwischen osmanisch-muslimischem Orient und christlichem Okzident aufzeigen konnte. Dargelegt wurde die wissenschaftliche Erkenntnis einer neueingebunden und -orientierten Osmanistik in Bezug auf Ostmitteleuropa, die ein deutlich differenzierteres Bild der historischen „Wirklichkeiten“ des politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebens in diesem Gebiet liefern. Hierbei zeigten sich die Perzeption des jeweils Anderen in stärker subjektiv geprägten Quellen wie Reiseberichten als besonders hilfreich im Hinblick auf die Lesbarkeit von Selbst- und Fremdwahrnehmungen. Besonders in der physischen wie mentalen Auseinandersetzung mit dem „Anderen“ werden die konstitutiven Marker verschiedener Identitätskonstruktionen deutlich. Religion und Konfession spielt dabei eine besonders tragende Rolle in einer sich in dieser Zeit entwickelnden multikonfessionellen und multikulturellen Region. Herkunft und politisch-kulturelle Verwendung von abendländischen vs. orientalischen Bildern ist dabei nicht nur für den betrachteten Zeitraum und die Region von Bedeutung, sondern interagiert ihrerseits mit angrenzenden Räumen und Zeiten.
Aus der Fülle der Beiträge sprachen besonders die Forderung nach einer differenzierteren Sicht der speziellen historischen Verhältnisse, die Relativierung der Wirkungsmächtigkeit von Feindzuschreibungen und die Öffnung des Blicks besonders auf vielfältige wirtschaftliche und kulturelle Interaktionen. So kam es zu deutlich häufigeren Koalitionsbildungen jenseits politischer und religiöser Trennlinien als bisweilen Forschung aufzuzeigen in der Lage war.
Abschließend sei angekündigt, dass die Beiträge der Tagung in einem Sammelband der Schriftenreihe des GWZO veröffentlicht werden.
Konferenzübersicht:
Begrüßung, Kurzpräsentation des Projekts: EVELIN WETTER (Abegg-Stiftung, Riggisberg), ROBERT BORN (Leipzig)
Einführung: STEPHAN CONERMANN (Bonn):
„Orient“ und „Okzident“ – Wahrnehmungen und Konstruktionen von Räumen in der Frühen Neuzeit; Chair: NORBERT SPANNENBERGER (Leipzig)
- DETLEF HABERLAND (Oldenburg): Die Perzeption des südosteuropäischen Grenzraums in Türkei-Reiseberichten der Frühen Neuzeit
- VILIAM CICAJ (Bratislava): Die türkische Welt und ihre nördlichsten Nachbarn
- CLAUDIA FEURER (Bonn): Verwandtschaft und Blutsbrüderschaft im Triplex Confinium auf dem Balkan
- JÁNOS J. VARGA (Budapest): Osmanische Pläne zur Teilung Ungarns im 16. und 17. Jahrhundert (Das Phänomen der „Orta Madzsar“)
Die Imagination des Fremden – das Bild vom „Türken“; Chair: STEPHAN CONERMANN (Bonn)
- RADU PAUN (Bucuresti): “Barbarian” Emperor? Thinking about Empire and Power Hierarchies during the Ottoman Era (Balkan Orthodox Lands, 15th-17th Centuries)
- GÁBOR KÁRMÁN (Budapest): “Damned Constantinople”: The Image of the “Turk” of the Transylvanian Embassy at the Sublime Porte
- HACER TOPAKTAS (Ankara): The Image of the Turk in the 18th Century Poland: Mehmed Said Efendi’s Visit to Torun
Die Integration des Fremden in Kultur und Wissenschaft; Chair: EVELIN WETTER (Abegg-Stiftung, Riggisberg)
- KRZYSZTOF MIGON (Wroclaw): Schlesien und die Türken: Reisen – Kriege – Bücher – Anfänge der Turkologie
- MIHÁLY IMRE (Debrecen): Der Topos der „Querela Hungariae“ (Klage von Ungarn) in der Literatur des 16. und 17. Jahrhunderts
- ALBERTO SAVIELLO (Firenze): Felix Petancic – Pictures and Records of the Ottoman Empire
- ANTJE KEMPE (Berlin/Wroclaw): Der gefesselte Fremde – politische Ikonographie oder Modeerscheinung?
- KLAUS SCHNEIDERHEINZE (Leipzig): Between Orient and Occident: Polish Nobility in Early Modern Times
Abendvortrag: SURAIYA FAROQHI (München): Anmerkungen zur Stellung der Kaufleute im Osmanischen Reich
Der Glaube des Anderen – Die „politische Religion“ in der Frühen Neuzeit; Chair: MARKUS KOLLER (Gießen)
- ANTAL MOLNÁR (Budapest): Drei Kapellen-Streite: Sofia, Belgrad und Novi Pazar. Handelstätigkeit und kirchliche Jurisdiktion der Republik Ragusa auf dem Balkan in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts
- CLAIRE NORTON (Twickenham): Ottoman Perception of the Other’s Religion and its Role in Identity Creation
- ROBERT BORN (Leipzig): The Marian Cult and the Fear of the Turks
Resümee und Schlussdiskussion: STEPHAN CONERMANN (Bonn)